In Gelsenkirchen hat Oberbürgermeister Frank Baranowski erklärt, dass er zur Kommunalwahl 2020 nicht mehr antreten wird. Seit 16 Jahren ist er jetzt dabei – Zeit genug für ein Resümee. Der Anfang war etwas holprig, die öffentlichen Auftritte unsicher und die Reden noch steif. Schnell hat er seine Rolle gefunden und sein Auftreten kann in der Folge als „smart“ bezeichnet werden. So ist es kein Zufall, dass er bei den diversen Krisen seiner Partei immer wieder als Hoffnungsträger genannt wurde. Das gilt für die Landes- und Bundesebene. Geblieben ist er in Gelsenkirchen. Das hat seinem Ansehen nicht geschadet, obwohl die Stadt in der Regel schlechte Nachrichten produziert und bei allen Rankings auf dem letzten Platz liegt.
In seiner Abschiedserklärung betont der Oberbürgermeister sein Ziel, „dann aufzuhören, wenn die Mehrheit der Menschen „Schade“ sagt und nur eine Minderheit endlich“. So einfach ist es natürlich nicht. Im Rückblick bleibt es lobenswert, dass er sich immer eindeutig gegen rechte
Die Stiftung „Schalker Markt“ knüpft an die Traditionen des Stadtteils an und will seine Zukunft gestalten. An diesem eisigen und kalten 24. Januar versammelten sich rund 200 Gäste in der ehrwürdigen Glückauf-Kampfbahn, um bei der Präsentation der Ziele und Arbeit der Stiftung dabei zu sein. „Wir hauchen der Schalker Seele an ihren Geburtsorten neues Leben ein“, brachte Initiator und Schalker Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Tönnies das ehrgeizige Anliegen auf den Punkt. Unter den Gästen waren neben politischer Prominenz viele ehemalige Spieler wie Klaus Fischer, Martin Max, Olaf Thon und die Kremers-Zwillinge.
Die Zahl der Gesundbeter und Schönredner bleibt in der Stadt der Tausend Feuer auf einem hohen Niveau. Vielleicht steigt sie ja sogar an – wer weiß? Die schlechten Nachrichten erreichen Gelsenkirchen in immer kürzeren Abständen: höchste Arbeitslosenquote bundesweit, die meisten AfD-Wähler im Westen, ein Drittel der Kinder leben in Armut, die ärmste Stadt Deutschlands und so weiter.
Karsten Jahn kommt aus Herten, war viele Jahre in der Welt unterwegs und weilt zur Zeit vor allem bei unseren niederländischen Nachbarn. Er arbeitet irgendetwas mit Computern und ist seit seiner Geburt Schalke-Fan. Er interessiert sich für die Taktik des Fußballspiels und schreibt sein Beginn der Saison 2013 darüber in seinem Blog „halbfeldflanke“.
Michael Voregger ist in Gelsenkirchen geboren und isso.-Redakteur. Er hat seit Jahren eine Dauerkarte für Schalke 04 und schimpft nicht nur im Stadion, wenn es mal wieder nicht läuft.
Die beiden Fans haben sich vor den Toren der Glückauf-Kampfbahn in Schalke zu einem Gespräch unter Fans getroffen. Journalistische Objektivität spielt auf diesen Seiten also ausnahmsweise mal keine Rolle.
Michael Voregger: Schalke hat eine erfolgreiche Saison gespielt, und der zweite Platz war nicht zu erwarten. Ich habe viele Spiele im Stadion gesehen und vielleicht ein Heimspiel verpasst. Das war nicht immer toll anzuschauen, aber es war erfolgreich. Ist das klassischer Arbeiterfußball? Die Mannschaft ist gut organisiert, es wird gekämpft, und man setzt sich ein, aber es ist nicht immer schön.
Das Ruhrgebiet ist reich an Unternehmen. Dazu zählen nicht nur privatwirtschaftliche Firmen, sondern auch kommunale Unternehmen und Eigenbetriebe. Mehrere Hundert solcher Betriebe gibt es zwischen Dortmund und Duisburg – die Tendenz ist steigend.
Bundesweit gibt es weit über 13.000 kommunale Auslagerungen. „Sie sind schwerpunktmäßig in den Bereichen Wasserversorgung, Abwasserentsorgung und Wohnungen aktiv. Mit der Aufgabenerfüllung wird auch ein Teil der finanzwirtschaftlichen Aktivität aus der kommunalen Kernverwaltung ausgelagert“, heißt es dazu im kommunalen Finanzbericht der Bertelsmann-Stiftung. „Die Kernhaushalte bilden die finanzielle Situation der Kommunen daher nicht mehr vollständig ab.“
In Gelsenkirchen hat die Stadtverwaltung jetzt den Beteiligungsbericht für das Jahr 2015 vorgelegt. Auf den ersten Blick wirkt das 292 Seiten umfassende Zahlenwerk etwas spröde, aber bei genauer Betrachtung ergeben sich hier spannende Fragen.Bürger können die Aktivitäten der Politik und der Stadtverwaltung nur bewerten, wenn ihnen die finanziellen und wirtschaftlichen Aktivitäten klar sind. Es geht also um die demokratische Kontrolle und um die Zukunft der Stadtgesellschaft.„Wegen der ständig steigenden Zahl städtischer Unternehmen sind Konzernabschlüsse unverzichtbar, um eine umfassende Transparenz über alle städtischen Finanzstrukturen zu schaffen“, erklärt der Bund der Steuerzahler NRW. „Denn bekanntlich können in selbstständigen, städtischen Firmen Personal- und Investitionsausgaben getätigt werden, auf die der Stadtrat keinen großen Einfluss hat.“
Der Beteiligungsbericht ist nach der Gemeindeordnung NRW mit dem Gesamtabschluss vorzulegen. „Dieser wiederum ist innerhalb von neun Monaten nach dem Abschlussstichtag aufzustellen“, sagt Sigrun Rittrich, Pressesprecherin der Bezirksregierung Münster. „Die abschließende Feststellung obliegt dem Rat. Danach erfolgt die öffentliche Bekanntmachung“. Leider kommt Gelsenkirchen dieser Vorgabe nicht nach, denn der Beteiligungsbericht für 2015 wurde erst im November 2017 vorgelegt. Der vorgeschriebene Zeitpunkt war der September 2016. Jeder Kämmerer im Lande kennt die wichtigen Vorschriften im Gemeindehaushaltsrecht.
Mit dem nachlässigen Vorgehen ist Gelsenkirchen allerdings nicht allein. Nur jede vierte nordrhein-westfälische Kommune, einschließlich der Landschaftsverbände und des Regionalverbandes Ruhr, hat im Frühjahr 2017 für das Wirtschaftsjahr 2015 einen Gesamtabschluss aufgestellt.
Gelsenkirchen ist die ärmste Stadt Deutschlands und die Hochburg der AfD im Westen. Ein Zufall oder gibt es hier einen Zusammenhang? Wilhelm Heitmeyer, 72 ist ein deutscher Soziologe, Erziehungswissenschaftler und Professor für Sozialisation am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld. Er war bis 2013 Direktor des Instituts und seitdem ist er dort im Rahmen einer Forschungsprofessur tätig. Seit den 80er Jahren untersucht er Rechtsextremismus, von 2002 bis 2012 lief seine Langzeitstudie zur „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“.
Michael Voregger: Das Ruhrgebiet gilt ja als „Schmelztiegel“ mit einer langen Erfahrung bei der Zuwanderung von Menschen. Warum haben hier so viele Bürger die AfD gewählt?
Wilhelm Heitmeyer: Die Zuwanderung in früheren Zeiten aus Polen oder aus der Türkei ist mit der Zuwanderung von heute überhaupt nicht zu vergleichen. Die früheren Zuwanderungen waren Zuwanderung in Arbeit und das hat sich grundlegend geändert. Etwa durch den Zuzug aus Bulgarien und Rumänien und natürlich durch die Flüchtlinge. Insofern ist die Etikettierung mit dem Schmelztiegel nicht mehr angemessen. Es hat in der Vergangenheit viel Zeit gebraucht. Jetzt hat man keine Zeit mehr. Es sind in kurzen Abständen sehr viele Menschen gekommen. Das gilt besonders für bestimmte Stadtteile in Gelsenkirchen mit schon länger andauernden strukturellen Problemen. Dazu kommen vielfältige und verstärkende Bedingungen, wie viele freistehende Wohnungen – das wirkt dann so wie ein Magnet.
Michael Voregger: Gelsenkirchen ist laut einer aktuellen Statistik die ärmste Stadt Deutschlands. Gleichzeitig ist die ehemalige Stadt der Tausend Feuer eine Hochburg der AfD. Hier haben bei der Bundestagswahl 17 Prozent der Bürger die Partei gewählt. Besteht da ein Zusammenhang?
Wilhelm Heitmeyer: Auf der einen Seite ist es so, dass es im Osten den flächendeckenden Erfolg der AfD gibt. In Westdeutschland ist das sehr unterschiedlich und es gibt zum Beispiel sehr reiche Städte wie Heilbronn, Das hat mit der Tradition in Baden-Württemberg zu tun, wo es immer solche Erfolge gegeben hat – in der Vergangenheit vor allem durch die Republikaner. Heute kommt in den reichen Städten die Angst vor sozialem Abstieg hinzu – selbst bei den Mitarbeitern von Audi. In Städten wie Gelsenkirchen mit der hohen Armutsrate sind es zwei Dinge. Auf der einen Seite die Konkurrenz um knappe Ressourcen und auf der anderen Seite – das ist immer ein Zusammenhang – wird das übertragen auf kulturelle Differenzen. Ob das nun Muslime sind oder die eingewanderte Alltagskultur aus Südosteuropa – also aus Bulgarien und Rumänien. Es gibt einen Zusammenhang zwischen den Wählerschichten und der strukturellen Situation in den Städten. Und das gilt nicht nur für Gelsenkirchen, sondern es gilt ebenfalls für andere Stadtteile im Ruhrgebiet. Da sind es vor allem die Stadtteile im Norden der jeweiligen Städte – also im Essener Norden oder in Duisburg. Es ist notwendig genau hinzusehen, welche Form von Desintegration auch die ursprünglichen Deutschen oder Teile davon erleben.
Der Unternehmer Thomas Bernau hat die Markthalle in Buer 2014 gekauft. Seitdem ist nicht viel passiert. Anfang Juni hat die Stadt den Bebauungsplan geändert. Damit soll die „alte Markthalle“ wiederbelebt werden, die am Ende ziemlich trostlos aussah und mit vielen Leerständen daherkam. Außerdem will die Stadtverwaltung mit den Änderungen Einzelhandel im großen Stil verhindern. Thomas Bernau fühlt sich getäuscht und sieht sein Eigentum bedroht. Die Situation ist verfahren. Michael Voregger hat mit Thomas Bernau gesprochen.
Michael Voregger: Herr Bernau, warum haben Sie die Markthalle damals gekauft?
Thomas Bernau: Aus zwei Gründen: Es ist einfach ein tolles Gebäude und hat über die Stadtgrenzen hinaus einen hohen Bekanntheitsgrad. Außerdem war der Kaufpreis zum damaligen Zeitpunkt sehr günstig.
Das war 2014. Wie war die Situation damals?
Wir hatten bereits ein Jahr vorher mit der Bank und dem alten Eigentümer verhandelt. Das war sehr aufwändig, denn es ging um erhebliche Verzichte auf deren Seite. Ende 2014 haben wir den Notarvertrag geschlossen und hatten zu dem Zeitpunkt nur noch 50% Mieter im Objekt. Die aufgelaufenen Mietschulden beliefen sich auf rund 400.000 Euro. Wir sind aufgrund der vorliegenden ordnungsrechtlichen Genehmigungen davon ausgegangen, dass in den letzten Jahren ausschließlich gastronomische Betriebe eine Konzession durch die Stadt Gelsenkirchen erhalten haben. Das war ein Fehler.
Was hatten Sie für die Markthalle geplant??
Die Vergangenheit hat mit Kronsky und Mezzomar gezeigt, dass hier erfolgreiche Gastronomen am Werk waren und nicht alles so schlecht lief, wie es jetzt im Rückblick auf die letzten Jahre erscheint. Zum Schluss haben Billiganbieter und Ketten wie Subway ein eher schlechtes Bild abgeliefert. Die Markthalle war ziemlich runtergekommen. Wir haben geglaubt, dass wir durch das Einziehen einer Decke vier bis fünf große Gastronomieflächen etablieren können. Beim Einreichen des Bauantrags mussten wir jedoch zu unserer Verwunderung feststellen, dass hier in Wirklichkeit 80% Handel und nur 20%
Jetzt ist es vorbei mit den Mythen des Ruhrgebiets. Schluss mit der Romantik des Bergbaus und des ehrbaren Kumpels von nebenan. Die hoch gehaltenen Werte der Solidarität, der Gemeinschaft und der gelungenen Integration zählen schon lange nicht mehr. Die populistische und rechte AfD hat bei den Landtagswahlen hier 13,5 Prozent erreicht und damit das beste Ergebnis in NRW. Jeder der diese Partei wählt, muss nach dem letzten Bundesparteitag wissen, was er da tut. Damit hat es Gelsenkirchen endlich an die Spitze geschafft, denn bei allen Rankings liegt die gebeutelte Stadt regelmäßig am Ende. Dabei spielt es keine Rolle, ob es um Einkommen, wirtschaftliches Wachstum, Kinderarmut oder Arbeitslosigkeit geht. Man nimmt es seit Jahrzehnten hin, dass die Lebenserwartung durch Verarmung breiter Bevölkerungsschichten niedriger ist, als im Durchschnitt des Bundeslandes und der Republik. Ein tödlicher Skandal, der keine Konsequenzen hat.
Warum Szene-Gastronom Cem Özdemir und seine Familie die Stadt verlassen
Cem Özdemir ist 1971 in der Türkei geboren und kam drei Jahre später nach Deutschland. Er hat in Gelsenkirchen Kindergarten, Grundschule und Gymnasium besucht, bevor er in Essen mit dem Studium begann. Die akademische Laufbahn hat er nicht weiterverfolgt und ist stattdessen in seiner Heimatstadt Gelsenkirchen ein bekannter Gastronom geworden. Zuletzt hat er das beliebte Szenelokal „rosi“ in der Weberstraße betrieben. Damit ist jetzt Schluss, und die neue Heimat der Familie Özdemir liegt in Norddeutschland. Michael Voregger hat mit Cem Özdemir über die Gründe für die Auswanderung gesprochen.
Michael Voregger: Warum bist Du ausgerechnet Gastronom in Gelsenkirchen geworden?
Cem Özdemir: Das ist das Ambivalente in Gelsenkirchen, und wahrscheinlich gilt das auch für andere Städte. Wenn man hier groß geworden ist, egal was man für eine Vita hat, egal wo man herstammt, dann kommt man immer wieder zu dem zurück, was man für sich als Heimat begreift. Deshalb hat es sich angeboten, meine gastronomischen Fähigkeiten da umzusetzen, wo ich mich gerne aufhalte.
Jetzt ist Schluss für Dich in Gelsenkirchen. Warum verlässt Du die Stadt und gehst woanders hin?
Meine Frau und ich sehen die Entwicklung in Gelsenkirchen sehr kritisch. Wir haben uns vor einiger Zeit entschieden, der Stadt den Rücken zu kehren. Gelsenkirchen hat sich in den letzten
Unsere Gastautorin Denise Klein hat sich mit dem Stadtsoziologen Frank Eckhardt unterhalten.
Denise Klein: Herr Eckhardt, womit genau beschäftigen Sie sich in Ihrer Eigenschaft als Stadtsoziologe? Welche Daten verwenden Sie, um Ihre Erkenntnisse zu gewinnen?
Frank Eckhardt: Als Stadtsoziologe interessiert mich die Frage, in welcher Weise sich Städte entwickeln und welche Auswirkungen der Wandel auf die betroffenen Menschen hat. Dazu benutze ich alle möglichen Daten, etwa die des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung
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