Heimatdesign 7 – das neue Magazin ist da

Während des Deutschlandspiels über Heimatdesign Nr. 7 zu schreiben: das passt. Draußen fahren Autos mit gleich vier Schlandfahnen am Dach, die Außenspiegel patriotisch kondomiert, Fangrüppchen kreuzen ihre Wege vor meiner Haustür im Dortmunder Klinikviertel, die einen Richtung Friedensplatz unterwegs, die anderen wollen zum Westpark, zum Café Erdmann. Zwei kleine Jungs spielen sich auf dem Bürgersteig ne alte Pocke zu, gönnen sich vor dem Anpfiff noch ne Kugel Zitroneneis für 70 Cent bei Panciera. Heimat!
Anpfiff: Der Heimatdesign-Titel. Komischer Typ mit Retroschnäuzer und Serbenfrisur pellt sich aus einem weißen Hemd; er trägt weiße Strumpfhosen oder enge Leggins, dazu weiche braune Schuhe. Gay-Vogue, warum nicht. Titelthemen: Henze, New York, Schlaglöcher, die Zukunft, 4x Mode. Gute Mischung. Mal ein Printding ohne plakative politische Ansichten, hehe.

(Mist, dann kommt dieses Spiel dazwischen. Zwei Stunden setze ich mal aus mit der Lektüre bzw. Rezension. Mein Heimatgefühl wird ziemlich angekratzt. Viel Bier. Schwamm drüber)
Weiter mit dem neuen Hundertseiter. Ich mach’s jetzt kurz: klasse Teil! Gar nicht so szenig-kuschelig-inzüchtig, wie man diesen Design-Nerds manchmal vorwerfen könnte. Optisch ein Genuss, klar layoutet, verschwommene Modefotos von Philipp Wente. Auffällig die erstklassigen Illustrationsideen von Katrin Rodegast und Anne Deppe. Oder wie Designer „Heimat“ illustrieren: als verlassenen Parkstreifen mit Mülltonne und Lärmschutzwand wie Reza Nadji. Und als Sehnsuchtschiffre mit Surfer-Attitude wie Cape Arcona. Tolle Anzeige von Jan Kath (wenn Teppiche und genug Geld: dann da). Dazu kurz beleuchtete Themen wie Unprojekte (von der Kulturhauptstadt abgelehnt), Bohème Précaire (Kultur in leer stehenden Räumen), Concrete Playground (Streetart-Festival) oder Ruhrgestalten (Lifestylemagazin aus Herne). Macht, käme man von außerhalb, durchaus den Eindruck einer recht agilen Szene.
Drei längeren Heimatstücken hätte der neue Chefredakteur Volker K. Belghaus ruhig mehr Platz einräumen können: Johannes Wiek berichtet von Schlaglöchern auf unseren Straßen und wie sie ein intelligenter Schlagloch-Flashmob mit geradezu hippiesken Aktionen stopfen könnte. Der Grandseigneur des Hochrads und neue Prophet der Entschleunigung, Ekamina-Veranstalter Martini, beschreibt eine easy Paddelfahrt auf der Ruhr, die zwei Seiten mehr Fotos vertragen hätte; und über den Ruhrgebiets-Tellerrand hinaus blickt die Reportage von Jan Wilms, der mit seinem „Auge“ Philipp Wente bei Hans Werner Henze in der Nähe von Rom war und mit dem greisen Komponisten im Jaguar durchs Latium cruiste.

Dass Belghaus seiner Vorgängerin Petra Engelke Gelegenheit gab, ihren Umzug nach New York mit Heimatgefühlen zu erläutern (plus der Abdruck ihres live ungeheuer emphatisch vorgetragenen Gedichts „Wir sind eine Armee“), ist eine schöne Geste und sorgt für heimatliche Kontinuität. Heimatbilder auch, als das Magazin letztens in Dortmund vorgestellt wurde: Auf dem Bürgersteig vor der grandiosen „Ständigen Vertretung“ und dem Heimatdesign-Laden am Hohen Wall, knallgelbe Sitzsäcke, süßer Cava (Praktikantinnen darf man nicht einkaufen schicken!), Schalker Bier und in Sichtweite die Tauben vom Winkelmann auf dem U. Nee, is dat schön hier.

Weitere Infos: Die U4 hat Bionade gebucht, das nächste Heimatdesign erscheint im Oktober, die Website heißt http://www.heimatdesign.de/magazin

Perfektes Dinner: „Das ist ja so gar nicht meins!“

VOX ruft derzeit Hobbyküche aus dem Ruhrgebiet auf, sich für die Kochdoku „Das perfekte Dinner“ zu bewerben. Eine sehr erfolgreiche Sendung ist das, die in mir jedoch regelmäßig Aggressionen auslöst.

Zum Konzept der Sendung gehört es, dass fünf wildfremde Menschen gegeneinander antreten, um sich in ihren Kochkünsten und Gastgeberqualitäten zu messen. Reihum bittet einer der Kandidaten die anderen vier Knalltüten zu sich nach Hause, setzt sie an den gedeckten Tisch und tischt ihnen ein mehr oder minder originelles Menü auf. Am Schluss jeder Folge wird er dann von seinen Kontrahenten benotet; wer am Ende der Woche die meisten Punkte erkocht hat, ist der Sieger.

So weit, so unterhaltsam. Man muss wahrscheinlich zugeben, dass es diese Sendung ist und nicht eine der zahlreichen Kochshows mit TV-Köchen, die in ihrer Außenwirkung am nachhaltigsten auf die Gewohnheiten der TV-gesteuerten Deutschen abstrahlt. Seitdem dieses Format läuft, wird es im privaten Kreis nachgespielt. Man lädt sich gegenseitig ein, man spielt Gastgeber und bekocht im schlimmsten Falle „befreundete Pärchen“, die grundsätzlich Klaus und Heidi heißen und natürlich die Pest sind. Dass dabei nicht nur auf kreative Gerichte wert gelegt wird, sondern auch auf eine gewisse Tischkultur, auf Gläser, Besteck und Tischwäsche, finde ich als Ansatz gar nicht mal so schlecht. Subversives Gedankengut lässt sich besser mit Stil, Anstand und Niveau entwickeln und pflegen; rüpelhafte Ausschweifungen machen mehr Spaß mit einem Champagnerglas von Riedel in der Hand und einer gelockerten Frackschleife um den Hals. (Oder, Schlange?)

Nur geht es bei dieser Sendung natürlich um alles andere als um die Revolution. Es geht darum, dass Klaus und Heidi bzw. die sich unbekannten Kandidaten einen auf gutbürgerliche Kopfnoten-Revue machen, viel zu anspruchsvolle Gänge kochen, wie sie der herrschaftlichen Küche vorbehalten waren, viel zu viel Blödsinn über „eingebundene Tannine“ und „lange Abgänge“ faseln und mit Lust übereinander herziehen, wenn der Gastgeber gerade am Herd steht und nicht zuhören kann.

Was die Sendung vollends für mich unerträglich macht, ist die Teilnahme der schlimmsten Spezies, die auf Gottes Erdboden herumtrampelt: junge Frauen von Ende zwanzig, Anfang dreißig, nachweislich also die dümmsten Geschöpfe seit dem Urknall. Nicht genug, dass diese doofen Weiber mir regelmäßig meine Lieblingssendung „Wer wird Millionär“ mit ihrer Ungebildetheit vermiesen („Literatur? Das ist nicht gerade mein Spezialgebiet. Erdkunde kann ich auch nicht. Biologie? Fußball?“ – Ja, wovon habt Ihr Pflaumen denn überhaupt Ahnung?), nicht genug, dass sie dieses herrliche Spiel mit ihrer Entscheidungsschwäche und luschigen Hilflosigkeit verzögern und am Ende gedemütigt mit 8.000 Euro in ihre Bausparwohnungen zurück kriechen müssen, nein, sie haben außer von vielen, vielen anderen Dingen auch vom Kochen und Essen keine Ahnung. Analog zu ihrer miserablen Performance beim Jauch-Quiz stören sie auch das „Perfekte Dinner“ mit ihrem unqualifizierten Quaken: „Roher Fisch? Ist ja so gar nicht meins.“ Da diese dummen Dinger aber auch kein Fett, keine Innereien, keine Ochsenbäckchen, keinen Fenchel, keinen Kümmel, keine Blutwurst, keinen Burgunder aus der Doppelmagnum, keinen Korn zum Frühstück, keine halben Schweine auf Toast und überhaupt nix mögen, das nicht bis zur Unkenntlichkeit denaturiert und in künstlich gepimpten Fitzeln vor ihnen auf dem Teller liegt, sind sie der Tod jeder Folge. Der Satz „Ist ja so gar nicht meins“ sollte mit einer Woche Rucolaverbot und folgender Zwangsdiät bestraft werden – ja richtig: Sauerbraten vom Pferd, anständige Kutteln, dicke Bohnen mit westfälischem Speck, Steckrübeneintopf, Möppkenbrot mit dick Sempf, Schmalzbrot, Coq au vin vom zähen Hofhahn und Spanferkel vom Grill. So!

Jetzt aber Ihr, Ruhrbarolo-Leser! Wie gesagt, zurzeit ruft die Produktionsfirma uns Ruhrgebietler zur Teilnahme am „Perfekten Dinner“ auf. Während der Fußball-WM (!) finden die Dreharbeiten statt (genau: vom 21.-25. Juni), und wer nun will und Klaus und Heidi heißt, sollte die Kölner Nummer 0221. 492 04 82 40 anrufen oder an perfektesdinner at vox.de schreiben. Wir anderen machen uns derweil Gedanken darüber, wie die ausgerechnet auf uns gekommen sind… Neue Ruhrgebietsküche? Kulturhauptstadt? War da was? Obwohl: Wenn dann die Folgen bei uns inne Siedlung spielen, die Balkontür ist auf, die Köttel spielen zwischen den Teppichstangen aufm Hof Fangen, und zum Vorrundenspiel Kamerun – Dänemark reicht die Gastgeberin kaltes Pilsbier und belegte Bütterken mit Radieschen ausm Schrebergarten obendrauf… och joh, dann ruf ich da jetzt auch mal an.

Foto (Perik): Passend zum Thema: Landei mit schwarzem Trüffel von Dreisternekoch Joachim Wissler, Bergisch GladbachPromodinner:

Integrationswahl: „Fünf Prozent Wahlbeteiligung wären ein Erfolg.“

Heute wird in Dortmund der neue Ausländerbeirat gewählt, der künftig Integrationsrat heißen wird. Höchste Zeit also für einen Selbstversuch: Wie ich zum ersten Mal in meinem Leben an einer Wahl teilnahm!

Ich bin Staatsbürger eines Niemandslandes und habe noch nie an allgemeinen politischen Wahlen teilgenommen. Ich habe einen kanadischen Pass, weil ich irgendwann mal in Kanada geboren wurde, aber meine deutschen Eltern sind leider wieder nach Deutschland zurück gewandert, als ich acht Monate alt war. Da galt meine Stimme noch nicht. Der kanadische Pass (einen zusätzlichen deutschen Ausweis habe ich nicht) hat mich vor Musterung und Bundeswehr bewahrt und mir die Aura eines geheimnisvollen Weltbürgers gegeben; mehr verbindet mich nicht mit Kanada. Ich habe das Land zum ersten Mal besucht, als ich schon 43 war. Nett da. Aber nicht meine Heimat. Meine Heimat ist das Ruhrgebiet.

Beteiligt habe ich mich bisher weder an Wahlen in Kanada (ist Pierre Trudeau eigentlich noch Premier?) noch an deutschen Bundestags-, Landtags- oder Kommunalwahlen. Heute jedoch war ich zum ersten Mal aufgefordert, aktiv ins Geschehen einzugreifen! Ich war gefordert, man wollte meine Stimme! Und auch, wenn ich auf den imaginären abgetragenen Wahlsonntagsanzug mit dem leicht speckigen, zu oft gebügelten Kragen verzichtete, der zu solchen Gelegenheiten voller Stolz und Würde aus dem Schrank geholt wird, und auf den nass gekämmten Seitenscheitel ebenfalls, so wollte ich mich doch angemessen auf diesen wichtigen Termin vorbereiten.

Kurze Google-Orgie, dann Ratlosigkeit. Das Netz hält allerhand nützliche Informationen für mich bereit; ich lerne, dass der Integrationsrat erstmals gewählt wird, den bisherigen Ausländerbeirat ablöst und mit mehr Kompetenzen ausgestattet sein soll. Alle Fragen der Kommunalpolitik sollen auch Angelegenheit des Integrationsrates sein. Das ist ja löblich. Aber wen soll ich wählen? Nach einiger Suche finde ich den Stimmzettel, darauf 13 Namen. Kenne ich alle nicht. Aber vor einigen Wochen gab es in den Ruhr Nachrichten mal ein Foto mit einigen Kandidaten, von denen mir besonders ein Rastamann gut gefallen hat. Steht er auf der Liste? Ja, wahrscheinlich, aber wer von denen könnte es sein?

Die „Allgemeine Liste der türkischen Verbände“ steht auf Listenplatz 1 und weist drei Namen auf. Hinter Sönmez, Gülec und Karaca-Tekdemir steht immer „deutsch“ als Staatsangehörigkeit. Aber wofür stehen diese Leute? Was will mir die „Internationale SPD-Liste“ unter Nummer 2 sagen? Ist Dmitrij Reusenmann ein Spätaussiedler aus der Ukraine, für wen wirft er seine Netze aus? Hm, er ist Beisitzer und Internetbeauftragter der CDU Ortsunion Dortmund-Hörde, aber das steht nirgends. Kann ich ihm trauen? Ist Kokou Apenouvon der Rastamann meines Vertrauens? Nö, er stammt aus Togo und hat das Buch „Am Zuckerspeicher“ über seine Jahre als Asylbewerber geschrieben. Wer die „Interkulturelle Liste“ ist und wofür sie steht, was sich hinter „VMDO“ verbirgt oder was die „Linke gegen Ausgrenzung und Faschismus“ will außer gegen Ausgrenzung und Faschismus zu sein, erschließt sich mir nicht. Großes Interesse weckt hingegen auf Listenplatz 12 eine Verena Freifrau von der Heyden-Rynsch. Ich weiß, dass eine Straße in Dorstfeld so heißt und entnehme Google, dass die Freifrau offenbar ein Übersetzungsbüro in der Gutenbergstraße unterhält, aber noch besser gefällt mir der Name ihrer Partei: „Verena löst Eure Probleme“. Das isses! Ich wähl die VLEP! Oder nö, lieber doch nicht, ich hab ja keine Probleme. Jedenfalls keine, bei denen mir Verena helfen könnte.

Und mein Rasta? Dem Namen nach kann das nur Sebastiao Manuel Sala sein. Das klingt doch gut, das hat Stil und Melodie. Außerdem erinnert mich sein Vorname an den großartigen Fotografen sozialer Missstände Sebastiao Salgado. Den wähl ich! Mal schauen, was Google über ihn weiß: Aha, der Mann aus Angola gehört dem letztes Jahr gegründeten Basisverband der Rastafari (BVR) an und hat zum 100-jährigen Geburtstag des BVB ein interkulturelles Fußballturnier im Dortmunder Hoeschpark veranstaltet. Cool, ein echter Reggaemann. Wenn der wüsste, dass ich noch neulich, beim Neujahrsempfang des Marketing Clubs Dortmund, artig mit Ihrer Kaiserlichen Hoheit Prinz Asfa-Wossen Asserate, einem Großneffen des äthiopischen Kaisers und schwarzen Messias Haile Selassi, parliert und den eingeprägten Lion of Juda auf seiner Visitenkarte bewundert habe. Also klare Sache: der Angola-Sepp ist mein Mann.

Mein Wahllokal ist die Petri-Grundschule auf der Beurhausstraße. Drei Wahlhelfer langweilen sich. Es ist kurz nach der Sendung mit der Maus, als ich meiner Staatsbürgerpflicht nachkomme. Ob die Wahlhelfer ein paar Tipps für mich haben? Wo kann man denn mal was über die Kandidaten erfahren, ohne das halbe Netz durchpflügen zu müssen? Öh, gute Frage, wissen wir auch nicht. Und wenn wir’s wüssten, dürften wir’s Ihnen nicht sagen. Wofür die Kandidaten programmatisch stehen, wer hinter ihnen steht, wofür sie kämpfen, ist alles ein großes Geheimnis. Nicht aber die Wahlbeteiligung: Ich bin der 21. Wähler seit Öffnung der Wahllokale um 8 Uhr morgens, doch allein in meinem Wahlbezirk sind über 3.000 Wähler aufgerufen. Fünf Prozent Wahlbeteiligung wären schon ein Erfolg, sagen die Wahlhelfer. Na prima. Dann weiß ich ja, welche Relevanz es hat, wenn demnächst ausländerrelevante Fragen im Rat erörtert werden. Hauptsache, es läuft dann guter Dub im Plenarsaal!

Jusos können nicht tanzen

Trinken ist ein politischer Akt. Tanzen auch. Kann eine Großstadt wie Dortmund beides nicht bieten, verliert sie nicht nur den Titel „Westfalenmetropole“, das übernimmt dann Bielefeld, sondern bindet nicht länger Menschen, Ideen, Kreativpotenzial – und verliert damit mittelbar und mittelfristig richtig Kohle.

Warum mir das jetzt einfällt? Weil ich gerade in der Hitze mal kurz mit dem Rad raus war und über ein paar bemerkenswerte Plakate gestolpert bin. Dazu später. Erst was anderes.

Man muss Bochum Total nicht total toll finden. Ich hab mich gestern da mal durchschieben lassen und war immerhin von der vergleichsweise unaggressiven Partystimmung beeindruckt. Und von der Konsumfreude, die den Rewe am Engelbertbrunnen wohl zum heimlichen Gewinner dieser Tage gemacht hat. Das nur zum Thema Geld, das dank Gastronomie und Popkultur in der Stadt hängen bleibt. Trotzdem war ich heilfroh, später im klimatisierten Logo zu landen und folgendes zu erleben: klack

Während in Dortmund zur gleichen Zeit das bräsige kulinarische Stadtfest „Dortmund à la carte“ die Luft mit Reibekuchenschwaden schwängerte und den Beweis antrat, dass die vergleichbare Veranstaltung „Essen genießen“ und das Essener Publikum etwa zehn Jahre kulinarische Entwicklung voraus haben (gefühlter Anteil der unter 30-Jährigen: 4), tanzten, tranken und kauften sich also geschätzte 2,6 Teenillionen durch Bochum. Das tut dem Dortmunder Metropolenanspruch richtig weh.

Nun aber die Geschichte mit dem Rad vorhin: Da hängt doch im Kreuzviertel ein Juso-Plakat, auf dem ein Spurenermittler damit beschäftigt ist, zerschmettertes Vinyl von der Straße abzukratzen; im Vordergrund eine blutende Discokugel. Natürlich geht es um das „Discosterben in Dortmund“: Nachdem die rege Feierszene das Thier-Gelände verlassen musste, weil neue Einkaufszentren halt wichtiger sind, gibt es kein entsprechendes Angebot mehr in Nordrhein-Westfalens (noch) zweitgrößter Stadt. Die Jusos fordern also ein neues Discoviertel in Dortmund. Nun wissen wir ja alle, dass Jusos neben vielen anderen Dingen auch nicht tanzen können und ihre Forderung also recht durchsichtig ist. Doch auch trotz des plumpen Versuchs, ein so genanntes „Jugendthema“ zu besetzen, sollte Dortmunds oberster Wirtschaftsförderer Udo Mager gewarnt sein. Die Discoszene ist neben allem Spaß auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, der Leute in die Stadt zieht. Und Tänzer sind nicht unpolitischer als Netzbewohner.

Von Intelligenz und Kreativität war bis jetzt noch gar nicht die Rede. Nun aber: Wer Stilbewusstsein und britisch anmutende Pop-Attitüde in einem sehr urbanen Gastronomiekonzept paart, hat meine Stimme. Das „Balke“ an der Hohen Straße ist genau dieser Laden, von dessen Art es in Dortmund keine zwei weiteren gibt: klick

Offenbar ist der Standort ca. 280 Meter zu weit entfernt von den ausgetretenen Pfaden im Kreuzviertel, jedenfalls scheint’s denen gerade nicht gut zu gehen. Aber jammern die Betreiber, immerhin die Erfinder von Bosch Bobby und Eskort Klub? Nö. Sondern hängen Plakate, die dermaßen die Zunge in der Backe haben, dass man Preise dafür verleihen müsste. Im Fenster hängt übrigens ein Flyer: „Wir haben weder Millionen verspekuliert noch schlechte Autos gebaut. Trotzdem läuft kein Laden der Stadt schlechter. Deshalb, und vielleicht nur noch diesen Sommer: Das Balke, die Kneipe für Melancholiker und Trendsetter. Kommt vorbei, bevor es voll wird. Wir freuen uns auf Eure Gesellschaft.“

Wir wissen, was zu tun ist.

Peter Erik Hillenbach, Downtown Gomorrha

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