Oscar-Preisträger Hofmann kommt ins Schauspielhaus Bochum

 Foto: Schauspielhaus Bochum

Nachdem in den letzten Jahren Hollywood-Star und Oscar-Preisträger Kevin Spacey im Rahmen der Ruhrfestspiele für ein Engagement im Ruhrgebiet gewonnen werden konnte, kommt nun ein weiterer, nicht weniger bekannter Schauspieler ins Revier: Philip Seymour Hofmann gibt vier Vorstellungen im Schauspielhaus Bochum.

Hofmann war lange Zeit ausschließlich ausgewiesenen Kennern amerikanischer B-Movies ein Begriff. Zwar spielte er bereits als junger Mann eine größere Rolle in dem Film „Der Duft der Frauen“, der mit Al Pacino in der Hauptrolle mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Doch erst 1999 schaffte Hofmann seinen Durchbruch als Schauspieler.

Zuerst spielte er in „Makellos“ an der Seite von Robert De Niro, dann in „Magnolia“ neben Tom Cruise und schließlich in der Patricia-Highsmith-Verfilmung „Der talentierte Mr. Ripley“. Seitdem ging es für Hofmann steil nach oben. 2006 wurde er schließlich für seine Rolle als Truman Capote für den Oscar als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. Was jedoch nur die wenigsten wissen: Hofmann hat neben seiner Karriere als Filmschauspieler auch stets am Broadway Theater gespielt. Im Jahr 2000 wurde er sogar für den Tony Award, dem wichtigsten amerikanischen Theaterpreis nominiert.

Nun spielt er im Rahmen des Theaterfestivals des Bochumer Schauspielhauses „K15: Bretter, die die Welt verleugnen“ in Peter Sellars Othello-Inszenierung den außerordentlich fiesen und intriganten Jago.

Für alle vier Vorstellungen gibt es noch Karten – wenn auch nur sehr wenige. Kartenvorverkauf ab heute an der Theaterkasse Bochum. Telefon: 0234/3333-5555.

Wolfgang Welt liest heute Abend aus seinem neuen Roman

foto: suhrkamp

Der Bochumer Schriftsteller Wolfgang Welt ist – jedenfalls im Ruhrgebiet – weltberühmt. Nicht weniger legendär ist der erste Satz aus seinem Roman Peggy Sue

„Etwa zwei Jahre nach unserer ersten Begegnung machte mir Sabine am Telefon Aussicht auf einen Fick, allerdings nicht mit ihr selber, sondern mit ihrer jüngeren Schwester.“ Heute Abend liest er im Bochumer Schauspielhaus (Theater unter Tage, 19:30 Uhr) aus seinem neuen Roman Doris hilft. Für diese Veranstaltung gibt es noch Karten. Ein ausführliches Interview mit dem Bochumer Schriftsteller folgt in Kürze auf diesem Blog.

Ortstermin: In Gelsenkirchen beschwört SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier die Notwendigkeit sozialdemokratischer Politik

Vielleicht liegt es am außerordentlich guten, aber doch recht schwer im Magen liegenden Essen des Gelsenkirchener Hotels Maritim, dass die Delegierten der NRW-SPD derart verhalten reagieren, als Frank-Walter Steinmeier, begleitet von einem Dutzend Sicherheitsleuten und Kameraleuten, den Konferenzsaal betritt.

Nur langsam kommt der Applaus für den Bundesaußenminister und Kanzlerkandidaten in Fahrt. Zuerst spenden nur die vorderen Beifall, dann einige der mittleren Reihen und erst am Schluss, wenn auch nur vereinzelt, die Hinterbänkler. Vielleicht ist es dieser Umstand, der Hannelore Kraft, Parteivorsitzende der NRW-SPD, dazu veranlasst, Steinmeier enthusiastisch als „zukünftigen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland“ zu begrüßen.

Kraft bemüht sich redlich, die müden Delegierten für den Spitzenkandidaten der SPD zu begeistern. Sie versucht es mit der Rhetorik Münteferings („Wir, die SPD, stehen für klare Kante.“) und mit dem Selbstbewusstsein Schröders („Schwarz-gelb kann es nicht!“). Kaum zu glauben, aber wahr: Angesichts der Passivität der Abgeordneten wünscht man sich fast Hubertus Heil, den Generalsekretär der SPD, herbei, der die müden Abordneten zu einem „Yes, we can“ zu animieren versucht.

Anschließend wird Martin Schulz, Vorsitzender der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas als ein weiteres Highlight der Tagung vorgestellt. Man erinnert sich dunkel, dass es jener Schulz ist, dem der italienische Ministerpräsident Berlusconi vorschlug, er solle doch die Rolle des Kapo in einem KZ-Film übernehmen. Schulz hatte es im Europa-Parlament gewagt, Berlusconis Doppelfunktion als Regierungschef und Medienunternehmer zu kritisieren.

Dann ist es endlich soweit. Frank-Walter Steinmeier beginnt mit seiner Rede. Er spricht sachlich und ruhig. Seine Ausführungen sind differenziert und keineswegs mit polemischen Anfeindungen gegenüber dem politischen Gegner gespickt, wie man es von anderen Politikern auf Veranstaltungen solcher Art gewöhnt ist.

Er spricht davon, dass angesichts der Weltfinanzkrise nicht allein Banken bankrott gemacht haben, sondern eine gesamte Weltanschauung. Der Glaube, dass freie Marktwirtschaft die besten Resultate hervorbringe, wurde widerlegt. Die neoliberale Mär vom freien Handel konnte durch die Erfahrung eindeutig als falsch ausgewiesen werden. „Die Erotik der schnellen Rendite“, so Steinmeier, sei vorbei. Der Spalt für sozialdemokratische Politik habe sich vor dem Hintergrund der Krise weit geöffnet.

Er klopft im Takt seiner Worte mit der Hand auf das Rednerpult: „Vieles geht. Deshalb lasst uns das versuchen“, sagt Steinmeier. Sein Credo lautet: „Ich bin so selbstbewusst, dass ich sage: ‚Wir geben vor, was in der deutschen Politik gemacht wird.’“ Nun sei es Aufgabe der Sozialdemokratie „den Scherbenhaufen aufzusammeln und dafür zu sorgen, dass sich dieser Schaden nicht noch einmal wiederholt.“ Er verteidigt das Kunjunkturprogramm der Bundesregierung, hebt die Wichtigkeit der Automobilindustrie für die deutsche Wirtschaft hervor und weist darauf hin, dass die Abwrackprämie ein Verdienst der deutschen Sozialdemokratie sei, ohne das die deutsche Automobilindustrie alt aussehen würde. Alles in allem ist es eine inhaltlich überzeugende, alles andere als oberflächliche Rede.

Indes: Nicht selten wird Steinmeiers förmliches, mitunter spröde anmutendes Auftreten von den Medien kritisiert. Ein guter Politiker, so ist es dann zu lesen, müsse sein Publikum begeistern können, Charisma haben. Und es stimmt: Man kann nicht gerade behaupten, dass Steinmeier dem von Max Weber skizzierten Typus des charismatischen Politikers entspricht. Und ja: Es ist unstrittig, dass ein Politiker, gerade Wahlen betreffend, davon profitiert, wenn er Ausstrahlung besitzt. Man denke nur an Obama oder – das einzige deutsche Beispiel, das einem spontan einfällt – Helmut Schmidt, der sich noch heute als erster „Staatschauspieler“ bezeichnet.

Doch ist Charisma, dass sollte nicht aus dem Blick geraten, keineswegs Bedingung für eine vernünftige Politik. Zwar ist es sicherlich nicht verkehrt, wenn ein hochrangiger Politiker nicht allzu provinziell daherkommt und etwa als „Pfälzer Waldschrat“ verspottet wird. Aber es sollte wieder in den Blick genommen werden, dass die Politik nicht dazu da ist, die Menschen zu unterhalten.

Weltgeist in Wattenscheid: Ein Gespräch über Gerechtigkeit und Fanatismus

Foto: Inkyhack

Seit Jahrzehnten tritt Shirin Ebadi aus dem Iran als Rechtsanwältin für die Einhaltung der Menschenrechte ein. Nun war sie im Ruhrgebiet. Im Rahmen des Projekts "Herausforderung Zukunft" besuchte Shirin Ebadi am Freitag die Pestalozzi-Realschule in Bochum-Wattenscheid. Hier unterhielt sich die Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 2003 mit Schülern der Klassen 9 und 10 über Freiheit, Unterdrückung und ihre schwierige Arbeit in Iran.

Während ihres Besuchs in Bochum-Wattenscheid wird Shirin Ebadi von mehreren schrankbreiten Sicherheitsleuten bewacht. Kurz bevor sie in die von einer Polizeieskorte begleitete Limousine einsteigt, lächelt sie und sagt: „Am wichtigsten ist nicht, welche Religion, Sprache oder Kultur man hat, sondern dass man an die Menschenrechte glaubt.“

Frau Ebadi, was ist Ihr Antrieb, sich unter Einsatz des eigenen Lebens für die Menschenrechte in Iran einzusetzen?

Jeder Mensch kommt mit besonderen Eigenschaften auf die Welt. Als ich klein war, mochte ich etwas, von dem ich nicht wusste wie es heißt: Gerechtigkeit. Ich beobachtete, dass sich Kinder stritten und ergriff Partei für die Schwächeren. In diesem Zusammenhang kam es vor, dass ich auch selber Prügel bezog. Dieser Umstand führte dazu, dass ich Rechtswissenschaften studierte und Richterin wurde. Als mir dann 1979 unmittelbar nach der islamischen Revolution gesagt wurde, dass ich nicht mehr das Richteramt bekleiden darf, dachte ich, dass ich mich als Rechtsanwalt für diejenigen Menschen einsetzen möchte, deren Menschenrechte verletzt werden. Dazu folgende Geschichte: Wenn Sie sich auf dem Feld der Menschenrechte engagieren möchten, müssen sie aber nicht unbedingt Jurist werden. Jeder Mensch und jeder Schüler hat besondere Neigungen und Fähigkeiten. Der eine mag Mathematik, der andere Literatur. Jeder sollte seine eigene berufliche Ausbildung so gestalten, wie es ihm zusagt. Das heißt aber nicht, dass man sich um die Situation anderer nicht mehr kümmert. Beispielsweise kann ein Fotograph mit einem gelungenen Foto, das Wesen des Hungers viel besser verdeutlichen als es ein Jurist oder ein Arzt vermag. Mit literarischen Mitteln, mit einer Geschichte kann man die Unterdrückung viel besser darstellen und auch bekämpfen als ein Jurist. Ich will sagen, der Einsatz für die Menschenrechte ist nicht beschränkt auf Juristen. Das kann jeder tun.

Wie war Ihre erste Reaktion als das Menschenrechtsbüro in Iran geschlossen wurde?

Wenn alle Voraussetzungen wegfallen, die einem helfen, wird es schwer. Der Einsatz für die Menschenrechte ist aber per se immer mit schwierigen Bedingungen verknüpft. Die iranische Regierung hat dieses Büro geschlossen. Aber das ist nicht wichtig. Zwar ist unsere Arbeit dadurch schwieriger geworden. Lassen sie mich aber sagen, dass die Kunst darin besteht, dass man die Schwierigkeiten bewältigt und sich seiner Arbeit widmet. Darauf kommt es an. Ein Beispiel: Wenn einem Schüler hier an der Schule erschwert wird, seine Ausbildung fortzusetzen, kommt es darauf an, sich dafür einzusetzen, dass dieser Schüler seine Ausbildung fortsetzen kann.

Wie hat es sich 1969 angefühlt, in Iran als erste Richterin tätig zu sein?

Ich war sehr stolz. Es war eine sehr große Ehre, einen Wunsch umgesetzt zu haben. Lassen Sie mich aber gestehen, dass ich eine schlechte Eigenschaft habe. Jedes Mal, wenn ein Wunsch von mir in Erfüllung geht, möchte ich sofort, dass ein weiterer, größerer Wunsch in Erfüllung geht. (Shirin Ebadi überlegt) Ich frage mich manchmal, wo das alles enden soll.

Was verstehen Sie unter Gerechtigkeit und wann ist dieses Ziel in einem Staat erreicht?

Ich darf Ihnen empfehlen, sich jeden Tag diese Frage zu stellen. Das Stellen dieser Frage gibt ihrem Leben eine neue Richtung. Wir leben in einer Welt voller Ungerechtigkeit. Schauen Sie, nach Angaben der Vereinten Nationen kann man mit der Menge an Lebensmitteln, die in Europas Restaurants weggeworfen wird, den gesamten Hunger auf dem afrikanischen Kontinent stillen. Sie und ich, wir leben in Gesellschaften, wo es normal ist, dass zu Hause zu jeder Zeit kaltes und warmes Wasser aus dem Wasserhahn läuft. Sie wissen sicherlich, dass viele Menschen auf der Welt keinen Zugang zu Trinkwasser haben. Die Armut auf der Welt breitet sich täglich weiter aus. Wir alle leben auf einer Erdkugel, aber es ist so, dass eine Minderheit durch Ihren großen Konsum erheblich zur Weltverschmutzung beiträt. All das sind Fragen, die man sich im Rahmen der Frage nach Gerechtigkeit stellen muss. Es ist, so denke ich, die Pflicht eines jeden Menschen gegen diese Ungerechtigkeit anzukämpfen.

In Iran sind Frauen und Mädchen stark benachteiligt, wie gehen Sie und andere Frauen in Iran mit dieser Benachteiligung um?

Über 65 Prozent der Studenten in Iran sind weiblich. In einigen Fachrichtungen wie Literatur und Jura ist der Prozentsatz noch höher. Das heißt: Was Ausbildung und Studium betrifft, gibt es keine Probleme für Mädchen und Frauen in Iran. Auch was die berufliche Tätigkeit betrifft gibt es keine Probleme. Schauen Sie: Nach dem Abschluss des Jura-Studiums war ich Dozentin an der Universität, Rechtsanwältin und Richterin. Auf allen diesen Feldern hatte ich keine Probleme als Frau. Die Probleme beginnen dann, wenn man sich für Menschenrechte und Gerechtigkeit einsetzt. Aber die Probleme haben auch meine männlichen Kollegen, die sich für Gerechtigkeit einsetzen. Ich werde ein Beispiel geben, um zu verdeutlichen, worum es sich handelt: Jede Frau in Iran, ob Muslima oder nicht Muslima, ob Iranerin oder nicht Iranerin, jede Frau muss die islamische Kleiderordnung einhalten. Tut sie das nicht, gibt es eine entsprechende Strafe. Beispielsweise kann ich so, wie ich hier vor Ihnen stehe, in Iran nicht auf die Straße treten. Ich müsste etwas auf dem Kopf tragen und meine Haut bedecken. Diese gesetzlichen Vorschriften schränken unsere Freiheit ein. Dagegen protestieren in Iran aber nicht nur Frauen, sondern auch Männer. Wenn ich zum Gericht gehe, muss ich natürlich die Kleiderordnung einhalten. Vor Gericht aber rede ich genauso wie meine männlichen Kollegen. Diese Vorschriften wurden den Frauen nach der islamischen Revolution aufgezwungen. Die Frauen sind eindeutig dagegen. In Iran gibt es eine sehr starke Bewegung gegen diese diskriminierenden gesetzlichen Vorschriften.

Was meinen Sie, wie sollte der Westen dem Iran begegnen?

Das Wichtigste ist, dass wir den Iran gut kennen lernen. In Iran lebt nicht nur Herr Ahmadinedschad, es leben dort auch andere Menschen. Deswegen sollte man, wenn man etwas aus dem Iran hört, was verwundert – beispielsweise das, was er über den Holocaust gesagt hat – beachten, dass es auch andere Stimmen gibt. Wenn man die iranische Geschichte eingehend studiert, wird man feststellen, dass der Iran immer ein sicherer Ort für die Juden gewesen ist, die dort ohne Probleme ihre heiligen Stätten gehabt haben. Man muss wissen, dass eine Vielzahl von Juden dort leben und es hat niemals Probleme zwischen Iranern und den dort lebenden Juden gegeben. Das ist heute nicht anders. Wenn Sie beispielsweise Sachen hören, dass in Iran Gliedmaßen abgehackt werden, müssen Sie wissen, dass das gesamte iranische Volk gegen diese Strafen ist und sich dagegen einsetzt. Meine Bitte an Sie ist, wenn Sie sich ein Bild von Iran machen wollen, nehmen Sie nicht das als Grundlage, was der Präsident des Iran sagt, sondern studieren Sie die iranische Literatur und Geschichte. Das sollte Ihr Maßstab für die Beurteilung sein.

Was glauben Sie, ist der Hauptgrund der Schwierigkeiten zwischen Iran und Israel?

Das Hauptproblem ist auf den Streit zwischen Israel und den Palästinenser zurückzuführen. Es gab vor Jahren in Oslo Friedensgespräche zwischen beiden Parteien. Wenn man diese Gespräche auf eine Formel bringen wollte, könnte man sagen: Land gegen Friede. Beide Seiten hatten akzeptiert, dass es zwei Staaten geben muss, die in Frieden nebeneinander leben sollen. Es wurde vereinbart, dass bis zum Erreichen dieses Ziels beide Seiten Frieden einhalten. Leider wurde dieser Prozess des Friedens unterbrochen und die Auseinandersetzungen wieder aufgenommen. Der Grund waren – auf beiden Seiten – extremistische Kräfte. Diese Stimmen wollten alles auf einmal. Die einzige Lösung für diese Problematik ist, dass der Vertrag von Oslo umgesetzt wird. Ich hoffe, dass die Extremisten auf beiden Seiten begreifen, dass es nun reicht mit Krieg und Blutvergießen. Die Problematik zwischen beiden Ländern wird auch von einigen Staaten missbraucht. Iran ist ein Land, dass keine gemeinsame Grenze zu Israel hat. Die jüdische Religion ist in Iran als offizielle Religion anerkannt. Ich hoffe, das beide Seiten zu einer friedlichen Lösung kommen. Dann hat man Extremisten auf beiden Seiten jeden Vorwand genommen. Warum ist der Iran nicht bereit, Religion und Staat voneinander zu trennen? Die Gesellschaft in Iran ist dazu ganz und gar bereit. Wer nicht bereit ist, ist die Regierung. (Shirin Ebadi lacht) Wir sind Muslime, genau so wie die meisten Schüler hier wohl Christen sind. Die Religion ist eine persönliche Angelegenheit, die Gesellschaft sollte durch demokratische Regeln geregelt werden. Das heißt, die Regierung muss fern jeder Religion und Ideologie sein.

Sie sind selbst praktizierende Musima. Welche Bedeutung hat der Islam für Sie persönlich?

Der Islam ist für mich etwas, woran ich glaube. Ich praktiziere den Islam. Aber zugleich bin ich der Überzeugung, dass es jedem Menschen möglich sein muss, selbst zu entscheiden, welcher Religion er angehören will. Im Moment ist der am meisten diskutierte Gegenstand in Iran das Verfahren gegen die Bahai-Religionsgemeinschaft, die nicht als solche anerkannt ist. Sieben ihrer höchsten Vertreter sind in Haft und ich bin ihre Verteidigerin. Wenn sie ein Mädchen oder eine Frau sehen, sollte man dieses Mädchen nicht ausstoßen. Alle Menschen sind gleich und haben dieselben Rechte – ungeachtet der Religion. Die Frage nach der Religion des anderen sollte irrelevant sein. Religion ist eine Herzensangelegenheit, man sollte die Frage nach der Religion des anderen erst gar nicht stellen.

Auf der Internetseite www.muslima.com waren Sie sowohl mit als auch ohne Kopftuch zu sehen. Es wurde gesagt, Sie seien deshalb eine verkommene Person. Was sagen Sie dazu?

Ich glaube, eine der schlechtesten Eigenschaften, die ein Mensch haben kann, ist, dass er fanatisch ist. Fanatismus bedeutet, dass man den Kopf zumauert und keinen neuen Gedanken reinlässt. Ich möchte sagen, dass das Phänomen des Fanatismus nicht ein spezifisch islamisches Phänomen ist. Das gibt es auch im Christentum. Sie erinnern sich vielleicht, dass Bush vor einigen Jahren gesagt hat, er habe von Gott den Auftrag erhalten, die Demokratie in den Nahen Osten zu bringen. Der Fanatismus war auch die Ursache für den Holocaust. Der Fanatismus hat bewirkt, dass das Leid über die Juden gebracht wurde. Fanatismus gibt es aber auch bei Juden. Wir haben gerade über die Verhandlungen von Oslo gesprochen. Der israelische Ministerpräsident, der diese Verträge unterschrieben hat, wurde leider von einem Fundamentalisten umgebracht. Man kann auch in Indien beobachten, wie fundamentalistische Hindus andere Religionen unterdrücken. Für den Fundamentalismus gibt es verschiedene Definitionen. Aber auf einen Nenner gebracht sagt der Fundamentalist: Jeder Mensch, der anders denkt als ich, ist irregeleitet. Es gibt viele muslimische Frauen auf der Welt, die die islamische Kleiderordnung einhalten – aber eben auch viele, die sie nicht einhalten. Das heißt: Diejenige Person, die mich als verkommen bezeichnet, muss eine fundamentalistische Person sein.

Gibt es so etwas wie einen Alltag für Sie? Wenn ja, wie sieht dieser aus?

Bei mir ist es so, dass ich in einem Jahr vorausplane. Die meiste Zeit aber bin ich in Iran. Ein normaler Tag dort sieht für mich folgendermaßen aus: Um 6:30 Uhr beginnt mein Tag – viermal die Woche – mit einer Sitzung mit anderen Rechtsanwälten. Sie stellen sich vermutlich die Frage, warum wir uns so früh treffen. Der Grund dafür liegt darin, dass die Gerichtsverhandlungen um neun Uhr beginnen. Deshalb müssen wir die Vorarbeit auf eine so frühe Uhrzeit legen. Um neun Uhr gehe ich dann zur Gerichtsverhandlung. Steht keine Gerichtsverhandlung an, widme ich mich meinen anderen Aufgaben. In der Regel ist es so, dass ich mich dann nach einem kleinen Mittagessen bis zu eine Stunde ausruhe. Dann gehe ich in meine Kanzlei. Dort arbeite ich bis ca. 20:30 Uhr. In dieser Zeit bis halb neun kommen meine Mandanten, oder auch Journalisten zu Besuch. Wenn ich dann zuhause bin, kappe ich alle Leitungen zur Außenwelt und koche. Dann werde ich zur Mutter und Hausfrau. Ich habe zwei Töchter, die erwachsen sind und nicht mehr zu Hause leben. Die eine promoviert in den Vereinigten Staaten, die andere ist Juristin und macht ein Praktikum am Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Das heißt, wenn ich koche, koche ich für meinen Mann und mich. Dann, um 23 Uhr etwa, fange ich mit dem Schreiben an. Ich habe bisher 14 Bücher geschrieben. Sie denken jetzt vielleicht, ich schreibe alle meine Bücher nach 23 Uhr. Das stimmt nur zu einem Teil. Der andere Teil wurde auf Flughäfen geschrieben. Wenn sie also irgendwo eine Verrückte sehen, die am Flughaffen schreibt – das bin ich!

Haben Ihre Töchter Nachteile durch Ihr Engagement in Iran?

Als ich Kinder bekam, habe ich meine Kanzlei in die Wohnung verlegt. Dadurch konnte ich zwischendurch zu meinen Kindern gehen, wenn sich kurz die Gelegenheit ergab. Glücklicherweise war ich so in der Lage, meiner Rolle als Mutter gerecht zu werden. Ich hatte das Glück, dass auch meine Eltern in diesem Haus lebten. Mittags war es so, dass nie abzusehen war, wann ich Pause hatte, so dass meine Kinder nach der Schule zu den Großeltern kamen und gegessen haben. Die Gefahren, denen ich ausgesetzt war, haben meine Familie nicht berührt – bis zum letzten Jahr. Da bekam meine jüngere Tochter nach und nach die Macht des Regimes zu spüren. An dem Tag als in den Zeitungen iranischer Regierungskreise meine Tochter als schlechte Musima beschimpft wurde, habe ich zur ihr gesagt: Willkommen in der Welt der Menschenrechte.

Frau Ebadi, was glauben Sie, wie sieht die Zukunft des Iran aus?

In Iran gib es viel Potential für Veränderung. Die iranische Bevölkerung ist sehr jung. Etwa 70 Prozent ist jünger als 30 Jahre alt. Das ist ein gutes Potential für Veränderung. Ich bin mir sicher, dass es Veränderung in Iran geben wird. Diese Veränderung wird eine Veränderung der Jugend sein. Es wird eine Gesellschaft sein, in der jeder frei ist, in der die Religionszugehörigkeit keine Rolle spielt. In der sich jeder anziehen darf wie er möchte. In der es keine Diskriminierung gibt. Es wird eine Gesellschaft sein, die demokratisch regiert ist. Eine Gesellschaft, in der der Abstand zwischen Arm und Reich klein ist. Gegenwärtig ist der Abstand sehr groß. 5 Prozent in Iran sind überaus reich, die anderen 95 Prozent werden Tag um Tag ärmer. Die Kluft darf nicht groß sein, alle Menschen sollen in relativem Wohlstand leben.

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Wo nimmt man nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? Otto Sander, Peter Lohmeyer, Charles Brauer und Burghard Klaußner lesen im Bochumer Schauspielhaus Homers gesamte Odyssee

Foto: Verleihnix

Das Epos von Homer gehört fest zum Kanon der Weltliteratur – und doch haben vermutlich nicht allzu viele die Odyssee ganz gelesen. Kein Wunder, gibt es doch ganze Bibliotheken anderer lesenswerter Bücher, die uns von der Lektüre des Klassikers abhalten.

"Wo nehm ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen?", mag sich da der eine oder andere Leser – wie der österreichische Schriftsteller Karl Kraus – angesichts des Umstands fragen, dass es auf der Welt ungleich mehr lesenswerte Bücher gibt als dem Menschen Lebenszeit zur Verfügung steht. Immer wenn man aus der Bibel, Platon oder Dante lesen möchte, kommen einem die konstant im Jahresrhythmus erscheinenden Romane von Philip Roth, Raymond Chandlers Philip Marlowe oder – ganz banal – die Tageszeitung dazwischen.

Wenigstens die Odyssee kann man nun aber beruhigt von der Leseliste streichen, ohne Tage oder gar Wochen mit der Lektüre des Textes zuzubringen. Am Freitag und Samstag wird die gesamte Odyssee von bekannten Theater- und Film-Schauspielern wie Otto Sander oder Burghard Klaußner, der momentan im Oscar-prämierten Film „Der Vorleser“ im Kino zu sehen ist, im Bochumer Schauspielhaus gelesen.

Informationen zu der Veranstaltung gibt es unter www.schauspielhausbochum.de. Die Lesung beginnt am Freitag, den 27.02.09 um 18 Uhr und endet gegen 1 Uhr nachts. Samstag, den 28.02.09 geht es um 11 Uhr weiter bis schließlich um 15 Uhr auch diese „Odyssee“ endet. Der Besuch der Lesung ist kostenlos.

Dr. House vs. Arthur Schopenhauer: Wer von beiden ist der größere Aphoristiker?

Foto Dr.House: grape vine Foto Schopenhauer: Sobibor

Auf den ersten Blick scheint es nicht viel zu geben, was der ausgesprochen unsympathische, aber nichtsdestoweniger ungemein populäre Protagonist der Fernsehsendung Dr. House und der Philosoph Arthur Schopenhauer gemeinsam haben. Und doch: Es ist der Pessimismus und die Abscheu vor Menschen, die diese beiden Figuren verbindet. Inwieweit Dr. House tatsächlich an Schopenhauers Weltsicht anknüpft, verdeutlicht diese vergleichende Übersicht.

Dr. House über einen Patienten, der vorgibt, Wunderheiler und ein Sprachrohr Gottes zu sein: „Ist das nicht interessant, religiöse Innbrunst und Wahnsinn sind sich so ähnlich, dass man sie kaum unterscheiden kann.“

Schopenhauer: „Im ganzen Verlaufe des beschriebenen Hergangs kannst du immer beobachten, daß Glauben und Wissen sich verhalten wie die zwei Schalen einer Waage: in dem Maaße, als die eine steigt, sinkt die andere.“

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Dr. House zu einem Patienten, der an Gott glaubt: „Der Glaube ist Schwachsinn.“ In einer anderen Folge heißt es zum selben Thema: „Glauben ist ein anderes Wort für Ignoranz, oder? Ich habe nie verstanden, wieso Leute stolz darauf sind an etwas zu glauben, wofür es keinen eindeutigen Beweis gibt.“

Schopenhauer: „Religionen sind Kinder der Unwissenheit, die ihre Mutter nicht lange überleben.“

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Ein Patient von Dr. House entschließt sich dazu, auf eine lebensnotwendige Behandlung zu verzichten und sagt: „Ich war lange genug Gefangener in diesem nutzlosen Körper. Es wäre schön endlich daraus auszuziehen.“ Daraufhin Dr. House, sichtlich entgeistert: „Auszuziehen? Und wohin? Glauben sie, ihnen wachsen Flügel, sie fliegen mit den anderen Engeln rum und trinken Mana? Wie blöd ist das denn, es gibt kein danach, nur das Jetzt.“

Schopenhauer: „Vor uns bleibt allerdings nur das Nichts.“

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Dr. House beim Anblick eines Patienten, der gerade verstorben ist: „Tut mir leid das zu sagen: Das ist das Ende.“

Schopenhauer: „Der Lebenslauf des Menschen besteht darin, dass er, von der Hoffnung genarrt, dem Tod in die Arme tanzt.“

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Dr. House’ Patient will Suizid begehen, da er die Schmerzen nicht mehr aushält. Dr. House: „Schmerzen sind besser als nichts.“ Daraufhin sagt Dr. Wilson: „Du kennst das Nichts nicht, du hast es selbst nie gesehen.“ Dr. House erwidert: „Ich muss nicht nach Detroit fahren, um zu wissen, dass es dort übel riecht.“

Schopenhauer: "Das Leben gleicht einem Kinderhemd: Es ist kurz und beschissen."

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Dr. Wilson über Dr. House: „Man sollte dir ein Monument setzen für deine Ich-Bezogenheit!“

Schopenhauer: „Ein Denkmal wird die Nachwelt mir errichten.“

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Dr. House zu seiner Patientin, die am CIPA-Syndrom leidet, im Gegensatz zu ihm also keine Schmerzen fühlen kann: „Du kannst keinen Schmerz spüren. Du kennst nur Freude und Genuss. Los, sag mir wie super das ist!“ Daraufhin sie: „Es ist ätzend.“ Dr. House: „Aber besser als immer Schmerzen!“  Etwas später sagt sein Mitarbeiter zu ihm: „Sie sind grantig!“ Daraufhin brüllt Dr. House: „Ich habe Schmerzen!“

Schopenhauer: „Neun zehntel unseres Glückes beruhen allein auf der Gesundheit. Mit ihr wird alles eine Quelle des Genusses, hingegen ohne sie kein äußeres, welcher Art es auch immer sei, genießbar.“

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Info: Dr. House läuft immer dienstags auf RTL um 21:15 Uhr. Nächste Woche Dienstag läuft die neue, fünfte Staffel an.

Uwe Tellkamp, Bestseller-Autor und Gewinner des Deutschen Buchpreises über die DDR, den Finanzkapitalismus, das Schreiben und sein nächstes Buch

Foto: privat

Was macht man an einem ganz normalen Mittwochabend im demokratisch-freiheitlichen, aber furchtbar langweiligen Bochum? Man besucht die Lesung von Uwe Tellkamp im Thürmer-Saal und lässt sich vom Autor persönlich aus seinem Buch „Der Turm“ vorlesen. In diesem fast 1000 Seiten langen Epos erzählt Tellkamp davon, wie es ist, in einem unfreien, totalitären Staat zu leben. Am Beispiel des Bildungsbürgertums seiner Heimatstadt schildert der gebürtige Dresdner die letzten sieben Jahre der zerfallenden Republik. Mit diesem Roman ist Tellkamp ein beeindruckendes Panorama der untergehenden DDR gelungen. Vor der Lesung gibt der Autor mir ein Interview. Er möchte vorab jedoch noch etwas trinken, ist sich aber unsicher, ob das im Künstlerappartement befindliche Mineralwasser für ihn gedacht ist. Schließlich schenkt er sich doch ein und sagt: „Ist auch nur fremdes Gut.“

Ruhrbarone ?: Herr Tellkamp, bei Schopenhauer heißt es über den Beruf des Arztes: „Der Arzt sieht den Menschen in seiner ganzen Schwäche“. Nun sind Sie sowohl Arzt als auch Schriftsteller. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Berufen?

Uwe Tellkamp !: Was mir gemeinsam zu sein scheint bei Ärzten, die auch Schriftsteller waren – sei es Benn, Döblin oder Bulgakow und Tschechow -, ist der relativ nüchterne, in gewissem Sinne klinische Blick. Das heißt: Der Arzt kennt den Körper – in seiner Schwäche, im Altwerden und gleichzeitig weiß er um die Schwierigkeit der Diskretion. Als Arzt sieht man den Patienten nackt, verletzbar und muss immer wieder eine Balance finden zwischen dieser Körperlichkeit, dieser Nacktheit und der Diskretion, die dazugehört und mich als Arzt begleitet. Das ist ein sehr schwieriger Zustand, der mir zu denken gegeben hat. Ein ähnlicher Zustand ist auch beim Schreiben da. Meine Figuren sind in einem gewissen Sinne nackt, während ich als Autor bekleidet bin. Mir geht es immer wieder darum, Diskretion gegenüber Figuren zu bewahren und ihnen nicht zu nahe zu treten. Das ist eine Gemeinsamkeit, die ich sehe. Eine zweite Gemeinsamkeit ist die Ähnlichkeit zwischen Diagnose und Diagnoseverfahren, Annäherung, Vortasten und meiner Art zu schreiben.

?: Als Sie noch als Arzt praktizierten, sagten Sie, dass Sie wegen des Zeitmangels teilweise auf Treppen oder im Keller geschrieben haben. Nun haben Sie sich dazu entschlossen, als Arzt zu pausieren, um mehr Zeit fürs Schreiben zu haben. Ging diese Rechnung auf, können Sie die gewonnene Zeit sinnvoll nutzen?

!: Die Rechnung ging auf, als ich arm und unbekannt war. Aber da gab es dann andere Schwierigkeiten. Jetzt lerne ich die Kehrseiten des Glücks kennen und die Beschneidung von Zeit, zu dem zum Beispiel Interviews gehören. (Lacht) Im Gegensatz zu früher habe ich Wahlfreiheit. Ich bin in der glücklichen Lage, nicht alle Lesungen machen zu müssen. Ich versuche schon, das gehört dazu, meinen Teil zu leisten, könnte aber, das ist der Unterschied, die Reißleine ziehen und mich hinsetzen.

?: Bei Wolfgang Koeppen heißt es: „Wer schreibt, der bleibt.“ Er bestimmte das Schreiben als Auflehnen gegen die Endlichkeit. Andere Schriftsteller sagen, das Schreiben gründe in einem Zustand innerer Notwendigkeit. Was lässt Sie zur Feder greifen?

!: Das weiß ich nicht. Das ist ein Drang, der unbegründbar ist und über den ich mir auch keine näheren Gedanken mache. Da gibt es die hübsche Anekdote von der Spinne, die den Tausendfüßler fragt wie er gehe. In dem Moment, wo er sich darüber bewusst wird, verheddert er sich. Vorher hat er es unbewusst gemacht.

?: Sie haben in Ihrem Buch „Der Turm“ über den privaten Rückzugsraum des Bildungsbürgertums im totalitären Staat DDR geschrieben. Sie sagten, die zentrale Frage Ihres Buches sei, wie sich der Mensch gegenüber einer feindlichen Umwelt verhält. Was glauben Sie, von welchen Menschen wird „Der Turm“ in der Bundesrepublik 2009 bewohnt?

!: Das, was damals die „Türmer“, diese Bildungsbürger erlebt haben in ihrer Nische gegenüber dem Sozialismus, scheinen heute Leute zu sehen in ihrer Nische gegenüber den Strudeln von Finanzkapitalismus und grassierender Wirtschaftskrise. Das scheint eine Parallele zu sein, die da greift. Ich glaube, das Buch wird von Menschen gelesen, denen diese Form der Bildung, klassischer Bildung immer noch etwas bedeutet. Das Buch hat enormen Erfolg und der ist nicht allein erklärbar aus 20 Jahre Mauerfall oder Marketing. Auch wenn das Marketing greift, es funktioniert nur bis zu einer gewissen Grenze. Das, was der Verlag und ich mit diesem Buch erleben, ist eine Sache, die weit darüber hinausgeht. Das Buch muss auch Dinge treffen, die anderswo zu finden sind.

?: Sie waren bei der NVA Panzerkommandant und haben im Oktober 1989 – Sie waren 21 Jahre alt – den Befehl verweigert, gegen eine oppositionelle Bewegung vorzugehen. Daraufhin wurden Sie zwei Wochen in Haft genommen. Können Sie etwas zu den genauen Umständen sagen?

!: Das Ganze hing zusammen mit der Ausreisebedingung über Prag, wo die deutsche Botschaft besetzt wurde. Als Genscher an den Balkon trat und sagte, sie können ausreisen, wurden die Züge von dort über Dresden in die Bundesrepublik geleitet. Honecker hatte sich ausbedungen, dass diese Züge noch mal über DDR-Gebiet fahren, was ein schwerer Fehler war. Anfang Oktober eskalierte das Ganze, denn in der Stadt gab es natürlich Gerüchte, dass diese Züge kommen. Es herrschte Visums-Pflicht, man konnte nicht mehr in die Tschechoslowakei oder nach Polen fahren. Es grassierte dann der Witz: Wir können im Grunde nur noch mit den Füßen voran aus dem Land. Jeder hatte Angst, was wird und wohin das Ganze treibt. Sehr, sehr viele Menschen sind dann raus zum Bahnhof und haben versucht, sich an die Züge ranzuhängen, um rauszukommen und zu flüchten. Das ist die Vorgeschichte. Die Kaserne, in der ich war, hatte dann am 5. Oktober den Einsatzbefehl, gegen die aus dieser Anarchie hervorgegangene Gruppe 20, eine Oppositionsbewegung, vorzugehen.

?: War die Erfahrung dieses Aktes staatlicher Repression eine notwendige Voraussetzung dafür, dass Sie knapp 20 Jahre später sozusagen die Krankengeschichte der DDR geschrieben haben?

!: Ich habe diese Erfahrung gemacht und kenne daher das Gegenstück nicht. Ob ich ohne diese Erfahrung geschrieben hätte, weiß ich also nicht. Es hat aber sicherlich eine Rolle gespielt. Wir redeten im Vorgespräch über Thomas Bernhard. Auch das ist ein Autor, der aus der Verletzung heraus geschrieben hat. Die schwere Lungenkrankheit war eine Triebkraft für ihn. Das Österreichische, diese versteinerten Verhältnisse waren immer eine Triebkraft für ihn. Diese Triebkraft habe ich auch.

?: Thomas Bernhards Todestag jährt sich in diesem Monat zum 20. Mal. Kürzlich erschien von ihm posthum das Buch „Meine Preise“. Ihm waren Preisverleihungen ein Gräuel. Sie erhalten in diesem Jahr den mit 15.000 Euro dotierten Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. Was für ein Verhältnis haben Sie zu Preisverleihungen?

!: Diese Frage kann ich nicht beantworten. Die Frage ist zu privat. Das Buch „Meine Preise “von Bernhard habe ich übrigens gelesen. Man merkt zwar den Ad-hoc-Charakter, aber es ist ein sehr gutes Buch. Ein typischer Bernhard. Seinen Roman „Beton“ mag ich sehr gerne, weil er dort das menschlich Mühevolle in den Blick nimmt. Dort schreibt er über eine Frau, die es einfach sehr schwer hat, ihr Leben zu fristen und hinzukriegen. Deshalb mag ich dieses Buch. Ihr Roman „Der Turm“ endet mit einem Doppelpunkt. Planen Sie eine Fortsetzung des Romans? Ja. Ich habe grobe Vorstellungen vom Handlungsort und von den Figuren, die noch aus „Der Turm“ sind. Aber ich will nicht ins Einzelne gehen. Das ist noch zu zart und kostbar. Und woran arbeiten Sie gerade? Ich arbeite zurzeit an zwei Sachen. Eins ist fertig und heißt „Reise zur blauen Stadt“. Das Buch muss noch überarbeitet und korrigiert werden, bevor es dann im Herbst erscheint. Das andere ist ein Prosa-Buch über meinen kleinen Sohn.

Informationen zum Autor: 2008 war ein gutes Jahr für Uwe Tellkamp. Im Oktober erhielt er für seinen Roman „Der Turm“ den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Buchpreis. Sein Roman über den Untergang der DDR verkaufte sich bisher mehr als 250.000 Mal. Tellkamp wurde 1968 geboren, veröffentlicht im Suhrkamp-Verlag und lebt zurzeit in Freiburg.

Zwischen Hörsaal und Tartanbahn: Leichtathletik-Europameister Jan Fitschen und der Spagat zwischen Studium und Leistungssport

Foto: Flickr.com / a.delsa

Frisch geduscht betritt Jan Fitschen die Cafeteria der Ruhr-Universität Bochum. Vor wenigen Minuten hat er im Unibad das ihm verhasste Aquajogging hinter sich gebracht. Da ihm seit vier Monaten eine hartnäckige Fußverletzung zu schaffen macht, ist er momentan auf das Training im Wasser angewiesen, um sich trotzdem fit zu halten. „Jetzt brauch’ ich erst mal einen kleinen Snack. Das Training hat ganz schön geschlaucht“, sagt der drahtige Langstreckenläufer und bestellt Bionade und Baguette. Im weiteren Verlauf des Gesprächs erlebe ich Jan als gut gelaunten, durchaus symphatischen Gesprächspartner.

Im Sommer 2006 wurde Jan über 10.000 Meter Europameister. In einem langen Endspurt lief er der versammelten Konkurrenz davon. Als ich ihn frage, mit welchem Gefühl er an diesen Moment zurückdenkt, schüttelt er ungläubig den Kopf. „Ich kann das noch heute nicht richtig fassen. Ich denke immer noch: Gleich weckt mich einer und sagt: April, April. Aber bis heute hat mich keiner geweckt.“

Dass Jan diesen Erfolg verbuchen konnte, war eine große Überraschung. Denn im Gegensatz zu seinen Konkurrenten, die alle Profisportler sind, ist er Student und muss sich seine Zeit genau einteilen. Wie schwierig es ist, Studium und Leistungssport miteinander zu vereinbaren, weiß er nun noch besser als die Jahre zuvor. Im vergangenen März begann er mit seiner Diplomarbeit. Da sein Schwerpunkt die experimentelle Physik war, stand er täglich bis zu elf Stunden im Labor und arbeitete an seinem Experiment. Noch vor dem Mittagessen in der Mensa wartete auf ihn der tägliche Ausdauerlauf Richtung Botanischer Garten und Kemnader See. „Ich habe“, sagt Jan schmunzelnd, „regelmäßig im Labor auf meiner Isomatte geschlafen.“ Nachdem er im Herbstsein Physik-Studium mit dem Diplom erfolgreich abgeschlossen hat, studiert er nun im Aufbaustudiengang Management and Economics und hat, bedingt durch die Verletzung, genug Zeit fürs Studium.

Auf die Frage, ob er unseren Lesern Tipps geben kann, wie es einem auch als studentischem Bewegungsmuffel gelingt, sich zum Sport zu motivieren, verrät er: „Auch mir fällt es ab und zu schwer, mich aufzuraffen und Sport zu machen. Gerade jetzt im Winter. Was mir dann hilft, ist die Vorstellung, dass es mir danach viel besser geht. Nach dem Sport ist man einfach frischer als zuvor und auch produktiver. Wenn ich für die Uni was schreiben muss und nicht mehr weiter komme, jogge ich meine Runde durch den Wald. Danach geht es dann meistens voran. Und wenn gar nichts mehr geht, höre ich – zum Ärger meiner Freundin – die Musik von Scooter. Das hilft immer.“ Nachdem er in Göteborg ganz oben auf dem Treppchen stand, reihte sich, zurück in Deutschland, ein Medientermin an den anderen. Er war zu Gast im Aktuellen Sportstudio, nahm für Stefan Raabs „TV-Total“ an einem Show-Rennen gegen Kasper Elton teil und traf für eine Zeitung in der Eifel Thomas D. von den Fantastischen Vier zu einem gemeinsamen Lauf. In dieser Zeit hat er das Studium zeitweise auf Eis gelegt und sich hauptsächlich auf Werbetermine und das Laufen beschränkt. Da die Leichtathletik in der öffentlichen Aufmerksamkeit hinter König Fußball zurückbleibt, nahm er das durch den Sieg bei der Europameisterschaft entstandene mediale Interesse an seiner Person gerne an. „Der Europameistertitel hat sich in jedem Fall auch finanziell gelohnt. Vorher stand’ ich am Ende des Monats plusminus null da. Seit zwei Jahren kann ich sogar ein wenig zur Seite legen.“

Jan packt seine Sachen für das Lernen in der Universitätsbibliothek zusammen. Im Anschluss daran, am Abend, steht bereits die nächste Einheit Aquajogging an, diesmal Tempoläufe. „Das macht nicht gerade viel Spaß. Du strampelst wie verrückt, kommst aber keinen Zentimeter weiter“, sagt er. Zur Motivation indes bleibt immer noch der Gedanke an den Zieleinlauf in Göteborg. Oder die Musik von Scooter.

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Broder-Interview Teil 2: Über Ahmadinedschad und das schlechte Gewissen der Europäer

Henryk M. Broder Lizenz: GNU Free Documentation License, Version 1.2 Foto: Sven Teschke

Henryk M. Broder legt im zweiten Teil seines Interviews mit den Ruhrbaronen nach. Er spricht über den steigenden Judenhass in Europa, die Angst der Europäer vor Auseinandersetzungen und das schlechte Gewissen hierzulande. Vor allem der Papst kriegt sein Fett weg. "Ein absoluter Skandal" sei die Aufnahme bekennender Holocaust-Leugner in die Kirche. Den ersten Teil des Interviews gibt es hier zu lesen: klack

Ruhrbarone: Herr Broder, ich habe gelesen, Sie bekommen regelmäßig Hass-Briefe…

Gar nicht so viele. Extrem wenige. Deswegen stelle ich diese dann auch sofort online.

Dennoch polarisieren Sie mit Ihren Urteilen. Wie gehen Sie damit um, auf so viel Widerstand zu stoßen? Es gibt beispielsweise mehrere Internetseiten, die sich ausschließlich damit beschäftigen, Ihre Argumente zu widerlegen und Sie zu beschimpfen. Wie geht man damit um?

Ich weiß, es gibt mehrere solcher Seiten. Ich kann den Leuten nichts verbieten. Diese Leute haben wahrscheinlich nichts zu ficken. Sie haben keine Haustiere, haben keine Blumentöpfe, die sie gießen müssen, haben keine Angehörigen und auch keinen Dackel, den sie Gassi führen können. Die haben nicht einmal Brieftauben, aber sitzen da und beschäftigen sich den ganzen Tag mit mir. Klägliche Existenzen!

Die FAZ schrieb kürzlich über Sie, Broder habe nie Recht, aber auch nie ganz Unrecht…

Das kann schon sein. Ich finde, ich habe Recht.

Was sagen Sie zu Stefan Niggemeier (Niggemeier ist ein Kritiker Broders. Er schreibt regelmäßig für die Faz Fernsehkritiken).

Wenn wir zurzeit von Lassalle lebten, würde ich mich mit ihm duellieren. Sie haben nichts verpasst, wenn Sie ihn nicht kennen: Erbsenzähler und Sesselpupser. Niggemeier liebt die Bild-Zeitung und liest sie täglich und braucht dafür einen Vorwand, weshalb er einen kritischen Bild-Blog macht. Es gibt Leute, die lieben Pornographie und können sich ihrem Gegenstand der Begierde nur über den Mantel der Empörung nähern.

Bekommen sie auch Zustimmungsbriefe?

Ja, sehr viele. Von zehn Briefen, die ich bekomme, sind sieben zustimmend, einer ist gemein und zwei sind eher ausgewogen.

Als Ralph Giordano sich als Kölner Bürger gegen den Bau einer Moschee aussprach, erhielt er – ohne es zu wollen – auch von rechten Gruppen Unterstützung. Ist Ihnen das im Zusammenhang Ihrer Kritik am Islam auch schon einmal widerfahren?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe aber auch eine andere Position als Giordano. Ich sehe im Bau von Moscheen und Minaretten kein Problem. Diese Leute sind hier und haben dasselbe Recht wie jeder andere. Ich habe andere Fragen. Es wurde diese Woche eine Studie veröffentlicht, die belegt, dass Türken die am schlechtesten integrierte Gruppe sind.

Warum schaffen es Iraner und polnische Juden sich hier zu integrieren und Türken nicht? Ich frage mich schon, warum sie permanent Moscheen bauen und nicht Nachhilfestunden für Jugendliche geben, die Probleme in der Schule haben und nicht klar kommen. Das ist mein Punkt der Kritik, nicht die Höhe der Minarette. Das Problem der Türken und der Moslems überhaupt ist meiner Ansicht nach, dass sie immer zwischen zwei Polen gelebt haben. Der eine Pol ist die Überzeugung von der eigenen Überlegenheit durch den Glauben, was natürlich völliger Unsinn ist, auch wenn fast jede Religion glaubt, dass sie besser ist als andere. Der zweite Pol ist die permanente Erfahrung der eigenen Unterlegenheit in der Gesellschaft. Aus diesem Konflikt kommen sie nicht heraus. Mein Freund Leon de Winter sagt auch: „Natürlich bin ich das auserwählte Volk. Ich bin was Besseres. Aber: Ich muss trotzdem arbeiten.“ Sie können also ruhig glauben, dass sie auserwählt sind. Allein auserwählt sein bringt noch nichts auf den Teller. Und noch was: Der Unterscheid zwischen muslimischen Männern und Frauen ist unglaublich. Eine Gesellschaft, die damit beschäftigt ist, die andere Hälfte zu unterdrücken, kann nichts werden.

Haben Sie Angst, wenn Sie an Theo van Gogh und die Entschlossenheit einiger Moslems denken?

Nein, ich habe keine Angst. Ich bin Fatalist. Meine Mutter hat Ausschwitz überlebt, mir kann nichts mehr passieren.

Was war damals für Sie der Grund nach Israel zu ziehen, hatten Sie Deutschland und alles was damit zusammenhängt über?

Offiziell, dass ich von den deutschen Linken die Schnauze voll hatte, die damals genau damit anfingen, womit wir es heute zu tun haben. Mit einem modernen, aufgeklärten antizionistischen Antisemitismus. Aber wenn ich mir das tatsächlich überlege, war das deshalb, weil ich weit weg von meiner Mutter wollte. Das ist mir aber erst später klar geworden. Wie bei so vielen meiner Generation konnten wir die Familienmotive nicht in den Vordergrund stellen, also mussten wir politische Motive vorschieben.

Mit welchem Gefühl reisen Sie heute nach Israel?

Ich fahre sehr gerne hin. Es ist ein tolles Land. Ich bin jetzt 62 Jahre alt und würde dort noch gerne Frieden erleben. Damit die Leiden der Palästinenser aufhören und damit sich in Israel die kreativen Ideen entfalten können, die jetzt schon aufblühen. Wenn Frieden erreicht werden sollte, würde das Land wahrscheinlich vor Kreativität und Einfallsreichtum platzen.

Wie erklären Sie sich den Prozess Ihrer Entfremdung von der deutschen Linken?

Außer bei Oscar Lafontaine ist das, glaube ich, ein völlig natürlicher Prozess, dass jemand der links ist, im Laufe des Reiferwerdens irgendwann nicht mehr links ist. Bei mir aber trifft das nicht zu. Ich bin noch immer links, nur die Linke hat sich katastrophal gewandelt. Sie ist chauvinistisch, nationalistisch, kleinlich geworden. Sie hat eigentlich alles verraten, wofür sie früher gestanden hat. Es ist eine Linke, die sich mit ihrer Geschichte genauso schwer tut wie die gesamte Gesellschaft und die dann irgendwann den Antisemitismus als kleinste gemeinsame verbindliche nationale Frage entdeckt hat. Schauen Sie sich nur an, was für Debatten es heute innerhalb der Linkspartei gibt. Man könnte meinen, Treitschke ist wieder auferstanden und erklärt die Judenfrage zur zentralen Frage des deutschen Bewusstseins. Aber der entscheidende Auslöser war die Entführung der Air France Maschine nach Entebbe, Uganda und die Selektion jüdischer Passagiere. Danach haben sämtliche linken Gruppen in der Bundesrepublik nicht die Entführung bedauert, sondern die israelische Befreiungsaktion. Da haben sich unsere Wege getrennt.

Wie hat man Sie damals in der Linken aufgenommen, war das ein Familienersatz für Sie?

Ja, eine erweiterte Familie. Außerdem war meine erste Freundin Trotzkistin. Aber es ist mir Schlimmeres erspart gewesen.

Wie waren die Reaktionen auf die Arte-Sendung „Durch die Nacht mit…“, in der Sie mit Bild-Chefredakteur Kai Diekmann einen Abend verbringen und sich erstaunlich gut verstehen?

Ich habe sehr nette Briefe bekommen, habe die Sendung aber selber nicht gesehen, da ich in Israel war. Erstaunlicherweise wirkte Herr Dieckmann auf mich nicht unsympathisch. Dieckmann ist auch sympathisch. Ich war selbst überrascht, er ist Etagen besser als sein Ruf. Er ist ein richtig netter Mann.

Macht es das nicht umso schlimmer, dass ein reflektierter und differenzierter Mann wie Dieckmann bewusst eine solch würdelose und teilweise menschenverachtende Form von Journalismus betreibt?

Dieckmann glaubt aber, er macht guten Journalismus. Ich finde, die Bild-Zeitung ist eine unheimlich schlechte Zeitung. Nicht weil es eine Boulevard-Zeitung ist, sondern weil sie so ist wie sie ist.

Das Judentum ist im Werk ihres Freundes Leon de Winter ein zentrales Thema. Die Protagonisten hadern mit ihrer jüdischen Identität. Sie stellen sich die Frage, ob die jüdische Religion und die damit verbundenen Regeln ein überkommenes Relikt jahrtausend alter Zeiten ist. Wie würden Sie ihr Verhältnis zum Judentum beschreiben?

Ich denke darüber gar nicht nach.

Kein Hadern?

Das normale Hadern, ja! Jeder vernünftige Jude rennt dem Judentum davon. Nur die Konvertiten laufen dem Judentum zu. Das ist vollkommen normal. Meine Frau ist katholisch und läuft dem Katholizismus davon. Wir wissen aber beide, dass wir nicht davonlaufen können. Aus dieser Küche kommen wir und das bleibt an uns kleben. Aber das ist kein Hadern. Wenn die mich in Ruhe lassen, lasse ich die in Ruhe. Alles andere ergibt sich. Wissen Sie, das Judentum ist eine Mischung aus gutem Essen und schlechten Manieren. Ich kann mich damit gut arrangieren.

Wenn Sie sich Ihre Religionszugehörigkeit im nächsten Leben aussuchen könnten, für welche würden Sie sich entscheiden?

Im nächsten Leben möchte ich gerne Frau sein, einfach um zu gucken, wie das ist, wenn man immer unten liegen muss. Ich glaube übrigens tatsächlich an Reinkarnation, auch wenn ich völlig ungläubig bin. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich in einem vorigen Leben auf der Mayflower nach Amerika gesegelt bin. Immer, wenn ich nach Neuengland fahre, nach Boston, bin ich dermaßen unruhig. Ich muss schon mal da gewesen sein.

Die platonische Anamnesislehre.

Genau: Wiedererinnerung.

In Ihren Büchern gehen Sie des Öfteren auch auf Ihre Kindheit ein. Sie sind Kind von Eltern, die den Holocaust überlebten. Für viele Kinder der zweiten Generation war das mit Schwierigkeiten verbunden. Wie war das bei Ihnen?

Ich habe völlig meschuggene Eltern gehabt, die es mir sehr schwer gemacht haben. Aber ich kannte beispielsweise Kinder von Nazi-Eltern, die haben es noch schwerer gehabt, die habe ich noch getröstet. Dennoch habe ich schwere Macken davongetragen, wie jeder, der aus diesem Milieu kommt. Die schwerste Macke ist die, wenn zum Beispiel Mischu Friedman hingeht und sagt, er habe eine glückliche Kindheit gehabt. Das Kind von Holocaust-Überlebenden, das eine glückliche Kindheit gehabt hätte, muss noch geboren werden. Mir war immer klar, dass ich eine beschissene Kindheit gehabt habe und deshalb kann ich diesen Umstand heute gelassen hinnehmen. Ich muss meine Eltern nicht idealisieren. Sie waren schon ziemlich schrecklich.

Warum haben sie sich zur Bahai-Religion bekannt, laut Sandra Maischberger sind Sie konvertiert. Entspricht das der Wahrheit?

Nein! Es ist aber so, dass ich mich seit langem für die Bahai interessiere und auch gute Freunde unter den Bahai habe. Die Väter von zwei befreundeten Bahais wurden von den Mullahs totgeschlagen. Ich finde, die Art wie die Welt sich mit diesem Problem nicht beschäftigt ungeheuerlich. Wenn Sie Iraner kennen, werden Sie wissen, dass es feine, gebildete, kluge und weit von Gewalt entfernte Leute sind. Weder sprengen sie sich in die Luft noch sprengen sie andere in die Luft, weshalb es der Welt scheißegal ist, was mit den Bahais passiert. Ich bin es leid: Meine Mutter muss nicht mehr aus Ausschwitz befreit werden, aber vielleicht müsste man sich heute um die Bahais kümmern, die heute in der Tat so verfolgt werden wie die Juden in Deutschland bis 1939. Dass es keine systematische Massenermordung gibt, ist mir egal. Es reicht schon, wenn dutzende von Leuten verhaftet, gefoltert und getötet werden. Aus diesem Grund habe ich mich mit den Bahai solidarisiert, übergetreten bin ich aber nicht.

Von Maischberger wurden Sie aber als Bahai vorgestellt.

Das fand ich auch in Ordnung. Es hat immerhin ein paar Leute auf das Schicksal der Bahai aufmerksam gemacht. Ich sympathisiere auch wirklich mit den Bahais, das ist nicht nur Mimikry. Wenn es irgendwo eine humane, anständige, liberale und progressive Religion der Intelligenz gibt, dann sind es die Bahai. Mir geht es darum, dass sich die Leute bewusst werden, was heute im Iran mit den Bahai passiert. Wenn die Bahai ein Promille der Aufmerksamkeit bekämen, die die Palästinenser bekommen, dann wäre den Bahai schon viel geholfen.

Der neue Präsident der Vereinigten Staaten Obama versicherte der muslimischen Welt, die USA werde dieser Respekt entgegenbringen und die Hand ausstrecken, sofern diese ihre Faust löst. Halten Sie Obamas Schritt, mit dem Iran Gespräche aufzunehmen für richtig?

Ja. Wenn es gut geht, geht’s gut. Wenn es schlecht geht, dann hat er freie Hände, was zu unternehmen.

Man läuft manchmal Gefahr, Sie auf Ihre humoristische Seite zu reduzieren. Bereuen Sie es manchmal, dass Sie Journalist geworden sind und nicht den akademischen Weg mit Promotion und Habilitation wie Prof. Micha Brumlik eingeschlagen haben. Glauben Sie, auf diesem Wege würde man Ihnen mehr Gehör schenken und Sie ernster nehmen?

Wenn ich den Weg von Brumlik eingeschlagen hätte, wäre ich genauso ein langweiliger Akademiker geworden wie er einer ist. Dessen Sätze man viermal lesen muss, um sich hinterher zu fragen: „Wie hat er es nicht gemeint?“ Nein, das war für mich nie die Alternative und über einen Mangel an Aufmerksamkeit kann ich mich nicht beklagen. Jeder an seinem Platz.

Ein zentrales Merkmal des jüdischen Witzes ist, das erfahrene Leid humoristisch zu verarbeiten. Unter Juden beispielsweise heißt es, dass ein Antisemit sei, wer Juden noch mehr hasst als es normal ist. Aber im Ernst: Wo beginnt für Sie Antisemitismus?

Der Antisemitismus beginnt für mich dort, wo Leute Juden Sachen übel nehmen, die sie anderen nicht übel nehmen. Wenn ich beispielsweise höre: „Jüdischer Spekulant“, dann ist das Antisemitismus. Es spricht nichts dagegen, über den Spekulanten herzufallen, aber ich habe noch nie „katholischer Spekulant“ gelesen. Wenn Sie sich darüber aufregen, was die Juden in Gaza veranstalten, und darüber kann man sich aufregen, aber nicht mal wissen, was in Darfur oder Kongo passiert – das ist Antisemitismus.

Woher kommt diese Schieflage in der öffentlichen Wahrnehmung. Warum werden die Morde im Iran, Kongo und Darfur weitestgehend ignoriert?

Ich glaube, dass ganz Europa, nicht nur Deutschland, eine Rechnung mit den Juden offen hat. Der Holocaust war ein deutsches Projekt, das aber europäisiert wurde. Es gab von Estland, Lettland, Litauen bis Italien und Frankreich Kollaborationen. Es gab wenige Ausnahmen: Die Bulgaren haben ihre Juden gerettet, die Dänen haben ihre Juden gerettet. Ansonsten haben die Europäer kräftig mitgemacht. Ich glaube, dass es ein subtiles, unterbewusstes Bedürfnis der Europäer gibt, diese Rechnung über den Umweg, beispielsweise über Ahmadinedschad, zu Ende zu bringen. Wenn es einen zweiten Holocaust in Palästina geben würde, würde der vorausgegangene im Nebel der Geschichte verschwinden, sodass die Europäer von ihrem Schuldgefühl, das sie haben, entlastet werden. Die Europäer würden die Situation sogar nutzen, um Decken und Milchpulver an die Überlebenden zu schicken. Sie könnten sich also wieder mal als gute Menschen profilieren. Je mieser sich die Israelis, die Juden benehmen umso besser fühlen sich die Europäer, weil sie von ihrer Schuld entlastet werden. Das optimale Schuldentlastungsding wäre, das sage ich als Agnostiker, Gott behüte, das Ende Israels. Das würde die Europäer vollkommen von ihrem Holocaust-Komplex befreien. Das ist so, als würde jemand den man betrogen hat, sich selber als Betrüger herausstellen. Dann hat man kein schlechtes Gewissen mehr.

Kürzlich hat der Papst ein Dekret erlassen, in dem die Exkommunikation von vier Bischöfen der traditionalistischen eingestellten Priesterbruderschaft Pius X. zurückgenommen wird. Einer der Bischöfe, Richard Williamson, leugnet notorisch die Existenz von Gaskammern. Er sprach von höchstens 30.000 Toten. Daraufhin brach das israelische Oberrabinat alle Kontakte mit dem heiligen Stuhl bis auf weiteres ab. Wie haben Sie diese Entscheidung aufgenommen?

Das ist unglaublich. Ein absoluter Skandal. Ich hoffe, es ist eine Panne.

Trotz Unfehlbarkeit?

Selbstverständlich fehlbar. Die jungfräuliche Empfängnis möchte ich erleben und den unfehlbaren Papst. Nein, das hätte nicht passieren dürfen. Die Kirche generell steht nämlich, so denke ich, schon woanders. Es ist unsäglich und unmöglich. Dafür gibt es keine Erklärung. Er muss wissen, was da los ist und seine Kundschaft kennen. Er kann nicht einfach einen so extremen Antisemiten inkommunizieren, nachdem er exkommuniziert wurde. Er könnte einen seiner Ministranten zum Sündenbock erklären, stattdessen wird jetzt noch verdruckster versucht, die Sache zu erklären. (Pause) Extrem hässlich.

Zum ersten Teil des Interviews. klack

Henryk M. Broder über die Hamas, Papst Benedikt und 200 schwedische Nutten

Henryk M. Broder gehört zu den bekanntesten Journalisten Deutschlands. Mit seinen Stellungnahmen zu tagespolitischen Themen polarisiert er wie kein Zweiter. Es gibt nicht wenige Menschen, die seine Artikel im Spiegel mit einem großem Interesse und Freude zur Kenntnis nehmen. Vermutlich gibt es aber mindestens genauso viele Leser, die auf seine Polemiken mit ätzender Kritik, zuweilen auch mit Beschimpfungen und Drohungen reagieren. Es gibt indes nur wenige, so viel steht fest, die den Urteilen Broders gleichgültig gegenüberstehen.

Henryk M. Broder Lizenz: Lizenz: GNU Free Documentation License, Version 1.2 Foto: Sven Teschke

Zuletzt hatte es Schlagzeilen gegeben als Broder von Evelyn Hecht-Galinski, der Tochter des langjährigen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, verklagt wurde.  Broder hatte gesagt, „antisemitische und antizionistische Aussagen“ seien Hecht-Galinskis „Spezialität“, da sie Israels Behandlung der Palästinenser mit der Judenpolitik der Nationalsozialisten verglichen hatte. 

 

Als ich die Lobby des Bielefelder Hotels Tulip Inn betrete, sitzt Broder auf einem Sessel und wird von einem Fotographen porträtiert. Er spielt vor der Kamera mit seinem Image als Hallodri und posiert als Teufelchen. Vor dem Gespräch frage ich mich, wie es sein wird, ein Interview mit einem solch streitbaren Geist zu führen.  Ausgesprochen angenehm, kann ich nun sagen. Broder ist höflich, lädt zu süßem Earl Grey Tee und nimmt sich mehr als anderthalb Stunden Zeit. 

 

Herr Broder, vor etwa zwei Wochen wurde bei Plasbergs Sendung „Hart aber fair“ über Israel und den jüngst zu Ende gegangene Krieg diskutiert. Der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm vertrat in der Sendung die Position, die Abriegelung des Gazastreifens durch Israel sei ein Verbrechen und kollektive Haft. Was hätten Sie ihm an der Stelle von Herrn Friedman entgegnet?

 

Ich war an dem Abend in Tel Aviv, ich hatte gute Laune, habe gut gegessen und wollte mir nicht die Laune durch Herrn Blüm verderben lassen. Ich habe später Ausschnitte im Internet gesehen.

Ich hätte ihm gesagt, dass er ein Rad ab hat. Und zwar schon eine ganze Weile ein Rad ab hat. Blüm hat zum Beispiel, noch bevor er als Antisemit bezeichnet wurde, gesagt, er könne kein Antisemit sein, da er Christ sei und als Christ glaube er an Jesus und Jesus sei Jude gewesen. Da kann man nur sagen: Guter junger Mann, es gibt eine tausendjährige Geschichte christlichen Antisemitismus, die erst vor kurzem, vor 50, 60 Jahren offiziell vom Vatikan beendet wurde. Mit so was kann man nicht debattieren. Selbst wenn Blüm sagen würde, 2 mal 2 ist vier, würde ich das gründlich nachprüfen. 

 

Sie sagten, drei der Gäste seien Antisemiten gewesen. Nennen Sie Ross und Reiter! 

 

Herr Plasberg war es nicht. Der nette Herr Dreßler war es auch nicht. Beim Rest vertrauen Sie auf den Würfelbecher. 

 

Was halten sie von Friedmans Auftreten in den Medien?

 

Also Friedman und ich sind nicht die dicksten Freunde, das weiß man. Ich finde ihn einen sehr klugen, schlagkräftigen und gut informierten Mensch. Wenn er noch einen Hauch von Selbstironie besäße, wäre er noch besser. 

 

Vor einigen Wochen hatte die Duisburger Polizei die Tür eines Wohnhauses eingetreten, um Israel-Flaggen aus der Wohnung zu entfernen, die von außen sichtbar waren. Aufgebrachte demonstrierende Türken, Palästinenser und Araber nahmen Anstoß an diesen Fahnen und bewarfen sie mit Messern und anderen Gegenständen. Dabei wurden verfassungsfeindliche Parolen gerufen.

Wie beurteilen Sie das Vorgehen der Polizei?

 

Also erst einmal hat der Duisburger Polizeipräsident sich kurz darauf entschuldigt. Ich würde das nicht überdramatisieren. Ich glaube, dass die Polizisten vor Ort einfach überfordert waren. Vor allem waren sie überfordert mit dieser Art der militanten Demonstration und da haben sie halt in einem kurzen Moment der Umnachtung und der Vernebelung Ursache und Wirkung verwechselt und sich nicht um die verfassungsfeindlichen Parolen gekümmert und nicht um die Rufe „Tod, Tod Israel“, sondern um den Studenten, der die Israel-Fahne rausgehängt hat. Das ist sozusagen der Hitze des Gefechts geschuldet. Unnett, aber ich würde es auch nicht überbewerten. Ich würde hier der Polizei ausnahmsweise keine bösen Motive unterstellen. Der Vorgang ist zwar peinlich, aber es beweist gar nichts.

 

Normalerweise ist der Begriff Toleranz positiv assoziiert. Man denkt an die offene Gesellschaft und an das Recht eines jeden, selbstbestimmt zu leben. Sie dagegen kritisieren in Ihrem neuen Buch die Toleranz. Warum?

 

Weil der Toleranzbegriff heute nicht mehr positiv besetzt werden kann. Toleranz ist heute Rücksichtnahme gegenüber Stärkeren, die sich auf Kosten der Schwächeren durchzusetzen versuchen. Der Toleranzbegriff stammt noch aus einer Zeit, als es darum ging, die Schwächeren gegenüber den Stärkeren zu beschützen. Heute beanspruchen militante Moslems, die es mir verbieten möchten, Mohammed-Karikaturen anzuschauen, dass ich ihnen gegenüber Toleranz praktiziere und auf diese Karikaturen verzichte. Gleichzeitig aber sind die mir gegenüber nicht bereit auf gewalttätige Ausschreitungen zu verzichten.

Das heißt, der Begriff Toleranz, den ich eigentlich sehr schätze, war sehr vernünftig, als die Gesellschaft vertikal organisiert war. Heute haben wir es mit horizontalen Gesellschaften zu tun, in der viele Gruppen miteinander und gegeneinander konkurrieren. Und da geht es um Rechte, um Ansprüche und um die Garantie dieser Rechte und nicht mehr um Toleranz.

Ich bin als Nichtraucher immer wieder von Rauchern aufgefordert worden tolerant zu sein und es hinzunehmen, dass diese mich vergiften. Wenn das der Begriff der Toleranz ist, dann tu ich mich dem gerne verweigern.  

 

Ich möchte Sie nicht zum Regierungssprecher Israels machen. Es ist jedoch so, dass Ihre Ansichten, gerade Israel betreffend, in Deutschland von hohem Interesse sind.

 

(Unterbricht) Wenn ich etwas sage? Keiner hört hin, nicht mal meine Familie.

 

Es gibt massive Kritik an Israels Kriegsführung. Auch unter denen, die ein militärisches Vorgehen Israels gegen die Hamas grundsätzlich befürworten. Es wurde kritisiert, dass die militärischen Schläge Israels unverhältnismäßig gewesen seien und zudem verbotene Phosphorgranaten verwendet wurden. Was antworten Sie auf diese Art der Kritik?  

 

Ich halte Kritik prinzipiell für legitim und sich zu fragen, ob Israel angemessen und richtig zurückgeschlagen hat, ist eine vollkommen legitime Frage, die weder antizionistisch, antisemitisch noch bösartig ist. Aber im Hintergrund der Frage steht dann natürlich auch die andere Frage, wie man auf acht Jahre Beschuss mit einigen tausend Raketen verhältnismäßig reagiert. Was wäre da die Verhältnismäßigkeit der Mittel? Unverhältnismäßig wäre es gewesen, sich ebenfalls hinzustellen und gezielt auf Gaza Raketen abzuschießen. Ich glaube, dass ein Staat, der versucht, seine Bürger zu schützen, in einer extrem asymmetrischen Situation ist. Dieser Staat kann das Richtige nicht unternehmen.

Auch ich hätte mir gewünscht, es hätte eine Intervention stattgefunden, die nicht rund 1400 Menschen das Leben gekostet hätte.   

Nur: Auch wenn diese Frage vollkommen legitim ist, würde ich mich freuen, wenn diese Frage von Leuten gestellt würde, die auch danach fragen, warum gerade auf Ceylon heftige Kämpfe stattfinden, bei denen Hunderte von Zivilisten ums Leben kommen. Aber das hat sich bis heute nicht bis Deutschland herumgesprochen. Zudem würde es auch keine Sau interessieren, weil bei dieser Auseinandersetzung keine Juden beteiligt sind. Deswegen halte ich die Kritik einerseits für legitim, aber andererseits frage ich mich, woher die Schieflage kommt und ob es wirklich um die leidende palästinensischen Zivilbevölkerung geht oder nur um eine gewisse Genugtuung und Schadenfreude über die Brutalität der Israelis.   

 

Die Hamas, so denke ich, weiß sehr genau um die moralischen Bedenken Israels…

 

Ja.

 

Sie deponiert ihre Waffen absichtlich in Krankenhäusern, Schulen und Wohnhäusern. Sie versucht dieses Verhalten auch noch religiös zu rechtfertigen, indem sie sagt, diese getöteten Kinder und Zivilisten seien Märtyrer und entsprechen Allahs Wille.

Ist diese Strategie der Hamas nur möglich, da der Koran explizit zum Töten aufruft?        

 

Das weiß ich nicht. Mich interessiert nicht, was im Koran steht, weil auch in der Bibel, im alten Testament ziemlich schreckliche Sachen stehen. An die Idiotien im alten und neuen Testament muss sich kein Christ und kein Jude halten, da gibt es genug  Priester und Rabbis, die sich um eine Interpretation bemühen, die der heutigen Moral entspricht. Der Koran ist nicht das Entscheidende. Auch die Bibel ist ein Selbstbedienungsladen für alle, die sich daraus bedienen wollen. Wenn Leute den Koran ernst nehmen, kann ich nur sagen: selber Schuld.

Ich habe wirklich ein tiefes Mitgefühl für diese armen Leute, weil sie wirklich schrecklich leiden. Andererseits: Wenn ich die Begeisterung sehe, wie sie ihre Kinder als Sprengstoff tragende Puppen verkleiden, Zweijährige mit Waffen hantieren und Hamas-Stirnbänder tragen und sich als Märtyrer anbieten, dann ist mir auch nicht klar, worüber sie sich beschweren, wenn sie wirklich zu Märtyrern werden. Außer dass sie auf der Klaviatur des schlechten Gewissens der Europäer spielen wollen – und zwar ziemlich erfolgreich.

 

Und wo wir schon mal bei der Hamas sind:

Es ist nun wirklich der größte Unsinn, wenn hier immer verbreitet wird, die Hamas sei demokratisch legitimiert. Natürlich ist die Hamas in einer demokratischen Prozedur gewählt worden. Es wird immer davon gesprochen, die Hamas hätte die absolute Mehrheit errungen, was kompletter Unsinn ist, wenn Sie sich die Ergebnisse anschauen. Die Hamas hatte 44% und die Fatah 38% der Stimmen.

Das heißt, so krass war der Abstand nicht. Nur durch ein trickreiches Wahlsystem konnte die Hamas die absolute Mehrheit der Sitze erringen. Im Übrigen hatte auch die NSDAP nie mehr als 33% oder 34% der Stimmen und hat es dann durch Koalitionen geschafft, an die Macht zu kommen.

Darüber hinaus zeichnet sich eine demokratische Wahl nicht nur dadurch aus, dass das Prozedere demokratisch war, sondern auch das Nachspiel demokratisch ist. Die Hamas verfährt rücksichtslos und brutal mit Ihren Gegnern, wie es eine demokratische Partei nicht tun kann.

Und was die Hamas als demokratische Partei vollkommen disqualifiziert, ist, dass sie sich weigert, die Verträge und Verpflichtungen der vorigen Regierung zu respektieren.

Als Helmut Kohl gewählt wurde, hatte er vorher den Wahlkampf gegen Helmut Schmidts Ostpolitik geführt. Und dennoch hatte er dann als Kanzler sämtliche Ostverträge der SPD übernommen. Das ist internationales Recht, das muss sein. Genauso hat dann Schröder, als er an die Regierung kam, selbstverständlich alle Verträge der CDU übernommen, obwohl er vorher im Bundestag dagegen gestimmt hat. Insofern kann bei der Hamas von einer demokratischen Partei, von demokratischen Wahlen und von einer demokratischen Machtausübung nicht gesprochen werden.

Die Hamas ist eine brutale Junta, die zu ihrem eigenen Volk brutal ist.

 

Was glauben Sie, gibt es noch eine Möglichkeit, dass Israel und die Palästinenser dauerhaft Frieden schließen? Wenn ja: Wiese sähe diese Möglichkeit aus?

 

Ich werde mich nicht blamieren und Pläne entwerfen. Ich habe neulich auf einer jüdischen Gesellschaft gesagt, ich hätte einen wunderbaren Plan für den Nahen Osten: Die Israelis laden die Führer der Hamas zu einem Essen nach Tel Aviv ein, fliegen 200 schwedische Nutten ein, filmen das Ganze und stellen es am nächsten Tag ins Internet – dann ist der Konflikt vorbei.

Mein jüdisches Publikum in Zürich war von diesem Vorschlag nicht sehr überzeugt.   

 

Ich finde den Vorschlag klasse und denke, die Geschichte geht schon so lange schief mit vernünftigen Lösungsvorschlägen, dass man es zwischendurch mit unvernünftigen Vorschlägen versuchen sollte.  

Aber nein, ich sehe zur Zeit keine Option. Worauf es ankommt, ist, den Konflikt zu minimieren, zu verwalten. Europa muss sich an den Gedanken gewöhnen, dass es Konflikte gibt, die nicht lösbar sind – zumindest über einen überschaubaren Zeitraum.

 

Gibt es auf Seiten der Palästinenser gesprächsbereite Personen, mit wem könnte Israel  verhandeln?

 

Aber ja, Abbas zum Beispiel. Er hat offenbar seine Kontrolle in der Westbank etabliert, natürlich mit Hilfe der Israelis. Ich finde es übrigens sehr interessant, dass Abbas von vielen linksüberzeugten deutschen Gutmenschen inzwischen als Quisling, Verräter bezeichnet wird. Offenbar ist nach dem Verständnis einiger Deutscher ein Araber, der Juden nicht umbringen will, ein Verräter. 

Es gibt genug Palästinenser, die vernünftig sind, das sind selbstverständlich nicht alle blutrünstige Idioten, im Gegenteil. Die Palästinenser wollen auch nur normal leben. Unter den Umständen, die die Hamas diktiert, ist das nicht machbar. Die Hamas ist eine kleine Bedrohung für Israel, aber eine enorme Bedrohung für die Palästinenser selber.

 

Spricht man mit Arabern über den Gaza-Krieg, so kommt man irgendwann zum Grundkonflikt, der die Ursache dieser ganzen Gewaltspirale markiert:

Israel beansprucht das Land für sich, von dem die Palästinenser glauben, es gehöre ihnen. Ist dieser Grundkonflikt überhaupt lösbar?

 

Nein, das ist ja das Problem. Die Europäer glauben, dass wir hier einen Konflikt über ein Stück besetztes Land haben wie Eupen-Malmedy oder der Konflikt in Schlesien. So geht es nicht. Nach Ansicht der Hamas und Hisbollah geht es um ganz Palästina. Wenn das die Forderung ist, gibt es nichts mehr zu diskutieren. Dann kann Israel nur noch sagen: Der letzte macht das Licht aus und übergibt die Schlüssel an Herrn Nasrallah. Insofern ist es ein Konflikt, der nicht um Territorien geht. Für die militanten Palästinenser und Araber wäre Palästina auch dann besetzt, wenn es um einen Streifen Strand in Tel Aviv gehen würde.

 

Es gibt viele Stimmen, die behaupten, man hätte Ägypten durchaus mit diplomatischen Anstrengungen dazu bewegen können, die über dreihundert Tunnel zu zerstören, über die die Hamas in Gaza ihre Waffen bezieht, die sie dann auf Israel abfeuerte.

 

Ich weiß nicht, ob es Sinn macht, Druck auf Ägypten auszulösen, weil es ein chaotisches Land ist, das nicht mal seine eigenen Affären geregelt bekommt.

Wenn Sie das von Intellektuellen gelesen haben, würde ich es per se nicht glauben.

 

Bernard-Henri Lévy hatte sich in dieser Richtung geäußert.

 

Ja, Ja. Aus irgendwelchen Kaffeehäusern in Paris und Tel Aviv kann man immer gute Ratschläge geben.

 

Die ganze Welt, so scheint es, erhofft sich von Barack Obama als neuen Präsidenten die Lösung aller Probleme. Schafft er es, für dauerhaften Frieden zwischen den Kriegsparteien zu sorgen?

 

Ich hoffe es sehr, aber ich denke nicht. Ich schätze Barack Obama sehr und habe mich gefreut, als er gewählt wurde. Aber ich glaube nicht, dass es Erlöser oder Zauberer gibt. Ich finde die Haltung der Europäer absolut infantil. So sehr er sich bemüht, Obama kocht auch nur mit Wasser. Ich denke, die Leute werden am Ende schrecklich enttäuscht sein.

 

Sie haben 2007 den Börne-Preis erhalten für ihr aufklärerisches Engagement. Sie sagen, Sie glauben nicht an Erlöser und Heilsbringer. Hier klingt die Philosophie Poppers an, auf die Helmut Schmidt sich während seiner Kanzlerschaft so stark berief. Schätzen sie Popper?

 

Ich habe Popper gelesen und schätze ihn sehr. Ich glaube, es bedarf in der Politik eines pragmatischen Gaunertums. Ich schätze im Prinzip jemanden wie den syrischen Präsidenten Assad, da er korrupt ist. Mit korrupten Menschen können sie nämlich Geschäfte machen. Mit „Idealisten“, wie es die Hamas sind und wie es die Waffen-SS war, können sie keine Geschäfte machen. Mit korrupten Leuten, die sich für Frauen, Geld und gutes Leben interessieren, können sie Geschäfte machen.

Aber das hat wiederum mit Popper nichts zu tun.  

 

Der neue Präsident der USA repräsentiert eine ethnische Minderheit. Wann glauben Sie bekommt Deutschland seinen ersten jüdischen Bundeskanzler?

 

Das ist irrelevant. Das interessiert mich nicht. Ich bin mit Frau Merkel sehr zufrieden. Ich möchte einen fähigen Bundeskanzler. Es ist mir völlig egal, an welchem Tag der Kanzler betet oder eben nicht betet. Danach kann man ein Land nicht beurteilen.

 

Wie beurteilen Sie die Zurückhaltung der islamischen religiösen Führer in Deutschland? Könnten diese nicht durch öffentlich wirksame Statements zur Ruhe aufrufen? Warum distanzieren diese sich nur vereinzelt von deutschen Kundgebungen, bei denen die Hamas gefeiert wird?

 

Ja, das hat mich auch sehr gewundert. Was mich interessiert, ist, wie die Logistik des Protests funktioniert. Wieso haben auf einmal alle dieselben Plakate? Das muss doch irgendwo hergestellt worden sei. Die Parolen, die Schilder und die Choreografien waren die gleichen. Ich glaube nicht an Verschwörungen, aber irgendjemand hat sich bemüht, das Ganze zentral zu steuern.

Ich war auch erstaunt, dass von den islamischen Würdenträgern kaum etwas kam. Vielleicht sind sie nicht imstande, die eigenen Massen zu zügeln, aber so schlau, die Masse nicht anzufeuern. 

 

Sie sprachen in den siebziger Jahren davon, dass negative Erfahrungen mit einer subtilen Form von Zensur bewirkten, dass Sie sich zweimal überlegten über bestimmte Themen zu berichten. Beispielsweise kirchenkritische Beiträge oder über Burda, der von der Arisierung der Nazis profitierte. Bei welchen Themen, glauben Sie, greift 30 Jahre später die Schere im Kopf der Journalisten?

 

Ich glaube nicht, dass es heute eine Schere im Kopf gibt. Außer über das Thema „Sex in der Ehe“ können Sie heute über alles berichten. Damals hat der Staat interveniert. Ich sehe heute etwas viel Schlimmeres: Es gibt zwar keine Zensur, keine Reichsschrifttumskammer, aber eine Gleichschaltung von innen heraus.

Es gibt niemanden, der die Sprachregelung vorschreibt, aber alle Medien sprechen verniedlichend von „selbst gebastelten“ Raketen der Hamas. Als würden Sie sich hinsetzen und Weihnachtssterne basteln und auf Nachbars Balkon werfen.

Es wird von allen unterstellt, dass die Hamas eine soziale Bewegung ist. Wie wäre es damit, wenn man sagt, dass die Hamas eine Gang ist?  

 

Ich finde, es ist nicht verkehrt, anzumerken, dass die Hamas sich ein soziales Gesicht zu geben versucht. Erst durch diese Differenzierung, kann man verstehen, warum so viele Palästinenser die Hamas unterstützen.  

 

Ja, das ist richtig. Aber die SA hat auch Suppenküchen betrieben. Zeigen Sie mir eine Diktatur, die sich nicht auch sozial zu profilieren versucht.

Nur die Betonung des sozialen Gesichts führt dazu, dass man meint, es handelt sich um eine Art Heilsarmee.  

 

Zum zweiten Teil des Interviews geht es hier lang: klack