Waka Waka – Warum die Fifa TV-Berichterstattung zensiert

Waka Waka. Ein fulminanter Auftakt am Donnerstagabend mit Shakira und den Black Eyed Peas und am Freitag das erste Tor der WM durch die Gastgeber selbst.

Bafana Bafana, wie die Südafrika ihr Team nennen, schaffte im Auftaktspiel der ersten Fußballweltmeisterschaft auf dem schwarzen Kontinent ein respekatables 1:1 gegen die favorisierten Mexikaner – und hätten sogar gewinnen können. So viele Chancen haben die Südafrikaner versemmelt. Einmal in typischer Klose-Manier direkt an den Pfosten.
Für die Mexikaner und die Südafrikaner war es die leichtetste Begegnung in der Gruppe mit Frankreich und Uruguay. Kaum vorstellbar, dass die beiden Team, die das Auftaktspiel bestritten, jetzt noch einen der beiden Plätze ergattert, mit denen man die Vorrunde übersteht.
Was aber vielleicht noch gravierender ist: Einmal mehr hat die der Weltfußballverband FIFA die mediale Herrschaft über die TV-Bilder dafür genutzt, um einer leidvollen Debatte aus dem Weg zu gehen – nämlich die leeren Zuschauer-Plätze. Wenn es stimmen sollte, was der ARD-Kommentator so über den Sender geschickt hat, dann waren nur etwa 84.400 Zuschauer beim Auftaktspiel der WM – und damit wäre es sicherlich eines der wenigen Male gewesen, dass die Eröffnung einer Kicker-WM nicht ausverkauft war. Zum Vergleich: Ins Stadion von Johannesburg, Soccer City, passen laut Angaben des südafrikanischen Verbandes rund 94.000. Ergo: Fast 10.000 Plätze hätten leer sein müssen. Gesehen hat die Welt-Öffentlichkeit davon allerdings nicht. Auch die ARD hüllte sich in Schweigen, ohne auf diesen Mißstand einzugehen.
Gezeigt wurden die leeren Sitzränge natürlich nicht. Warum auch? Denn die Bilder werden ja nicht von der ARD produziert, sondern von der FIFA selbst – eine umfangreicheres Zensur gibt es vielleicht nur noch in Nordkorea.
Damit setzt sich die Debatte um leere Ränge fort, die schon 2006 bei der Sommermärchen-WM in Deutschland und davor auch schon in Frankreich hoch kam: Statt echte Fans werden immer mehr Karten an Edel-Fans vergeben – also Sponsoren und andere Personen, die vielleicht so viel mit Fußball zu tun haben, wie NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) mit einer erfolgreichen Regierungszeit. Ich bin gespannt, wann die ARD sich des Themas annimmt – oder ebenso lange und intensiv unterdrückt, wie Jürgen Emig das Thema „Doping im Radsport“ vom Sender hielt und statt dessen über die Schönheit südfranzösischer Kirchen parlierte….

Kampf der Religionen – oder doch nur ein Milieu-Problem?

Es ist ein heikles Thema, das immer wieder tabuisiert wurde. Und das aus gutem Grund. Zu schnell haben ewig Gestrige das Thema instrumentalisiert und grenzdebile Parolen geschwungen. Aus Angst vor den Rechten hat die politische Elite daher das Thema vermieden. Nun entpuppt sich diese Strategie als Bumerang: Offenbar gibt es einen Zusammenhang zwischen Religionszugehörigkeit und Gewaltbereitschaft.

Konkret lässt sich die Studie, die aus einem Forschungsprojekt des Bundesinnenministeriums und des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) hervorgegangen ist, auf einen Nenner bringen: Je größer die Bindung junger Männer an den Islam ist, desto größer ist ihre Gewaltbereitschaft. Zudem nehme mit der Religiosität auch die Akzeptanz von Machokulturen und die Nutzung gewalthaltiger Medien zu. Es ist inzwischen der zweite Bericht zu diesem Thema – und deckt sich teilweise mit der Kriminalstatistik, derzufolge die Zahl der Straftaten von Tätern mit Migranten-Hintergrund steigt.

Als Erklärungsansatz ziehen die Autoren Befunde des türkischstämmigen Religionswissenschaftlers Rauf Ceylan heran. Dieser hatte festgestellt, dass die Mehrheit der Imame in Deutschland den Rückzug in einen konservativen Islam fördert. Die meisten Geistlichen seien nur zeitweise in Deutschland, könnten kein Deutsch und deshalb keine positive Beziehung zur deutschen Kultur aufbauen. Für sie sei die Dominanz der Männer selbstverständlich. Verantwortlich für die Phänomene sei nicht der Islam selbst, meinte der zuständige Studienleiter Pfeiffer: „Das ist kein Problem des Islam, sondern der Vermittlung des Islam.“ Damit rückt er vorschnelle religiöse Urteil zurecht, die einen Kampf der Religionen sehen, anstatt tiefer zu blicken.

In dem Forschungsprojekt wurden im Zeitraum 2007/2008 bundesweit in 61 Städten und Landkreisen rund 45 000 Schülerinnen und Schüler der neunten Klasse befragt. Ein Schwerpunkt war die Frage, wie sich die Zugehörigkeit zu einer Religion und die persönliche Religiosität auf die Einstellungen und Verhaltensweisen von 14- bis 16-Jährigen und insbesondere auf die Integration junger Migranten auswirken. Das Ergebnis: Während junge Christen mit steigender Religiosität weniger Gewalttaten begehen, ist bei jungen, männlichen Muslimen das Gegenteil der Fall. Junge Migranten ohne Konfession seien am besten in die deutsche Gesellschaft integriert. Sie würden zu 41,2 Prozent das Abitur ansteuern. Bei jungen Muslimen sei dies anders: Sie strebten zu 15,8 Prozent den Abiturabschluss an, hätten zu 28,2 Prozent deutsche Freunde und fühlten sich zu 21,6 Prozent als Deutsche.

Gerade im Ruhrgebiet dürfte diese Studie, auch mit Blick auf die Turbulenzen beim Moschee-Verein in Duisburg, für neue Diskussion sorgen. Die Zahlen sind, das muss ich zugeben, erschreckend. Ob sie wirklich belastbar sind, kann ich nicht beurteilen. Für mich stellt sich aber die Frage, ob es sich hier nicht eher um ein Milieu-Problem handelt – also die sozioökonomischen Faktoren eine Rolle spielen, die ferne vieler Migranten-Haushalte zum Bildungsbürgertum und die geringen Aufstiegsmöglichkeiten, die junge Muslime hier in Deutschland haben, die eben aus einem Elternhaus kommen, das auf Hartz IV angewiesen ist und ein post-modernes Männerbild besitzt.
Bin gespannt, was der Shooting-Star der CDU, Integrationsminister Armin Laschet, der garde fulimant unter die Buchautoren gegangen ist, aus dieser Studie macht. Oder ob er sich wie die letzten fünf Jahre auf verbales tabuisieren des Themas konzentriert und damit weiterhin notwendige Entscheidungen verschleppt. Die Studie zeigt, dass diese Strategie gescheitert ist.

Merkel geht die Düse

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird ihrem Übervater, Helmut Kohl, im Regierungsstil immer ähnlicher: kritische Entscheidungen werden ausgesessen, von Visionen keine Spur und parteiinterne Gegner werden wegbefördert. Nun holt sie zum nächsten Schlag aus: Sie will die Kontrolle über die Bundesversammlung.

Die Bundesversammlung, die traditionell den Bundespräsident wählt, ist von vielen schon mit einer herrenlose Kanone verglichen worden, die, aus der Verankerung gerissen, im Mittelalter für die hölzernen Kriegsschiffe eine ebenso große Gefahr darstellten wie die gegnerischen Geschosse. Unkontrolliert schwingt sich die Kanone von einem Ende des Schiffs zum anderen, haut Menschen und Material weg, was ihr in die Quere kommt. Das Ende kann desaströs sein. Genau so etwa fürchtet wohl nun auch Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Glaubt man der aktuellen Ausgabe der „Welt am Sonntag“, dann geht der Hosenanzug-Trägerin aus der Berliner Waschmaschine (so die Berliner über das Kanzleramt) gehörig die Muffen. Denn die Regierungschefin und Parteivorsitzende der CDU hat sich gehörig verspekuliert. Weil sie unbedingt der Parteitaktik bei der Benennung des nächsten Bundespräsident den Vortritt vor der Staatsräson gegeben hat, muss sie nun miterleben, wie sich nicht nur die Öffentlichkeit auf Joachim Gauck festlegt, sondern auch die Medienmacher. Ungewohnt offen votiert daher sogar die Springer-Presse gegen Angela Merkel – und damit gegen eine enge Vertraute der Verlegerwitwe von Axel Cäsar Springer. Dieser Schritt ist schon ungewöhnlich genug. Noch ungewöhnlicher ist aber, dass dies dieses Mal nicht im Alleingang geschieht: Auch der Spiegel hält Gauck für den besseren Kandidaten. Der Focus wird nachziehen. FAZ und SZ haben dies bereits gemacht.

Frau Merkel, zu deren Regierungsstile die Politik via SMS und Liebesentzug gehören, steht allein – auch weil sie mit Niedersachsens Ministerpräsident Wulff einen aus den Hut gezaubt hat, der ihr niemals gefährlich werden kann. Das öffentliche Votum für Gauck ist daher auch ein Votum gegen sie als Regierungschefin. Das Volk und die öffentliche Meinung in Gestalt der Medien pochen eindrucksvoll auf ein urdemokratisches Vorrecht: Die verfassungsmäßigen Checks und Ballances, die jeder pluralistischen Gesellschaft zu Eigen ist. Mit Gauck soll ein Gegenpart zu Merkel das Amt des Bundespräsidenten inne haben, um der Regierung auf die Finger zu schauen. Gauck wäre daher der falsche Kandidat – aus Sicht Merkels.

Merkel will daher ihren Kandidaten durchsetzen und kann in der Bundesversammlung auf 21 Stimmen mehr als die absolute Mehrheit zählen – soweit auf dem Papier. Nimmt man nur das rot-grüne Lager sind es sogar 163 Stimmen mehr, weil die Linke Gauck nicht wählen will. Die Nachfolge-Partei der SED und Auffangbecken von früheren Stasi-Mitgliedern will offenbar späte Rache an einem Mann nehmen, der den tiefen Sumpf der ethisch moralischen Verstrickungen von Parteimitgliedern offen gelegt hat. Hier zeigt sich einmal mehr, dass die frühere SED weiterhin nicht in der Bundesrepublik angekommen ist.
Merkel will in der Bundesversammlung aber trotz Vorsprung auf Nummer sicher gehen, denn es könnte ja die „loose cannon“ das unmögliche wahrwerden lässt: dass nämlich Wulff duchfällt und Gauck gewählt wird.

Die „loose cannons“ haben sogar einen Namen: die unabhängigen Delegierten. Seit der Gründung der Republik ist es usus, dass die Bundesversammlung das Spiegelbild der Gesellschaft darstellt. Also nicht nur Berufspolitiker oder Beamte und Juristen, sondern auch Schauspieler, normale Bürger, Studenten, Wirtschaftsführer. Das Problem an dieser Gruppe: Sie werden zwar von den Parteien vorgeschlagen. Doch ob sie auch richtig wählen, das kann niemand überprüfen. Und so kann es razfaz passieren, dass sie den falschen aus Sicht von Merkel wählen. Daher greift Merkel laut „Welt am Sonntag“ nun zum äußerten: Wulff soll als erster Bundespräsident nicht mehr von der ganzen Gesellschaft gewählt werden, sondern nur von Claceure gewählt werden, die namen- und charakterlos im Ortsverein Neuss-Norf aktiv sind und parteitreu sind. Merkel will nur Partei-Leute und „sicherer“ Wähler an die Wahlurne lassen. Damit wird ein weiterer Tiefpunkt in der politischen Kultur Deutschlands erreicht – und man kann nur hoffen, dass die Geschichte Recht behält: Ein Wechsel im Bundespräsidenten-Amt folgt später immer ein Wechsel im Kanzleramt. Eine geistig moralisch Wende täte gut.

Das ZDF, der Blogger und eine steile Verschwörungsthorie

Nach dem Rücktritt ist vor den Verschwörungstheorien: Das mit Milliarden Euro an Gebühren ausgestatteten ZDF hat in seiner „heute journal“-Sendung steile Recherche-Ergebnisse zum Rücktritt des Bundespräsidenten gebracht. Demnach hat ein harmloser Blogger das Staatsoberhaupt zu Fall gebracht.

Im Jahr 2012 geht die Welt unter. Zweifel sind unbegründet und gehören gefälligst in die Mülltonne. Konkrete Hinweise auf das baldige Ende unseres Planeten gibt es zwar nicht. Aber diese These vom Weltuntergag gewinnt immer mehr Anhänger – immerhin gibt es ja auch ein Indiz dafür: den Kalender der Mayas. Der Jahres-Kalender endet mit dem Jahr 2012 und das ist für Verschwörungstheoretiker Grund genug, die Gleichung aufzustellen, dass das Inka-Volk gar nicht weiterzurechnen brauchte, weil ihnen im fernen Lateinamerika schon klar war, dass die Welt 2012 ihrem Armageddon nah ist. Und der Kalender sagt auch genau den Tag voraus: der 21. Dezember. Unzählige Bücher sind über das Jahr 2012 erschienen, sogar ein Kino-Film – opulent verfilmt. Noch nie hat Roland Emmerich auf der Kino-Leinwand sich so austoben und alles kurz und klein schlagen können, wie bei diesem apokalyptischen Film. Er setzte der Verschwörungstheorie damit ein cineastisches Denkmal.

Ein ganz eigenes Verschwörungs-Denkmal hat nun das deutsche ZDF in seiner „heute-journal“-Sendung mal eben in die mediale Öffentlichkeit gebombt. Der Rücktritt des Bundespräsidenten Horst „Hotte“ Köhler am Anfang der Woche hat einen simplen Grund: Ein Blogger hat das deutsche Staatsoberhaupt zu Fall gebracht. Schon allein die These ist gewagt gewesen und durch investigative Recherche leicht ad absurdum zu führen – zumal der Blogger selbst, ein junger Student der Politik- und Medienwissenschaften dies dementiert und dies auch begründen kann. Es zeigt aber vor allem eins: Das ZDF, mit Milliarden von GEZ-Gebühren finanziert, leistet sich offenbar lieber für etliche Millionen ein neues „heute journal“-Studio, das vor allem an frühere Nachrichten-Sendungen des DDR-Staatsfernsehen erinnert, als in eine gut besetzte und mit erfahrenen Redakteuren besetzte Redaktion. Offenbar ist man in Mainz wie schon so oft an die Grenzen der eigenen Recherche-Leistungen gekommen, um die wirklichen Ursachen des Köhler-Rücktritts zu offenbar. Stattdessen breitet man lieber eine flockig erzählte, auf den ersten Blick spannende und beeindruckende Geschichte auf – die allerdings einen gravierenden Fehler hat. Sie ist falsch.

In dem minutenlangen Beitrag werden stattdessen vermeintliche Twitter-Meldungen, Leserbriefe, Kausalzusammenhänge, Mutmaßungen und Verschwörungstheorien zusammengemixt und der Öffentlichkeit als Faktum präsentiert – aber noch nicht mal die einfachsten journalistischen Grundsätze werden berücksichtigt. Das ZDF hat noch nicht einmal den Blogger zu Wort kommen lassen, dem man den größten Scoop seit der Enthüllung der Flick-Spenden-Affäre andichtete (und der die Geschichte wohl schnell zu Fall gebracht hätte). Um es kurz zu sagen: Es war der vorläufige Höhepunkt es öffentlich-rechtlichen Desaster-Journalismus.

Ich will hier gar nicht von irgendwelchen Flaggen-Verwechselungen durch Praktikanten berichten, die es bei ARD und ZDF gab. Kurze Zeit vor der Blogger-Köpft-Köhler-Theorie wartete das ZDF nämlich schon mal mit anderen obskuren Theorien über eine mögliche Kabinettsumbildung auf, weil ja Ursula von der Leyen Bundespräsidentin werde (was sie ja bekanntlich nicht wird. Aber das hatte wohl das gut bezahlte Hauptstadt-Büro des ZDF nicht so frühzeitig mitbekommen wie andere Medien). ZDF-Mann Thomas Walde, nach dem Aussehen kein Praktikant, sondern ein gestandener Journalist, zuvor Korrespondent in London, haute doch allen ernstes in der Sendung von Claus Kleber, der immerhin einmal Chefredakteur des SPIEGEL werden sollte, freimütig und ohne Relativierungen die jüngsten Spekulationen raus, die in Berlin die Runde machten: demnach der NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers Kanzleramtsminister werden könne, weil ja Ronald-„Ich komm vom Niederrhein“-Pofalla Arbeitsminister werden können. Hier zeigte sich nicht nur, wie weit das Aushängeschild des ZDF gesunken ist, sondern auch, dass die Menschen beim Mainzer Sender wohl eher mit dem Schieben von Reglern und dem Drücken von Köpfchen und der Auswahl des richtigen Hintergrund-Motivs beschäftigt sind, als mit journalistischer Arbeit, die ihren Namen auch verdient. Zu viele Praktikanten, zu wenig gestandene Redakteure, zu wenig Wissen – das ZDF steht beispielhaft für eine Medienlandschaft, der die Qualität, das Gedächtnis und der Anspruch auf Inhalte abgeht. Nicht ohne Grund gab es in den letzten 20 Jahren nicht einen einzigen Fall, in dem sich die öffentlich-rechtlichen Medien als Aufdecker einer Skandalgeschichte etablieren konnten. Einfach nur im Cafe-Einstein in Berlin an der Straße „Unter den Linden“ zu sitzen, reicht eben nicht aus.

Und nun die Mähr, wie ein Blogger mit Twitter-Meldungen den großen „Hotte“ Köhler aus dem Schloss Bellevue jagte . Dem Blogger und Studenten Jonas Schaible, der im Netz das Blog „beim-wort-genommen.de“ betreibt, waren Köhlers ungelenke Formulierung aufgefallen, in dem der Bundespräsident auf dem Rückflug aus Afghanistan darüber räsonierte, „dass ein Land unserer Größe, mit dieser Außenhandelsabhängigkeit, auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren….“. Das sagte Hotte von Freitag auf Samstag, den 22. Mai. Seit dem thematisierte der Blogger das auf seiner Homepage und twitterte den vermeintlichen Skandal an alle überregionalen Zeitungen, damit dies sich ebenfalls über die angebliche Aufforderung zum Wirtschaftskrieg a la George W. Bush aufregen sollten. Taten sie aber nicht. Erst am Donnerstag griff SPIEGEL ONLINE das Thema auf und holte Oppositionspolitiker ans Rohr, die „Hotte“ für seine angebliche Aufforderung zum Wirtschaftskrieg schelten sollten. Das taten sie auch freilich – danach nahm das Thema an Fahrt auf, was aber eher am Berliner Erregungseffekt liegt, am so genannten PreB-Effekt, als an einer inhaltlichen Substanz. Der PreB-Effekt – benannt nach dem Berliner Szene-Ortsteil Prenzlauer Berg, wo einst die Opposition der DDR lebte, dann westdeutsche Intellektuelle und inzwischen das gesamtdeutsche Medien-Establishment, und LaMas oder Chai-Tees trinkt – sorgte in den Redaktion der Tageszeitungen und Online-Portale für Aufregung. Es wurde gedruckt, gepostet und verlinkt. Die unterbesetzten und unterbezahlten Redaktionen vieler Berliner, Frankfurter, Münchener und Hamburger Medien, die oftmals Jung-Redakteure ohne Erfahrung und Gefühl für Substanz oder Bullshit-Bingo an wichtigen Schaltpositionen sitzen haben, ließen sich vom Mainstream treiben und mutmaßten einen Skandal, den es nun mal nicht gibt.

Fakt ist: Dass Deutschland Wirtschaftsinteressen mit allen Mitteln verfolgt und verteidigt, steht seit Jahrzehnten im Weißbuch der Bundesregierung zu den Nationalen Interessen und sogar im Weißbuch der Bundeswehr, wird von jeder Regierung betont und auch als Vorwand für den Krieg in fernen Regionen als Legitimität herangezogen: Die Interessen Deutschlands werden, so wurden wir belehrt, werden am Hindukusch verteidigt. Das ist alles nicht im vorigen Jahrhundert passiert, sondern in den letzten zehn Jahren. Dass das in vielen großen Medienhäuser und Anstalten allerdings so ohne weiteres als Skandal durchging, muss einen schon nachdenklich stimmen.

Die Mähr von dem Blogger stürzenden Bundespräsident hat genauso eine Substanz wie die Inhalte von Frontal 21-Geschichten. Geschichten müssen nicht mehr stimmen. Sie müssen nur „flockig“ erzählt werden können oder eben gute „Motive“ liefern. Blogger können ebenso wenig einen Politiker köpfen, wie das andere Medien schaffen. In dieser funktionellen Sichtweise sind Blogger nicht besser als die BILD-Zeitung. Sie zeichnen sich lediglich durch eine Kampagnenfähigkeit aus, die den inzwischen verstorbenen Axel Cäsar Springer wohl erblassen ließen, wenn er es noch erlebt hätte. Und viele dieser Kampagnen sind auch eher von subjektiven Wünschen und Vorstellungen geleitet, als von objektiven Fakten. Genauso ist es offenbar beim ZDF gelaufen – nur das hier eine Verschwörungstheorie für das breite Publikum zum Faktum wurde. Und dafür zahlen wir auch noch GEZ-Gebühren!

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Politiker: Die Seitenwechsler

Roland Koch Foto: Gaby Gerster

Im Theaterstück „Jedermann“ ist er zu sehen, tritt als personifizierter Reichtum in der Figur des  Dämons Mammon auf, der den Menschen zum Geiz  verführt und auch sonst nichts Gutes im Schilde führt. Im Kino-Klassiker „Constantine“ nach dem Drehbuch von Kevin Brodbin trägt der Sohn des Satans den Namen „Mammon“. Doch letztlich ist es wohl Martin Luther zu verdanken, dass der Begriff „Mammon“ auch ins Deutsche einzog, denn er übersetzte den Begriff in seiner Bibelübersetzung nicht. Seit dem ist es in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen – und erregt dank eines Christdemokraten wieder die Gemüter.

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) wechselt die Seiten: Nein, er geht nicht zur SPD oder zur FDP. Mit gerade einmal 52 Jahren und elf Jahren als Regierungschef in dem Bundesland, das aus Sicht von NRW genauso entbehrlich und uncharismatisch ist wie das Saarland, will er nun etwas neues anfang. Politik sei nicht sein Leben, betonte der Christdemokrat. Er ist nicht der einzige Politiker, der die Seiten gewechselt hat.

Doch so ganz unfreiwillig wird der einstige Kritiker von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wohl dann doch nicht zu diesem Entschluss gekommen sein: Er hätte sich leicht ausrechnen können, dass er bei der nächsten Landtagswahl in Hessen von der Macht abgewählt worden wäre – genauso wie vor gut drei Wochen Jürgen Rüttgers in NRW. Da geht er lieber frewillig – zur rechten Zeit und mit lukrativen Angeboten. Auch Koch, der durch die Spendenaffäre, fremdenfeindlichen Unterschriftenaktionen und dem Anheizen von Generationenkonflikten bundesweit bekannt geworden ist, will nun in die Wirtschaft wechseln. Er ist kein Einzelfall. Immer mehr politische Würdenträger folgen dem Lockruf des Geldes, tauschen die TÖV-Besoldungstabelle gegen außertarifliche Anstellungsverträge mit Millionen-Summen. An vorderster STelle sind bei den Seitenwechslern Politiker von SPD und CDU. Ja, CDU, die Partei, die ja auch die Bibelstelle über den schnöden Mammon kennen müsste: „Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ Viele Parlamentarier, die nur ihrem Gewissen verantwortlich sind, haben sich klar entschieden. Nachfolgend eine Liste der prominentesten Seitenwechsler:

Martin Bangemann FDP EU-Kommissar  Telefonica (Spanien)

Otto Wiesheu  CSU Wirtschaftsminister Bayern Deutsche Bahn Vorstand

Wolfgang Clement SPD Bundeswirtschaftsminister Aufsichtsrat RWE, Dussmann

Klaudia Martini SPD Umweltministerin RPfalz Opel, Vorstand

Klaus Matthiesen SPD Umweltminster NRW  Interseroh, Vorstandschef

Reiner Wend  SPD MdB, WiPo-Sprecher  Deutsche Post, Lobbyist

Friedrich Merz CDU MdB, Fraktionschef  Wirtschaftskanzlei  Mayer Brown

Hans-Peter Repnik CDU MdB, FraktionsGF  Duales System DSD, Chef

Lothar Späth  CDU Ministerpräsident BaWü Jenoptik, Vorstandschef

Gerhard Schröder  SPD Bundeskanzler  Nordstream, Verwaltungsratschef

Monika Wulf-Mathies SPD EU-Kommissarin  Deutsche Post, Leiterin

Zentralbereich „Politik“

Peer Steinbrück SPD Bundesfinanzminister  ThyssenKrupp. Aufsichtsrat

Werner Müller  Bundeswirtschaftsminister RAG, Vorstandschef

Fritz Vahrenholt SPD Umweltminister HH  Repower, Vorstandschef

Hildegard Müller CDU Staatsministerin Kanzleramt Energieverband BDEW

Petra Uhlmann CDU Umweltministerin MeckPom  E.on Kernkraft

Joschka Fischer Grüne Außenminister  Nabucco-Pipeline, BMW

Martin Bury  SPD Staatsminister   Lehman Brothers,

HeringSchuppener

Caio Koch Weser SPD Staatssekretär BMFi  Deutsche Bank

Dieter Althaus  CDU  Ministerpräsident Thüringen  Magna, Vice-President

Matthias Wissmann  CDU  Bundesverkehrsminister VdA (Autoverband), Präsident

Volker Hoff  CDU Europaminister Hessen Opel, Direktor für

Regierungsbeziehungen

Bodo Hombach SPD Kanzleramtschef  WAZ, Geschäftsführer

Ernst Schwanhold SPD Wirtschaftsminister NRW BASF

Harald Schartau SPD Arbeitsminister NRW  Georgsmarienhütte

Franz Josef Britz CDU OB-Kandidat Essen  Ruhrkohle AG

Klaus-D. Scheurle CDU Präsident Regulierungsbehörde Credit Suisse

Die Wahrheit über „Sex and the City“

Am Donnerstag startet der zweite Kinofilm über vier junge Frauen in den Häuserschluchten und Herztiefen von New York. Wieder geht es um Kleidung, die kein Sterblicher mit den gezeigten Jobs bezahlen kann. Doch das wird den Ansturm an den Kassen von kreischenden deutschen Frauen nicht verhindern. Ein Insiderbericht – aus der Männerperspektive!

Ich glaube, ich werde Journalist. Eigentlich wollte ich mich ja diesem Rummel um den zweiten Kinofilm von „Sex and the City“ entziehen. Mir haben schon die Filmchen in meinem Telefunken-TV-Gerät gereicht, die ich mir fast wöchentlich mit einer eigentlich erwachsenen Frau anschauen musste, weil an diesen Tagen, an dem die TV-Serie lief, meine bessere Hälfte immer den Fernbedienungs-Joker zog. Doch ehrlich gesagt, kann man sich diesem Wahn doch gar nicht entziehen. Erst am Wochenende griff ein TV-Sender in die Klamottenkiste und lieferte den ersten Kino-Film als so genanntes „warming up“. Überall sieht man Plakate, im Fitness-Studio, zu dem man sich ja nicht ohne Grund hinschleift, grinsen einem die 50-Kilogramm-Girls von jeder Frauenzeitung in verschiedener Größe an. Und wenn man sich mal gemütlich in der Regionalbahn nach Bochum entspannen will, morgens etwa so kurz vor 9 Uhr, dann hört man ein wildes Gequietsche von Girlies, die die Altersgrenze von 30 schon deutlich überschritten haben, von der Hinterbank und stören bei der Lektüre so wichtiger Texte wie „Sorgen über Spanien und Korea lasten auf Börsen“. Es gibt, so mag es erscheinen, keinen SATC-freien Raum! Und dabei ist das doch alles großer Lug und Trug.

Fakt 1: Geld fällt vom Himmel

Ich muss für mein Geld, das mir monatlich mehr oder minder häufig überwiesen wird, kräftig anpacken. Das geht schon Jahre so – und sicherlich habe ich oft auch das Gefühl des Neides, wenn ich an einem Cafe, etwa in Essen oder Düsseldorf, vorbei gehe, und dort die zahlreichen Studenten oder jungen Mütter sehe, die werktags besseres zu tun haben als ich. Ich gebe offen zu, das ist weder politisch korrekt noch geht es konform mit meiner katholischen Erziehung der Nächstenliebe. Doch wenn ich eine besser Art und Weise hätte, Geld zu verdienen, würde ich es machen. Bei SATC geht es – offenbar. Man muss nur eine lächerliche Kolumne in einer nichtssagenden Postille schreiben und kriegt dafür einen Haufen von Geld. Anders ist es doch kaum zu erklären, warum sich die Hauptdarsteller, die sich literarisch gesehen nicht wirklich von einem Durs Grünbein-Lyrik-Versuch unterscheidet, Schuhe leisten kann, die so viel kosten wie mein letzter Ski-Urlaub. „Manolo Blahnik“, heißen die und gelten als hip. Wobei ich mir gar nicht vorstellen könnte, wie meine 60 Kilo-Freundin darauf laufen sollte – bei den Absätzen und den Riemchen.

Fakt 2: Zahnstocher-Irrglaube

Das reicht aber offenbar nicht. Die Hauptdarsteller verdient mit ihrer komischen Kolumne auch so viel Geld, dass sie sich nicht nur ständig komische Schuhe leisten kann. Sie geht auch ständig mit ihren komischen Freundinnen in ein Cafe – zum Kaffeetrinken. Und wenn sie sich nicht zum Kaffeetrinken trifft, dann geht sie Mittagessen. Schon allein das ist ein Irrsinn. Denn entweder ist die Hauptdarstellerin Dauerbesucherin der Toiletten, wo sie das teure Essen wieder sausen lässt, oder sie muss volle Teller wieder zurück gehen lassen. Anders ist es doch gar nicht zu erklären, wie eine Frau zu einem solchen Hungerhaken wird, der weder schön noch gesund ist. Hand aufs Herz: Habt Ihr Euch, bitte, diese Zahnstocher angesehen, die eigentlich Beine heißen. Ich habe in ganz New York überwiegend normale Frauen gesehen, mit normalen Figuren und tollen Kurven. Zugegeben: In einer Ausstellung im MoMo rannte einmal ein solcher Zahnstocher an mir vorbei – aber wer will schon einen solchen Zahnstocher im Haus haben. Zahnstocher sind doch in der Regel so frustriert, weil sie nicht essen dürfen, so dass das Zusammenleben eine Qual ist. Und dann wundern sich diese Zahnstocher ständig, warum es kein Mann mit ihnen aushält. Ich kann dazu nur sagen: Mehr essen! Dann klappt’s auch mit den Männern!

Fakt 3: Männer sind die besseren Frauen

SATC wurde von einem Mann erfunden und geschrieben. Da sagt bitte noch eine Frau, ein Mann kann sich nicht in die Gefühlwelt der holden Weiblichkeit einfühlen. Ihr seit ertappt!

Fakt 4: Mr. Big wartet nicht

Und dann ist da noch die Sache mit Mr. Big – und wir sind nun bei Fakt 3 angekommen. Laut Erzählungen von SATC-Insiderinnen, soll sich am Schluss der umfangreichen TV-Staffel die Hauptdarstellerin dann doch an Mr. Big wenden und ihm ihre Liebe offenbaren. Das ist romantisch. Kommt sicherlich direkt hinter Hermann Hesses „Narziß und Goldmund“. Doch welcher Mann wartet denn, bitteschön, auf einen solchen Hollywood-reifen Abschluss. Mal ehrlich, Männer, wir haben doch besseres zu tun, als uns, wenn wir es denn mal tun, so emotional an der Nase herumführen lassen, wie das diese Frau bei SATC mit ihrem Mr. Big macht, der übrigens auch so viel Geld hat wie Kohle in der Kokerei Prosper liegt. Bis sich die Prinzessin auf der Erbse aus ihrer emotionale Inbalance dazu besinnt, wer der richtige Mr. Big ist, sind wir doch längst über die Berge und fühlen uns in dem bestätigt, was wir Mr. Right doch schon immer gesagt haben, auch wenn sie es mal wieder nicht hören wollte: Wir sind die besten!

Wer wird neuer Aufsichtsratschef bei ThyssenKrupp?

Gerhard Cromme gilt als Saubermann der deutschen Wirtschaft: Als Chef der Regierungskommission für Corporate Governance hat er die Großkonzerne vor verbindliche Gesetze bewahrt. Kritik perlt an ihm wie an Teflon ab: Entweder, weil er eigens ein Rechtsgutachten in Auftrag gibt oder weil er sich kurzerhand mit Chefredakteuren oder Verlegern telefonisch verbinden lässt. Doch die Strukturprobleme bei Thyssen liegen immer noch brach.


Wäre Gerhard Cromme nicht in Vechta geboren, er hätte glatt als Prototyp des Rheinländers durchgehen können: Er gibt sich nach außen verbindlich und im Small Talk geübt. Der hoch gewachsene Manager gibt seinem Gesprächspartner stets das Gefühl, als wenn es in diesem Moment nichts Wichtigeres geben würde als dieses Gespräch und diesen Gesprächspartner. Gerade ältere Damen finden an ihm Gefallen.
Kaum ein Thema, zu dem nicht was zu sagen hätte. Er plaudert gerne und ausführlich, parliert auf jedem glatten Parkett und erhöht sich gerne durch Kritik an Unmoralischem und lobt das moralisch Gute, den ehrbaren Kaufmann etwa. Raffgierige Manager gängelt er gerne. Dann redet er wie am Wochenende in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ von Augenmaß, das vielen Managern abhanden gekommen sei und von notwendigen „Mäßigung“ bei den Gehältern.

Dass er zu der kleinen Gruppe von Aufsichtsräten gehört, die in Deutschland als Spitzenverdiener gezählt werden können, verschweigt der 1943 geborene Cromme. Aber wenigstens zeigt er sich ehrlich, wenn er in dem Interview betont, dass es unter Managern keine Freundschaft geben könne: „Echte Freundschaft wächst da, wo es keine Eigeninteressen gibt; unter Managern verfolgt jeder auch Unternehmensinteressen, insofern rede ich da lieber von freundschaftlichen Beziehungen..“. Vor allem verfolgt Cromme eines am intensivsten und das schon seit Jahrzehnten: seine eigenen Interessen. Kaum einer weiß das so gut, wie der frühere Chef des Dortmunder Stahlkonzerns Hoesch, Kajo Neukirchen, dem mit Cromme angeblich eine langjährige freundschaftliche Beziehung verbunden haben soll. Anfang der 90er Jahre kaufte Cromme ihm dann in einer Nacht- und Nebelaktion den Konzern unter dem Hintern weg – und setzte ihn vor die Türe. Seit dem geben sich Top-Manager in den deutschen Vorstandsetagen vorsichtig, wenn sie es mit Cromme zu tun bekommen.

Cromme ist mal wieder in die Kritik geraden: Das ist an für sich nichts Ungewöhnliches, und die Medien sind in den letzten Jahren mit dem Aufsichtsratschef von ThyssenKrupp teilweise heftig ins Gericht gegangen. Doch an Cromme perlte das stets ab wie Spiegeleier an einer Teflon-Pfanne. Denn entweder zückte der Herr der (Krupp-)Ringe ein Rechtsgutachten aus dem Hut. Oder er Griff gleich zum Telefonhörer, oder ließ es einen Getreuen machen, und klagte Chefredakteuren und Verlegern sein Leid über kritische Redakteure. Das ging so weit, dass  unter Journalisten in Düsseldorf schon die Gründung eines „Clubs der Cromme-Geschädigten“ (CCG) erwogen wird. Nur die gefälligen Medien kamen gut weg – besonders eine Zeitung in Frankfurt und eine in Hamburg.
Das Heikle in der aktuellen Cromme-Kritik-Krise ist, dass viele Medien und Experten dem Aufsichtsratschef von ThyssenKrupp nun vorwerfen, gegen den eigenen Kodex verstoßen zu haben, als er einen Top-Manager von Siemens nach Düsseldorf geholt hat – als zukünftigen Chef von ThyssenKrupp. Immerhin stand Cromme Jahre lang der Regierungskommission für gute und transparente Unternehmensführung (Corporate Governance) vor. Manche sagen, damit hätte man den Bock zum Gärtner gemacht.
Auf jeden Fall verliert Siemens jetzt, wo Cromme Aufsichtsratschef ist, einen seiner Top-Manager und ThyssenKrupp auf der anderen Seite, wo Cromme ebenfalls das Kontrollgremium führt, gewinnt einen Manager mit einem beachten Ruf. Heinrich Hiesinger wird im nächsten Januar den Dauer-Vorstandschef Ekkehard Schulz an der Spitze des Ruhr-Konzerns ablösen. Viele werfen Cromme daher vor, die Führungsprobleme bei Thyssen auf Kosten von Siemens zu lösen.

Und weil Cromme diesmal ja einen guten Überblick bei Siemens hatte (bei der Korruptions- und Schmiergeldaffäre bei Siemens hatte Cromme das vor einigen Jahren als Aufsichtsratsmitglied wohl noch nicht), brauchte Cromme auch keinen Headhunter, wie das sonst so üblich ist, der nicht nur einen geeigneten Kandidaten sucht, sondern auch eine ausführliche Bewertung der Person, seiner Management-Stärken und Schwächen analysiert. „Nein“, sagte Cromme in dem Interview mit der Frankfurter Zeitung, die Cromme und Thyssen wie der SPIEGEL stets wohl gesonnen ist. Ein Headhunter wäre nicht eingeschaltet gewesen. „Ich habe mich mit diesem Thema die letzten zwei, drei Jahre intensiv beschäftigt“. Und mit Alan Hippe hatte Cromme sogar einen geeigneten Kandidaten vom Autozulieferer Continental nach Düsseldorf geholt. Hippe galt als einer von drei Kronprinzen und hätte auch zu anderen Konzernen gehen können, um dort mittelfristig Chef zu werden. Warum ist er also zu ThyssenKrupp gegangen, wenn nicht, um dort den unübersichtlichen Gemischtwarenladen, der im vorigen November von der Rating-Agentur Standard&Poor’s auf Schrott-Niveau heruntergestuft wurde, zu übernehmen?

Die Herabstufung auf das Niveau von Griechenland war ein herber Rückschlag, aber auch ein Zeichen, dass Cromme als Aufsichtsratschef den Konzern und die milliardenschweren Kostenexplosionen bei den Neubauten von Stahlwerken in Brasilien und den USA nicht im Griff hat. Doch auch dafür gibt es mittlerweile ein Rechtsgutachten im Konzern, das besagt, dass das Management für die Kostenexplosion nicht verantwortlich gemacht werden kann – und der Aufsichtsrat erst recht nicht. Denn der Aufsichtsrat kann ja nur prüfen, was der Vorstand ihm vorlegt. Kontrolle sieht anders aus.
Auch bei der Auswahl des neuen Vorstandchefs hat Cromme sich natürlich an Recht, Gesetz und den Corporate Governance Kodex gehalten – sagt ein Rechtsgutachten. Und in der Tat ist es so, dass der Kodex solche Personalabwerbungen nicht reglementiert. Auch wenn man den berühmten „Geist der Gesetze“ bemüht, wird es schwierig sein, Cromme ein Fehlverhalten nachzuweisen. Wie immer ist sich der Manager bewusst, dass er einen Ritt auf der Rasierklinge macht – und daher achtet er auch penibel darauf, dass er nicht auf die falsche Seite fällt.

Problematischer aber als die Frage, ob Cromme nun ein Fehlverhalten nachzuweisen ist oder nicht, ist die Frage, ob er mit dieser Personal-Entscheidung die eigentlichen Probleme bei ThyssenKrupp gelöst oder noch weiter forciert hat? Offiziell betonen Cromme und auch Schulz, dass keiner der drei Kronprinzen das Unternehmen verlassen werde, nur weil mit Hiesinger ein externer Kandidat den Vortritt erhalt hat und kein interner Manager, der das Unternehmen, seine Probleme und die Tretminen schon kennt. Für Cromme ist die Berufung eines externen Kandidaten ideal: Denn er sichert sich damit wie schon bei Siemens eine gewisse Loyalität des Neuen. Hiesinger ist zwangsweise wie damals Peter Löscher bei Siemens auf seinen Aufsichtsratschef angewiesen. Er dürfte es ihm wohl mit Loyalität zurückzahlen. Und weil Cromme ein Kontrollfreak ist, dem es vor allem um sein positives Image geht, schickt er mit Jürgen Claassen einen Getreuen in den Vorstand, der ihn schon seit Jahrzehnten bei so manchen Problemen geholfen hatte. Claassen, der bisherige Generalbevollmächtigte des Konzerns, der es in der Mitarbeiterzeitung gelegentlich auf mehr Fotos bringt als der Vorstandschef oder der Aufsichtsratschef, soll künftig die Konzernentwicklung verantworten. Vermutlich aber noch mehr. Doch dazu hüllt man sich beim Hintergrundgespräch, das Cromme extra aus Anlass der Hiesinger-Personalie führte, in Schweigen.

Dass es aber beim größten deutschen Stahlkonzern rumort, wird auch durch den neuen Vorstandschef nicht gelöst. Denn anders als Cromme und Schulz betonen, scheint das Trio der Übergangenen doch nicht so harmonisch zum Konzern zu stehen, wie sie sich das wünschen. Zumindest bei einem Konzern wurde ein Thyssen-Vorstand von einem Personalberater bereits als „veränderungswillig“ angepriesen. Doch sollte etwa der aktuelle Stahl-Chef Edwin Eichler das weite Suchen, hätte Thyssen innerhalb von 24 Monaten die drei wichtigsten Stahl-Experten verloren. Bei Konkurrenten wird dieses Szenario längst als „Horrorvorstellung“ beschrieben, was nicht unbedingt zum Nachteil der Wettbewerber sein muss. Denn mit Karl-Ulrich Köhler hat gerade der frühere Stahl-Chef von Thyssen beim britischen Konkurrenten Corus angeheuert – und bringt alle internen Thyssen-Planungen und Strategien frei Haus mit.

Und auch die Frage, was mit Cromme als Aufsichtsratschef von Thyssen passiert, ist noch nicht geklärt. Seit Jahrzehnten wird Cromme schon angedichtet, dass sein eigentliches Ziel ist, den letzten lebenden Ruhrbaron, Berthold Beitz, als Chef der einflussreichen und mächtigen Krupp-Stiftung zu beerben. Beitz, der inzwischen die 90 Jahre deutlich überschritten hat, wird seine Nachfolge wohl schon geregelt haben. Aber ob es wirklich auf Cromme hinausläuft? Zumindest einige wichtige Leute in den Ruhr-Konzernen bezweifeln dies, bringen immer wieder eine andere Variante ins Gespräch – nämlich, dass Schulz Beitz im Amt folgen könnte und Cromme den Konzern als Aufsichtsratschef weiter betreuen soll. Es ist eine gewagte These.

Viel wahrscheinlicher ist, dass Cromme den Chefposten auf der Villa Hügel für sich reklamiert und ihn auch erhalten wird. Aber das bedeutet nicht unbedingt, dass Cromme dann auch Aufsichtsratschef bleibt. Immerhin wäre er dann als Vertreter eines Minderheitsaktionärs, der Krupp-Stiftung, in einem ständigen Interessenkonflikt, ob er sich nun für das Unternehmen oder die Stiftung als Chef des Kontrollgremiums einsetzen soll. Doch gerade solche Interessenkonflikte soll der Kodex ausschließen. Viele sind daher gespannt, wie Cromme sich entscheidet und welches Rechtsgutachten er dann wieder hervor holt.

Deshalb kursiert im Konzern auch schon eine andere Variante: Schulz wird nicht nur neuer Chefkontrolleur bei RWE und löst damit im nächsten Jahr den langjährigen Bayer-Chef Manfred Schneider ab. Schulz könnte auch neuer Aufsichtsratschef bei ThyssenKrupp werden. Das zu realisieren, wird nicht ganz einfach. Nach dem Gesetz ist ein solcher Übergang eigentlich gar nicht vorgesehen. Zwei Jahre lang müsste Schulz eine Ehrenrunde drehen – es sei denn, ThyssenKrupp nutzt ein Schlupfloch. Sollte allerdings eine nötige Anzahl von Aktionären einen Wechsel aus dem Vorstand in den Aufsichtsrat fordern und die Hauptversammlung zustimmen, könnte Schulz direkt wechseln. Ausreichend Stimmen hätten Schulz und Cromme schon beisammen: die Krupp-Stiftung könnte ihren 25 Prozent-Anteil in die Waagschale werfen, damit Schulz direkt wechseln kann. Mit zusammen zwei Chefposten in deutschen Großkonzernen würde Schulz sogar noch konform gehen mit dem Cromme-Kodex. Ein neues Rechtsgutachten wäre da gar nicht nötig. Thyssen könnte sich das Geld sparen und damit andere Löcher stopfen. Genug Geldvernichter gibt es ja im Konzern.