Ein Stadtwerkekonsortium will die Evonik-Tochter Steag kaufen. Es entsteht ein neuer volkseigener Betrieb.
Wann sind sich schon einmal CDU, SPD und Grüne einig? Am vergangenen Mittwoch zum Beispiel, bei einer von der FDP zum Steag-Verkauf beantragten aktuellen Stunde. SPD-Innenminister Ralf Jäger, die Grüne Daniela Schneckenburger und Hendrik Wüst von der CDU: Alle waren sie fasziniert von der Möglichkeit der Übernahme der Evonik-Tochter Steag durch ein Konsortium der Stadtwerke der Städte Bochum, Dinslaken, Dortmund, Duisburg, Essen und Oberhausen. Ein neuer Energiekonzern soll in NRW entstehen, der das Potential haben soll, die Marktmacht von Eon, RWE, Vattenfall und EnBW zu brechen und den Stadtwerken zu neuen wirtschaftlichen Perspektiven verhelfen soll.
Nur in Nuancen unterschied man sich. Schneckenburger plädierte dafür, die Atom-Sparte von Steag zu veräußern, die für die Castor-Transporte nach Ahaus zuständig ist, und Wüst wünschte sich die Beteiligung eines im Bieterverfahren bereits ausgeschiedenen Unternehmens aus NRW.
Gut 620 Millionen sollen die sechs Stadtwerke in einem ersten Schritt für 51 Prozent der Steag Anteile bezahlen. In wenigen Jahren, noch vor dem geplanten Börsengang, müssen sie die restlichen 49 Prozent übernehmen. Insgesamt ein Geschäft in Höhe von 1,2 Milliarden Euro. Und weil weder die Städte noch die Stadtwerke über die nötigen Mittel verfügen, wird es komplett über Kredite finanziert. 30 Prozent davon werden die Stadtwerke aufnehmen müssen, 70 Prozent die von ihnen zu gründende Vorschaltgesellschaft.
Die Begeisterung über die Fraktionen hinweg verwundert. Denn die Steag ist nicht irgendein Unternehmen: Es ist, und man würde erwarten, dass die Grünen damit Probleme hätten, vor allem ein Betreiber und Entwickler von Kohlekraftwerken. Neun Steinkohle- und zwei Raffineriekraftwerke besitzt die Steag in Deutschland.
Im Ausland besitzt sie drei Kraftwerke in der Türkei, Kolumbien und auf den Philippinen. Ein internationales Engagement von Stadtwerken auf drei Kontinenten? Das müsste zumindest bei der Union für Stirnrunzeln sorgen, und das tut es auch. Nicht bei Hendrik Wüst, aber bei Klaus Franz. Der Fraktionsvorsitzende der CDU im Bochumer Rat soll bald über den Kauf der Steag Anteile durch die Stadtwerke entscheiden und fühlt sich dabei nicht wohl: „Ich habe noch viele Fragen und sehe es nicht als klassische kommunale Aufgabe an, dass wir Kraftwerke auf den Philippinen betreiben. “ Stadtwerke sind für die Daseinsvorsorge da und sollten sich nicht auf den internationalen Energiemärkten tummeln. „Das Risiko, das Geld der Bürger zu verzocken, ist zu hoch.“
Das sah im Landtag der FDP-Abgeordnete Dietmar Brockes ähnlich. Brockes bezweifelte, dass ausgerechnet die wirtschaftlich schwachen und hochverschuldeten Ruhrgebietsstädte die Steag kaufen sollten: „Es ist ein wirtschaftliches Abenteuer, wenn sechs Stadtwerke, deren Städte gemeinsam 10 Milliarden Euro Schulden haben, ein internationales Energieunternehmen übernehmen.“ Alles werde zu 100 Prozent auf Pump finanziert: „Jeder Häuslebauer weiß, dass das nicht gut gehen kann.“
Bei den Stadtwerken sieht man das anders. In Hintergrundgesprächen wird der Steag-Kauf als Chance bezeichnet, die man sich nicht entgehen lassen kann. Die Stadtwerke hätten zusammen mehr Kunden als Eon und RWE, würden allerdings fast nur als Stromhändler auftauchen. Nur ein Zehntel der deutschen Strommenge produzieren die Stadtwerke. Der Kauf der Steag würde diesen Anteil schlagartig verdoppeln.
Es soll ein Unternehmen der kommunalen Familie entstehen: Mit Arbeitsplätzen im Ruhrgebiet und einer starken regionalen Verankerung. Das Geld, das im Ausland erwirtschaftet wird, soll in die Modernisierung des Kraftwerkparks fließen. Die alten Kohlekraftwerke will man nach und nach durch moderne Gaskraftwerke ersetzen. Die Macht der großen Stromkonzerne soll gebrochen werden. Das Fernwärmegeschäft der Steag soll mit dem der Stadtwerke gebündelt werden. Ein leistungsstarkes Fernwärmenetz soll so große Teile des Reviers versorgen.
Dass der künftige Konkurrent RWE die zur Erneuerung anstehenden Lieferverträge für sechs Kraftwerke ganz oder teilweise nicht verlängern könnte, stört nicht. Ein Stadtwerker zur Welt am Sonntag: „Dann nutzen wir den Strom selbst. Für uns ist das nicht wichtig. Ohne die RWE-Verpflichtung können wir schneller mit dem Umbau des Kraftwerkparks beginnen.
Geld spielt keine Rolle. Alles, so versichern die Mitglieder des Stadtwerkekonsortiums, sei durchgerechnet worden. Das Angebot spiegele das Ergebnis eines Worst-Case-Szenarios wider, in dem auch die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke durch die Bundesregierung längst eingepreist seien. Und die Kreditfinanzierung? Problemlos. „Bei den günstigen Zinsen würden wir das Geld auch am Kapitalmarkt aufnehmen, wenn wir es hätten, denn eine Investition in unsere Unternehmen bringt eine deutlich höhere Rendite als die Zinskosten der Kredite.“
Man plane auch nicht weit in die Zukunft, denn die Energiemärkte seien im Umbruch. Aber die kommenden 20 Jahre könne man überschauen.
Nicht alle teilen diese Euphorie. Prof. Dr. Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI bezweifelt, dass man die Entwicklung der Energiemärkte über die kommenden 20 Jahre einschätzen kann: „Klar ist eigentlich nur die demographische Entwicklung. Wir haben aber beispielsweise keine langfristige Energiepolitik in Deutschland: Die eine Regierung steigt aus der Kernergie aus, die nächste verlängert die Laufzeiten und die Opposition kündigt für den Fall, dass sie an die Regierung kommt, wieder den Atomausstieg an.“ Zudem gäbe es zahlreiche ungelöste Zielkonflikte: „Die Industrie und die Verbraucher wollen günstigen Strom, er soll aber möglichst aus regenerativen Energien ohne Co2 Belastung hergestellt werden. Das passt nicht zusammen.“
Der Steag-Kauf durch die Stadtwerke sei riskant und der Nutzen für den Verbraucher ungewiss: „Wenn es künftig fünf statt vier große Konzerne gibt, wird das kaum die Preise verändern.“ Schmidt hält eine Öffnung des deutschen Strommarktes für ausländische Anbieter für effektiver: „Wir brauchen mehr grenzübergreifende Leitungen zu unseren Nachbarn. Dann sorgen Stromimporte für mehr Wettbewerb auf dem deutschen Markt.
Auch in der Landesregierung gibt es skeptische Stimmen. Auch wenn man den Einstieg der Stadtwerke befürwortet – einen starken Partner an ihrer Seite würde man gerne sehen. Umweltminister Johannes Remmel:
„Wir halten auch die Beteiligung eines finanzstarken und international erfahrenen Privatinvestors als Partner der Stadtwerke für überlegenswert – gerade mit Blick auf das Auslandsgeschäft und die Risikominimierung.“
Das könnte zum Beispiel die Rethmann-Gruppe sein, die bereits aus dem Wettbewerb um die Steag ausgeschieden ist. Auch in Finanzkreisen wird ein Einstieg von Rethmann befürwortet: „Die Kommunen hoffen auf weitere Einnahmen durch die Steag, aber die Kreditkosten werden die Dividende aufzehren.“ Ein starker privater Partner sei auch notwendig, um den Umbau des Kraftwerkparks und die hochrentierlichen Investitionen ins Auslandsgeschäft zu ermöglichen. Das Finanzkonzept der Stadtwerke sei zu optimistisch. „Irgendwann einmal werden die Zinsen wieder steigen – und dann wird es für die Stadtwerke schwierig werden.“ Das sei kein Problem der kommenden ein bis zwei Jahre. Aber zu dem Zeitpunkt, wo die Stadtwerke die restlichen 49 Steag-Prozent kaufen und finanzieren müssen, könnte es soweit sein. Und dann würden harte Zeiten für die klammen Kommunen im Revier anbrechen.
Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag