Das Kulturhauptstadtprojekt 2-3 Sraßen des Künstlers Jochen Gerz wird trotz aller Probleme weitergeführt.
Im Züricher Stadtteil Hottingen ist die Welt noch in Ordnung. Man blickt auf den Zürichsee, der Weg ins Theater oder ins Museum ist nicht weit und viele der renovierten Altbauten liegen in großzügigen Grünanlagen. Hier wollte Rudolf Jörg-Fromm weg. Zumindest einmal raus wollte der 69jährigen Rentner aus seinem ruhigen und wohlgeordneten Leben. Und als er im vergangenen Jahr eine kleine Meldung in der Neuen Züricher Zeitung über das Kulturhauptstadtprojekt 2 – 3 Straßen des Künstlers Jochen Gerz las, wusste er sofort: „Da will ich mitmachen.“
Gerz suchte nach Menschen, die für ein Jahr im Ruhrgebiet wohnen wollten. Die Kaltmiete sollte ihnen erlassen werden. Die 78 Wohnungen standen ohnehin leer. Dafür sollten sie jeden Tag einen Text schreiben. Anonym und in eine spezielles Programm, dass den Zugriff auf die einmal geschrieben Texte nicht mehr erlaubt. Die Texte sollten zu einem Buch zusammengestellt werden sollten. Mehr nicht.
Zur Auswahl standen Siedlungen in Duisburg-Hochfeld, der Dortmunder Nordstadt und ein Hochhaus direkt neben dem Mülheimer Hauptbahnhof.
Jörg-Fromm zog es nach Mülheim. Nach einem Jahr zieht er Bilanz: „Es hat sich sehr gelohnt, bei 2-3 Straßen mitzumachen. Das Ruhrgebiet hat ein sehr großes kulturelles Angebot und hier ist noch sehr viel Engagement bei den Menschen. In Zürich ist vieles fest gefügt, da ist viel weniger Bewegung.“
Von den Problemen des Ruhrgebiets wusste er, dass der Strukturwandel hier zur Lebensform wurde auch. Er fand das alles spannend und Begann sich für Mülheim zu engagieren: Er arbeitete an einem ökologischen Einkaufsführer für Mülheim mit und zeigte Besuchern aus der Schweiz die kulturellen Höhepunkte des Ruhrgebiets wie das Ruhr-Museum und das Folkwang in Essen, die Jahrhunderthalle und in Bochum oder das Dortmunder U.
Es hat ihm Spaß gemacht im Ruhrgebiet, nur eines hat er vermisst. Einen funktionierenden Nahverkehr: „Wir haben das Auto schon vor Jahrzehnten abgeschafft, weil der Nahverkehr in Zürich sehr gut organisiert ist. Im Ruhrgebiet ist es leider nicht so gut.“
Leute wie Rudolf Jörg-Fromm hat sich Jochen Gerz für sein Projekt gewünscht. Der Konzeptkünstler suchte nicht nach Künstlern, die Teil eines Kunstwerks sein wollten, sondern nach neugierigen offenen Menschen: „ Kreativität ist kein Privileg von Künstlern und kein Reservat. Die ganze Gesellschaft darf
kreativ sein. 2-3 Straßen hat keine Künstler gesucht und keine eingeladen. Eine bunte Mischung von Menschen mit vielen Berufen wollte an diesem Experiment teilnehmen. Viele kamen von weither und wollen im Ruhrgebiet bleiben und sich hier niederlassen.“
Zum Beispiel Sebastian Kleff. Der kam später zu dem Projekt dazu, weil andere Teilnehmer abgesprungen waren. Er selbst sieht sich als Künstler ohne Werk, wohnte mal in Berlin, Wien oder Dresden und nutzte seine Wohnung gemeinsam mit seinem Mitbewohner für Ausstellungen. Und weil Gerz keine Ausstellungen in der Ausstellung wollte, nannten sie die ein „Begehbares Magazin“ – wie in einer Zeitschrift konnte man Geschichten und Bilder von Menschen aus dem Hochhaus betrachten. Für Kleff war es ein gutes Jahr und er wird in der Gegend bleiben. Wenn nicht im Ruhrgebiet, dann in Düsseldorf. So genau weiß er das auch nicht– man wird es sehen. Seine Erfahrungen mit den traditionellen Mitbewohnern sind gemischt: „Wir haben mit einigen für unser Magazin zusammen gearbeitet und es war toll, was für spannenden Geschichten sie erzählen konnten, wie gerne sich mitgemacht haben.“ Als es auf einer Ausstellungseröffnung mal zu laut gefeiert wurde, stand allerdings auch ein weniger kunstsinniger Nachbar mit einem Messer vor der Tür, um sein Recht auf Nachtruhe durchzusetzen.
Gerz hat sich für sein Projekt Problemquartiere ausgesucht. Sicher, in den Szenevierteln in Bochum, Dortmund und Essen hätten die Anwohner begeisterter mitgemacht – aber auch der Reiz des Experiments wäre geringer gewesen. Und bei ihren Projekten mussten sich die Teilnehmer mit ihren Nachbarn auseinandersetzen. Zu Abstrakt durften die Ideen da nicht sein. Aber mit einer Fahrradwerkstatt wurden die Herzen der Kinder in der Nordstadt schnell erobert. Begeistert lernten sie ihre Räder selbst zu reparieren. Auch Bilder mit ihren Lieblingsfarben im Hausflur oder die Tauschwirtschaft, bei der jeder aus dem Haus Gegenstände die er nicht mehr benötigte, etwas gegen etwas anderes tauschen konnte, kamen gut an.
Gerz ist zufrieden: „2-3 Straßen hat am 1.1.2010 begonnen und dauert ein Jahr lang. Es ist das längste Projekt der Kulturhauptstadt. Die Frage ob die Erwartungen erfüllt wurden, sollte
den Städte gestellt werden: Ich will die Straßen verändern und ein Kompliment wäre es , wenn die Vermieter 2011 weiter machen wollen. Und da wir darüber verhandeln und die Idee von den beteiligten Städten kommt, scheinen sie die Frage positiv zu beantworten.“
In Dortmund und Duisburg geht es weiter, werden den Teilnehmern Wohnungen zu geringeren Mieten angeboten – in Mülheim ist das noch nicht entschieden.
In Mülheim gab es allerdings auch die meisten Konflikte zwischen Gerz und den Teilnehmern. Es kam schon im März zu einem Schreibstreik, in einem eigenen Blog gingen die Unzufriedenen vor allem mit Jochen Gerz hart ins Gericht. Das Projekt sei nicht transparent, man wisse nicht, was Gerz erwarte und die Kommunikation zwischen dem Künstler und den Teilnehmern sei miserabel. In Krisensitzungen gab es schmerzhafte Diskussionen. Dort rät Gerz den Teilnehmern bis zum Ende des Projekts ihre Arbeit nicht zu reflektieren. In einem Mitschnitt eines solches Gesprächs, dass den Ruhrbaronen vorliegt, wirft er den Unzufriedenen vor, Kontakt zu den Medien aufgenommen zu haben: „Ihr habt eine Attitude, die könnt ihr der Lokalzeitung verkaufen, aber ihr tut euch keinen Gefallen in Bezug auf Euer eigenes Leben“
Einer der von Gerz gescholteten ist Jan-Paul Laarmann. In seiner Zeit im Hochhaus in Mülheim hat er sich nicht nur mit Gerz gestritten, sondern auch noch die Literaturzeitschrift Richtungsding gegründet, zwei Ausgaben von ihr herausgebracht und Lesungen organisiert.
Laarmann fand das Jahr im Gerz-Projekt spannend, wirft dem Künstler jedoch vor, die Potentiale der Beteiligten nicht genutzt zu haben und immer wieder autoritär aufgetreten zu sein. „Wir hätten viel mehr machen können, aber viele waren mit dem Auftreten von Gerz sehr unzufrieden. Unsere Ideen wurden auch oft blockiert.“
Hört man sich den Mitschnitt der Diskussionen mit Gerz und den Bewohnern an, wirkt Gerz allerdings nicht autoritär sondern nur ungeheuer genervt.
Er wollte keine Künstler – und bekam doch viele in sein Projekt, die genau die Teilnahme an 2-3 Strassen als Möglichkeit sahen, ihrem eigenen Künstlerdasein Schwung zu geben. Es gab Auszüge von Unzufriedenen Teilnehmern und immer wieder lange Diskussionen und Briefwechsel. Aber das gehörte wohl dazu. Gerz hatte keinen fertigen Plan, als er antrat: „ Ich mache keine Arbeit, die ich kann – der Zweifel, die Sorge das was nicht richtig ist, ist immer mit dabei. Sonst würde man besser auf der Tribüne sitzen und zuschauen – das tun wir nicht, wir spielen.“