Vergiftete Mitarbeiter, verseuchtes Werksgelände, Razzien – das Dortmunder Unternehmen Envio hat eine Menge Probleme. Darauf reagiert es mit einer PR Offensive.
Das Geschäftsmodell war über viele Jahre erfolgreich: Aus der ganzen Welt importierte das Dortmunder Entsorgungs- und Recyclingunternehmen Envio mit PCB verseuchte Transformatoren. Diese sollten in Dortmund in einem aufwändigen Verfahren gereinigt und die wertvollen Rohstoffe, vor allem das Kupfer der Spulen, wiederverwertet werden. Bei der Gewinnung internationaler Kunden half die bundeseigene Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) – deutsche Ingenieurskunst und Gründlichkeit sollten helfen, das weltweite PCB-Problem in den Griff zu bekommen. Denn PCB gehört zu den 12 organischen Stoffen, die unter dem Namen „Dreckiges Dutzend“ bekannt sind und durch die Stockholmer Konvention 2001 verboten wurden. Sie stehen im starken Verdacht, erbgutver- ändernd und krebserzeugend zu sein und haben die unangenehme Eigenschaft, sich nur sehr langsam abzubauen.
Envio verdiente Geld mit der Reinigung der Transformatoren, dem Verkauf von wertvollen Transformatorenbauteilen und Rohstoffen. Doch nachdem Mitarbeiter des Unternehmens mit PCB verseucht wurden, das Werksgelände hochbelastet ist, und auch in der Umgebung erhöhte PCB-Werte gemessen wurden, steht die Produktion still. Geht es nach der Stadt Dortmund, soll Envio den Betrieb für immer einstellen. Für das Unternehmen, das noch einen weiteren Standort in Korea unterhält, könnte das Aus in Dortmund zum Problem werden.
Ein Problem, das Envio gerne vom Tisch hätte. Deshalb ist das Unternehmen in den vergangenen Tagen in die Offensive gegangen: Gleich zwei Gutachten sollen die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass es eigentlich gar keinen PCB-Skandal bei Envio in Dortmund gibt. Eines stammt von Professor Dr. Herbert F. Bender. Bender ist Mitglied des „Ausschusses für Gefahrstoffe“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und bei dem Chemiekonzern BASF beschäftigt. Mit dem Thema Envio beschäftigte er sich nach eigener Aussage, nachdem ihn ein Aufsichtsratmitglied von Envio um Hilfe gebeten hat. Für Bender ist es offensichtlich, dass sich Envio an die MAK-Werte gehalten hat. Die bestimmen die höchstzulässige Konzentration eines Arbeitsstoffes als Gas, Dampf oder Schwebstoff in der Luft am Arbeitsplatz. Bender sitzt in der Kommission, die die MAK-Werte beschließt, die unter Toxikologen allerdings umstritten sind und als überholt gelten.
Für ihn ist die Kritik an dem Unternehmen vor allem eine politische. Die Arbeiter und Anwohner, sagt Bender, seien unnötig in Panik versetzt worden. Und tatsächlich: Die MAK-Werte wurden nicht überschritten. Allerdings steht fest: In den Fegestäuben fanden sich mehr als doppelt so hohe PCB-Konzentrationen als zulässig. Zudem beweist ein der Film über Envio, dass zumindest zeitweilig mit PCB-verseuchten Transformatorenölen offen umgegangen wurde, und Arbeiter ohne ausreichende Schutzkleidung mit dem gefährlichen Giftstoff hantierten. PCB wird nicht nur über die Atemluft sondern auch über Nahrungsmittel und die Haut aufgenommen. Der Film belegt, dass bei Envio mit PCB-verseuchtem Material äußerst nachlässig umgegangen wurde. Blutproben belegen zudem, dass Envio-Mitarbeiter nicht nur mit PCB verseucht wurden, sondern auch mit Dioxinen und Furanen – den hochgiftigen Geschwistern von PCB, für die deutlich niedrigere Grenzwerte gelten. Selbst die kleinste Menge gilt als hochgefährlich und krebserregend.
Bender sagt, er sei von Envio nicht für seine Stellungnahme bezahlt worden. Seine Arbeit sei aus wissenschaftlichem Interesse erfolgt. Er plant zu dem Thema Veröffentlichungen in Fachmagazinen und sei sich mit vielen bekannten Wissenschaftlern in der Beurteilung der Geschehnisse in Dortmund einig. Nur die würden sich nicht trauen an die Öffentlichkeit zu gehen. Ganz neutral und nur von Wissensdurst getrieben war die Arbeit Benders allerdings nicht: Wochen bevor Envio mit dem Bender-Gutachten an die Öffentlichkeit ging, trat Florian Weisker, Geschäftsführer der Düsseldorfer PR-Agentur vom Hoff auf den Plan. Weisker kontaktierte ausgewählte Journalisten und bot ihnen Gespräche mit Professor Bender an. Wie dieser arbeitete auch Weisker pro bono. Seine Agentur, sagte er, hätte mit Envio nichts zu tun. Allerdings sei man in der vom NRW-Wirtschaftsministerium initiierten Kampagne „Allianz Pro Industrie und Nachhaltigkeit“ engagiert. Und es gehe bei Envio doch auch um den Standort NRW.
Um den geht es dem zweiten Entlastungsgutachter, dem Beratungsbüro Katzenbach nicht. Es wurde direkt von den Anwälten des Envio-Chefs Dr. Dirk Neupert in Auftrag gegeben. Das Ergebnis dieser Stellungnahme: „… die ausgewerteten Daten (können) nicht als Beleg dafür herangezogen werden, dass bei der Envio Recycling GmbH & Co KG ein irregulärer oder genehmigungswidriger Betrieb stattgefunden hat.“
Dafür gibt es allerdings zahlreiche weitere Beweise: Zeugenaussagen über unsachgemäße Behandlung von Kondensatoren, Filme und vor allem die mit Dioxinen und Furanen belasteten Mitarbeiter des Unternehmens werfen einen Verdacht auf das Unternehmen, der sich nicht mit einer geschickten Pressearbeit aus dem Weg räumen lässt.
Mittlerweile hat der Druck auf Envio zugenommen. Die Stadt Dortmund will den Betrieb endgültig schließen. Und der Dortmunder Rat hat am vergangenen Donnerstag nahezu einstimmig eine Resolution verfasst, die das Land Nordrhein-Westfalen auffordert, den Fall der Staatsanwaltschaft Dortmund zu entziehen. Die ermittelt gegen die Envio-Spitze wegen gefährlicher Körperverletzung und Verstößen gegen Umweltgesetze und führte gestern eine große Razzia durch. Dabei half sie der Steuerfahndung. Die Envio-Chefs haben also ein neues Problem.
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