Bergbau: Der letzte Protest?

Die EU will, dass Deutschland vor 2018 aus der Steinkohlesubventionierung aussteigt? Drohen jetzt Massenendlassungen und höhere Staatsverschuldung?
In der Innenstadt Brüssels liegt der Boulevard Jamar ganz in der Nähe des Hauptbahnhofs. Zur Avenue Stalingradiaan ist es nur ein Katzensprung, und auch der Boulevard de l ´Europe ist nicht weit entfernt. Heute werden sich hier vielleicht zum letzten Mal deutsche Bergleute gegen das Ende des Bergbaus auflehnen.  Die IG BCE wird sie von den letzten Zechen des Landes zum Sitz der EU-Kommission karren. Das Ziel des Protestes ist bescheiden: Es geht nicht mehr um den Fortbestand des Steinkohlenbergbaus. Das Ziel der Bergbaugewerkschaft ist es nur noch, dass der Kohleausstieg wie mit der Bundesregierung, der RAG und dem Land Nordrhein-Westfalen 2007 ausgemacht verlaufen wird. Spätestens 2018 ist demnach Schicht im Schacht, sollen die dann noch verblieben drei Zechen in Marl, Ibbenbühren und Bottrop endgültig schließen.
Bis 2018 hätte die RAG-Stiftung auch noch Zeit, Evonik zu verkaufen oder an die Börse zu bringen. 10 Milliarden Euro will die Stiftung so bis 2018 erwirtschaften. 2,4 Milliarden wurden schon durch den Verkauf von 25,1 Prozent der Evonik-Anteile an den Investor CVC Capital Partners erzielt. Mit diesem Kapitalstock will sich die RAG-Stiftung einer Aufgabe stellen, die Jahrtausende weitergehen wird: Die Bewältigung der Ewigkeitskosten des deutschen Bergbaus. Für alle Zeiten müssen beispielsweise Pumpen laufen, damit das Ruhrgebiet nicht zu großen Teilen in einem See versinkt. Städte wie Gelsenkirchen, Bottrop oder Herne liegen durch die Bergsenkung tief unterhalb des Grundwasserspiegels. Und auch nach Ende des Bergbaus werden immer noch Häuser durch Bodensenkungen und Tagesbrüche beschädigt werden. Ewigkeitskosten – das Wort hat nichts symbolisches, sondern beschreibt eine finanzielle Belastung für alle Zeit.
Das Problem: Die Europäische Kommission hat diesen Vertrag nicht genehmigt. Die darin enthaltenen Bergbausubventionen bis in das Jahr 2018 verstoßen gegen europäisches Recht. Berlin, Düsseldorf und Brüssel streiten nun seit Wochen über einen Ausstiegskompromiss. In einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle, der der Welt am Sonntag vorliegt, hat der Vorsitzende der RAG-Stiftung, Wilhelm Bonse-Geuking, zwei Szenarien für einen früheren Ausstieg aus der Kohlesubventionierung präsentiert. Die von Bonse-Geuking als „Worst-Case- Szenario“ bezeichnete Entwicklung ist mittlerweile vom Tisch.  Danach wäre das Aus für den Kohlebergbau bereits 2011 gekommen. Die RAG-Stiftung wäre pleite gewesen.
Mittlerweile fordert die EU-Kommission das Ende der Bergbausubventionen in Deutschland für das Jahr 2014.  Ende  Juli haben sich die Brüsseler Kommissare in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf diesen frühen Ausstiegstermin festgelegt – zur Überraschung auch der Bundesregierung. Seit dem herrscht bei den Bergleuten Angst vor dem Job-Verlust und in der Politik große Verhandlungshektik.
Auch das würde die RAG-Stiftung vor Probleme stellen. Auf Anfrage der Welt am Sonntag sieht die Landesregierung auf das Ruhrgebiet Probleme zukommen: „Eine vorzeitige Stilllegung des Steinkohlenbergbaus hätte zwangsläufig mehrere tausend betriebsbedingte Kündigungen im Steinkohlenbergbau selbst und im Verflechtungsbereich zur Folge.“ Hinzu kommt, dass die öffentliche Hand bei der Finanzierung der Ewigkeitskosten einspringen müsste. 10 Milliarden müssen  mindestens zusammen kommen – was die Stiftung nicht erwirtschaftet, zahlt der Steuerzahler.
Probleme sieht die RAG-Stiftung bei einem früheren Ausstieg aus der Kohlesubventionierung vor allem bei der Bildung der Rücklagen zur Finanzierung der Ewigkeitskosten: „ Die RAG-Stiftung hätte vier Jahre weniger Zeit, ihren Kapitalstock aufzubauen und müsste gegenüber dem bisherigen Planungsstand entsprechend früher für die Finanzierung der Ewigkeitslasten aufkommen.“
Wie wahrscheinlich das ist, dazu will man sich bei der in Essen ansässigen Stiftung nicht äußern. Klar ist aber: wenn das Geld nicht reicht, wird der Steuerzahler für die Ewigkeitskosten aufkommen müssen. Hierzu wird es nach Meinung von Dr. Rainer Kambeck ohnehin kommen. Kambeck ist Leiter des Kompetenzbereichs „Öffentliche Finanzen“ beim RWI Essen. Das renommierte Wirtschaftsforschungsinstitut steht traditionell der Subventionierung des Bergbaus kritisch gegenüber. Kambeck sieht – im Gegensatz zum Land und zur RAG-Stiftung – auch keine Katastrophe in einem früheren Ausstieg aus den Kohlesubventionen. „2014 wird es im Saarland kein Bergwerk mehr geben, und in Nordrhein-Westfalen werden es nur noch drei sein.“ Gut 15.000 Bergbaubeschäftigte gäbe es dann noch. Heute sind es gut 20.000.
Und von denen, so das Credo aller nordrhein-westfälischen Landespolitiker seit Jahrzehnten, darf auf keinen Fall auch nur ein einziger entlassen werden. Was Mitarbeitern von Opel, ThyssenKrupp, Nokia oder einem mittelständischen Handwerksunternehmen zuzumuten ist, gilt nicht für Bergleute.
Rainer Kambeck ist sich sicher, dass die Politik ihr großzügiges Versprechen gegenüber den Bergleuten auch halten kann, wenn die subventionierte Steinkohlenförderung schon 2014 beendet werden muss. „Denn von den für die Jahre 2015 bis 2019 vorgesehenen Subventionen von über 5 Milliarden könnte dann ein erheblicher Teil für eine direkte Unterstützung der Bergleute eingesetzt werden. „Das kann die EU nicht untersagen.“
Die Bergleute könnten sogar weiter auf den Zechen beschäftigt werden. Zwar nicht im Kohleabbau,  aber bei dem Abriss der Anlagen oder der Renaturierung der Flächen.
Und auch um den Kapitalstock der Stiftung macht sich Kambeck wenig Sorgen. „Evonik kann auch bis 2014 verkauft werden. Das ist zwar anspruchsvoll, aber machbar. Zudem braucht man auch nicht gleich den kompletten Verkaufserlös schon im Jahr 2015. Der Zeitplan zum Aufbau des Kapitalstocks müsste also nicht komplett geändert werden.“
Von der Idee, Evonik als Konzern an die Börse zu bringen, war das RWI allerdings nie angetan. RWI Präsident Christoph M. Schmidt hatte dies 2006 und 2007 mehrfach deutlich gemacht. Schmidt plädierte dafür, die drei Konzernbestandteile einzeln zu veräußern.
Nicht nur Schmidt wunderte sich über die angeblichen Vorteile, die ein Konzern besitzen sollte, der aus einem Chemieunternehmen, einer Wohnungsbaugesellschaft und dem Kraftwerksbetreiber STEAG bestehen sollte.  Das Konzept wurde außerhalb der Politik stark kritisiert.
Für den Bereich Spezialchemie, die frühere Degussa, lag sogar ein Angebot vor: Vier bis sechs Milliarden Euro wollte Lanxess Vorstandschef Axel Heitmann 2007 für das Unternehmen zahlen und so einen großen, nordrhein-westfälischen Chemiekonzern schaffen. Er scheiterte an Rüttgers und dem damaligen Evonik-Chef und ehemaligen Wirtschaftsministers Werner Müller. Ansonsten Kontrahenten, waren sich beide in dieser Frage einig. Müller träumte davon, Vorstandsvorsitzender eines DAX-notierten Konzerns zu werden. Das wollte Rüttgers zwar mit aller Macht verhindern, aber um die Gewerkschaften hinter sich zu bringen,  war auch er gegen eine Zerschlagung des Konzerns. Ihre Zustimmung war nötig, um den Kohleausstieg im Konsens und ohne massive Proteste über die Bühne zu bringen. Mittlerweile taruert man auch in der Landesregierung über die vertane Chance: „Mit dem Lanxess-Angebot waeren wir besser gefahren. Heute würde die Politik wohl anders entscheiden und auf Nummer sicher gehen“, so ein Minister, der seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen möchte.
Glaubt man den kursierenden Gerüchten, ist ein Kompromiss das wahrscheinlichste Ergebnis: Ende der Kohlesubventionen im Jahr 2016. Ein Ergebnis, mit dem alle werden leben können. Und bei dem niemand das Gesicht verliert.

Der Artikel erschien bereits in der Welt am Sonntag

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Ruhrgebiet: Kein Interesse an Kreativen

Nordrhein-Westfalen wird schrumpfen – vor allem das Ruhrgebiet und das Sauerland sind vom demographischen Wandel betroffen. Abriss und neue Nutzungsmodelle stehen in der Diskussion.

Bruckhausen hat keine Chance mehr: Über ein Drittel der Wohnungen steht leer. Die Substanz der Gebäude ist schlecht, die Nähe zu den verbliebenen Duisburger Stahlwerken sorgt für immense Umweltbelastungen. Ein Hauch von Schwefel liegt immer in der Luft. In Bruckhausen sollen 200 Häuser abgerissen werden. Es gibt viele Bruckhausens im Ruhrgebiet, und der Abriss ganzer Quartiere wird zu einer Zukunftsaufgabe der Region. Auch die vom Frankfurter Architekturbüro Albert Speer & Partner (AS&P) veröffentlichte Projektskizze Ruhrplan 21 sieht dazu an vielen Stellen keine Alternative. Aber ist Abriss wirklich das letzte verbleibende Mittel? Dr. Michael Denkel von AS&P sieht noch eine weitere Möglichkeit: Die Neu- und Zwischennutzung von leer stehenden Gebäuden. Die seien vor allem für die Kreativwirtschaft attraktiv: „Dass das  Ruhrgebiet noch über viele Flächen verfügt, die nicht durchoptimiert sind, ist eine Chance. Gerade Künstler und Gründer aus dem Bereich der Kreativwirtschaft nutzen solche Gebäude gerne. Sie sind ein wichtiger Raum für neue Ideen und Projekte. Hier können sich Menschen ausprobieren.“

Zwar warnt Denkel davor, dass das Ruhrgebiet zu große Hoffnungen mit der Kreativwirtschaft verbindet, aber als Branche sei sie durchaus präsent – auch wenn von ihr nicht der entscheidende Impuls zur wirtschaftlichen Erneuerung ausgehen wird.

Wichtig sei, dass auch die Bereitstellungen von Gebäuden für Kreative konzentriert und nach Plan verläuft. Dann könnten, sagt Denkel, von solchen Zwischennutzungen Impulse für die Stadtentwicklung ausgehen.

Solche Impulse will Tino Buchholz setzen. Der Stadtentwickler hatte mit über 100 Künstlern im August die leer stehende Kronenbrauerei in Dortmund besetzt. Die Räumung erfolgte noch am selben Tag, aber seitdem ist man mit der Stadt im Gespräch. Man sucht scheinbar nach passenden Räumen für die Künstler. Es finden Gesprächsrunden zwischen der Initiative für ein Unabhängiges Zentrum und Kulturdezernent Jörg Stüdemann statt.

„Wir sind“, sagt Buchholz, „eine Chance für Dortmund. Wir wollen etwas bewegen, gründen und werden mit unserer Arbeit helfen, einen Teil der Stadt attraktiver zu machen.“ Ein altes Quartier attraktiver machen heißt in der Planersprache Gentrifizierung: Erst kommen die Künstler in die billigen Wohnungen und Werkstätten, dann die Szene-Kneipen  und Galerien und irgendwann steigen die Mieten, wird saniert und die Ursprungsbevölkerung muss das Viertel verlassen, weil es sich die Preise nicht mehr leisten kann. In Berlin war das so. Am Prenzlauer Berg, dem Musterbeispiel für Gentrifizierung in Deutschland sind 80 Prozent der Bewohner in den vergangenen 20 Jahren zugezogen. Der bestimmende Dialekt in dem herausgeputzten Bezirk in Berlin Mitte ist längst das Schwäbische.

Buchholz würde mit seiner Initiative gerne in die Dortmunder Nordstadt ziehen. In dem Problemstadtteil hat sich schon heute in Ansätzen eine Künstlerszene etabliert, der es vielfach an geeigneten Räumen fehlt. Viele, auch öffentliche Gebäude, stehen leer, obwohl es zahlreiche Interessenten für preiswerte Räume gibt. Die Initiative will solche Räume nutzen, die Betriebskosten tragen und eigenverantwortlich renovieren. Nach zehn Jahren, so der Plan, würde man gerne kaufen – zum Ursprungspreis. Buchholz: „Wir wissen, dass wir mit unserer Arbeit die Attraktivität eines Quartiers steigern und wollen am Ende nicht mit leeren Händen dastehen. Verdrängungsprozesse wie am Prenzlauer Berg befürchtet der Stadtentwickler nicht: „Das wird hier nie die Region die Kreative aus aller Welt anzieht. Außerdem wollen wir eng mit den jetzigen Bewohnern zusammen arbeiten.“

Trotz begonnener Verhandlungen besteht allerdings wenig Hoffung für Buchholz und seine Freunde. In einer den Ruhrbaronen vorliegenden Antwort auf eine Anfrage der CDU-Fraktion zur Zwischennutzung von öffentlichen Gebäuden durch Kulturinitiativen stellt Stüdemann fest:

„(…) aus liegenschaftlicher Sicht (kann) eine Nutzungsüberlassung von leer stehenden Infrastrukturimmobilien und bebauten Besitzungen des Allgemeinen Grundvermögens an Kulturinitiativen nicht empfohlen werden.“

Für Buchholz ist die Konsequenz klar: Finden sich keine Räume, werden er und viele andere Dortmund verlassen. Er hat schon eine Alternative: „Leipzig.“ Dort sind Zwischennutzungen üblich. Die sächsische Stadt hat längst eine große Anziehungskraft für junge Kreative, auf die man in Dortmund keinen Wert zu legen scheint.

Auch in Essen scheiterten Besetzer aus der Künstlerszene. Schon nach wenigen Tagen verließen sie freiwillig ein leer stehendes Gewerkschaftshaus am Rand der Innenstadt. Und auch in Köln steht es schlecht um die ebenfalls von vielen Künstlern seit April besetzte ehemalige Deutz-Kantine im Stadtteil Kalk. Das zur Sparkasse Köln-Bonn gehörende Immobilienunternehmen S RheinEstate GmbH will bald räumen lassen. Geschäftsführer Jürgen Lange: „Das Gebäude ist aus Sicherheitsgründen nicht als Veranstaltungszentrum zu nutzen. Die Stadt ist nicht bereit für die Umbaukosten aufzukommen, also bleibt uns kein anderer Ausweg als die Räumung – wenn die Besetzer nicht vorher die alte Kantine freiwillig verlassen.“

Geht es nach Michael Denkel von AS&P sollten sich allerdings auch Boomstädte wie Köln oder Düsseldorf Gedanken darüber machen, wie sie Freiräume für unkonventionelle Initiativen in ihren Städten sichern. „In Frankfurt haben wir solche Räume schon nicht mehr. Dort wird jetzt überlegt, junge Kreative in Offenbach anzusiedeln, damit sie in der Region bleiben.“ Frankfurt versucht sich damit zukünftige Potentiale  zu sichern – auch in Zusammenarbeit mit der ungeliebten Nachbarstadt mainaufwärts.

Im Ruhrgebiet ist man noch nicht so weit. Auch wenn der für Kreativwirtschaft zuständige Kulturhauptstadtdirektor Dieter Gorny die Essener und Dortmunder Kunstbesetzer für ihren Tatendrang lobte und ihnen öffentlich Unterstützung zusicherte, tut sich im Ruhrgebiet erst einmal wenig, junge Kreative zu halten. Man darf gespannt sein, wann aus dem Ruhrgebiet der Ruf nach staatlichen Geldern laut wird, sie ins Revier zurückzuholen.

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Jugendmedienschutz-Staatsvertrag: NRW wird zustimmen…

Marc Jan Eumann, Staatssekretär im Ministerium für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien Foto: Landtag NRW

Der neue Jugendmedienschutzstaatsvertrag will Kinder und Jugendliche auch im Internet vor Gewalt, Pornografie und Glückspiel schützen. Kritiker halten das Gesetzespaket für nicht praktikabel und fürchten einen Einstieg in die Zensur des Internet.

„Es geht um unsere Werte.“ Marc Jan Eumann, Staatssekretär im Ministerium für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien sitzt im zwölften Stock des Düsseldorfer Stadttores, gehört zu den Befürwortern der Novelle des Jugendmedienschutzstaatsvertrags. Wenn NRW ihm in Dezember zustimmen wird, tritt er bundesweit in Kraft.

Wenn alle Bundesländer ihm bis Ende Dezember zugestimmt haben, tritt er in Kraft. Ein Großteil der Bundesländer hat ihm bereits zugestimmt, doch ein Land würde ausreichen, um die Novelle zu kippen.

Die Werte, um die es Eumann geht, will er auch im Internet verteidigen. Eumann sorgt sich darüber, dass Kinder mit Pornografie, Nazi-Propaganda oder Gewalt konfrontiert werden. Er will sie vor solchen Einflüssen schützen – und ein Mittel dazu ist für ihn der Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV). Federführend von der Landesregierung Rheinland-Pfalz entworfen, regelt er, wie Jugendliche im Internet und im Fernsehen vor jugend- und entwicklungsgefährdenden Einflüssen geschützt werden können. Im Fernsehen ist das ganz einfach: Pornografie im Free-TV ist verboten, Filme für Jugendliche ab 16 Jahren dürfen erst ab 22.00 Uhr gesendet werden und müssen gekennzeichnet sein. Gewalt und Erotik findet im TV erst nach Einbruch der Dunkelheit statt.

Im Internet soll das künftig ähnlich sein. Alle in Deutschland tätigen Internetzugangsanbieter werden ab dem 1. Januar ihren Kunden kostenlos eine Software anbieten, mit der nur noch Internetseiten aufgerufen werden können, die sich selbst nach Altersklassen eingeteilt haben. Wie bei der freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft wird es Internetinhalte wie die Internetseite der „Sendung mit der Maus“ geben, die rund um die Uhr mit dieser Software angesteuert werden können. Es wird aber auch Seiten geben, die die Software erst am späten Abend frei gibt. Internetseiten, die sich nicht klassifizieren lassen wollen werden von den Programmen ignoriert und sind nicht mehr anzusteuern.  Die Installation der Software ist freiwillig. Das unter Umständen Eltern aus Problemhaushalten sie häufig nicht aufspielen werden, dass findige Teenager Wege finden werden sie zu umgehen, weiß Eumann: „Es kann doch nicht sein, dass wir vor der Aufgabe, unsere Kinder vor gefährlichen Inhalten zu schützen, kapitulieren, nur weil es im Zeitalter digitaler Medien komplizierter geworden ist.“ Für ihn ist der jetzige JMStV ohnehin nur ein erster Schritt. Die Bundesländer haben beschlossen, ihn innerhalb der nächsten drei Jahre zu überprüfen und dann ein Nachfolgegesetz auf den Weg zu bringen. Jürgen Rüttgers hat als nur noch geschäftsführender Ministerpräsident nach der verlorenen Landtagswahl noch als Ministerpräsident den Staatsvertrag unterschrieben. Die SPD hatte das den JMStV im Wahlkampf kritisiert und versucht, bei der Internetgemeinde zu punkten. Die zwei Prozent für die Piratenpartei bei der Bundestagswahl und der Ärger wegen der Zustimmung zu von der Leyens Netzsperren saßen den Genossen in den Knochen. Eumann hält das Wahlversprechen für gehalten: „Was wir an dem JMStV zu kritisieren hatten, wurde geändert. Ich halte den Staatsvertrag für nicht perfekt, aber er ist besser als der bestehende. Er wird jetzt im Parlament diskutiert, es wird eine Anhörung geben, und wenn es eine Mehrheit gibt, kann er am 1. Januar in Kraft treten.”

Doch auch in der SPD gibt es noch Kritik am JMStV, so haben die Jusos beispielsweise den JMStV abgelehnt. Dort sieht man die Kritikpunkte am JMStV, die vor allem Echtzeitkommunikation wie Facebook, Twitter aber auch Blogs, Foren und Gästebücher betreffen, noch nicht als ausgeräumt und befürchtet einen Bruch des Wahlprogrammes durch die Mutterpartei, was der Piratenpartei gerade im Bereich der jüngeren Wähler zugute kommen würde.

Matthias Bolte, in der Landtagsfraktion der Grünen zuständig für Netzpolitik, hält den Staatsvertrag für stark verbesserungswürdig. Aber auch er spricht sich für eine Zustimmung aus: „Rüttgers hat den Vertrag unterschrieben, wir werden ihn jetzt beraten und nehmen die Beratungen als Auftakt für seine Reform in drei Jahren – aber ich sehe nicht, dass wir nicht zustimmen werden. Schon formaljuristische Gründe sprechen gegen eine Ablehnung – es muss Vertrauen bei vom Land geschlossenen Verträgen geben.“

Mit dieser Argumentation könnte jedoch auch eine neue rot-grüne Bundesregierung die Laufzeitenverlängerung der Atomkraftwerke rechtfertigen.

Bolte will auf die Netzgemeinde zugehen und gemeinsam nach Kompromissen im Bereich des Jugendschutzes suchen. Ein kompliziertes Feld: „Der Anspruch nach effektivem Schutz von Kindern und Jugendlichen und Wunsch nach möglichst viel Freiheit im Internet werden schwer zusammen zu bringen sein.“

Markus Beckedahl, der Netzaktivist und Betreiber des Blogs Netzpolitik.org würde gerne in einen Dialog mit der Politik treten. Bei den Diskussionen um den JMStV hat er von der Dialogbereitschaft der Politik nicht viel gemerkt: „Wir hatten sogar Schwierigkeiten, Beobachter in die eigentlich offenen Konsultationssitzungen zu schicken. Dort wurde nur mit den üblichen Lobbygruppen gesprochen.“

Ihn stört nicht nur, dass auch der wohl bald gültige JMStV Netzsperren nicht kategorisch ausschließt, sondern sich an das alte Rundfunkrecht anlehnt: „Wie sollen die Betreiber von hochdynamischen Seiten wie Facebook, in denen die Benutzer die Inhalte bestimmen, wissen, was gerade zu sehen ist?“ Schon ein freizügiges Video von Popstar Lady Gaga könnte zu Problemen führen, wenn es um eine Uhrzeit zu sehen wäre, in der Kinder vor dem Rechner sitzen. Für Beckedahl wirft das Gesetz mehr Fragen auf, als es beantwortet: Wird es kostenpflichtige Abmahnungen in Fällen falscher Einordnung geben? Wie teuer wird die Zertifizierung, und könnte sie nicht das Aus für kleine Blogs bedeuten, denen die Kosten und die Mühen zu groß sind? Und was kommt, wenn die Freiwilligkeit nicht erfolgreich ist – Netzsperren für weite Teile des Internets? Markus Beckedahl hält den Ansatz des Gesetzes für falsch und unrealistisch. Kinder wurden schon immer mit Dingen konfrontiert, die auf sie verstörend wirken konnten. „Die Heile-Welt-Schaffung ist nicht möglich. Man muss die Kinder stark machen und auf die Welt mit all ihren Problemen gut vorbereiten. Es geht um Medienkompetenz und darum, dass Eltern ihre Kinder mit der Technik nicht alleine lassen, sondern sich um sie kümmern.“

Bei der ersten Diskussion des JMStV im nordrhein-westfälischen Landtag in der vergangenen Woche wurde das Vertragswerk an den zuständigen Ausschuss verwiesen. Doch schon vor Beginn der Beratungen steht fest: NRW wird zustimmen.

Mitarbeit: Jens Matheuszik, Pottblog

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