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PCB: Hätte die Envio-Verseuchung verhindert werden können?

Die Verseuchung zahlreicher Mitarbeiter des Dortmunder PCB-Entsorgungsunternehmens Envio hätte möglicherweise verhindert werden können. Schon im September 2008 wurde die Stadt Dortmund durch einen anonymen Brief über die illegalen Aktivitäten des Unternehmens informiert. Statt die Polizei zu informieren, wurde eine Kopie dieses Briefes Envio übergeben.

Das Schreiben, dass uns vorliegt, ging am 11. September 2008 beim Umweltamt der Stadt ein. Es schildert ausführlich und detailliert die Zustände auf dem Betriebsgelände von Envio:  Es weist auf den rücksichtslosen Umgang mit PCB-verseuchten Transformatoren hin, schildert, dass nicht genehmigte Reinigungsverfahren verwendet werden und weist auf die Verseuchung des Geländes mit PCB und deren Konsequenzen hin: „Die (ehemaligen) Mitarbeiter laufen ein erhöhtes Risiko auf Gesundheitsschaden. Der Standort ist nicht nur im Schwarzbereich verunreinigt.“ Eigentlich ist nur im so genannten Schwarzbereich auf dem Betriebsgelände der Umgang mit den PCB-verseuchten Transformatoren gestattet.

Auch auf weitere illegale Aktivitäten von Envio gibt es deutliche Hinweise: „Die PCB verunreinigten Gehäuse werden als sauberer Metallschrott verkauft. Der Schrotthändler, der dieses Material kauft, wird über die Gefahr nicht unterrichtet. Auch das Kupfer und die Bleche werden verkauft mit zu hohen PCB-Werten, die Käufer werden hierüber nicht informiert.“

Viele der in dem Schreiben erhobenen Vorwürfe haben sich mittlerweile bestätigt. Envio ist die Verarbeitung von PCB-belasteten Transformatoren mittlerweile untersagt worden. Das Unternehmen ist geschlossen und hat erste Mitarbeiter entlassen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen vorsätzlicher Luft- und Bodenverunreinigung in einem besonders schweren Fall sowie gefährlicher Körperverletzung gegen die Verantwortlichen des Unternehmens. Die Bezirksregierung Arnsberg hat Strafanzeige wegen Verstößen gegen das Chemikaliengesetz und die Gefahrstoffverordnung gestellt.

Doch im September 2008 geschah nach dem Eingang des anonymen Schreibens nahezu nichts. Die Stadt Dortmund leitete den Brief an die Bezirksregierung weiter. Dort kam er am 12. September an. Am 22. September kam es zu einer ohnehin geplanten und angekündigten Kontrolle der Bezirksregierung bei Envio. Bei dieser Kontrolle wurden zwar Mängel festgestellt, aber eine Stilllegungsanordnung wurde nicht getroffen. Die Vorwürfe aus dem anonymen Schreiben wurden laut vorliegenden Akten der Bezirksregierung „erörtert“. Danach wurde Envio eine Kopie des Briefes ausgehändigt.

Obwohl die Vorwürfe schwer und detailliert waren, haben weder die Stadt Dortmund noch die Bezirksregierung schnell gehandelt. Und obwohl in dem Schreiben erhebliche Straftatbestände geschildert wurden, hielt keine der Behörden es für notwendig, die Polizei einzuschalten oder durch eine unangemeldete Kontrolle den Vorwürfen nachzugehen.

Für die Bezirksregierung Arnsberg ergaben sich durch das anonyme Schreiben  auch aus heutiger Sicht „keine Hinweise auf einen akuten Handlungsbedarf bzw. Gefahr im Verzuge“, erklärt sie auf Anfrage. Bei der Stadt Dortmund beurteilt man das eigene Handeln heute selbstkritischer: „ Das Vorgehen (kann)aus heutiger Sicht und mit dem heutigen Wissen vielleicht mit „zu wenig“ bewertet werden. Aus damaliger Sicht (…) stand Envio nicht vorrangig im Fokus.“

Das blieb trotz des Briefes noch lange so. Zwar wurden seit 2006 in der Nähe des Envio-Unternehmenssitzes am Dortmunder Hafen erhöhte PCB-Werte gemessen, aber nach einem Sachstandsbericht der Stadt Dortmund und der Bezirksregierung stand bis Anfang 2010 Envio nicht im Zentrum der Ermittlungen: „Die Zahl der möglichen Emittenten kann eingeschränkt werden, eine eindeutige Eingrenzung ist aber nicht möglich.“

Dokumente, die uns vorliegen, ziehen diese Betrachtungsweise in Zweifel. Messungen des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV), die von Juni bis September vergangenen Jahres vorgenommen wurden, zeigen, dass zwar zu dieser Zeit acht Betriebe als mögliche Verursacher der PCB-Verschmutzung ausgemacht worden waren, aber kein Betrieb von so vielen Messpunkten umzingelt war wie Envio. Unangemeldete Kontrollen fanden trotzdem erst im Frühjahr 2010 statt.

Auch das Umweltministerium, damals noch unter der Leitung des heutigen Landtagspräsidenten Eckhard Uhlenberg (CDU), wurde nicht informiert. Von dem anonymen Schreiben erfuhr Düsseldorf erst am 9. Juli – fast zwei Jahre nach Eingang. Mit dem Ablauf des Verfahrens ist das Ministerium nicht zufrieden. Die Vorgänge rund um Envio werden geprüft. Eine fachaufsichtliche Projektgruppe durchleuchtet nun die Behördenvorgänge. Am Fall Envio soll auch die Behördenstruktur- und Organisation überprüft werden. Für Verbesserungen scheint es Raum zu geben.

Envio kämpft indes mit den Folgen des Skandals. Schon Ende Juni wurde der Name einer Tochterfirma geändert: Aus Envio-Gas wurde Bebra-Gas. Eine Befragung habe ergeben, teilt Unternehmenssprecherin Claudia Weirich mit, dass Kunden die Biogasanlage vorwiegend mit Bebra assoziieren: „Envio wurde dagegen hauptsächlich mit Transformatoren und PCB-Entsorgung verbunden und nicht mit dem Bau von Biogasanlagen.“ Und mit PCB möchte man wohl den Geschäftszweig Biogasanlagen nicht verbunden sehen.

Das Unternehmen versucht auch, gegen die von der Stadt Dortmund erlassene Gewerbeuntersagung vorzugehen. In einem Brief der von Envio beauftragen Anwaltskanzlei Büge, Tünnesen-Harmes an die Stadt wird die Rechtmäßigkeit der Untersagung angezweifelt. Die Stadt, schreiben die Juristen, hätte noch immer kein Ermittlungsergebnis zum Verschulden Envios vorgelegt, das eine Gewerbeuntersagung rechtfertigen würde.  Die Stadt sieht das anders: Sie will Envio endgültig verbieten, in Dortmund tätig zu sein.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form auch in der Welt am Sonntag

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Mietpreise im Revier: Hier bleibt es billig – hier will keiner hin

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In Deutschland steigen die Mieten. In ganz Deutschland? Nein, in den Regionen ohne Zukunft nicht. Im Ruhrgebiet wird es immer billiger und leerer.

Nennen wir ihn mal Michael. Michael hat einen Job in Bochum und ein paar Jahre in Bochum gewohnt. Nun ist er weg. Den Job hat er noch, aber er wohnt lieber in Köln. Zur Arbeit nach Bochum pendelt er ein. In Köln, sagt er, sei es netter. Man müsste weniger fahren um Freunde zu treffen, alles wäre kompakter und unkomplizierter. Und  natürlich ist Köln auch sonst eine geile Stadt.

Und natürlich verlassen ganz viele das Ruhrgebiet, weil sie hier keine Jobs finden.

Das so viele das Ruhrgebiet verlassen, hat natürlich auch seine angenehmen Seiten. In vielen Teilen Deutschlands steigen die Mieten. Nicht im Ruhrgebiet. Überall wird  über Gentrifizierung und ihre Auswirkungen gestritten. Im Ruhrgebiet wird diese Diskussion eher simuliert. Klar, in Essen-Rüttenscheid, in Bochumer Ehrenfeld oder in Dortmunder Kreuzviertel braucht man ein paar Monate um eine Wohnung zu finden. Vier Zimmer ist sowieso schwierig. Aber das war es dann schon. Denn, nur einen Steinwurf entfernt gibt es Leerstände und nichts deutet darauf hin, dass sich daran was in absehbarer Zeit ändert. Im Gegenteil. Noch nicht einmal die billigen Mieten sorgen dafür, dass Leute hier hinziehen.

Neu gebaut wird sowieso relativ selten. Renoviert auch nicht. Es lohnt sich ja auch kaum.

Mit intelligenten Zwischennutzungskonzepten könnten wir die Wegzüge von ein paar Künstlern  vielleicht verzögern. Vielleicht bleiben auch ein paar dauerhaft hier. Aber nicht einmal diese intelligenten Zwischennutzungskonzepte für leerstehende Immobilien gibt es. Das Ruhrgebiet ergibt sich einmal mehr seinem Schicksal, zeigt natürlich keine Initiative und wartet darauf, dass die Hilfe von Aussen kommt. Genügsam schauen wir uns an, wie eine Region mit fünf Millionen Menschen zum Vorort von Düsseldorf und Köln wird. Ein Mega-Ratingen. Nur ärmer.

Es gibt schon gute Gründe, warum es hier so ist wie es ist.  Und der Grund sind wir.

Dazu der passende Soundtrack:

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