Vor knapp zwei Jahren beschloss Nokia, den Standort Bochum aufzugeben. Heute wurden Details für das Programm "Wachstum für Bochum" vorgestellt, an dem sich das Unternehmen notgedrungen beteiligt hat. Was als PR-Coup zur Imagekorrektur gedacht war wird dem Mobiltelefonhersteller kaum nutzen.
Nokia-Geschäftsführer Bültmann neben NRW Wirtschaftminsterin Christa Thoben
Dr. Michael Bültmann wirkt sympathisch. Der Mann hat sich trotz seines schütteren Haars einen fast jugendlichen Charme bewahrt und tritt bescheiden, ja fast zurückhaltend auf. Als Geschäftsführer von Nokia Deutschland hat man wohl, wenn man in Bochum vor die Presse tritt, kaum eine andere Möglichkeit. Auch wenn man sich finanziell an einem Programm "Wachstum für Bochum" beteiligt hat und NRW-Wirtschaftsminsterin Christa Thoben Nokia lobt: "Selten hat sich ein Unternehmen so für einen ehemaligen Standort engagiert wie Nokia für Bochum." Thoben weiß, dass das nicht stimmt – und Bültmann weiß es auch.
Nokia war einmal wie Ikea. Eine Marke, der die Menschen vertrauten, mit Produkten, die sie gerne und oft nutzten. Die Deutschen liebten Nokia – sie kauften mehr Handys von dem finnischen Hersteller als von Siemens. Die Marke, die von sich gerne behauptete, zur Familie zu gehören, genoss im eigenen Land keinen sonderlichen Heimvorteil. Und dann kam der 15. Januar 2008: Nokia gab überraschend bekannt, den profitablen Standort Bochum zu schließen und bald ein neues Werk in Rumänien zu eröffnen. Die Nachricht platzte mitten in den gefühlt stärksten Aufschwung seit den 80er Jahren. Nokia war der Spielverderber, der hässliche Konzern, der keine Verantwortung kannte, der Gierhals ohne Rücksicht. Nokia war ein erstes Vorbeben der Krise. Kalt und zynisch präsentierte sich die Unternehmensspitze.
Was die eigenen Mitarbeiter dachten, was die Politik und was die Öffentlichkeit, war Nokia-Chef Olli-Pekka Kallasvuo offensichtlich egal. Protestierende Arbeitnehmer wurden von dem Unternehmen sogar bedroht.
Nokias Verhalten blieb nicht folgenlos: Es gab Boykottaufrufe, Proteste, das Image des Unternehmens sackte in den Keller und Christa Thoben drohte Nokia, auf die Rückzahlung von 41 Millionen Euro Subventionen zu bestehen. Nokia war jetzt in den Augen der Öffentlichkeit so etwas wie ein asozialer Krimineller. Und bei so jemand kauft man ungern ein, vor allem, wenn man es nicht muss. Nokia verlor Marktanteile – in Deutschland stärker als anderswo.
In Hintergrundgesprächen mit dem Land und der Stadt Bochum beschwerte sich das Unternehmen später darüber, wie rüde mit ihm in der Öffentlichkeit damals umgegangen worden sei. Die Angesprochenen quittierten den Vorwurf mit einem Schulterzucken.
Der Druck der Öffentlichkeit zeigte Wirkung: Nokia beschloss, seine Kommunikation zu ändern. Kallasvuo entschuldigte sich auf der Bilanzpressekonferenz Ende Januar 2007 für sein Auftreten und versprach innovative Lösungen für die Region, um die Folgen der Standortschließung abzumildern. Und jetzt, knapp zwei Jahre später, sitzt Bültmann neben der Ministerin, dem Chef der IHK Tillmann Neinhaus und Bochums OB Ottilie Scholz im holzvertäfelten, kleinen Sitzungssaal des Bochumer Rathauses. Jeder im Raum weiß, dass von den knapp über 30 Millionen, mit denen sich das Unternehmen an "Wachstum für Bochum" beteiligt, 20 aus nicht berechtig bezogenen Subventionen bestehen, mit denen sich Nokia beim Land freikaufte. Etwas über zehn Millionen, das Geld stammt aus dem Verkauf des ehemaligen Nokia-Geländes in Bochum-Riemke, sollen nun den Imageschaden des Unternehmens in Grenzen halten.
Bültmann versucht sein Bestes: "Wir haben gemeinsam mit der TU Dortmund ein erfolgreiches Ferienprojekt mit Kindern aus bildungsfernen Schichten organisiert." Auf Nachfrage erklärt Bültmann, es sei ein einmaliges Projekt gewesen. So funktioniert PR, wenn sie nicht funktioniert. Aber auch neue Jobs seien doch auch entstanden, räumt er ein. Ja, alleine fast 200 seiner ehemaligen Nokia-Ingenieure entwickeln heute im Süden Bochums Blackberrys. Ob das Unternehmen angesichts seiner Probleme im Smartphonebereich diese Ingenieure heute nicht dringend benötigt? Nein, erklärt Bültmann, sie hätten genug Entwicklungskapazitäten und überhaupt, es seien ja nur einige ehemalige Mitarbeiter zu "einer anderen Firma gegangen". Naja, das stimmt so ganz nicht – es war fast eine komplette Entwicklungsabteilung, die nun für die Nokia-Konkurrenz arbeitet – und das auch noch erfolgreich.
Aber es ist für Nokia egal, was heute in Bochum vorgestellt wurde – ein Paket von über 100 Millionen, vor allem öffentlichen, Investitionen für Startups und Forschungprojekte. Nokia hätte sich seine zehn Millionen sparen können – sie nutzen dem Unternehmen nichts mehr. Heute ist es Bültmann selbst, dessen Job nicht mehr sicher ist. Nokia verliert an Bedeutung, nicht mehr wegen Bochum, sondern wegen seiner Produkte: RIM und Apple nehmen Nokia seit Jahren immer größere Marktanteile im markenstarken Segment der Smartphones ab. Nokia schreibt rote Zahlen. In der aktuellen Wirtschaftswoche erklärte Nokia-Vorstandsmitglied Anssi Vanjoki, dass Nokia sich neu erfinden müsse und man vielleicht eines Tages gar keine Handys mehr selbst bauen werde.
Die Zukunft, so machte er deutlich, läge für das Unternehmen ohnehin darin, Anbieter von Internet-Lösungen zu werden. Auch wenn Vanjoki seine Aussagen sofort relativierte – der Weg des Unternehmens scheint klar. Und Vanjoki hat ihn in den vergangen Jahren wohl mehr bestimmt als der jetzige Vorstandsvorsitzende Olli-Pekka Kallasvuo, dem ehemalige Nokia-Mitarbeiter bescheinigen, vom Telefongeschäft nie allzu viel verstanden zu haben. Vanjoki war wohl entscheidend mitverantwortlich für das Aus des Standortes Bochum und für die Schließung weiterer Nokia-Entwicklungscenter. Heute hat Nokia wahrscheinlich kaum noch die Ingenieurskapazitäten, um Apple und RIM mit neuen Produkten zu schlagen.
Nokia Handys sind heute Billighandys, Teenager in der U-Bahn benutzen sie noch, in den Schwellenländern sind sie beliebt. Aber das war es dann auch schon. Spitzenprodukte? Innovationen? Geräte mit einem Wow-Effekt? Fehlanzeige. Nokia Handys begeistern die Menschen genau so wenig wie es die finnische Küche tut. Und die tollen Internetstrategie von Vanjoki? Sie hat den Namen Ovi und ist kaum mehr als ein Sammelsurium von Online-Diensten: Fotos, Videos, Musik, Navigation – alles was Nokia kann, können andere besser – und oft auch noch preiswerter. Sieht so aus, als ob wir bald wieder Gummistiefel mit dem Nokia-Logo sehen. Fast kann einem Bültmann leid tun.