Die Leser flüchten, die Anzeigenumsätze brechen ein, und es gibt kein tragfähiges Geschäftsmodell der Verlage im Internet. Eine Konsequenz ist das Sterben der Lokalteile. Es hat gerade erst begonnen.
Rathaus in Recklinghausen
Lokaljournalismus ist ein mühsames Geschäft – jeder, der einmal in einer Rats- oder Ausschussitzung war, kann das bestätigen. Wer schon glaubt Bundestagsdebatten seien langweilig und die Redner ohne Esprit, sollte sich einmal dieses zweifelhafte Vergnügen gönnen. Wenn es mies läuft, fangen die Ratsmitglieder schon an, sich bei der Genehmigung der Tagesordnung zu beharken. Wenn es gut läuft, arbeiteten sie sich durch eine lange Liste von Anträgen und Vorlagen durch. Nur selten wird dann kontrovers diskutiert, und das meist auf rethorisch niedrigem Niveau. Konfliktgründe sind meist kleinere Unstimmigkeiten, die vor allem in Wahlkampfzeiten künstlich zu Konflikten aufgeladen werden. Im Normalfall herrscht Einigkeit: Nahezu 90 Prozent der Vorlagen, die von der Verwaltung erstellt werden, gehen einstimmig durch. Die Zustimmung des Rates oder des betreffenden Aussschusses – beispielsweiese bei der Genehmigung von Garagen – ist eigentlich eine Formsache.
Solche Sitzungen dauern lange. In Städten wie Marl, die einen Rat hat, in dem sich die Fraktionen regelmäßig aus nichtigen Anlässen an die Kehle gehen, kann dies länger als vier oder fünf Stunden dauern.
Ohne dafür bezahlt zu werden würde ich nie eine solche Sitzung besuchen, und ich kenne auch niemanden, der das tun würde. Die Einzigen, die das machen, sind Lokaljournalisten. Es ist ihr Job. Klar, zu der Ratssitzung, auf der die einschneidenden Sparmaßnahmen beschlossen werden, Koalitionskrisen offensichtlich und Dezernenten gestürzt werden, würde ich gehen – und wahrscheinlich auch andere Blogger. In die langweilige Standardsitzung nie.
Nur: in der muss man über Jahre gewesen sein, um zu verstehen, was in einem Rat passiert, um die Konfliktlinien zu erkennen und die handelnden Personen einzuschätzen. Sterben die Lokalteile, findet sich für sie kein Geschäftsmodell, das es erlaubt, Journalisten in diese Sitzungen zu schicken wird es mit der Transparenz in der Lokalpolitik zu Ende gehen.
Das heißt nicht, dass wir als Leser nicht mehr erfahren werden, was in den Sitzungen passiert. Immer mehr Politiker fangen an zu bloggen – sie nutzen Blogs als PR Medium, versuchen, eine, wenn auch meist, kleine Community, aufzubauen. In den seltensten Fällen diskutieren sie quer zu ihrer Parteilinie – und wenn, dann zumeist um sich selbst zu profilieren. Sie machen – und das ist natürlich legitim, PR in eigener Sache. Mal mehr, mal weniger geschickt. Auch Interessensgruppen werden künftig verstärkt über Rats- und Ausschussitzungen berichten – natürlich nur das, was ihnen nutzt. Egal wie sehr manch einer mit der Qualität seiner Lokalzeitung hadert – das, was die Zukunft bringen könnte, wird um einiges schlechter sein.
There ist no free Lunch – es gibt nichts umsonst. Diese amerikanische Redensart hat viel Wahres: Der Journalist, der in den Ausschüssen auf der Pressebank sitzt, macht es, um seine Miete zahlen zu können. Oftmals mies gelaunt, was man ihm nicht verübeln kann. Die bloggenden Politiker oder Bürgerinitiativen machen es auch nicht umsonst: Sie wollen ihre Positionen durchsetzen oder ihren Bekanntheitsgrad erhöhen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich im Regelfall den Geschichten des mürrischen Lokaljournalisten mehr Glauben schenke.
Wenn wir auch künftig die Politik auf der lokalen Ebene kontrollieren wollen müssen wir ein Modell finden, dies zu finanzieren. Das traditionelle Modell der Lokalzeitung taugt dafür immer weniger. Das liegt nicht nur am Internet: Es liegt auch an einer zum Teil starken Vernachlässigung der Lokalteile durch die Verleger, an einer geringeren Bindung der Bürger an ihrer Stadt und dem damit einhergehenden Desinteresse an Lokalpolitik und es liegt an Veränderungen in der Struktur des Einzelhandels, dem Aufkommen der Ketten und dem Aussterben der inhabergeführten Unternehmen, den einstigen Garanten für Anzeigenumsätze in den Städten. Wir müssen über die Zukunft lokaler Medien diskutieren – sie sind in wesentlich größerer Gefahr als die bundesweit agierenden. Und ich möchte sie nicht missen.