Die AG Kritische Kulturhauptstadt lud gestern Abend in der Bochumer Goldkante unter der Überschrift „Metropolenträume in der Provinz“ zur Diskussion über die Kulturhauptstadtpläne und den schillernden Begriff Kreativwirtschaft ein.
Voll. Es war sehr voll gestern Abend in der Goldkante. Die AG Kritische Kulturhauptstadt hatte geladen, und nicht wenige Besucher drückten sich an diesem beinahe frühlingshaften Novemberabend die Nasen an den großen Schaufenstern platt und kamen nicht mehr hinein. Ich hatte es gerade noch so geschafft, stolperte vorbei an zumeist hippen, jungen, intellektuellen Menschen mit Pullundern und schlauen Brillen (Was machen die hier? Hat die Bahn den Zugverkehr nach Berlin eingestellt?), ergatterte einen Platz zwischen Tresen und Toilettendurchgang und schaute von da an den ganzen Abend vor allem auf einen Kühlschrank, die Dreadlocks der Pop-Jourmalistin Petra Engelke oder eine Wand. Es sollte trotzdem ein mehr als beeindruckender Abend werden.
Die drei Referenten, der Raumplaner Achim Prossek, Rainer Midlaszewski von der AG Kritische Kulturhauptstadt, der Kölner Kunsthistoriker Wolfgang Brauneis und der Moderator Christian Werthschulte beschrieben die Situation des Ruhrgebiets so zutreffend, wie man es im Ruhrgebiet selten hört: Klar, eine Metropole, die sich selbst so nennt, ist keine. Das Ruhrgebiet ist eine Aneinanderreihung von Vororten, und nur an ganz wenigen Stellen könnte das Gefühl aufkeimen, in einer richtigen Stadt zu sein. Politik ist hier Kirchturmpolitik, die Politiker in ihrem provinziellen Denken gefangen. Kultur ist hier noch immer keine Selbstverständlichkeit. Sie muss sich und das Geld, das sie kostet, rechtfertigen – im Moment als wichtigen Standortfaktor für den Strukturwandel. Auch der bekam sein Fett weg: Der Wegfall der industriellen Arbeitsplätze sei nie aufgefangen worden und die Betroffenen längst nicht mehr im Blickpunkt der Wirtschaftsförderungen: Die in den vergangenen Jahrzehnten neugeschaffenen Jobs, so die Einschätzung Rainer Midlaszewskis, sind nicht für die ehemaligen Fabrikarbeiter gedacht. Und natürlich ging es auch um die Kulturhauptstadt: Eine Marketingveranstaltung, die an den Menschen vorbeigeht, sie nur zum Schein mitnimmt und eine offene Kulturszene eher vorspielt als sie zu unterstützen. Und die Kreativquartiere? Alles schon wieder vorbei, ein Label, das kaum zog und ein Hype, der keine Wirkung hinterließ. Vorbei, ehe es begonnen hatte. Notwendig seien Freiräume, in denen Menschen etwas ausprobieren können. Am besten kostenlos, oder, wie es einer forderte, selbst erkämpft. Platz genug für solche Ideen gäbe es ja noch im Ruhrgebiet.
Und die Kreativwirtschaft, auch da waren sich alle einig, ist eine Schimäre, ohne wirkliches wirtschaftliches Potential. Werthschulte zog eine Studie der NRWBank heran, die belegt, dass die Kreativwirtschaft in NRW seit Jahren kaum gewachsen sei. OK, aktuelle Zahlen für das Ruhrgebiet bietet die Studie wohl nicht, aber wer glaubt denn im Ernst, dass es hier besser läuft als in Köln oder diesem Dingsbums rheinabwärts?
Dass die Politik die Kulturszene oder die Szene der Kreativen – viele stießen sich schon an den Begrifflichkeiten – in Schwung bringen könnte, wurde bezweifelt: und Wolfgang Brauneis benannte eine Reihe von Kölner Flops: Der Medienpark und Colloneum – von Wolfgang Clement in all seiner sympathischen Bescheidenheit als Hollywood Europas angekündigt – wären weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Und Köln hätte erst vor drei vier Jahren massiv Abwanderungstendenzen umkehren können: Alles ging nach Berlin – von Galerien über die Spex bis zur Popkomm, und erst jetzt gibt es erste Rückkehrer. Rückkehrer – ein Wort, das man im Ruhrgebiet nicht im aktiven Sprachschatz hat.
Bis zu diesem Punkt konnte ich so beinahe jeden Satz unterschreiben und genoss die Aussicht durch Petras Dreadlocks hindurch auf die ernsthaften Diskutanten, die mehr Vernetzung der Szene über die Stadtgrenzen hinaus forderten. Irgendwann einmal meldete ich mich auch zu Wort, sagte, man solle die ganze Kreativwirtschaftssache nicht so ernst nehmen, wie immer ginge es nur darum, ein paar Förderungsgelder abzuziehen und irgendein Kreativwirtschaftsinstitut zu gründen, um ein paar Kumpels anstellen zu können. So sei es auch vor zehn Jahren gewesen, als hier alles von Medienwirtschaft fabulierte. Ich erntete, oder bilde es mir ein, zustimmendes Gemurmel. Zufrieden bestellte ich mir noch ein Fiege und prostete Dirk zu, einem alten Bekannten, neben dem ich den ganzen Abend stand.
Und dann ging es weiter: Das Wort Grundeinkommen stand im Raum und geriet immer mehr ins Zentrum, und dann öffnete Petra mit einer eigentlich harmlosen Frage die Büchse der Pandora: Ob sich denn Künstler Gedanken gemacht hätten, wie sie denn, trotz all der benannten Probleme, Geld verdienen könnten?
Ein Mann, der in Theaterprojekten arbeitet, erklärte allen Anwesenden, wie hart das Leben im Ruhrgebiet für ihn sei und dass seine Kollegen in Berlin zwar genauso wenig Geld hätten, aber besser dran seien: „Kein Geld zu haben ist in Berlin leichter, als im Ruhrgebiet.“
Ich glaube, das war der Moment, als ich das erste Mal in mein Bier prustete.
Eine Frau vom Bahnhof Langendreer, dort zuständig für Soziales und Politik, erklärte, Kultur sollte generell öffentlich-rechtlich finanziert werden, und Künstler sollten über Kunst und nicht über Geld nachdenken. Ihr Angebot, man könne jetzt auch mal über die prekären Lebensverhältnisse von Künstlern in der 3. Welt diskutieren, wurde nicht angenommen.
Klar wurde jetzt kurz diskutiert, welchen Kunst- und Kulturbegriff man verwenden sollte, wobei das Plädoyer, auch eine bestimmte Lebensart wäre Kunst, ja durch das allgemeine Bekenntnis zu einem Grundeinkommen überflüssig geworden war.
Ich warf dann irgendwann ein, dass ich persönlich froh sei, dass mein Einkommen nicht von der Willkür irgendeines politischen Gremiums abhängig sei, und dass es nun einmal auch für Kreative einen Markt gäbe: Wer etwas herstellt, was andere kaufen oder etwas aufführt, was andere sehen wollen, verdient Geld, wer das nicht tut, verdient bedauerlicherweise keines. Das kann tragisch sein, wie im Falle von van Gogh, der zu Lebzeiten seinen Matjes gebraucht kaufen musste, während seine Werke heute wertvoll sind, aber das lässt sich nun einmal nicht ändern, denn der Preis der Subventionierung von Kultur kann man gut in die Bereiche Schauspiel und E-Musik trennen: Es passiert kaum noch etwas Spannendes und wenn doch, interessiert es niemanden mehr. In den nicht oder kaum subventionierten Kulturbereichen Pop, Literatur oder bildende Kunst sei das anders – lebendig eben.
OK, vielleicht hätte ich mir die Bemerkung über einen der Anwesenden sparen sollen, dass er, wenn er wirklich bei 70 Stunden Arbeit pro Woche 1000 Euro im Monat verdient, keinen Beruf ausübt sondern einem Hobby nachgeht. Aber ist das nicht wahr, obwohl es übel klingt?
Mir wurde dann noch vorgeworfen, ich würde gesponserte Künstler irrtümlicherweise für freier halten, als öffentlich allimenierte, aber das stimmt nicht: Ich glaube, dass Künstler, die am Markt erfolgreich sind am freiesten sind, denn sie müssen sich bei niemanden bedanken. Sie leben von ihrer Leistung.
Und wie war der Abend in der Goldkante? Er war phantastisch. Ich habe eine Diskussion erlebt, wie ich sie in ihrer Qualität und Intensität nie erwartet hätte. Und ich habe ein paar nette Leute kennen gelernt. Und ich habe gehört, dass die wunderbare Goldkante Probleme hat. Darüber bald mehr an dieser Stelle.