Das 2010Lab will das digitale Medium der Kulturhauptstadt sein. Die Internetseite soll auch noch Bestand haben, wenn das letzte Schachtzeichen geplatzt, und den Chören längst die Luft ausgegangen ist – und die Autoren sollen bereit sein, für ein Brot ohne Butter zu arbeiten.
Ach, das klingt alles immer so gut: „ 2010lab.com – Die digitale Kreativstadt Ruhr
Bei diesem Projekt geht es darum, eine IP-TV Plattform zu entwerfen bzw. zu programmieren, die neue zeitgenössische Kunst, Kultur und Kreativität vermittelt, ihre ökonomischen Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung urbaner Ballungsräume debattiert und zugleich auch selbst eine neue digitale Kunst- bzw. Kommunikationsform ist. Auch für das Projekt Kulturhauptstadt sind dies zentrale und spannende Fragen, weil sie dem Aspekt der Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit Nachdruck verleihen. Es ist offensichtlich, dass für den zukünftigen ökonomischen wie identifikatorischen Erfolg der Metropole Ruhr Kommunikation und Vernetzung grundlegende Voraussetzungen sind. Ohne das passende (digitale) Medium fehlt nicht nur der Kulturhauptstadt, sondern auch der Kultur und Kreativität insgesamt der kommunikative Keilriemen, der Ideen, Kreativität und Content in Kommunikation, Ökonomie und Identität umsetzt.“
Und für dieses Projekt werden im Augenblick Autoren gesucht. Heute war das Treffen in den Räumen der Ruhr2010 GmbH in Essen nahe des Aalto-Theaters, und ein paar der Anwesenden kannte ich: Ehemalige Chefredakteure, freie Journalisten mit zum Teil jahrzehntelanger Erfahrung und Autoren, die international unterwegs sind. Bei denjenigen, die ich nicht persönlich kannte, sagten mir die Namen was. Gute Leute.
Dann gab es einen schönen Vortrag: Man setze bei dem Portal vor allem auf Videos, klar, geschrieben werden kann auch, ist aber eher zweitrangig. Gut, es geht um eine IP-TV-Plattform. Registrierte Benutzer sollen kommentieren, man will sich natürlich vernetzen, weil alles vernetzt ist, und weil es natürlich gut klingt. Auch ein Bullshit-Bingo soll es geben.
Das Design war ansprechend und die Technik noch hakelig. Gut, man liegt ja auch erst ein knappes halbes Jahr hinter dem ursprünglichen Zeitplan zurück. Wirtschaftskrise und so. Und natürlich, wurde uns erklärt, sei Idealismus gefragt. Als das Wort Idealismus zum dritten Mal fiel und das Wort Honorar trotz einiger Anspielungen von Seiten der anwesenden Autoren, im Neusprech Scouts genannt, nicht, wurde ich langsam aber sicher skeptisch und griff schnell zum letzten Keks auf dem vor mit stehenden Teller.
Einer fragte schließlich nach, wie es denn mit dem Geld aussehen würde. Eine junge Dame hob zu einem mittellangen Vortrag über das Elend der Welt und die Armut der Ruhr2010 GmbH an. Ich hörte "4-6 Texten", "Monat" und "150 Euro".
Mein Nachbar lehnte sich zu mir rüber: „Ist doch OK, 150 Euro für einen kurzen Beitrag.“ Mein Einwurf, ich hätte 150 Euro für alle Beiträge pro Monat verstanden, wurde bei Seite gewischt.
„Quatsch.“ Es kam eine weitere Nachfrage, und ich hatte mich nicht verhört: 150 Euro für vier bis sechs Beiträge. Die allerdings sollten exklusiv sein, Videos wären besonders schön. IP-TV und so.
Jetzt einmal kurz gerechnet: Will man wirklich auch nur etwas Qualität haben, fährt man für jeden dieser Beiträge raus. Dann redet man mit Jemanden. Idealerweise hat man sich vorher auch noch schlau gemacht, worüber man redet. Dann fährt man wieder nach Hause. Sagen wir drei bis vier Stunden im günstigsten Fall. Bei sechs Beiträgen reden wir also von einem Zeitaufwand von 20 Stunden. Bei vier noch von zwölf und bei fünf – der goldenen Mitte, von 15. Für 15 Stunden Arbeit wurden 150 Euro angeboten. Klar, brutto. Und dazu hat man ja noch Fahrkosten. Es gab ein wenig Gemurre als alle rechneten. Wir wurdenberuhigt: „Aber vergessen sie nicht: Sie sind Teil der Kulturhauptstadt. Das hebt ihren Marktwert.“
Das ganze ist Zynismus pur. Klar, ein paar der Anwesenden werden es machen. Weil sie müssen. Weil sie die Kohle dringend brauchen. Weil sie sich ein Nein nicht erlauben können. Und die Ruhr2010 GmbH freut sich, dass es ein paar arme Teufel gibt, die für diese Kohle arbeiten, dieses komische und wahrscheinlich teuer programmierte und designte System füllen mit etwas, für dessen Erstellung man nur Verachtung übrig zu haben scheint: Inhalte.
Mir ist übrigens ein schöner Begriff für das Bullshit-Bingo eingefallen: Kreativwirtschaft.