Heute Abend wird das große Interpretieren losgehen. Sowohl aus den Ergebnissen der drei Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und dem Saarland als auch aus denen der Kommunalwahl in NRW werden die Spin-Doctors aller Parteien versuchen Honig zu saugen – sowohl für die Bundestagwahl am 27. September als auch für die Landtagswahl in NRW im kommenden Frühjahr.
Vor allem für die SPD ist heute ein entscheidender Tag: Der Rauswurf Becks, die Rückkehr Münteferings und die Nominierung Steinmeiers zu Kanzlerkandidaten – all das hat den Sozialdemokraten nichts genutzt. Die Umfragewerte sind im Keller geblieben und Steinmeier eher eine traurige Figur den ein Hoffnungsträger. Heute ist die letzte Chance die Stimmung vor der Bundestagswahl noch einmal zu drehen- aber dafür muss Trend gedreht werden, müssen Siege her.
Vergessen wir einmal Sachsen: Tillich wird wohl Ministerpräsident bleiben können – ob mit Hilfe der SPD oder der FDP wird sich zeigen.
Spannender wird es im Saarland und in Thüringen: Dort könnten es rot-rot-grüne Bündnisse schaffen Müller und Althaus abzulösen. Und vielleicht wird die Thüringer Linkspartei sogar gnadenvoll einen SPD-Ministerpräsidenten mittragen, obwohl die SPD es nur schaffen kann, nach CDU und Linkspartei drittstärkste Kraft im Land zu werden. Die rot-rot-grünen Bündnisse könnten das erhoffte Signal sein – viele Wähler wird die SPD im Westen dadurch kaum noch verlieren. Wer heute noch SPD wählt hat sich längst einen Treueabonnement des Vorwärts verdient und wird sich durch nichts von seiner Wahl abschrecken lassen. Viel zu verlieren haben die Sozialdemokraten also nicht mehr.
Rot-rot-grün könnte aber auch in vielen Rathäusern in NRW zu bestimmenden Farbe werden. Auch das wird die SPD als Erfolg verkaufen wollen – dabei hatte sie zumindest im Revier noch vor 15 Jahren in fast allen Städten die absoluten Mehrheit. Der Verfall der Sozialdemokraten im Ruhrgebiet war atemberaubend – genau wir die Unfähigkeit der Union, davon zu profitieren. Die CDU hat es in den vergangenen Jahren auf kommunaler Ebene nur geschafft ihr Stimmenzahl zu halten. Kaum es SPD-Wähler konnte gewonnen werden. Die prozentualen Zugewinne der Christdemokraten sind der sinkenden Wahlbeteiligung geschuldet. Viele ehemalige SPD-Wähler blieben zu Hause, das ehemalige sozialdemokratische Milieu hat in Teilen aufgehört sich für (Kommunal)politik zu interessieren. Die CDU hat damit die Chance nicht genutzt, ihre eigene Basis auf Kosten der SPD zu verbreitern. Und die SPD gibt sich der Hoffnung hin, die entflohenen Wähler wären eigentlich ihre. Das ist ein gefährlicher Trugschluss. Die Wähler gehören sich selbst und wissen das auch.
Genau wie die Wahlergebnisse des heutigen Abends zu Trugschlüssen führen könnten: Die Sonderrolle von Lafontaine im Saarland machen Rückschlüsse auf die Bundestagswahl ebenso gefährlich wie die Rolle der Union in Thüringen: Nach 19 Jahren an der Macht zeigt jede Partei Erschöpfungserscheinungen – auch die CDU in Thüringen. Die Zeit in der ein Bundesland einer Partei gehört ist vorbei. Die Aussagekraft ist also beschränkt.
Kommen wir zu NRW: Auch hier kann niemand das Ergebnis der Kommunal- auf die Landtags- und Bundestagswahlen weiterrechnen: Die Union wird Stimmen an zahlreiche eher konservative freien Wähler verlieren, die sie weder im Bund noch im Land im Augenblick als Konkurrenz zu fürchten hat. Dazu kommt, dass sich in vielen Städten die Bürger von kommunalen Fragen leiten lassen, auch wenn die Parteien im Wahlkampf fast alles unterlassen haben, mit diesen Fragen Wahlkampf zu führen. Ich würde schon gerne detailliert wissen welche Partei in Bochum wie mit der Haushaltsmisere umgehen will. Außer ein paar oberflächlichen Sprüchen will mir das aber niemand sagen. Kein Wunder, das sich für die Kommunalwahl kaum eine interessiert.
In Städten in den es also große Themen vor Ort gibt, ist die Aussagekraft der Wahlergebnisse hinsichtlich der Bundestagswahl gering. Die Verluste, die die SPD schätzungsweise in Bochum einfahren wird, wird sie zum Teil bei der Bundestagswahl wieder ausgleichen können. In Städten ohne große Skandale hingegen ist die Aussagekraft für die anderen Wahlen höher: Gibt es keine großen kommunalen Themen, wählt man wie immer.
Noch problematischer ist es von den OB und Landratswahlen auf Bund oder Land zu schließen: Die SPD mag künftig den OB in Köln stellen, hat dies aber vor allem den Grünen zu verdanken und einer Kölner CDU und deren OB Schramma, die während U-Bahn-Bau-Katastrophe versagt haben. Fällt auch noch Essen an die Genossen, wird es einen medialen Jubelschrei geben, der mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat: Schauen wir lieber auf die Räte als auf die OBs. Was wir dann heute sehen werden ist, und das sollte Union und SPD Sorgen machen, ein weiteres Anwachsen der kleinen Parteien. Grüne, Linkspartei, freie Wählergruppen und Rechtspopulisten werden zu den Siegern gehören. Union und SPD werden beide verlieren – das Wort Volkspartei können wir langsam aber sicher aus unserem Wortschatz streichen.