Waldorfschule: Vorsicht Steiner

Nach dem „PISA-Schock“ suchen immer mehr Eltern nach einer Alternative zur öffentlichen Schule. Oft fällt ihre Wahl auf eine der 213 anthroposophisch geprägten Waldorfschulen in Deutschland.

Die erste Waldorfschule wurde 1919 in Stuttgart als Betriebsschule der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik gegründet. Die pädagogische Leitung lag bei Rudolf Steiner. Die von ihm entwickelte Weltanschauung „Anthroposophie“ ist bis heute verbindliche Grundlage des Unterrichts jeder Waldorfschule.

Nach anthroposophischem Selbstverständnis hatte Rudolf Steiner unmittelbaren Zugang zur „Geistigen Welt“, sprich: Steiner hatte hellseherische Fähigkeiten. Die Anthroposophie schöpft damit aus esoterischen und okkulten Quellen. Rudolf Steiner (1861–1925) promovierte 1891 in Philosophie; die 1894 versuchte Habilitation scheiterte. Um 1900 kam er in Kontakt mit Helena Petrovna Blavatskys esoterischer „Theosophie“. Von 1902 bis 1912 leitete Steiner die deutsche Sektion der „Theosophischen Gesellschaft“, die er 1912/13 abspaltete und unter dem Namen „Anthroposophie“ neu gründete. Bis heute ist Rudolf Steiner die unangefochtene Autorität der Anthroposophie und der Waldorfpädagogik. Wie weit die Verehrung geht, mag man am Umfang der Steiner-Gesamtausgabe ermessen: Sie hat zurzeit 354 Bände. Wir sprachen mit Andreas Lichte, einem ausgebildeten Waldorflehrer und heutigem Kritiker der Waldorfbewegung.


Ruhrbarone: Herr Lichte, Sie haben eine Fortbildung zum Waldorflehrer abgeschlossen aber trotz Job-Angebotes darauf verzichtet, in der wunderbaren Waldorfwelt zu arbeiten – warum?

Andreas Lichte: Als ich mich entschloss, Kunst- und Werklehrer in der Waldorfschule zu werden, wusste ich noch nicht, dass die wichtigste Qualifikation eines Waldorflehrers darin besteht, Rudolf Steiner (den Gründer der Waldorfschulen und der Anthroposophie) als absolute Autorität zu verehren, z.B. so etwas:
„Der Mensch steht der Außenwelt gegenüber. Das Geistig-Seelische strebt danach, ihn fortwährend aufzusaugen. Daher blättern wir außen fortwährend ab, schuppen ab. Und wenn der Geist nicht stark genug ist, müssen wir uns Stücke, wie zum Beispiel die Fingernägel, abschneiden, weil der Geist sie, von außen kommend, saugend zerstören will.“

Was soll das sein? Der Heilige Rudolf, Schutzpatron der Maniküren?
Ich bitte schon um ein wenig mehr Respekt vor der Waldorfpädagogik! Das ist ein Zitat aus Steiners „Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik“ [GA 293, S. 93f]. Wie der Titel dieses in jedem Waldorfseminar gelesenen Standardwerkes schon sagt, ist das die Basis der Arbeit des Waldorflehrers …

Wir gehen mal davon aus, dass Sie das bewusst aus dem Zusammenhang gerissen zitieren …
Sind Sie bei Anthroposophen in die Schule gegangen? Anthroposophen mögen es gar nicht, wenn öffentlich wird, was Rudolf Steiner wirklich sagte, dann heisst es jedes mal: „Aus dem Zusammenhang gerissen!“. Ist es aber nicht. Es wird alles noch viel, viel überzeugender, wenn Sie auch den Kontext kennen, lesen Sie doch bitte selber nach. Hier

Solch einen Wahnsinn müssen Waldorflehrer als Wahrheit akzeptieren?
Falls Sie erwägen sollten, Waldorflehrer zu werden, sollten Sie schon ein wenig flexibel sein … wie sagte Michael Handtmann, Leiter des „Seminar für Waldorfpädagogik Berlin“ bei meinem Vorstellungsgespräch: „Niemand erwartet von Ihnen, dass Sie Anthroposoph werden … Sie sollten schon ein wenig Offenheit für weltanschauliche Fragen mitbringen, mehr nicht …“

Im Ernst: Worin besteht denn nun die Qualifikation des Waldorflehrers?
Vielleicht sollten wir die Waldorfschüler fragen? Deren Spruch zur Sache:
„Und reicht es nicht zum Strassenkehrer, dann werd’ ich eben Waldorflehrer!“

Es gibt Straßen die es in sich haben.
Kennen Sie Prof. Hermann Avenarius ? Er ist einer der renommiertesten Deutschen Schulrechtler. Er stellte kürzlich in „Frontal 21“, ZDF, fest, dass die Ausbildung der Waldorflehrer ein Verstoß gegen das Grundgesetz ist, da die im GG genannten Mindestanforderungen nicht erfüllt werden – GG, Artikel 7, Absatz 4, Satz 3: "Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen (…) in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen …"

Die Waldorflehrer sind also schlechter qualifiziert als Lehrer an öffentlichen Schulen?
Lehrer, die an öffentlichen Schulen unterrichten dürfen, könnten jederzeit an einer Waldorfschule arbeiten. Umgekehrt gilt dies nicht: Die Ausbildung an den anthroposophischen Waldorfseminaren wird nicht für den öffentlichen Schuldienst anerkannt. Deswegen sind Waldorflehrer auch vielfach völlig unkritisch: Wer sich in der Waldorfschule unbeliebt macht, dadurch seinen Arbeitsplatz verliert, steht vor dem Nichts, hat keine berufliche Alternative.

Wo sollten Waldorflehrer denn kritischer sein?

„Steiner“? Haben wir den Namen schon einmal gehört? Alles, was in der „pädagogischen Schicksalsgemeinschaft“ Waldorfschule passiert, basiert letztlich auf Steiner, auch wenn das von den Verantwortlichen routinemässig geleugnet wird – man möchte ja keine möglichen Kunden abschrecken …

Werden die Eltern über den weltanschaulichen Hintergrund der Waldorfschulen aufgeklärt?
Waren Sie schon einmal auf einem Eltern-Informationsabend einer Waldorfschule? Ich schon. Da heisst es: „Lernen mit Kopf, Herz und Hand“. Und: „Anthroposophie? Was soll das sein?“ Es wird abgestritten, dass die Anthroposophie auch nur die geringste Rolle im Unterricht spielen könnte.

Offiziell heisst es ja, dass nur die Pädagogik auf Rudolf Steiner beruhe, die Anthroposophie selber aber nicht unterrichtet werde.
Mir wurde nach dem Besuch einer Informations-Veranstaltung einer sich modern und liberal gebenden Waldorfschule ein Geschichts-Epochenheft zugespielt. Der Inhalt: Das anthroposophische Geschichtsverständnis nach Rudolf Steiner, kindgerecht aufbereitet. Inklusive Atlantis.

Sie meinen „Atlantis“?
 „Atlantis“ fällt natürlich sofort ins Auge, weil das Heft damit beginnt und der Stoff so exotisch ist.

Was haben Sie denn daran auszusetzen, dass griechische Mythologie – der Atlantismythos Platons – in der Schule unterrichtet wird?

Platon? Es ist Steiner für Kinder! Ich habe ein Geschichts-Epochenheft mit Steiner verglichen, es ist eine fast wörtliche Wiedergabe von Steiners Neo-Atlantis-Mythos. Danach leben wir  alle im „Fünften Nachatlantischen Zeitalter“.

Ist uns neu.
Atlantis spielt eine entscheidende Rolle im anthroposophischen Geschichtsverständnis: Atlantis ist für den Anthroposophen eine historische Tatsache. Im „Atlantischen Zeitalter“ werden die Voraussetzungen für die heutige Menschheit geschaffen: Die Rassen entstehen und es beginnt eine fiktive Völkerwanderung, angeführt von „Manu“, dem „Menschheitsführer“ …

Wohin geht denn die Reise?
Lichte: Kurz gesagt: „Vom Menschen zum Arier“ (siehe Abbildung oben).

Der Mensch steht am Anfang der Evolution?
Das ist Anthroposophie …

Das ist Humbug!
Sie sagen es! Und das ist für mich das eigentlich Erstaunliche: Wieso bemerken die Eltern nicht, womit ihre Kinder in der Waldorfschule Zeit verschwenden? Schaut denn niemand in die Hefte? Systematische Kindesvernachlässigung? Zu verstehen, dass Atlantis und die sich daran anschliessenden „Kulturepochen“ Original Steiner sind, ist ja eine Sache, aber dass das krudeste Esoterik ist, sollte jedem doch sofort klar sein.

Sie sagten vorhin, dass in Atlantis „die Rassen entstehen“ …
Und nach anthroposophischer Auffassung bis mindestens zum Jahre 3573 bestehen bleiben, dann endet die „Fünfte Nachatlantische Kulturepoche“. „Rassen“ wie „Rassismus“. Das ist nicht meine Privatmeinung, sondern wurde von einer Deutschen Bundesbehörde, der „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ (BPjM) festgestellt, in ihrer Entscheidung zu zwei Büchern Steiners, Zitat: „Der Inhalt des Buches ist nach Ansicht des 12er-Gremiums in Teilen als zum Rassenhass anreizend bzw. als Rassen diskriminierend anzusehen.”
Die BPjM nahm eine juristische Bewertung vor, sie konnte nur Textstellen beanstanden, die eindeutig ihren juristischen Kriterien entsprachen. Auch beurteilte sie nicht Steiners Gesamtwerk. Das tut der Historiker Helmut Zander in seinem preisgekrönten Monumental-Werk „Anthroposophie in Deutschland“, Zitat: „Steiner ordnete die Rassen einer Fortschrittsgeschichte zu, in der beispielsweise heutige Indianer als »degenerierte Menschenrasse« im »Hinsterben« (GA 105, 106, 107 [1908]) oder schwarze Afrikaner als defiziente Spezies der Menschen- und Bewusstseinsentwicklung, als »degenerierte«, »zurückgebliebene« Rasse (ebd., 106) erschienen. Umgekehrt habe die weisse Rasse »das Persönlichkeitsgefühl am stärksten ausgebildet« (GA 107, 288 [1909]). Dies sind nur Kernsätze einer Rassentheorie, die Steiner 1904 erstmals formulierte, um sie 1910 in einem komplexen System und in zunehmender Abgrenzung zu theosophischen Positionen auszufalten. Mit seinem Ausstieg aus der Theosophie hat er diese Vorstellungen keinesfalls über Bord geworfen, sondern sie 1923 nochmals in Vortragen vor Arbeitern des Goetheanum in vergröberter, »popularisierter« Form wiederholt, aber ohne Revision im inhaltlichen Bestand. Die weisse war nun »die zukünftige, die am Geiste schaffende Rasse« (GA 349, 67 [1923]). (…) Steiner formulierte mit seinem theosophischen Sozialdarwinismus eine Ethnologie, in der die Rede von »degenerierten«, »zurückgebliebenen« oder »zukünftigen« Rassen keine »Unfälle«, sondern das Ergebnis einer konsequent durchgedachten Evolutionslehre waren. Ich sehe im Gegensatz zu vielen Anthroposophen keine Möglichkeit, diese Konsequenz zu bestreiten.“

„Rassentheorie“ passt nicht zum Image der Waldörfler
Noch böser aber die Reaktion der Anthroposophie, die in ihrer Leugnung von Steiners Rassismus ihrem Ruf als „Sekte“ mehr als gerecht wird. Da setzt man sich auch ganz locker über Vereinbarungen mit einer Deutschen Bundesbehörde hinweg.

Wie akut ist denn der Rassismus in der Waldorfschule?
Akut kann er IN der Waldorfschule gar nicht werden, da Waldorfschulen weitgehend „ausländerfreie Zonen“ sind.

 Waldorfschulen betonen doch immer wieder ihr soziales Engagement.
In Deutschen Waldorfschulen gibt es kaum Kinder mit „Migrationshintergrund“, oder Kinder aus „sozial benachteiligtem“ Milieu. Das ist auch der INOFFIZIELLE Grund für ihren Erfolg: Bei der privilegierten Klientel überrascht es nicht, dass die Abiturquote nicht so schlecht ist. Auch können finanziell besser gestellte Eltern den umfangreichen Nachhilfeunterricht bezahlen, der nötig ist, um die Defizite der Schule auszugleichen.

Wenn die Waldorfschulen so schlecht sind, wie Sie sie darstellen – unqualifizierte Lehrer, krude Esoterik – warum entscheiden sich dann so viele Eltern für sie?
WEIL sie ausländerfreie Zonen sind. Das sagt Ihnen natürlich niemand sofort, da braucht es schon ein wenig Fingerspitzengefühl, um nach stundenlangem Diskutieren die Antwort zu bekommen: „Ich wohne in Kreuzberg. Da schicke ich mein Kind doch nicht in eine Schule mit hohem Ausländeranteil …“

Gibt es vielleicht auch noch andere Gründe?
Attraktiv könnte für Eltern auch sein, dass es an Waldorfschulen leichter ist, einen staatlich anerkannten Abschluss zu erlangen. So wie die Ausbildung der Waldorflehrer ein bisher ungeahndeter Verstoß gegen das Grundgesetz ist, so gibt es zahlreiche Sonderregelungen für die Abschlüsse an Waldorfschulen, die einer strengen juristischen Überprüfung wohl kaum standhalten dürften. Schauen Sie sich beispielsweise die „Verordnung über den Erwerb von Abschlüssen der Sekundarstufe I an Waldorfschulen“ des Landes Nordrhein-Westfalen vom 21. Juni 2008 an – ein „Lex Waldorf“.

Wie erklären Sie es sich, dass den Waldorfschulen von der Politik all diese Privilegien eingeräumt werden?
Das fragen Sie am besten selber NRW Kultusministerin Dr. Barbara Sommer. Ich kann Ihnen von der Berliner Schulaufsicht berichten, dass auf unzählige Anfragen und Beschwerden zur Waldorfpädagogik nur mit nichts sagenden Standard-Briefen „geantwortet“ wurde. Ich verabschiede mich mal mit einem Auszug aus dem Brief eines Vaters, der an Landesschulrat Hans-Jürgen Pokall ging – nicht an „Dr. Sommer“, wie man vielleicht zu Recht vermuten könnte …:

„(…) Es stellt sich heraus, dass Steiner auch noch Visionen zum Wesen der Sexualität hat. Ich möchte mir gar nicht erst vorstellen, was für gravierende Folgen es für Heranwachsende hätte, wenn sie auch nur in kleinsten Dosen mit Steiners »Sexualkunde« in Berührung kämen, Zitat Steiner:

»Ursprünglich war auch der Mensch ein ätherisches Wesen von pflanzlicher Substanz. Damals hatte der Mensch diejenige stoffliche Natur, welche heute die Pflanze noch besitzt. Hätte der Mensch nicht die pflanzliche Substanz zum Fleisch umgewandelt, so wäre er keusch und rein geblieben wie die Pflanze. (…)

Die Fortpflanzungsorgane haben am längsten ihren pflanzlichen Charakter bewahrt. Alte Sagen und Mythen berichten uns noch von Hermaphroditen (…).

Manche glauben, das Feigenblatt, das die ersten Menschen im Paradies gehabt haben, sei ein Ausdruck der Scham. Nein, in dieser Erzählung hat sich die Erinnerung daran bewahrt, daß die Menschen an Stelle der fleischlichen Fortpflanzungsorgane solche pflanzlicher Natur gehabt haben (…).

Der Mensch wird nicht auf seiner jetzigen Stufe stehenbleiben. Wie er von der reinen Keuschheit der Pflanze in die Sinnlichkeit der Begierdenwelt hinabgestiegen ist, so wird er aus dieser wieder heraufsteigen mit reiner geläuterter Substanz zum keuschen Zustande.(…)

Wieso wird eine Schule staatlich gefördert, die sich ausdrücklich auf Rudolf Steiner beruft – einen prima-facie an einer psychischen Störung leidenden Menschen?"

Zum Interviewpartner: Andreas Lichte ist ausgebildeter Waldorflehrer und Grafiker, lebt in Berlin. Er ist Autor kritischer Artikel zur Waldorfpädagogik und Anthroposophie. Er erstellte für die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) ein Gutachten zur Indizierung zweier Werke Rudolf Steiners, die fortan nur noch in kommentierter Form erscheinen dürfen.

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Eine Torte bleibt eine Torte

Wegen eines kleinen Aliens mit einer Torte aus dem Spiel Super Bomberman auf einem Anti-Nazi-Demo-Aufruf wurde der Betreiber der Webseite Bo-Alternativ, Martin Budich, wegen des Aufrufs zur schweren und gefährlichen Körperverletzung angezeigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte, und heute kam es zum Prozess. Er endete im Freispruch. Die Torte war ne Torte.

Budich soll, so hieß es noch in der Anklageschrift, öffentlich zur Begehung gefährlicher Körperverletzungen und zu Verstößen gegen das Versammlungsgesetz aufgerufen haben. Tatwerkzeug: Der kleine Kerl rechts. Anlass: Eine Nazi-Demo im Oktober in Bochum. Heute dann im Prozess plädierte selbst die Staatsanwaltschaft auf Freispruch – und so endete dann auch der Prozess gegen Martin Budich, den Betreiber von Bo-Alternativ, mit selbigem.

Mehr dazu – natürlich – auf www.bo-alternativ.de

Rechtspopulisten wollen Kinder in Sonderschulen abschieben

Am rechten Rand wird es eng: In Nordrhein-Westfalen werden zur Kommunalwahl so viele rechtspopulistische Listen antreten wie nie zuvor. Sie machen Wahlkampf mit der Angst vor Kriminalität und Überfremdung.

Ausriss: UBP-Homepage

Ob Pro-Köln und seine zunehmende  Zahl von Ablegern, die Liste WIR oder die sogenannte Unabhängige Bürgerpartei (UBP): Wenn am 30. August im bevölkerungsreichsten Bundesland Kommunalwahlen stattfinden, werden sich zahlreiche rechtspopulistische Parteien und Listen wieder um Mandate in den Stadt- und Gemeinderäten bemühen. Sie betreiben ein Geschäft mit der Angst. Selbst im Kreis Recklinghausen, der nach der Kriminalitätsstatistik weit unter dem Bundesdurchschnitt liegt, gehen WIR und UBP mit der angeblich an jeder Ecke lauernden Gefahr auf Stimmenfang. Der UBP ist immerhin zu gute zu halten, dass sie weiß, wovon sie spricht: Ihr Kreistagsmitglied Borsu Alinaghi ist seit seiner Jugend immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten und wurde erst vor wenigen Monaten schuldig gesprochen, ein Kind getreten zu haben. In Gelsenkirchen schwadroniert die vom Berufsstudenten Kevin Gareth Hauer angeführte Liste Pro Gelsenkirchen sogar von rechtsfreien Räumen, und das in einer Stadt, die zu den sichersten Großstädten der Republik gehört.

Für die Recklinghäuser WIR hatte der Rechtsdrift Folgen: Die FDP hat die Zusammenarbeit mit der Liste im Rat für beendet erklärt und will auch nach den Wahlen nicht mehr mit WIR zusammen arbeiten.

Nun sorgt ein weiterer Vorschlag der UBP im nördlichen Ruhrgebiet für Diskussionsstoff: Die Liste, die in mehreren Städten für den Rat kandidiert und auch in den Recklinghäuser Kreistag einziehen will, fordert, Kinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse nicht in die Grundschule zu lassen sondern in Sonderschulen, neudeutsch Förderschulen, zu stecken: „Sollten Kinder zum Zeitpunkt der Einschulung trotz Förderung immer noch keine ausreichende Sprachkompetenz besitzen, ist eine Einschulung in eine Förderschule erforderlich, mit der jederzeitigen Möglichkeit wieder zu einer allgemeinen Grundschule zu wechseln, sobald der Rückstand aufgeholt ist.“ Dass von dieser Regelung vor allem Migrantenkinder betroffen sein würden, liegt auf der Hand.

Für Andreas Scholz von der Integrationsliste Recklinghausen ist die Verfrachtung der Kinder in eine Förderschule der Garant dafür, ihnen langfristig alle Jobperspektiven zu verbauen: „Wer so etwas vorschlägt will Kindern nicht helfen, er will sie abschieben“ und auch Hertens Bürgermeister Uli Paetzel (SPD) ist von dem Vorschlag nicht angetan: „Wir schaffen es mit großem Aufwand, dass 93 Prozent aller Kinder mit guten Deutschkenntnissen eingeschult werden. Die verbliebenen sieben Prozent müssen in der Regelschule gefördert werden.“ Davon ab widerspreche der Vorschlag nicht nur geltendem Recht sondern sei schlicht nicht durchzuführen: „Wenn eine britische Familie nach Herten zieht, sollen deren Kinder automatisch auf die Sonderschule kommen?“

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Warum schaffen wir den Religionsunterricht nicht ab?

Künftig soll es in NRW auch bekenntnisorientierten Religionsunterricht für Muslime geben. Vernünftiger wäre es, Religion und Schule ganz zu trennen.

Von Victor Hugo stammt der schöne Satz: "In jedem Dorf gibt es eine Fackel, den Lehrer; Und jemanden, der dieses Licht löscht, den Pfarrer." In Deutschland stimmt er nicht: Hier ist sogenannter bekenntnisorientierter Religionsunterricht in der Regel in Pflichtfach für Schüler, und Lehrer werben für Religion.

Bekenntnisorientierter Religionsunterricht bedeutet nichts anderes, als dass Religionsgemeinschaften die Unterrichtsinhalte bestimmen und, bezahlt vom Steuerzahler, die Schule nutzen können, um ihre Lehre zu verbreiten.

Nun sollen nach Wunsch von Integrationsminister Laschet auch muslimische Kinder in NRW flächendeckend bekenntnisorientierten Religionsunterricht erhalten. Klar, 1,5 Millionen Muslimen in NRW kann man nicht die Rechte verwehren, die man der immer kleineren Zahl der Christen zugesteht. Wenn es bekenntnisorientierten Religionsunterricht für Christen gibt, muss es ihn auch für Muslime geben. Punkt.

Aber warum gibt es überhaupt bekenntnisorientierten Religionsunterricht? Schule soll Wissen und Werte vermitteln. Wertevermittlung geht auch lässig ohne Religion und Wissen über Religionen könnte man in einem Fach wie „Religionswissenschaft“ den Kindern und Jugendlichen beibringen. Man könnte die Bezüge zwischen den Religionen aufzeigen, klar machen, wer sich bei wem bedient hat und dass beispielsweise die Jungfrauengeburt in mehr als einer Glaubensrichtung vorkommt. Man könnte aufzeigen, dass der jüdische Glaube viel mit der Verschleppung der Israeliten nach Babylon zu tun hat und auch warum es eher moderate und militante Suren im Koran gibt, was sehr eng mit ihrem Entstehungszeitraum zu tun hatte. Dafür braucht man objektive Wissenschaftler und keine Verkünder von Meinungen, die Religionsgemeinschaften festlegen.

Die Zeit, die Kinder im Religionsunterricht verbringen, kann man aber auch gut für Mathe, Fremdsprachen oder Sport nutzen. Bekenntnisorientierter Religionsunterricht ist  überflüssig.

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Wir leben in einem immer säkulareren Land und es ist Zeit, die Privilegien der Religionsgemeinschaften abzubauen und nicht, sie auf weitere Religionsgemeinschaften auszuweiten.

Auch Gorny will Sperren

Dass Kinderpornografie nur der Auftakt für weitere Sperren war, wussten wir alle. Nun will die Musikindustrie Internetseiten bei Urheberrechtsverletzungen sperren lassen.

Dieter Gorny, Vorsitzender des Bundesverbands der Musikindustrie, fordert in Der Westen die Sperrung von Internetseiten bei Urheberrechtsverletzungen. Der Musikfunktionär sieht durch die angeblich zunehmende Zahl der Raubkopien das Geschäftsmodell der Musikindustrie in Gefahr. 

Dass Gorny, auch als Direktor bei der Kulturhauptstadt aktiv, so schnell aus den Büschen kommen würde, wundert mich ein wenig. Ich habe geglaubt, dass die Enttabuisierung der Sperren langsamer und konsensorientierter laufen würde, und als nächstes Nazi-Sites thematisiert werden würden. Dass die Schamfrist so schnell vorbeisein würde, hätte ich nicht gedacht. So irrt man sich.

In dem Interview spricht sich Gorny auch gegen eine Kulturflatrate aus, die ich für eine gute Idee halte. Gorny sieht in ihr einen Schritt zur Überwachung aller und fragt sich, ob es dann den Handel mit CDs nicht mehr geben wird. Gorny: "Was heißt das eigentlich für den haptischen Handel – gibt es den dann nicht mehr? Verkauft dann Media Markt keine DVDs, die Meyer’sche keine Bücher mehr?" Im Idealfall werden die Künstler künftig direkt an ihren Produkten verdienen – ohne Media Markt und Musikindustrie – und ohne Funktionäre wie Gorny. Das Dumme ist, dass Gorny gut vernetzt ist, Zugang zur Politik hat und mit im Raum sitzt, wenn in der Politik über Fragen wie Urheberrecht diskutiert wird. Auch wenn die von ihm initiierte Messe Popkomm mittlerweile floppt, und der von ihm gegründete Sender Viva längst vom Wettbewerber MTV übernommen wurde, unterstellen viele Gorny eine gewisse Kompetenz in Musikfragen.

Die Umsatzeinbrüche der Musikindustrie auf Raubkopien abzuschieben halte ich für etwas blauäugig – diese These ignoriert den demografischen Wandel – es gibt wesentlich weniger Jugendliche als vor 30 Jahren, und die sind nun einmal die Hauptzielgruppe – und Musik ist viel präsenter als früher: Mainstream-Pop und mehr kann ich auch ohne das Internet heute ständig über Radios,  TV und das Internet hören. Die Motivation, Geld für ein omnipräsentes Produkt auszugeben, das ich ständig gratis legal konsumieren kann (nur nicht genau zu dem Zeitpunkt an dem ich es will) ist natürlich gering.

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Festival: Bochum Total startet…Ruhr Nachrichten

Lobbyismus: Rot-Gründ und Schwarz-Geld auf Augenhöhe…Der Westem

Duisburg: OB greift Arbeitsagentur-Chefin an…Der Westen

Autos: RWE plant Tesla-Roadschow…Basic Thinking

Kneipen: De Prins eröffnet wieder…Der Westen

Opel: Betriebrat wirft GM Zockerei vor…Stern

Dortmund: Probleme im Brückviertel…Ruhr Nachrichten

Bildung: Lehrernotstand in NRW…Prospero

Geld: Linssen will armen Städten helfen…Borkener Zeitung

Fußball: Cranger-Kirmes Cup…Reviersport

Trauer: Karl Malden ist tot…FIXMBR

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Peer Steinbrück Foto: nrw.de

Kraft: Neue Job für Steinbrück?…Sprengsatz

Opel: Rettung macht EU-Misstrauisch…FTD

Arbeitslose: Duisburg hat die rote Laterne…Der Westen

Ruhr2010: Verkorkste Orte im Revier…Deutschlandfunk

Ruhr2010 II: La Ruhr, capitale européenne…Liberation

Ruhr2010 III: Weitere Kulturhauptstadtprojekte vor dem Aus…Der Westen

Ruhr2010 IV: Größtes Orgelfestival…Bild

Recht: Grundrechtsreport erschienen…FIXMBR

Reform: Hartz und Polylog…Prospero

Netzsperren: Probleme durch Firefox 3.5…Verlorene Generation

Party: Chaos BBQ…Ruhr Digital

Gelsenkirchen: Neues aus dem Norden…Hometown Glory

RWE-Aktien: Klage gegen Landrat…Zoom

Wahl: Landtagswahl am 9. Mai 2010…Ruhr Nachrichten

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Presseschau Migration/Integration (Mit viel Iran)

Foto: Beate Moser

Das Ruhrgebiet ist die größte Einwanderungsregion Europas. Da kann es nichts schaden manchmal über den Tellerrand zu schauen, wie es in der Einwanderungs-, Integrations- und Flüchtlingspolitik zugeht. An dieser Stelle erscheint ca. einmal im Monat eine Presseschau zu diesem Thema. Sie erhebt keinen Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit, sie enthält Texte, die aus meiner Sicht für – die oftmals kontroverse – Debatte in diesem Themenbereich von Interesse sind. Die Aufnahme von Texten bedeutet keine Identifikation mit ihren inhaltlichen Aussagen. Auf den Link klicken führt zum Text.

Thema Iran:

Eine Reportage vor der Wahl von Charlotte Wiedemann (Zeit)

Eine Reportage der Berliner Zeitung beschreibt die jungen Iraner als USA-Fans

"Das wichtigste Ereignis unserer Zeit" meint Nils Minkmar (FAS)

Abbas Maroufi über die Schlangen auf den Schultern des Zahhak (Tagesspiegel)

Eine iranische Journalistin berichtet über die Angst nach den Massendemonstrationen (Tagesspiegel)

Frauen in der ersten Reihe (Jungle World)

Die FR berichtet über eine Studie über städtische iranische Jugendliche

Navid Kermani berichtet über seine Erlebnisse in Teheran (Zeit)

Die taz porträtiert die Monitor-Redakteurin Isabel Schayani

Die FR porträtiert die Filmemacherin und ehemalige 1live-Moderatorin Siba Shakib

Die Pfründe der iranischen Pasdaran (FAZ)

FR-Kolumnistin Mely Kiyak ist zwischen Deutschland und Iran in Istanbul

Der slowenische Marxist Slavoj Zizek veröffentlichte eine Einschätzung der Entwicklungen im Iran, die von einigen Linken angefeindet wurde (FAS)

Hier eine der Anfeindungen (Telepolis)

Die Junge Welt sieht im Iran wieder die CIA am Werk

und "nichts als unbewiesene Anschuldigungen"

eine ähnliche Sicht bei "Hintergrund"

Mittlerweile ist über die Deutung der iranischen Entwicklungen eine veritable und hitzige deutsche Meta-Debatte entstanden, z.B. hier (Telepolis, mit Links zum Spiegel) und hier (Jungle World)

Weitere Themen:

30.000 geduldeten Flüchtlingen in Deutschland droht die Abschiebung (Jungle World)

Islamkonferenz:

Andrea Dernbach darüber, was die deutsche Islam-Konferenz gebracht hat, und was nicht (Tagesspiegel)

zum gleichen Thema Sabine am Orde (taz)

Weiteres aus dem Inland:

Hilal Sezgin über Tarik Ramadan und seine Thesen zu Islam und Homosexualität (taz)

Eine andere Sicht des gleichen Mannes in der Jungle World

Porträt der Professorin Nilüfer Göle, die verschiedentlich auch im Ruhrgebiet auftrat, jetzt in Paris lehrt (Zeit), es geht u.a. über das Kopftuch als Ausdruck von Modernität

Stuttgart als Muster kommunaler Integrationspolitik (taz)

Die FAZ-Immobilien-Redaktion (!) war in Duisburg-Duissern

Berlin und die Roma (Tagesspiegel) dazu auch ein Kommentar  von Ferda Ataman (Tagesspiegel)

Roger Willemsen sprach mit Sineb El Masrar, die eine Frauenzeitschrift für Migrantinnen macht (Zeit)

Visumspflicht für Türken rechtswidrig (Spiegel)

Die EU-Anstrengungen gegen Einwanderung (Telepolis)

Die hier lebende Rapperin Sister Fa aus dem Senegal berichtet über die Lage in ihrem Herkunftsland (Jungle World)

Reportage aus dem muslimischen Frauen-Fitnessstudio in Köln-Ehrenfeld (FAZ)

Ausland

Türkei: Die Armee bestreitet Putsch-Absichten (Tagesspiegel)

Analyse der schwerreichen Bewegung des Predigers Fethullah Gülen (Junge Welt)

Und hier noch mehr "clash of civilisations":

Magnus Klaue beschreibt Berliner Parallelgesellschaften am Beispiel Lärm (Jungle World)

Nach den ruhrbaronen berichtete auch Telepolis über den missionarischen Hintergrund der Mordopfer im Jemen

Ein niederländischer Sozialdemokrat will sich auf dem Marktplatz stellen, um zu erfahren, was sein Volk will (Jungle World)

Französische Regierung kärchert weiter gegen Jugendbanden (Telepolis)

Ex-Ministerin Rachida Dati erlebte einen Karriereknick (taz)

Ein neuer Frauentyp? Die "digitale Scheherezade" (Tagesspiegel)

taz-Hinweis auf ein Buch über den ersten schwarzen brasilianischen Fußballnationalspieler und "Rassismus a Brasileira" (taz)

In Südafrika sind viele sauer über die koloniale Sicht auf ihre WM- und Confed-Cup-Organisation (Tagesspiegel)

Daniel Theweleit zum Erfolgsgeheimnis der deutschen U21-Europameister – der 4:0-Finalsieg gegen England war bei Erscheinen des Textes noch nicht erspielt (Zeit)

Das Judentum als Projektionsfläche im niederländischen Fußball (Jungle World)

Der US-TV-Moderator Jon Stewart (Berl.Zt.)

Anwälte von 9/11-Opfern wollen gegen saudische Prinzen klagen (Telepolis)