Esoteriker und Kreationisten gewinnen immer mehr Anhänger. Warum ist die Dummheit auf dem Vormarsch? Ein Interview mit dem Politik- und Sozialwissenschaftler Christoph Lammers aus der Fachgruppe Biologie an der TU Dortmund, der sich mit dem Vordringen von Kreationismus und Esoterik in den westlichen Gesellschaften beschäftigt.
Herr Lammers, Kreationisten und Esoteriker gewinnen an Zulauf. Warum gelingt es der Wissenschaft nicht, sie zu überzeugen?
Christoph Lammers: Es ist schwierig, mit gläubigen Menschen über Wissenschaft oder Gottesvorstellungen zu diskutieren, denn Religion unterscheidet sich ja schon sehr deutlich von dem, was Wissenschaft möchte. Wissenschaft hat den Anspruch des Erkenntnisgewinns, Religion sieht sich dagegen im Besitz einer absoluten Wahrheit, die eigentlich nur noch unter das Volk gebracht werden muss.
Damit kann Wissenschaft nicht konkurrieren, denn Wissenschaft hat immer nur vorläufige Wahrheiten, denn immer wieder werden Theorien überprüft und verändert. Wissenschaft ist ja nicht die Sammlung aller wissenschaftlichen Erkenntnisse sondern eine Methode, diese Erkenntnisse zu erlangen, indem Theorien bewiesen werden oder Versuche wiederholbar sein müssen. Wenn tanzende Schamanen Kranke heilen würden und das ließe sich beweisen, dann hätte die Wissenschaft damit kein Problem. Nur: diese Dinge lassen sich nicht beweisen. Es gibt in den USA den Skeptiker und Zauberer James Randi. Seine Randi Educational Foundation (JREF) hat ein Preisgeld von einer Million Dollar für die erfolgreiche Demonstration übernatürlicher Fähigkeiten unter wissenschaftlichen Testbedingungen ausgesetzt – bis jetzt hat es keiner gewonnen. Tatsächlich ist von Uri Geller bis zu den Bachblüten nichts unter ganz normalen wissenschaftlichen Standards bewiesen worden.
Ist es ein Zufall, dass mit dem Aufkommen der Kreationisten in den 70er Jahren auch die New Age Bewegung an Zulauf gewonnen hat?
Lammers: Ich glaube, es ist Zufall, denn beide Gruppen mögen sich nicht, wenngleich beide Strömungen vom Erstarken des Irrationalismus in unserer Gesellschaft profitieren. Während allerdings die New Age Szene eher in der ‚Hippie-Bewegung‘ anzusiedeln ist, ist der Kreationismus in den USA in allen gesellschaftlichen Schichten anzutreffen. Somit kommt der Kreationismus in allen Teilen der Gesellschaft vor, nicht nur im Bible Belt im Mittleren Westen. Die kreationistischen Vorstellungen beziehen sich übrigens nicht nur auf die Ablehnung der Evolutionstheorie. Viele radikale gläubige Christen weltweit, und damit auch Kreationisten, lehnen Homosexualität ebenso ab wie die Selbstbestimmung der Frau auf Abtreibung und haben zudem rassistische Vorstellungen.
Im Kern also tief konservativ und tief rechts?
Lammers: Ja, die allermeisten schon, aber es gibt mittlerweile auch „linke“ Kreationisten, die gemerkt haben, dass die Zeit von George W. Bush Jr. vorbei ist, und die versuchen, sich den neuen Gegebenheiten unter Barack Obama anzupassen und mit dem Präsidenten zu arrangieren. Viele Kreationisten haben jahrelang gepredigt, dass ein Schwarzer nicht Präsident werden kann, dass eine Frau nicht Präsidentin werden kann. Sie hatten ein klares Bild von einem weißen, puritanischen Amerika. Mit dem Erstarken der demokratischen Partei haben sich ja nun vor allem eines geändert: Die USA hat einen schwarzen Präsidenten mit einem muslimischen Hintergrund. Da stellt sich die evangelikale Gesellschaft die Frage, wie sie mit dieser veränderten Situation umgeht. Das tut sie zum einen, indem sie Obama kritisiert, wenn er sagt, dass er gleichgeschlechtliche Partnerschaften ermöglichen oder Gelder für Projekte in der dritten Welt bewilligen will, in denen es auch um Abtreibung geht. Sie nehmen Obama als Übel in kauf und setzen weiter auf ihre Lobbyarbeit – mit etwas weniger rassistischen Untertönen. Zum anderen öffnet sich die evangelikale Bewegung gegenüber den Demokraten.
Was macht die Attraktivität des kreationistischen Denkens aus? Viele Kreationisten lehnen ja nicht nur die Evolution ab sondern glauben an eine Welt, die nur wenige tausend Jahre alt ist.
Lammers: Fakt ist: Die Erde ist ungefähr 4,5 Milliarden Jahre alt. Die Evolution begann vor ca. 3,5 Milliarden Jahren und den Menschen, wie wir ihn kennen, gibt es erst seit gut 40.000 Jahren. Und er ist nicht mehr als ein Primat unter vielen. Damit kommt die Evolutionstheorie der religiösen Schöpfungsvorstellung von der Krone der Schöpfung ins Gehege. Es wird immer deutlicher, wie eng wir mit Schimpansen und anderen Primaten verwandt sind: Es gibt viele kulturelle, sprachliche und soziale Gemeinsamkeiten zwischen uns und den anderen Affen. Die Attraktivität des Kreationismus und andere fundamentalistische Denkweisen liegen in ihrer Einfachheit der Erklärungen. Die Welt wird immer komplexer, das Wissen nimmt mit rasender Geschwindigkeit zu, aber es gibt in der Gesellschaft eine soziale Ungleichheit und wird im Zugang zu Bildung sehr deutlich. Viele Menschen haben keinen Zugang zu Bildung. Wenn wir den Menschen die Möglichkeit geben, zu lernen wie Wissenschaft funktioniert, wird es uns leichter fallen, wissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln. Das betrifft nicht nur den Kreationismus, sondern auch das Leugnen des Holocausts. Warum kann jemand wie Bischof Richard Williamson heute hingehen und noch erklären, es habe keinen Holocaust gegeben?
Williamson gehört allerdings nicht zu jenen, die keinen Zugang zur Bildung hatten.
Lammers: Williamson hat studiert, aber er wirkt in die Gesellschaft, und seine Bemerkungen fallen vor allem bei jenen auf einen fruchtbaren Boden, die ungebildet sind. Ich persönlich bin auch der Ansicht, dass wir eine strikte Trennung von Staat und Kirche brauchen. Religionsunterricht hat in der Schule nichts zu suchen. Die Aufgabe des demokratischen Staates ist die Vermittlung von demokratischen und pluralistischen Werten, von Wissenschaft, aber nicht die Propagierung von Religionen.
Ist es wirklich nur eine Frage der Zugangsmöglichkeit? Schaut man sich auf Seiten von Kreationisten um, bekommt man den Eindruck, dass viele von ihnen schlicht nichts von klassischer Bildung halten.
Lammers: Das trifft zum Teil zu: Für viele beschränkt sich Bildung nur auf das, was zu den eigenen religiösen Vorstellungen passt. Sobald wissenschaftliche Erkenntnisse der Religion widersprechen, werden sie abgelehnt.
Das widerspricht ja ihrer These, dass der Zugang zu Bildung das größte Problem ist. In den USA sind ja auch gut qualifizierte und im Beruf erfolgreiche Menschen Teil der Kreationisten und der religiösen Rechten.
Lammers: Untersuchungen in den USA haben gezeigt, dass quer durch alle Schulformen und Teile der Bevölkerung Fehlvorstellungen zum Thema Evolution vorherrschen – selbst bei den 30%, die erklären, sie halten die Evolutionstheorie für richtig. Viele verwechseln Lamarck mit Darwin und Lamarcks Idee, die Giraffen haben lange Hälse, weil sie sich immer so strecken und geben dies über ihre Gene an die nächste Generation weiter, ist längst widerlegt. Ein Grund ist, dass die Kinder schon mit Fehlvorstellungen in die Schule kommen. Viele Kinder wird gepredigt, dass der Mensch die Krone der Schöpfung ist, es die Arche Noah gab und Menschen und Dinosaurier zur gleichen Zeit gelebt haben. Das sind Bilder, die Kinder prägen. Die Wissenschaft muss sich intensiv mit den Kreationisten beschäftigen und lernen, wie sie ihre Ansichten propagieren. Das betrifft die USA, wo das Problem des Kreationismus viel komplexer ist, ebenso wie Europa. Auch hier muss es in den nächsten Jahren zu mehr Grundlagenforschung kommen. Es ist ein ewiger Kampf zwischen der Wissenschaft und dem Glauben an eine Wahrheit, die nicht in Frage gestellt werden darf. Entscheidend ist, wer die Deutungshoheit erlangt.
Wissenschaft kann nie endgültige Wahrheiten bieten.
Lammers: Nein, das will sie ja auch gar nicht. Auch die Evolutionstheorie hat sich, alleine durch die Erkenntnisse aus der Genetik, weiter entwickelt und das wird sie weiterhin tun.
Gerade die Evolutionstheorie ist von ihrem Denkansatz her allerdings nicht nur eine biologische Theorie sondern eine Metatheorie, die auch in Bereichen wie den Gesellschafts- oder Sprachwissenschaften eingesetzt werden kann.
Und wie andere Metatheorien, denken sie nur an Freud oder Marx, unterliegt sie einem Wandel. Diese Fähigkeit, Theorien weiter zu entwickeln und neue Erkenntnisse aufzunehmen, ist ja eine der großen Stärken der Wissenschaft. Viele glaubten lange Zeit daran, dass es in der Evolution einen Trend zu Entwicklung immer komplexerer Einheiten gäbe. Wir wissen heute, dass es so einen Trend nicht gibt. Die zahlenmäßig größte und somit auch erfolgreichste Gruppe von Lebewesen auf diesem Planeten sind Einzeller. Evolution kennt keine Richtung. Auch diese Erkenntnis widerspricht kreationistischen Vorstellungen: Es gibt keine Hierarchie der Lebewesen. Die Evolution hat kein Ziel.
Die europäischen Gesellschaften sind säkularer als die USA. Schützt und das vor der kreationistischen Bewegung?
Lammers: Ja und nein. Einerseits haben wir eine starke säkulare Entwicklung in den vergangenen 150 Jahren gehabt. Ich glaube auch nicht, dass die Zahl der Kreationisten in Westeuropa stark steigen wird – sie hält sich auf einem hohen Niveau: 20 % der Westeuropäer gehören dazu. Was aber steigt, ist die Zahl derjenigen, die verunsichert sind. Was uns in einer Studie an der TU Dortmund stutzig gemacht hat, ist, dass sieben Prozent der Erstsemester im Bereich Biologie für das Lehramt kreationistische Vorstellungen haben. Das hat uns überrascht.
Geht in Europa die Gefahr nicht viel eher von den Esoterikern anstatt von den religiösen Rechten aus?
Lammers: Ja, im esoterischen Milieu ist die Ablehnung der Wissenschaft stark verbreitet. In diesem Bereich spielt neben dem Wissen auch der Umgang mit persönlichen Schicksalsschlägen oft eine Rolle. Es ist für einige Menschen leichter, mit einer schlimmen Krankheit wie Krebs umzugehen, wenn man sie mit Sinn verbinden kann, anstatt sich klar zu machen dass eine Mutation von Zellen, die, bei allen Faktoren wie Lebensweise und ähnliches, letztendlich zufällig passiert ist, dafür verantwortlich ist. Es gibt für diesen Zufall keine logische Erklärung, aber sie wünschen sich eine Erklärung, können die wissenschaftliche allerdings nicht akzeptieren. Das ist ein ganz ähnliches Phänomen wie bei den Verschwörungstheorien: Am 11. September sind die Juden schuld, Logen steuern unsere Gesellschaften und Kennedy wurde das Opfer eines Geheimbundes. Dennoch ist dabei nicht außer acht zu lassen, dass die New Age Bewegung keinesfalls so gut organisiert und um politischen Einfluss bemüht sind wie die kreationistische Bewegung.
Sind diese Phänomene eine Reaktion auf die Entzauberung der Welt durch die Wissenschaft?
Lammers: Ja, das ist ein Grund für den Erfolg von Kreationisten oder Esoterikern. Das sind Reaktionen auf die Modernisierung, die technologische Revolutionen und den wissenschaftlichen Fortschritt. Ein Grund ist auch, dass die Wissenschaft nicht nur Fortschritte bringt. Die Wissenschaft hat die Atombombe geschaffen und bringt auch Technologien hervor, die der Gesellschaft nicht nutzen. Die Industrialisierung hat auch zu Verwüstungen im ökologischen Bereich geführt. Für Menschen, die an die Schöpfung glauben, die davon ausgehen, dass Gott die Welt geschaffen hat, sind viele Eingriffe in die Natur nur schwer zu akzeptieren. Am Ende fokussieren sich die Kritiker der Wissenschaft auf die Fehlentwicklungen und übersehen die Fortschritte, die in der Medizin oder bei der Lebensmittelversorgung gemacht wurden.
Es ist aber auch eine Reaktion auf die zunehmende Zahl von Menschen, die nicht mehr gläubig sind. Irgendwo ist da die Sorge, dass durch weniger Gläubige die Unmoral Einzug in die Gesellschaft hält – was natürlich Unsinn ist. Man kann natürlich Werte haben und zu denen auch stehen, ohne an einen Gott zu glauben.
Die Esoterikbewegung besteht ja vor allem aus Leuten, die einen akademischen Hintergrund haben.
Lammers: Da wird einfach sehr vieles idealisiert und nicht mehr hinterfragt. Da wird der Dalai Lama als Vorbild dargestellt, aber ignoriert, dass der tibetische Lamaismus ein zutiefst autoritäres und reaktionäres Regime war. Aber Leute wie die Band Wir sind Helden, sind davon begeistert, pilgern zum Dalai Lama und erklären sich zu Buddhisten – damit findet sie dann unter ihren Fans Nachahmer. Was fehlt, ist ein gesunder Skeptizismus. Das betrifft nicht nur die Esoteriker – wir könnten in unserer ganzen Gesellschaft mehr Skeptizismus gut gebrauchen. Aufklärung bedeutet skeptisch zu sein gegen alles, was es gibt. Man muss alles immer wieder hinterfragen – auch gesellschaftliche Zustände oder natürlich die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Frage, wem nützt Wissenschaft, wer nutzt Wissenschaft, ist mehr als berechtigt.