Vor 15 Jahren war ich das erste Mal online. Es war alles ein wenig anders als heute…
Modems. Foto: lus
Im Winter 93/94 stand ich vor einer großen Investition: Ich wollte ein Modem kaufen. Die hießen damals Fax-Modems, aber faxen zu machen interessierte mich nicht. Das war nicht ganz einfach: Bis auf wenige, sehr teure Geräte, die man bei der Post kaufen musste, waren alle anderen Modems illegal. Ich kaufte meines, mit 1200 Baud, ein Mittelklassemodell, per Versand – legal durfte ich es nur im Ausland betreiben.
Mein Ziel waren die Mailboxen, das Newsnet. Ich hatte darüber in ein paar Büchern gelesen und einmal bei einem Freund – stolzer Besitzer eines Akustikkopplers – einen eher enttäuschenden Blick in die neue digitale Welt geworfen. In irgendeinem dieser Bücher las ich das Wort „Internet“. Genauer erklärt wurde es nicht, und so hatte ich keine Idee, um was es sich bei diesem Interdings handelte. Und dann kam der Tag, an dem an der Uni ein Seminar ausfiel und ich niemanden in der Cafeteria traf, den ich kannte. Also machte ich mich auf zum Hochschulrechenzentrum der Uni Essen – vielleicht konnten die mir ja erklären, was dieses Interdings eigentlich ist.
Eine freundliche junge Dame ließ mich ein. Ich fragte sie, ob mir jemand erklären könne, was es mit diesem Internet auf sich hätte. Sie konterte mit Gegenfragen: Matrikelnummer, Fachbereich, warum ich das überhaupt wissen will, und als ich alle Fragen beantwortet hatte, gab sie mir einen Zettel mit ein paar Zahlen und einem Passwort: „Das ist ihr Internetzugang, und ein Zimmer weiter erklärt ihnen ein Kollege, um was es überhaupt geht.“
Super – ich war drin. Nur wo ich drin war, wusste ich nicht.
Das sollte sich bald ändern. Ein Mitarbeiter des Hochschulrechenzentrums nahm sich meiner an. Er sollte es bald bereuen, denn meine Neugier ging einher mit einem tiefen, technischen Unverständnis. Mit wurde das damals brandneue World Wide Web gezeigt und erklärt, dass es alles verändern würde. Bald würde es, so war sich mein Mentor sicher, kaum noch Geschäftsflüge geben, denn über das WWW könnten endlich auch günstig Videokonferenzen realisiert werden. Musik, Filme – alles könnte man sich bald online anschauen – nur noch nicht heute – die Bandbreiten, damals galt ISDN als schnell, würden noch nicht ausreichen.
Doch das WWW war damals noch den Dozenten vorbehalten (die daran wenig Interesse hatten: Ich gehörte zu den ersten 200 Internetusern der Uni Essen) – ich bekam einen Zugang zu den Diensten Mail, News und Gopher. Dafür musste ich auf meinen LC II ein Terminalprogramm installieren, das aus dem kleinen, bunten Mac eine schnöde Eingabestation eines IBM Großrechners der mittleren Generation machte – über einen solchen ging ich via Modem online. Es war eine Zeitreise in die Computersteinzeit: Gegen das obskure IBM-Betriebssystem war DOS intuitiv zu bedienen.
Allein sich ins das Internet einzuwählen, war kompliziert. Die meisten an der Uni-Essen gingen damals über das hochschulinterne Netz online und wählten sich nicht von zu Hause aus. Ich verbrachte Stunden damit, zu verstehen wie es geht, und eine Menge Leute haben dabei geholfen. Für alle war es absolutes Neuland. Dann, es war ein Dienstag, klappte es schließlich. Die Einwahlprozedur funktionierte ohne einen Tippfehler (dann musste man wieder von vorne beginnen), ich gelang auf die Gopher-Suchmaschine Veronika und von da aus auf den Server von The WELL, damals wohl mit Abstand die wichtigste Community im Internet. Und das war wirklich überwältigend. Ich saß in einer Zechenwohnung in Gladbeck-Butendorf an einem Computer und hatte direkten Zugriff auf den Computer, auf dem die Texte von Howard Rheingold und vieler anderer Ureinwohner des digitalen Kontinents lagen. Ab diesem Augenblick erschienen mir Computer ohne Internetzugang wie Autos ohne Motoren.
Und nun, genau das war das Gefühl, hatte ich auch diesen Kontinent betreten. Es änderte alles, obwohl die Benutzung sperrig und langsam war und Gopher an eine altmodische DOS-Oberfläche ernnerte.
Das wichtigste Thema im Internet war damals das Internet selbst – ein wenig erinnert mich die heutige „Blogosphäre“ mit ihrer ausgeprägten Selbstreferentialität an diese Zeit. Da war etwas – relativ – Neues und nun diskutierte man ausgiebig darüber, was man denn damit anfangen sollte. Durfte es kommerziell werden? Sollte der Staat sich raushalten? Viele – auch ich – waren dafür, und lange hing die Unabhängigkeitserklärung von Perry Barlow neben meinem Schreibtisch: Regierungen der industriellen Welt, Ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes. Im Namen der Zukunft bitte ich Euch, Vertreter einer vergangenen Zeit: Laßt uns in Ruhe! Ihr seid bei uns nicht willkommen. Wo wir uns versammeln, besitzt Ihr keine Macht mehr.
Es war eine ungemein spannende Zeit, und sie spaltete meinen Bekanntenkreis: Wir, die online waren, diskutierten fieberhaft über all die neuen Möglichkeiten, die sich nun bieten würden, Und jene, die offline waren, hielten uns für durchgeknallte Irre.
Das Internet würde eine Möglichkeit zur demokratisierung der Gesellschaft bieten, Wissen allen zugänglich machen und Menschen über weiter Entfernungen zusammen rücken lassen. Die Welt, sie würde zu einem globalen Dorf werden. Wir wissen heute dass sich nicht all diese Träuem erfüllt haben, aber doch verdammt viele. Und irgendwie wurde einem auch sehr schnell klar, dass die Zeitung so wie man sie bis dahin kannte sich ändern musste. Ich erinnere mich noch an ein Gespräch mit einer WAZ-Redakteurin der ich erklärte, dass sich die WAZ morgen abbestellen würde, wenn ich zielgerichtet nur die Informationen bekommen könnte, die ich benötige – und dafür auch Geld zahlen würde. Die WAZ habe ich längst abbestellt – das mit dem Zahlen hat sich irgendwie nicht ergeben. 🙂
In meinen Hausarbeiten benutzte ich von da an Internetseiten als Quellen und musste mich mit meinen Dozenten über die Regeln des Zitierens einigen. Mir standen auf einen Schlag Informationen zur Verfügung, an die keiner rankam, der sich nur auf die Bibliothek verlies. Irgendwann im Sommer 1994 kam zum Internet noch ein Compuserve-Zugang. Damals zwar kein billiger Spaß, aber über Compuserve konnte ich auf Zeitschriftendatenbanken wie Magazin Database Plus zugreifen und erlebte die ersten Schritte des Spiegels im Online-Bereich. Später kam dann noch ein Webzugang über Compuserve dazu bis schließlich 1995 mit Netsurf ein günstiges Angebot für den Webzugang kam: Für 29,90 DM konnte man ins Internet. Nur die Telefongebühren kamen noch dazu – bei mir lagen die schnell bei 300 – 400 Mark im Monat. Also fing ich an, Zeitschriften Artikel über das Internet anzubieten, um die Kosten dieses teuren Hobby wieder rein zu bekommen. Marabo griff zu, ich wurde Redakteur und hatte so ganz nebenbei einen Beruf gefunden.