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?Es gibt auch ‚linke‘ Kreationisten?

Esoteriker und Kreationisten gewinnen immer mehr Anhänger. Warum ist die Dummheit auf dem Vormarsch? Ein Interview mit dem Politik- und Sozialwissenschaftler Christoph Lammers aus der  Fachgruppe Biologie an der TU Dortmund, der  sich mit dem Vordringen von Kreationismus und Esoterik in den westlichen Gesellschaften beschäftigt.

Herr Lammers, Kreationisten und Esoteriker gewinnen an Zulauf. Warum gelingt es der Wissenschaft nicht, sie zu überzeugen?
 
Christoph Lammers: Es ist schwierig, mit gläubigen Menschen über Wissenschaft oder Gottesvorstellungen zu diskutieren, denn Religion unterscheidet sich ja schon sehr deutlich von dem, was Wissenschaft möchte. Wissenschaft hat den Anspruch des Erkenntnisgewinns, Religion sieht sich dagegen im Besitz einer absoluten Wahrheit, die eigentlich nur noch unter das Volk gebracht werden muss.
Damit kann Wissenschaft nicht konkurrieren, denn Wissenschaft hat immer nur vorläufige Wahrheiten, denn immer wieder werden Theorien überprüft und verändert. Wissenschaft ist ja nicht die Sammlung aller wissenschaftlichen Erkenntnisse sondern eine Methode, diese Erkenntnisse zu erlangen, indem Theorien bewiesen werden oder Versuche wiederholbar sein müssen. Wenn tanzende Schamanen Kranke heilen würden und das ließe sich beweisen, dann hätte die Wissenschaft damit kein Problem. Nur: diese Dinge lassen sich nicht beweisen. Es gibt in den USA den Skeptiker und Zauberer James Randi. Seine Randi Educational Foundation (JREF) hat ein Preisgeld von einer Million Dollar für die erfolgreiche Demonstration übernatürlicher Fähigkeiten unter wissenschaftlichen Testbedingungen ausgesetzt – bis jetzt hat es keiner gewonnen. Tatsächlich ist von Uri Geller bis zu den Bachblüten nichts unter ganz normalen wissenschaftlichen Standards bewiesen worden.

Ist es ein Zufall, dass mit dem Aufkommen der Kreationisten in den 70er Jahren auch die New Age Bewegung an Zulauf gewonnen hat?

Lammers: Ich glaube, es ist Zufall, denn beide Gruppen mögen sich nicht, wenngleich beide Strömungen vom Erstarken des Irrationalismus in unserer Gesellschaft profitieren. Während allerdings die New Age Szene eher in der ‚Hippie-Bewegung‘ anzusiedeln ist, ist der Kreationismus in den USA in allen gesellschaftlichen Schichten anzutreffen. Somit kommt der Kreationismus  in allen Teilen der Gesellschaft vor, nicht nur im Bible Belt im Mittleren Westen. Die kreationistischen Vorstellungen beziehen sich übrigens nicht nur auf die Ablehnung der Evolutionstheorie. Viele radikale gläubige Christen weltweit, und damit auch Kreationisten, lehnen Homosexualität ebenso ab wie die Selbstbestimmung der Frau auf Abtreibung und haben zudem rassistische Vorstellungen.

Im Kern also tief konservativ und tief rechts?

Lammers: Ja, die allermeisten schon, aber es gibt mittlerweile auch „linke“ Kreationisten, die gemerkt haben, dass die Zeit von George W. Bush Jr. vorbei ist, und die versuchen, sich den neuen Gegebenheiten unter Barack Obama anzupassen und mit dem Präsidenten zu arrangieren. Viele Kreationisten haben jahrelang gepredigt, dass ein Schwarzer nicht Präsident werden kann, dass eine Frau nicht Präsidentin werden kann. Sie hatten ein klares Bild von einem weißen, puritanischen Amerika. Mit dem Erstarken der demokratischen Partei haben sich ja nun vor allem eines geändert:  Die USA hat einen schwarzen Präsidenten mit einem muslimischen Hintergrund. Da stellt sich die evangelikale Gesellschaft die Frage, wie sie mit dieser veränderten Situation umgeht. Das tut sie zum einen, indem sie Obama kritisiert, wenn er sagt, dass er gleichgeschlechtliche Partnerschaften ermöglichen oder Gelder für Projekte in der dritten Welt bewilligen will, in denen es auch um Abtreibung geht. Sie nehmen Obama als Übel in kauf und setzen weiter auf ihre Lobbyarbeit – mit etwas weniger rassistischen Untertönen. Zum anderen öffnet sich die evangelikale Bewegung gegenüber den Demokraten.

Was macht die Attraktivität des kreationistischen Denkens aus? Viele Kreationisten lehnen ja nicht nur die Evolution ab sondern glauben an eine Welt, die nur wenige tausend Jahre alt ist.

Lammers: Fakt ist: Die Erde ist ungefähr 4,5 Milliarden Jahre alt. Die Evolution begann vor ca. 3,5 Milliarden Jahren und den Menschen, wie wir ihn kennen, gibt es erst seit gut 40.000 Jahren. Und er ist nicht mehr als ein Primat unter vielen. Damit kommt die Evolutionstheorie der religiösen Schöpfungsvorstellung von der Krone der Schöpfung ins Gehege. Es wird immer deutlicher, wie eng wir mit Schimpansen und anderen Primaten verwandt sind: Es gibt viele kulturelle, sprachliche und soziale Gemeinsamkeiten zwischen uns und den anderen Affen. Die Attraktivität des Kreationismus und andere fundamentalistische Denkweisen liegen in ihrer Einfachheit der Erklärungen. Die Welt wird immer komplexer, das Wissen nimmt mit rasender Geschwindigkeit zu, aber es gibt in der Gesellschaft eine soziale Ungleichheit und wird im Zugang zu Bildung sehr deutlich. Viele Menschen haben keinen Zugang zu Bildung. Wenn wir den Menschen die Möglichkeit geben, zu lernen wie Wissenschaft funktioniert, wird es uns leichter fallen, wissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln. Das  betrifft nicht nur den Kreationismus, sondern auch das Leugnen des Holocausts. Warum kann jemand wie Bischof Richard Williamson heute hingehen und noch erklären, es habe keinen Holocaust gegeben?

Williamson gehört allerdings nicht zu jenen, die keinen Zugang zur Bildung hatten.

Lammers: Williamson hat studiert, aber er wirkt in die Gesellschaft, und seine Bemerkungen fallen vor allem bei jenen auf einen fruchtbaren Boden, die ungebildet sind. Ich persönlich bin auch der Ansicht, dass wir eine strikte Trennung von Staat und Kirche brauchen. Religionsunterricht hat in der Schule nichts zu suchen. Die Aufgabe des demokratischen Staates ist die Vermittlung von demokratischen und pluralistischen Werten, von Wissenschaft, aber nicht die Propagierung von Religionen.

Ist es wirklich nur eine Frage der Zugangsmöglichkeit? Schaut man sich auf Seiten von Kreationisten um, bekommt man den Eindruck, dass viele von ihnen schlicht nichts von klassischer Bildung halten.

Lammers: Das trifft zum Teil zu: Für viele beschränkt sich Bildung nur auf das, was zu den eigenen religiösen Vorstellungen passt. Sobald wissenschaftliche Erkenntnisse der Religion widersprechen, werden sie abgelehnt.

Das widerspricht ja ihrer These, dass der Zugang zu Bildung das größte Problem ist. In den USA sind ja auch gut qualifizierte und im Beruf erfolgreiche Menschen Teil der Kreationisten und der religiösen Rechten.

Lammers: Untersuchungen in den USA haben gezeigt, dass quer durch alle Schulformen und Teile der Bevölkerung Fehlvorstellungen zum Thema Evolution vorherrschen – selbst bei den 30%, die erklären, sie halten die Evolutionstheorie für richtig. Viele verwechseln Lamarck mit Darwin und Lamarcks Idee, die Giraffen haben lange Hälse, weil sie sich immer so strecken und geben dies über ihre Gene an die nächste Generation weiter, ist längst widerlegt. Ein Grund ist, dass die Kinder schon mit Fehlvorstellungen in die Schule kommen. Viele Kinder wird gepredigt, dass der Mensch die Krone der Schöpfung ist, es die Arche Noah gab und Menschen und Dinosaurier zur gleichen Zeit gelebt haben. Das sind Bilder, die Kinder prägen. Die Wissenschaft muss sich intensiv mit den Kreationisten beschäftigen und lernen, wie sie ihre Ansichten propagieren. Das betrifft die USA, wo das Problem des Kreationismus viel komplexer ist, ebenso wie Europa. Auch hier muss es in den nächsten Jahren zu mehr Grundlagenforschung kommen. Es ist ein ewiger Kampf zwischen der Wissenschaft und dem Glauben an eine Wahrheit, die nicht in Frage gestellt werden darf. Entscheidend ist, wer die Deutungshoheit erlangt.

Wissenschaft kann nie endgültige Wahrheiten bieten.

Lammers: Nein, das will sie ja auch gar nicht. Auch die Evolutionstheorie hat sich, alleine durch die Erkenntnisse aus der Genetik, weiter entwickelt und das wird sie weiterhin tun.
Gerade die Evolutionstheorie ist von ihrem Denkansatz her allerdings nicht nur eine biologische Theorie sondern eine Metatheorie, die auch in Bereichen wie den Gesellschafts- oder Sprachwissenschaften eingesetzt werden kann.
Und wie andere Metatheorien, denken sie nur an Freud oder Marx, unterliegt sie einem Wandel. Diese Fähigkeit, Theorien weiter zu entwickeln und neue Erkenntnisse aufzunehmen, ist ja eine der großen Stärken der Wissenschaft. Viele glaubten lange Zeit daran, dass es in der Evolution einen Trend zu Entwicklung immer komplexerer Einheiten gäbe. Wir wissen heute, dass es so einen Trend nicht gibt. Die zahlenmäßig größte und somit auch erfolgreichste Gruppe von Lebewesen auf diesem Planeten sind Einzeller. Evolution kennt keine Richtung. Auch diese Erkenntnis widerspricht kreationistischen Vorstellungen: Es gibt keine Hierarchie der Lebewesen. Die Evolution hat kein Ziel.

Die europäischen Gesellschaften sind säkularer als die USA. Schützt und das vor der kreationistischen Bewegung?

Lammers: Ja und nein. Einerseits haben wir eine starke säkulare Entwicklung in den vergangenen 150 Jahren gehabt. Ich glaube auch nicht, dass die Zahl der Kreationisten in Westeuropa stark steigen wird – sie hält sich auf einem hohen Niveau: 20 % der Westeuropäer gehören dazu. Was aber steigt, ist die Zahl derjenigen, die verunsichert sind. Was uns in einer Studie an der TU Dortmund stutzig gemacht hat, ist, dass sieben Prozent der Erstsemester im Bereich Biologie für das Lehramt kreationistische Vorstellungen haben. Das hat uns überrascht.

Geht in Europa die Gefahr nicht viel eher von den Esoterikern anstatt von den religiösen Rechten aus?

Lammers: Ja, im esoterischen Milieu ist die Ablehnung der Wissenschaft stark verbreitet. In diesem Bereich spielt neben dem Wissen auch der Umgang mit persönlichen Schicksalsschlägen oft eine Rolle. Es ist für einige Menschen leichter, mit einer schlimmen Krankheit wie Krebs umzugehen, wenn man sie mit Sinn verbinden kann, anstatt sich klar zu machen dass eine Mutation von Zellen, die, bei allen Faktoren wie Lebensweise und ähnliches, letztendlich zufällig passiert ist, dafür verantwortlich ist. Es gibt für diesen Zufall keine logische Erklärung, aber sie wünschen sich eine Erklärung,  können die wissenschaftliche allerdings nicht akzeptieren. Das ist ein ganz ähnliches Phänomen wie bei den Verschwörungstheorien: Am 11. September sind die Juden schuld, Logen steuern unsere Gesellschaften und Kennedy wurde das Opfer eines Geheimbundes. Dennoch ist dabei nicht außer acht zu lassen, dass die New Age Bewegung keinesfalls so gut organisiert und um politischen Einfluss bemüht sind wie die kreationistische Bewegung.

Sind diese Phänomene eine Reaktion auf die Entzauberung der Welt durch die Wissenschaft?

Lammers: Ja, das ist ein Grund für den Erfolg von Kreationisten oder Esoterikern. Das sind Reaktionen auf die Modernisierung, die technologische Revolutionen und den wissenschaftlichen Fortschritt. Ein Grund ist auch, dass die Wissenschaft nicht nur Fortschritte bringt. Die Wissenschaft hat die Atombombe geschaffen und bringt auch Technologien hervor, die der Gesellschaft nicht nutzen. Die Industrialisierung hat auch zu Verwüstungen im ökologischen Bereich geführt. Für Menschen, die an die Schöpfung glauben, die davon ausgehen, dass Gott die Welt geschaffen hat, sind viele Eingriffe in die Natur nur schwer zu akzeptieren. Am Ende fokussieren sich die Kritiker der Wissenschaft auf die Fehlentwicklungen und übersehen die Fortschritte, die in der Medizin oder bei der Lebensmittelversorgung gemacht wurden.
Es ist aber auch eine Reaktion auf die zunehmende Zahl von Menschen, die nicht mehr gläubig sind. Irgendwo ist da die Sorge, dass durch weniger Gläubige die Unmoral Einzug in die Gesellschaft hält – was natürlich Unsinn ist. Man kann natürlich Werte haben und zu denen auch stehen, ohne an einen Gott zu glauben.

Die Esoterikbewegung besteht ja vor allem aus Leuten, die einen akademischen Hintergrund haben.

Lammers: Da wird einfach sehr vieles idealisiert und nicht mehr hinterfragt. Da wird der Dalai Lama als Vorbild dargestellt, aber ignoriert, dass der tibetische Lamaismus ein zutiefst autoritäres und reaktionäres Regime war. Aber Leute wie die Band Wir sind Helden, sind davon begeistert, pilgern zum Dalai Lama und erklären sich zu Buddhisten – damit findet sie dann unter ihren Fans Nachahmer. Was fehlt, ist ein gesunder Skeptizismus. Das betrifft nicht nur die Esoteriker – wir könnten in unserer ganzen Gesellschaft mehr Skeptizismus gut gebrauchen. Aufklärung bedeutet skeptisch zu sein gegen alles, was es gibt. Man muss alles immer wieder hinterfragen – auch gesellschaftliche Zustände oder natürlich die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Frage, wem nützt Wissenschaft, wer nutzt Wissenschaft, ist mehr als berechtigt.
 

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Gelsenkirchen denkt über Stadtwerkgründung nach

 Im Ruhrgebiet könnte in wenigen Jahren ein neues Stadtwerk entstehen – und RWE an Einfluss verlieren.

Frank Baranowski. Foto: Stadt Gelsenkirchen

Als in den 90er Jahren im nördlichen Ruhrgebiet über die Gründung von Stadtwerken nachgedacht wurde und die RWE-Dominanz in Gefahr zu sein schien,  reagierte  RWE  auf die  Ideen der Städte mit der Gründung der Emscher Lippe Energie. Die Emscher Lippe Energie – kurz ELE – ist der führende Energieversorger  für  Gelsenkirchen, Gladbeck und Bottrop. Das Unternehmen gehört  RWE (58,9 Prozent), der vom RWE dominierten rhenag (20,1 Prozent) und mit je sieben Prozent den Städten Gladbeck und Bottrop sowie der stadteigenen Gelsenkirchener Gesellschaft für Energie und Wirtschaft (GEW).

Am 30. Juni 2013 enden die Verträge, und es ist nicht sicher, ob die Städte diese Verträge verlängern  werden. Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski macht sich in einem Papier, das uns vorliegt, Gedanken, ob die Gründung eines eigenen Stadtwerks oder die Kooperation mit den Nachbarstädten nicht lukrativer sein könnte. Da Ende 2014 auch die Konzessionsverträge der Stadt mit der GEW auslaufen, ist der Zeitpunkt günstig, neue Strukturen zu schaffen. Baranowski: "Das Auslaufen der Verträge eröffnet der Stadt Gelsenkirchen neue Handlungsmöglichkeiten.(…) Ein neuer Netzbetreiber könnte die GEW, ein eigenes, neu gegründetes Stadtwerk (unter Einbeziehung anderer Städte) sein oder aber ein bereits bestehender Energieversorger (z.B. benachbartes Stadtwerk, Gelsenwasser)." Gegenwärtig, so Frank Baranowski, gebe es Beispiele, bei denen Städte neue Stadtwerke gründen oder Überlegungen in diese Richtung anstellen. Für eine solche Lösung sprechen nach Ansicht Baranowskis auch politische Gründe: Ziele wie den verstärkten Einsatz regenerativer Energien, Klimaschutz etc. seien mit eigenen Stadtwerken leichter zu umzusetzen
Nun soll ein externer Berater  prüfen, was die für die Stadt beste Lösung ist: Die Fortsetzung des Status Quo, die Gründung eigener Stadtwerke,  eine Kooperation mit den Stadtwerken benachbarter Städte oder die Gründung eigener Stadtwerke unter Einbeziehung weiterer Partner.

 

Pro NRW: „Rechtspopulismus im Gewand einer Bürgerbewegung“

Aufklärung im Dortmunder Rathaus

„Rechtspopulismus im Gewand einer Bürgerbewegung“ – so lautet der Titel eines Vortrages der am, 12. Februar, 19 Uhr, im Saal Westfalia des Dortmunder Rathauses stattfindet.Referent ist Alexander Häusler, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsstelle Neonazismus der Fachhochschule Düsseldorf. Thema wird die so genannte „PRO-Bewegung“ sein,über  deren Ausläufer im Ruhrgebiet wir ja erst gestern wieder einmal berichtet haben, und die im Gegensatz zum offenen Rassismus anderer Parteien der extremen Rechten versuchen, sich als Bürgerbewegung zu tarnen. Alexander Häusler wird Hintergründe und politische Methodik erläutern und  Strategien vorstellen, mit denen präventiv gegen rechtspopulistische Agitation vorgegangen werden kann.

Mitschke: „Ruhr-Parlament direkt wählen, Tagungsort zweitranging“

Die CDU-Fraktion im RVR bezieht Stellung zur Forderung des Essener CDU-OB-Kandidaten Franz-Josef Britz, Essen zur Hauptstadr des Ruhrgebiets zu machen. 

CDU-Fraktonschef Roland Mitschke (Foto), begrüßt die durch Britz angestossene Diskussion über die Rolle der Städte im Ruhrgebiet, hält aber die "Hauptstadtfrage" für überbewertet: "In Berlin spielt es auch keine Rolle, in welchem Teil der Stadt welche Institution angesiedelt sind. Das Ruhrgebiet ist polyzentrisch gewachsen und verfügt über viele attraktive Zentren. Darin liegen Stärken  und Potentiale, die durch Intensivierung der Zusammenarbeit wirksamer gemacht werden könnten. Hier sind insbesondere die großen Städte gefordert, stärker als bisher Gemeinsamkeit zu demonstrieren und dabei nicht die kleineren Städte zu dominieren."

Wichtiger als die Frage wo ein künftiges Ruhrparlament tagt sei, dass es direkt von den Bürgern gewählt werden könne. Den Bedarf ab einem direkt gewählten Parlament macht Mitschke auch an der wachsenden Bedeutung des RVR fest: "In acht Monaten übernimmt der RVR wieder die Regionalplanung. Nach fast 35 Jahren kann dann wieder aus einer Hand für die gesamte Region geplant werden.  Kultur, Wirtschaftsförderung und Planung sind jetzt schon teilweise regional aufgestellt. Weitere Arbeitsfelder wie der öffentliche Personennahverkehr bieten sich für die Region an."In der Konsequenz heißt dies auch für die Städte, Entscheidungskompetenzen, Macht und nicht zuletzt Geld regionalen Instanzen zu übertragen." Und die sollen dann stärker als bislang demokratisch legitimiert sein.

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Pro Gelsenkirchen: Zum Glück ist es Hauer

Kevin Gareth Hauer ist Vorsitzender der Partei Pro Gelsenkirchen, stellvertretender Vorsitzender von Pro NRW und Mitglied im Rat Gelsenkirchen – einer im Sinne der Partei Pro NRW taktisch wohl wichtigen Stadt: In Gelsenkirchen will Pro NRW, so schätzt es die schon traditionell von Extremisten geplagte Stadt, ihren Durchbruch im Ruhrgebiet schaffen.

Foto: Stadt Gelsenkirchen

Dafür hat Pro Gelsenkirchen sich ein Programm gegeben, das an Dümmlichkeit kaum zu überbieten ist: Nach wie vor gehört Gelsenkirchen  – wie alle Städte des Ruhrgebiets – zu den sichersten Großstädten der Republik. Das stört Pro Gelsenkirchen allerdings nicht, im Programm über eine prekäre Sicherheitslage zu lamentieren: „ Insbesondere in den Problem-Stadtteilen Bismarck und Ückendorf, Hassel und Rotthausen aber auch in anderen Stadtteilen ist die Lage prekär. Dort haben sich regelrecht rechtsfreie Räume etabliert, in denen die Kriminalität sich unbehelligt ausbreitet.“ Für Konrad Kordts, Pressesprecher der Polizei Gelsenkirchen, reiner Unfug: Alle Ruhrgebietsstädte gehören zu den sichersten Städten in ganz Deutschland – und Gelsenkirchen ist die sicherste Großstadt des Ruhrgebiets. „Wir sind“, erklärt Kordts, „sogar noch etwas besser als die anderen.“ Auch rechtsfreie Räume – in Deutschland mal abgesehen von den „national-befreiten Zonen“ in der Ostzone ohnehin eine Seltenheit, gäbe es nicht.

Dass auch das wirtschaftspolitische Programm von Pro Gelsenkirchen kaum mehr als eine Aneinanderreihung von Unfug ist, verwundert nicht: Die Bevorzugung Gelsenkirchener Unternehmen bei Ausschreibungen ist rechtlich nicht möglich und verkennt, dass auch Gelsenkirchener Unternehmen gerne einmal Aufträge außerhalb der Stadtgrenzen annehmen.  Und bei einer Stadt mit so großen Finanzproblemen wie Gelsenkirchen ist auch eine Senkung der Gewerbesteuer nicht möglich – der Regierungspräsident würde sie schlicht nicht genehmigen. Ganz peinlich wird es aber, wenn Hauers Partei erklärt: Wir wollen keine Kommunalpolitiker, die als ihre erste Aufgabe den eigenen Machterhalt bzw. die Lösung der eigenen sozialen Fragen sehen“ und er höchstselbst in Postings  über Pro-Gelsenkirchen-kritische Blogger herzieht: „Anstatt sich um einen sozialversicherungspflichtigen Beruf zu kümmern, sitzen diese Subjekte anscheinend stundenlang vor dem Rechner und erstellen “blog”, um Unwahrheiten zu verbreiten.“ Große Worte für jemanden, der seit nunmehr bald 20 Semestern an der Ruhr-Universität Bochum eingeschrieben ist und als Beruf der Stadt gegenüber noch immer wahrheitsgemäß „Student“ angeben muss, sich im Wahlkampf aber als Leutnant der Reserve darstellt – eine weder abend- noch  kühlschrankfüllende Beschäftigung.

Aber Fleiß ist ohnehin Hauers Sache nicht. Im Rat hat er im vergangenen Jahr zwei von acht Sitzungen gefehlt, eine kleine Rede gehalten und eine Anfrage gestellt. Wieso kam mir bei der Beschäftigung mit Hauer immer das Wort Minderleister in den Sinn? Für so wenig Arbeit sind die gut 6000 Euro, die Hauer alleine im vergangenen Jahr aus seiner politischen Tätigkeit von der Stadt erhalten hat, eine Menge Geld. Geld, das er auch in Zukunft sicher gerne haben möchte, und so verwundert sein Engagement im Wahlkampf nicht. Wie der große Bruder in Köln kämpft auch Hauer gegen den Bau einer Moschee – in Gelsenkirchen soll sie im Stadtteil Horst gebaut werden. Dumm für Hauer, dass die größte Sorge der Anwohner weniger die Islamisierung des Abendlandes ist als der drohende Parkplatzmangel, der auftreten könnte, wenn die kleine Moschee (300 Plätze) gebaut wird. Die Stadt, die den Bau der Moschee noch einmal theoretisch  verhindern könnte, weil sie baurechtlich nicht an der vorgesehenen Stelle errichtet werden kann, hat auf die Sorgen der Anwohner reagiert und dafür gesorgt, dass der Moscheebetreiber mehr Parkplätze als ursprünglich vorgesehen errichten muss.

Doch der Streit um den Moscheebau in Horst war auch der Grund für eine juristische Auseinandersetzung, die morgen vor dem Landgericht in Essen weiter gehen wird, die interessante Verbindungen Hauers offen legte. Hauer hatte sich über den SPD-Ratsherrn Axel Barton aufgeregt: „Herr Barton soll sich lieber um seine Politik kümmern und nicht andere Menschen diskreditieren und Gestapo bzw. Stasi Methoden fröhnen.“ Das wollte Barton nicht auf sich sitzen lassen und zeigte Hauer an – der holte sich, natürlich, Rechtsbeistand. Hauer ließ sich in der Auseinandersetzung mit Barton vom Dortmunder Anwalt André Picker vertreten. Picker war nicht nur im NRW-Vorstand der  Republikaner und ist heute wie Hauer Vorstandsmitglied von Pro NRW, sondern er tat sich auch als Anwalt zahlreicher Rechtsradikaler hervor. Er vertrat Stjepan Jus von der Naziband „Weisse Wölfe“ in einem Prozess vor dem Landgericht München wegen versuchten Mordes. Auf der Nazi-Site Widerstand.info finden sich dann auch Danksagungen aus der Szene an Picker. Pro NRW sucht verzweifelt einen Erfolg im Ruhrgebiet.

In Gelsenkirchen sieht sie gute Chancen, sind doch seit Anfang der 90er Jahren Rechtsextreme  immer wieder in den Rat gekommen – auch wenn sich die rechten Fraktionen immer schnell wieder spalteten. Grünen-Urgestein Bernd Matzkowski, lange auch Mitglied im Rat, hat ihre Bemühungen beobachtet: „Sie kamen immer mit viel Trotz, Wut und wirren Parolen in den Rat und haben es nie geschafft, die Alltagsarbeit zu bewältigen. Meistens haben sie wirr abgestimmt, ohne dass man eine Linie auch nur erahnen konnte und wie Hauer, kaum etwas gesagt. Ich glaube sie hatten Angst, sich zu blamieren.“ Aber langfristig will Pro NRW ja auch in den Landtag, und das geht ohne Erfolge im Revier nicht. Und das erste Ziel heißt Gelsenkirchen. Wie gut, dass die größte Leuchte der Partei im Pott Kevin Gareth Hauer heißt: Die Chancen stehen gut, dass er es versemmeln wird.

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