Obwohl der Zentralrat der Juden bestürzt über den Rauswurf von Faruk Sen als Direktor des Zentrums für Türkeistudien ist, wird Sen sich kaum halten können. Er hat sich zu viele Feinde in der Politik gemacht – aber es wird nicht lange dauern, bis alle Faruk Sen vermissen werden.
Über Sens blöden Vergleich der Situation der Juden und der Türken wurde in den vergangenen Tagen viel geschrieben – auch hier in diesem Blog (Klick oder Klick). Ich würde mich freuen, wenn er es noch einmal schaffen würde, zurück zu kehren, glaube aber, dass es das nun war. Faruk Sen hat sich in den vergangenen Jahren in der Politik zu viele Feinde gemacht: Die SPD wollte ihn rauswerfen, weil er sich bei der letzten Kommunalwahl für Oliver Wittke stark gemacht hat, und mit der CDU liegt er über Kreuz, weil er dagegen war, dass sein Institut zugunsten der Industrie- und Handelskammern aus der Beratung von Existenzgründern mit Migrationshintergrund geflogen ist, in der es jahrelange Erfahrung sammeln konnte. Die Aufregung über seine Äusserungen in dem türkischen Magazin Referans waren da ein günstiger Anlass, und nun ist Zahltag. Faruk Sen ist ein Citoyen, ein unabhängiger Geist – und davon gibt es im Ruhrgebiet wenige. Beliebt sind sie schon einmal gar nicht.
Sens Gegner werden sich die Hände reiben, wenn er seinen Posten endgültig verloren hat. Seine Mitarbeiter werden weniger fröhlich sein: Ohne Sen sind die Überlebenschancen des Institutes gering. Es ist sein Institut, er hat es verkörpert, hat immer wieder die Projekte aufgetan, mit denen es seine Arbeit finanzierte – ohne ihn wird das alles bald vorbei sei oder so stark zurückgehen, dass das Zentrum für Türkeistudien in Vergessenheit (ZfT) geraten wird.
Und das wird ein Verlust sein, denn das ZfT hat die türkischstämmigen Migranten in ihrer Unterschiedlichkeit wahrgenommen: Hier waren sie Männer und Frauen, Unternehmer und Arbeitslose, vergnügungssüchtige Party-People oder konservative Familienmenschen – und manchmal mehreres zugleich. Kurzum: Ganz normale Leute wie Du und ich. Wenn Faruk Sens Stimme bald fehlen wird, werden sich andere für die türkischstämmigen Migranten einsetzen. Sie werden aus dem Kreis der Gläubigen kommen und die Türken vor allem als Muslime sehen – ob diese mit dieser eindimensionalen Sicht einverstanden sind, fragt sie natürlich niemand. Sen war eine Stimme der säkularen Türken – und ausser Vural Öger fällt mir keine weitere mit Bedeutung in Deutschland ein. Sen war ein Anhänger des liberalen Euro-Islams, wie ihn sein Freund Bassam Tibi vertritt – und Kemalist durch und durch.
Die Arbeit des ZfT und Faruk Sens hatte zwei Ziele: Es machte auf die Probleme der türkischen Migranten aufmerksam – und wollte zeigen, dass die Unterschiede zwischen ihnen und den Deutschen gar nicht so groß sind, wenn man sie in aller Ruhe betrachtet. Sen wollte Normalität und Entspannung, wollte Verständnis erzeugen und Vorurteile abbauen.
Bei den letzten Treffen mit ihm machte er auf mich einen entäuschten Eindruck. Die Dinge liefen nicht so, wie er es sich wünschte: Der EU-Beitritt der Türkei war in weite Ferne gerückt, das Verhältnis zwischen Türken und Deutschen war nach wie vor eher reserviert oder von Desinteresse geprägt als von dem Willen, zusammen zu leben und sich kennen zu lernen. Sen ärgerte sich über Türken, die ihre Ehepartner aus Anatolien holen und über die mangelnde Kreativität vieler türkischer Unternehmer. Er ärgerte sich über die mangelnden Fortschritte bei der Verständigung und über die Rücksicht der Politik auf religiöse Gruppen. Nein, er wirkte nicht zufrieden. Und er spürte, dass sich seine "Freunde" in der Politik und in den Medien von ihm abwenden. Wenn Faruk Sen bald wohl nicht mehr der Direktor des ZfT ist, ist das für ihn persönlich schlimm. Doch dass seine Stimme bald fehlen wird, ist für uns alle, ob Deutsche oder Türken, wesentlich schlimmer.