
Uwe Knüpfer, von 2000-2005 Chefredakteur der WAZ, zum Stellenabbau bei der WAZ-Gruppe und den Perspektiven von Regionalzeitungen. Mit er der WAZ als Tageszeitung ist er aufgewchsen.
Uwe Knüpfer Foto: Privat
Ruhrbarone: Die WAZ hat am Freitag das Aus für 260 Redakteure verkündet. Wäre so etwas in Ihrer Zeit denkbar gewesen?
Uwe Knüpfer: Nein, die WAZ war damals eine erfolgreiche Zeitung, die in
einem erfolgreichen Verlag erschien. Außerdem verstand sich die WAZ immer als „entschieden sozial“, und Anneliese Brost achtete in der Tradition ihres verstorbenen Mannes, des WAZ-Gründers Erich Brost, darauf, dass mit den Mitarbeitern menschlich umgegangen wurde.
Ruhrbarone: Aber die WAZ-Gruppe macht im Ruhrgebiet Verluste.
Knüpfer: Es werden von der Geschäftsführung Zahlen genannt, die nicht überprüfbar sind. Aber man darf nicht vergessen: NRZ, WR und WP wären seit Jahrzehnten defizitär, wenn sie nicht in der WAZ Gruppe aufgegangen wären. Aufwändige Lokalausgaben im ländlichen Raum und in Konkurrenzgebieten erhält man nicht aus betriebswirtschaftlichen Gründen, sie wurden aufrecht erhalten, weil man darin einen publizistischen Auftrag sah.
Ruhrbarone: Künftig sollen die Mantelteile von WAZ, NRZ und WR von einem gemeinsamen Newsdesk erstellt werden und in keiner Stadt es soll mehr zwei Lokalteile geben.
Knüpfer: Dass die WAZ Mediengruppe in Strukturen der 1970er Jahre erstarrt war und sich daraus befreien muss, weiß jeder, der sich über das Zeitungs-Angebot im Ruhrgebiet ärgert. Aus einer Ansammlung zechenfixierter Industriedörfer ist hier eine komplexe Riesenstadt geworden. Wenn das Publikum sich rasant ändert, das publizistische Angebot aber kaum, entsteht ein wachsendes Problem. Nur sollte man, wenn man ein hergebrachtes Porzellangeschäft renoviert, tunlichst nicht damit beginnen, sämtliches Porzellan im Laden zu zerdeppern. Newsdesk ist ein Modebegriff. Dahinter steht die Idee, Zeitung so zu produzieren wie Brötchen: Da ist ein Teig, und aus dem knetet man nach Bedarf Semmeln oder Baguettes. So funktionieren Zeitungen aber nicht. Zeitungen sind lebendige Organismen, sie sind wie Bäume, sie wachsen langsam und brauchen Wurzeln.
Zeitungen werden geprägt von den Menschen, die sie machen: den Redakteuren, den freien Mitarbeitern und auch den Boten. Mit diesen Menschen werden Zeitungen identifiziert. Wer glaubt, beliebige Zeitungen mit wechselnden Mitarbeitern von einem Newsdesk aus machen zu können, hat nicht verstanden, wie Zeitungen funktionieren.
Ruhrbarone: Mit 209 Stellen fallen die Personalkürzungen im Lokalbereich besonders drastisch aus.
Knüpfer: Die Lokalteile sind die Stärke der Zeitungen der WAZ-Gruppe. Die Geschäftsgrundlage von NRZ, WAZ, WR und WP ist die Verankerung in den Städten und Stadtteilen. Geben die Titel diese Verankerung auf, gefährden sie ihre Existenz. Das konnte man ja gut im Vest Recklinghausen sehen, wo die
WAZ die Schließung der Lokalredaktionen offenbar mit heftigen Auflagenverlusten bezahlt hat.
Ruhrbarone: Wie werden die Leser reagieren?
Knüpfer:: Treue Leser lassen sich viel gefallen. Der wichtigste Grund für die Kündigung eines Abonnements ist die unpünktliche Lieferung. Die Toleranz ist sehr groß, wenn sich die Leser ernst genommen fühlen. Leser leben mit den Zeitungen, sie reden nicht umsonst von „ihrer Zeitung“. Das ist eine ganz andere Bindung als die zu einem Schuhgeschäft oder einem Friseur – und viele kennen ihren Zusteller persönlich, kennen gerade in den kleineren Städten Mitarbeiter der Zeitung und verbinden Menschen und Gesichter mit ihr.
In dem Maße, in dem diese persönlichen Beziehungen zwischen den Menschen und den Mitarbeitern abbrechen, bricht auch die Beziehung zur Zeitung ab und es fällt dem Leser leichter, das Abo zu kündigen.
Ruhrbarone: Regionalzeitungen verlieren überall an Auflage. Wie sollten sie sich positionieren, um zukunftsfähig zu sein?
Knüpfer: Ihr Kerngeschäft pflegen: soliden Journalismus und Kundenpflege. Guter Journalismus wird immer gebraucht, das wird sich herumsprechen, wenn der Blog-Hype sich gelegt haben wird. Und Menschen wollen immer wissen, was um sie herum geschieht. Also: Lokales und Regionales hat Zukunft.
Verleger und Journalisten müssen akzeptieren, dass Zeitungen nicht mehr eine solche Rolle spielen und so profitabel sind wie in den 1950er bis 1980er Jahren. Das Rubrikengeschäft findet im Internet statt. Aber: Die Auflage der WAZ ist schon zu meiner Zeit und der meines Vorgängers gesunken; schon allein, weil die Bevölkerungszahl im Ruhrgebiet sinkt. Damit muss man umgehen können. Die offenbare Verschärfung der krisenhaften Entwicklung bei der WAZ-Gruppe ist die Folge katastrophaler personeller, organisatorischer und publizistischer Fehlentscheidungen der Verlagsleitung – nicht der Redakteure, Fotografen und Freien oder gar der Boten, die dafür jetzt bluten sollen. Jeder Markthändler weiß: Der Fisch stinkt vom Kopf.