2010 ist es da: Das Kulturhauptstadtjahr. Als wir es wurden, habe ich mich gefreut. Weniger, weil ich mich auf ein tolles Programm freute, ich lese lieber als das ich ins Theater oder ins Konzert gehe, sondern weil das Ruhrgebiet gemeinsam etwas gewonnen hatte und ich hoffte, dass das Lust auf mehr Kooperation macht.
Goethe und Schiller in Weimar. Foto: Flickr/froutes
Und im ersten Augenblick habe ich auch einen großen Marketingeffekt für das Revier gesehen. Doch dann bin ich in mich gegangen. Wen interessiert eigentlich die Kulturhauptstadt Europas? In den letzten Jahren habe ich immer mal rumgefragt, welche Stadt den gerade Kulturhauptstadt ist – kaum einer in meinem Freundeskreis wusste es. Mit der europaweiten Ausstrahlung konnte es also nicht so weit her sein. Und dann hat der Spiegel seine Archive geöffnet. Ich bin kein großer Feuilletonleser. Mein Referenzmedium ist der Spiegel. Also schaute ich nach, was das Magazin, das ich seit Jahrzehnten jeden Montag lese, über die letzte deutsche Kulturhauptstadt Weimar im Jahr 1999 so geschrieben hatte. Tatsächlich war Weimar in diesem Jahr ein Riesenthema – allerdings dominierte Monika Weimar die Berichterstattung. Die doppelte Kindermörderin hatte seinerzeit ihr Revisionsverfahren. Über die Kulturhauptstadt Weimar wurde auch berichtet – vor allem über Finanzprobleme, den Nachbau des Goethehauses neben dem Goethehaus und ein Bratwurstessverbot in der Innenstadt Weimars. Und dann feierte Goethe noch seinen 250. Geburtstag – auch bei diesem Thema kam an Weimar keiner vorbei, obwohl der Meister ja in Frankfurt geboren wurde. Aber die Kulturhauptstadt sorgte noch nicht einmal in Deutschland für sonderlich viel Aufmerksamkeit.
Das Essen für das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas geworden sei, sei das wichtige Ereignis gewesen, weil niemand der Stadt so etwas zugetraut hätte. Was im Jahr selbst passiert sei dagegen relativ unwichtig. Der Imagegewinn sei schon auf das Prestigekonto der Stadt eingezahlt – das erklärte ein Repräsentant Essens auf einem Wirtschaftsforum im vergangenem Herbst. Ist das zynisch? Es ist realistisch. Wäre die Kulturhauptstadt ein Megaereignis – Hamburg, Frankfurt oder München wären in den Ring gestiegen – und nicht Braunschweig und Münster. Was Scheitt und Gorny über Nachhaltigkeit und Kreativwirtschaft erzählen, kann man getrost vergessen – es sind die Stichworte, die man heute nun einmal benutzt, wenn man Fördermittel loseisen will. Wir bekommen ein neues Folkwangmuseum und der U-Turm wird erhalten. Ein paar Jahre nach dem Ende der Kulturhauptstadt, wenn von Kreativwirtschaft niemand mehr redet, wird Langemeyer dort sein Museum haben. OK, zwei tolle Gebäude, eine Party auf der A40 und sicher ein paar schöne Veranstaltungen – das wird das Kulturhauptstadtjahr sein. Und am 1.1.2011 wird alles so sein wie vorher. Events schaffen für eine Region keine neue Perspektive, sondern ein paar schöne Augenblicke. Das ist schon etwas. Aber wer glaubt, das Ruhrgebiet erfindet sich im Jahr 2010 neu und wird sich weltweiter Aufmerksamkeit erfreuen, wird sicher enttäuscht werden, und das nicht nur, aber sicher auch, wegen Istanbul.
Und das Schlimmste: Es gibt keine einzige Idee für eine Kooperation im Revier über das Jahr 2010 hinaus. Nichts. Nada. Niente. Die Chance, aus der einen erfolgreichen Kooperation eine Reihe zu machen, zu lernen, das man nur gemeinsam etwas erreicht, wurde vertan.
PS.: Da stehe ich beim Chinamann und während ich auf mein Chop Suey warte, blätter ich im Kinomagazin Trailer herum und finde ein Interview von Lutz Debus mit Jochen Malmsheimer zum Thema Kulturhauptstadt. Ihr müßt ein wenig herunterscrollen, aber der Text ist schlicht grandios. Ach, mehr als das, aber mir gehen gerade die Superlative aus.