Ende des Bergbaus 2: Mythos Bergmann

Es muss so Ende der 90er Jahre gewesen sein, als ich für das MARABO eine Geschichte über Jugendliche schrieb, die eine Ausbildung bei der DSK begonnen hatten. Dass der Bergbau seinem Ende entgegen ging, war damals längst klar, und dass er für Jugendliche keine langfristige Perspektive bieten würde, sowieso.

Also rief ich bei der Pressestelle der DSK an und bat um die Vermittlung eines Gespräches mit mehreren Auszubildenden.
„An wen hatten Sie denn so gedacht?“, fragte der Kollege von der Pressestelle, und ich erklärte, dass ich gerne mit vier bis fünf Azubis aus verschiedenen Berufsfeldern reden wollte.
Der Mann von der Pressestelle war erleichtert. „Wissen Sie, die meisten Ihrer Kollegen wollen nicht einfach Azubis sprechen, sondern am liebsten welche, die aus Familien kommen, die schon in der fünften Generation unter Tage sind.“ Und die gebe es nun einmal nicht so oft.
Das konnte ich mir ebenso gut vorstellen, wie es mit schwer fiel, an die großen Pütt-Dynastien mit ihrer Liebe zum Bergbau zu glauben. Denn ich stamme selbst aus einer Bergarbeiterfamilie, und alle meine Vorfahren wollten immer nur eins: Raus aus der Zeche.
Mein Urgroßvater mütterlicherseits kam nach Ende des Ersten Weltkriegs aus Wuppertal ins Ruhrgebiet, weil es für ihn als Färber keinen Job mehr gab. Er fuhr einmal unter Tage und schwor sich dann, dass weder er noch seine Söhne jemals dort unten arbeiten sollten. Er selbst hat es geschafft und schaffte auf einer Zeche in Lünen im Maschinenhaus. Seine Söhne machten alle eine Lehre außerhalb des Bergbaus, mussten aber dann doch runter: Es gab keine anderen Jobs für sie. Mein Großvater war mit 13 das erste Mal unter Tage und hatte auch schnell die Schnauze voll. Er versuchte sich als Fuhrmann und später als Lastwagenfahrer. Nach dem Krieg, dem zweiten, gab es auch  für ihn nur noch eine Jobmöglichkeit: Hauer.
Viele meiner Freunde, ich bin Jahrgang 64, hatten Väter im Bergbau. Jeder von ihnen nahm die erste Gelegenheit wahr, einen anderen Job zu ergreifen. Den viel zitierten Bergmannsadel mag es in Einzelfällen gegeben haben, aber er war immer eine Ausnahme. Bitte nur einmal kurz nachgedacht: Wer kriecht freiwillig auf allen Vieren bei über 30 Grad und Explosionsgefahr durch niedrige Stollen mit dem Wissen, dass ein Kilometer Erdreich nur darauf wartet, auf ihn hinunterzukrachen? Eben – Bergmann wurde man aus Mangel an Alternativen, aus Angst vor dem Elend und nicht aus Spaß oder Hingabe an einen Mythos.
Übrigens: Von den jugendlichen Azubis, die ich interviewte, wollten alle bis auf einen nach der Ausbildung das Fachabi machen und dann studieren. Nur einer von ihnen schwärmte vom Beruf des Bergmanns: Ein Junge, dessen Eltern erst zwei Jahre zuvor von Köln nach Dorsten gezogen waren. Bergmann war sein Traumberuf von Kindheit an – er hatte keinen Opa, der ihm die Flausen aus dem Kopf treiben konnte.

Teil 2: ?Über Kooperationen und Aufgabenteilung nachdenken?

Teil 2 des Interview mit Frank Baranowski  – Hier geht zu Teil 1

?: Aber  unter der SPD geführten Landesregierung  unterschied sich  die Schuldenpolitik  zwischen den Regierungspräsidien auch.

Baranowski: Das ist mir schon klar. Aber die Landesregierung bestimmt die Politik, eine Bezirksregierung ist in diesem Zusammenhang die der Regierung nachgeordnete Behörde. Politik wird bei der Landesregierung gemacht. Und da stellt sich auch die Frage, welchen Ermessensspielraum man einer Stadt einräumt.

?: Oberhausen hat doch eine Wette auf die Zukunft gemacht: Schulden wurden aufgenommen, es wurde investiert und am Ende ging die Rechnung nicht auf.

Baranowski: Machen wir uns nichts vor: Es ist absehbar, wann die nächsten Städte in die Pleite laufen. Oberhausen ist doch kein Sonderfall. Der Kreis Recklinghausen klagt doch nicht umsonst gegen das Gemeindefinanzierungsgesetz. Wir brauchen eine bessere Finanzausstattung der Kommunen, sonst kommen wir alle in vergleichbare Situationen wie Oberhausen.

?: Vielleicht ist es ja auch ein Fehler, dass es im Ruhrgebiet so viele eigene Städte mit all ihren Verwaltungen und Kostenapparaten gibt. Viele Städte schrumpfen und haben doch gar keine Chance mehr, allein zu überleben. Warum legen wir, wenn es schon nicht zu einer Ruhrstadt kommt, nicht ein paar Städte oder zumindest Institutionen zusammen?

Baranowski: Ich bin sehr dafür, über Kooperationen und Aufgabenteilung nachzudenken. Dazu gehört aber mehr als Politiker und Bürgermeister, dazu gehört ein gesellschaftlicher Konsens. Was würde denn passieren, wenn wir nur im Kulturbereich die Aufgaben der Städte untereinander verteilen würden? Die einen machen ein tolles Konzerthaus, andere Museen, ein Dritter konzentriert sich auf Theater. Ich könnte Ihnen jetzt schon sagen, wer alles aufschreien würde und wie die veröffentlichte Meinung dazu wäre. Alle lokalen Medien würde laut aufschreien und sagen: „Das ist der kulturelle Ausverkauf !“ – und auf anderen Handlungsfeldern wäre es doch nicht anders.
Solange das aber so ist und es nicht als eine Bereicherung des gesamten Ruhrgebiets gesehen wird, wird es auch keine Zusammenlegungen und keinen Verzicht geben. Wir sollten mehr über Aufteilung sprechen, aber dazu gehört, dass nicht derjenige, der den ersten Schritt in dieser Richtung macht, an den Pranger gestellt wird – und das wird so kommen. Nehmen sie das Beispiel DFB-Fußballmuseum. Da stehen Dortmund und Gelsenkirchen im Wettbewerb miteinander – wissen Sie, was passiert, wenn sich eine Stadt freiwillig zurückzieht?

?: Ich möchte es mir in diesem Fall noch nicht einmal ausmalen. Was aber wäre denn, wenn nicht Dortmund oder Gelsenkirchen, sondern das Ruhrgebiet sagen würde: Wir wollen das Fußballmuseum, das sind unsere Standorte und jetzt wähle aus, DFB?

Baranowski: So ein Verfahren fände ich gut, aber das ist nicht in allen gesellschaftlichen Gruppen akzeptiert, dass, wenn das Ruhrgebiet der Gewinner ist, die eigene Stadt ruhig auch mal auf etwas verzichten kann. Ich  merke das tagtäglich. Wenn ein Unternehmen die eine Stadt verlässt und sich in der Nachbarschaft niederlässt, wird das doch sofort als Verlust für die eigene Stadt wahrgenommen. Auch wenn man erklärt, dass die Firma ja dem Ruhrgebiet erhalten bleibt und die Bürger der eigenen Stadt keinen Job verloren haben. Vor allem diejenigen, die sich in Sonntagsreden für das Ruhrgebiet stark machen, fallen da schnell auf eine lokale Sichtweise zurück, und das, obwohl längst klar ist: Gelsenkirchen profitiert von Ansiedlungserfolgen in Marl, Bochum von Erfolgen in Essen und Herne von Erfolgen in Gelsenkirchen. Genauso sind die Probleme einer Stadt die Probleme aller Städte. Doch wenn es zum Schwur kommt, wird noch immer in sehr engen kommunalen Grenzen gedacht.

?: Wird sich das nicht abschleifen?

Baranowski: Ich glaube, das wird ein längerer Prozess werden.

?: Den man beschleunigen könnte?

Baranowski:
Dabei sind wir doch auf einem guten Weg und haben an Fahrt aufgenommen. Schauen sie sich die Kooperationen im Bereich der Unternehmensansiedlungen an. Mittlerweile kooperieren wir mit anderen Städten, wenn wir keinen Platz für eine Unternehmensansiedlung haben und teilen uns dann die Gewerbesteuer.

?: Bei dieser Entwicklung sollen Sie der entscheidende Motor gewesen sein.

Baranowski:
Das ist doch egal – Hauptsache, es funktioniert jetzt und das tut es. Immer mehr Städte haben sich dieser Initiative von Essen und Gelsenkirchen angeschlossen. Für mich ist der Erfolg des Gewerbeflächenpools ein Beispiel für die Richtung, in die wir gehen müssen. Die Städte fangen an, zusammenzuarbeiten und schließen Verträge miteinander ab. Das ist besser, als wenn man darauf wartet, dass etwas von oben nach unten geschieht.

?: Die Erfahrung lehrt etwas anderes. Beispiel Nahverkehr: Die Städte hätten hier immer kooperieren können und haben es nicht getan. Das Ergebnis ist ein teurer und schlechter Nahverkehr im Ruhrgebiet. Unter der einsamen Entscheidung der Vestischen, die Straßenbahnen abzuschaffen, leiden heute noch ganze Städte. Aus einer regionalen Sicht hätte man einen solchen Unsinn vielleicht nie gemacht, und Städte wie Gladbeck, Bottrop, Recklinghausen oder Herten wären heute ans U-Bahn-Netz  angeschlossen.

Baranowski:
Natürlich sind in der Vergangenheit auch aus meiner Sicht falsche Entscheidungen getroffen worden. Die U-Bahn in Gelsenkirchen hätte ich in Richtung Essen ausgebaut und nicht in Richtung Norden. Aber es ist müßig, sich darüber heute noch zu beklagen. Wir müssen daran arbeiten, dass die Probleme im Nahverkehr künftig gelöst werden.

?: Durch eine gemeinsame Nahverkehrsgesellschaft?

Baranowski: Perspektivisch ja, aber das wird ein langer Weg und wir müssen die Menschen, die heute in den Nahverkehrsunternehmen arbeiten, mitnehmen. Ein erster Schritt wird eine viel engere Zusammenarbeit sein, als es heute der Fall ist. Und wieder gilt: Wir brauchen Akzeptanz. Denn klar ist doch auch, ein solcher Weg wird Arbeitsplätze kosten. Angefangen bei der Putzfrau bis hin zu den Vorständen. Ich weiß nicht, ob wir uns das in der gegenwärtigen Situation leisten können.  So etwas kann man nicht von oben befehlen, das muss wachsen – aber es gibt keine Alternative zu dieser Entwicklung. Allein der Kostendruck wird dafür sorgen, dass die Städte sich langfristig die heutige Nahverkehrsstruktur nicht mehr leisten können.
Wir müssen lernen, auf  das Ruhrgebiet als Ganzes zu  schauen. Und das nicht nur in Fragen der Infrastruktur, sondern auch bei der Bildung oder den sozialen Verwerfungen im Ruhrgebiet –  aber das sehen die Bürgermeister der anderen Städte auch so.

?: Können das die OBs denn leisten und brauchen wir nicht eine Institution, die eine regionale Sicht hat, damit nicht alles von den Kompromissen der OBs abhängig ist?

Baranowski: Ja, es muss eine solche Einrichtung geben – aber wenn, dann mit einer zweiten Kammer, in der die Städte vertreten sind. Es wäre fatal, wenn es auf der einen Seite Entscheidungen gäbe, die Finanzfolgen für die Städte hätten, ohne dass die Kommunen ein Mitspracherecht hätten.

?: Ist das nicht das Schicksal der Städte und weder auf Landes- noch auf  Bundesebene anders?

Baranowski: Das ist ja auch ein Fehler. Alle staatlichen Ebenen entscheiden auf Kosten der Kommunen, die aber als einzige Ebene gezwungen sind, zu konsolidieren. Das kann nicht gut gehen. Wenn Bund und Land uns ständig neue Aufgaben geben, müssen sie auch für eine vernünftige Finanzierung sorgen. Uns immer mehr Aufgaben zu übertragen, uns kein Geld zu geben  und uns gleichzeitig zum Sparen zu zwingen, nimmt uns alle Handlungsmöglichkeiten.

?: Und auf regionaler Ebene wollen sie dann Mitspracherecht?

Baranowski: Ich will es auf allen Ebenen, aber wenn wir jetzt im Ruhrgebiet etwas Neues schaffen, können wir doch gleich die alten Fehler vermeiden. Ich glaube, ein Ruhrparlament und eine Kammer für die Städte würde zu einer deutlich höheren Akzeptanz führen – wobei ich für einen ehrenamtlichen Rat an Stelle eines professionellen Parlamentes wäre. Wichtig ist auch, dass keine Region dominiert. Es gibt die Sorge in der Emscher/Lippe-Region, von den Städten im Zentrum dominiert zu werden.

?: Aber dann müssten konsequenterweise auch die Bürgermeister der kreisabhängigen Städte in einer solchen kommunalen Kammer vertreten sein, denn der RVR wird Planungshoheit bekommen und im Bereich der Planung sind ja die Landräte außen vor.

Baranowski: Man  muss sehen, wie so eine Kammer konkret aussehen wird. Nur gemeinsam mit den Kommunen und einer Instanz, die das ganze Ruhrgebiet im Blick hat, können wir die Zukunftsfragen der Region lösen.

?: Hängt die Beantwortung vieler Zukunftsfragen im Ruhrgebiet nicht vom demographischen Wandel ab? Immerhin gehören wir zu den wenigen Stadtregionen auf der Welt, die schrumpfen.

Baranowski: Ja, aber es gibt auch Rückzüge aus dem Münsterland, denn ab einem gewissen Alter merken die Menschen, dass sie dort nicht so gut leben können. Die Wege zum Arzt oder zum Einkaufen sind weit, man braucht vielleicht sogar zwei Autos. Wir müssen uns bemühen, hier eine Infrastruktur bereitzuhalten, die es ermöglicht, sich wohnortnah zu versorgen – auch mit attraktiven kulturellen Angeboten. Unser Blick auf die Bedürfnisse der Senioren ist mir im Übrigen viel zu undifferenziert: Alle ab 60 packen wir ein einen großen Topf – wohingegen wir bei Jugendlichen aus gutem Grund sehr genau differenzieren. Angebote für 60jährige müssen anders sein als für über 90jährige. Die Lebensphase „Alter“ ist sehr lang geworden und hat in jedem Teil ihre ganz eigenen Chancen und Probleme. Darauf müssen wir Antworten entwickeln.

?: Müssen wir uns nicht auch noch mehr Mühe geben, junge Familien im Ruhrgebiet zu halten?

Baranowski: Da haben alle Ruhrgebietsstädte viel Zeit verloren. Wir haben in Gelsenkirchen angefangen, Bauland für junge Familien bereit zu stellen, würden uns aber eine größere Nachfrage wünschen. Für mich steht aber fest: Der langfristige Trend der steigenden Energiepreise wird die Positionen der Städte gegenüber dem ländlichen Raum im Wettbewerb um junge Familien stärken – aber wir müssen für jungen Familien noch bessere Angebote schaffen.

?: In Gelsenkirchen ist das einer der Schwerpunkte Ihrer Politik.

Baranowski: Ja, wir besuchen Familien gleich nach der Geburt eine Kindes, stellen Betreuungs- und Unterstützungsmöglichkeiten vor, bemühen uns auch nach Möglichkeiten,  Kindergarten-Gebühren niedrig zu halten, die Ganztagsangebote auszubauen und geben Schulkindern Bibliotheksgutscheine, um sie so ans Lesen heranzuführen. Wir haben auch das Jugend- und das Schulverwaltungsamt zusammengelegt. Sich intensiv um die Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen zu kümmern, ist für mich die Grundlage jeder sozialen Politik. Wir müssen darauf achten, dass vor allem Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien den Anschluss nicht verlieren und dass ihre Chancen gewahrt bleiben. Nur gut ausgebildete Kinder und Jugendliche haben später auch bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt – und gut ausgebildete Menschen machen eine Stadt nicht nur zu einer sozialen Stadt, sondern auch zu einer, die attraktiv für Investoren ist.

?: Der Arbeitsmarkt hat sich in Gelsenkirchen in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt. Sie konnten sogar, was die Arbeitslosigkeit, betrifft, zeitweise Dortmund hinter sich lassen.

Baranowski: Dass der Arbeitsmarkt sich bei uns gut entwickelt hat, freut uns. Das Ranking mit Dortmund ist nicht entscheidend. Alle Städte im Ruhrgebiet haben eine zu hohe Arbeitslosigkeit und einen viel weiteren Weg vor als hinter sich. Was nutzen solche Rankings einem Arbeitslosen in Dortmund oder Gelsenkirchen? Nichts. Werfen Sie lieber einen Blick auf die Gesamtlage im Ruhrgebiet.

?: Wenn  ich auf das gesamte Ruhrgebiet schaue, sehe ich, dass sich Gelsenkirchen gut entwickelt hat. Was haben Sie getan?

Baranowski: Wir arbeiten sehr eng mit der Arbeitsagentur zusammen. Wenn ein Unternehmen sich für Gelsenkirchen interessiert, tun wir alles dafür, um die möglichen Mitarbeiter passgenau zu qualifizieren. Und natürlich haben wir auch vom Aufschwung der vergangenen Jahre profitiert. Kommt es zur Krise, wie sie von Vielen erwartet wird, werden wir allerdings genau so wie alle in Deutschland schwere Rückschläge erleben – ich mache mir da keine Illusionen.

?: Warum hat Gelsenkirchen trotz der Erfolge der vergangenen Jahre noch immer ein schlechtes Image?

Baranowski: Es ist sehr schwer, etwas an diesem Image zu ändern. Ich habe mal zu Beginn meiner Amtszeit Journalisten von führenden Medien eingeladen, sich Gelsenkirchen näher anzuschauen. Wir sind mit dem Bus durch die Stadt gefahren und haben ihnen gezeigt, welches unsere Herausforderungen sind und wo wir uns auf einem guten Weg befinden. Das kam gut an – aber nach ein paar Monaten war kaum einer der Journalisten noch auf seinem alten Platz. Die Aktion ist also leider verpufft. Ich glaube, es wird noch sehr lange dauern, bis wir das Negativimage abgelegt haben. Solche Bilder wie „Verblühende Landschaften West“ sind leider sehr stabil.

 

Mannis Schwäche

Nicht wenige der Autoren in diesem Blog interessieren sich für Fußball. Einige der Kollegen können sogar trefflich Fußballspiele analysieren – zu denen gehöre ich sicher nicht. Das macht die Anhängerschaft zu Schalke 04 vielleicht leichter, ist jedoch wohl keine Bedingung, wie ein sehr schönes Interview mit Manni Breuckmann in der Welt zeigt, der Mann, mit dem ich an einem Tag im Sommer 2001 die wohl dramatischsten Augenblicke meiner bisher 20jährigen Schalker Zeit erleben durfte.

Musterwestfale unter Druck

Zwei gegen das Revier: RVR-Chef Klink und Dortmunds OB Langemeyer

 

Dortmunds Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer ist ein gut vernetzter Mann. Er sitzt im Aufsichtsrat der schlingernden WestLB, ist Teil des Aufsichtsrates der Kultur.2010 GmbH und natürlich gehört er auch zum Beirat von Borussia Dortmund, und bis vor nicht allzu langer Zeit sah es ganz so aus, als ob es zu ihm keine Alternative eines Kandidaten bei der nächsten Kommunalwahl geben würde. 

Doch nun häufen sich, nach Jahren des Erfolges, die Probleme: Da verschwinden gut eine Million Euronen aus der Kasse seines Büros, unter anderem durch die Nase einer koksenden Mitarbeiterin, floppt der groß angekündigte Bau eines neuen Bahnhofes, gab es Ärger um den Ausbau der Dortmunder U zu einem Zentrum für Kreativwirtschaft und bemängeln Parteimitglieder hinter vorgehaltener Hand, dass Langemeyer viel zu wenig volksnah sei. Dass sich innerparteilich Dortmunds Planungsdezernent Ulrich Sierau auf eine eigene Kandidatur warmzulaufen scheint, macht die Sache für Langemeyer ebenso wenig leichter  wie das Gerücht, dass der Arnsberger Regierungspräsident Helmut Diegel (und Ehemann der Grünen Landtagsabgeordneten Barbara Steffens) als CDU-Kandidat gegen ihn antreten soll. Und dann liegt er auch noch im Dauerstreit mit seiner Partei und vor allem deren Vorsitzenden, Franz-Josef Drabig.

Ein Hauch von Götterdämmerung in Dortmund. Der Mann, dem wir den profillosen Heinz-Dieter Klink als Chef des RVR zu verdanken haben, der kaum mehr als eine Bauchrednerpuppe von seinen Gnaden ist,  der sich bei jeder Gelegenheit gegen das Ruhrgebiet stellte und Dortmunds Zukunft als Vorort von Münster sieht, könnte bald Vergangenheit sein. Dafür spricht auch, dass im Dortmunder Rathaus ein beeindruckendes Hauen und Stechen begonnen hat. Langemeyer säbelt Widersacher ab und befördert hektisch Günstlinge. Alles nach Gutsherren Art – eben ganz westfälisch.

Langemeyer wankt. Für das Ruhrgebiet eine gute Nachricht, denn wenn es jemanden gab, der in den vergangenen Jahren alles getan hat, um das Zusammenwachsen des Reviers zu blockieren, dann er. Langemeyers Ende wäre keine Garantie dafür, dass sich Dortmund aus seinen Westfalen-Träumen löst, aber die Chance dazu würde zumindest bestehen. Redet man mit Sierau, fällt häufig das Wort Ruhrgebiet. Spricht man mit Langemeyer, kann der sich gerade einmal den Begriff "westfälisches Ruhrgebiet" herauspressen und macht dann noch dabei ein Gesicht, als würde ihm die Galle hochkommen.

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SPD mit neuem Team

Gut, der SPD ging es lange schlecht. Täglich wechselten die Parteivorsitzenden, stündlich brachen die Umfragen ein. Und die aktuelle Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel ist in Wirklichkeit die gut geliftete, ältere Schwester von Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Aber jetzt setzt die SPD auf ein neues Team. Junge, unverbrauchte Gesichter, flotte Mode und innovative, CO2-sparende Ökomobile sollen die Wende bringen. Wir zeigen erstmals das neue Werbevideo einer SPD 2.0, die das Land rocken wird.

Mein Gott, Dein Gott…

Foto: EugeniusD80

Im Gop-Varieté in Essen hat kürzlich die Buddha-Lounge eröffnet. Und jetzt ist schon wieder Schluß. Was ist geschehen? War das Bier schal? Die Gäste öde? Die Musik dröge? Nein, es ist Schluß mit der Buddha-Lounge, weil die Betreiber nicht die Namensrechte haben. Die liegen allerdings nicht bei irgendwelchen halbverhungerten indischen Yogis, sondern bei einem Herrn in Paris, und der betreibt eine Kneipe namens Buddha-Bar. Nun müssen bis Februar Alternativen her… .

„Ich bin wichtig…“

Hat zu tun: Philipp Mißfelder. Foto: PR

Hat zu tun: Philipp Mißfelder. Foto: Mißfelder/PR

Eine ganze Menge Menschen haben im Augenblick viel zu tun: Verkäuferinnen, Kellner, Köche, Steuerberater sind bis zum Jahresende im Stress und für den Weihnachtsmann hat die härteste Zeit des Jahres sowieso gerade erst begonnen. Nur Wenige machen indes über diese Tatsache so ein Bohei wie die junge Hoffnung der CDU Philipp Mißfelder aus dem Ruhrgebiet. In einer Pressemitteilung weist er auf die besonderen Belastungen seines Berufes in der Weihnachtszeit hin: „In der letzten Sitzungswoche im Jahr gibt es immer besonders viele Termine. Viele Vorhaben müssen noch im alten Kalenderjahr zum Abschluss gebracht und viele Beschlüsse gefasst werden. Bei einer dieser zahlreichen wichtigen Sitzungen nicht anwesend zu sein, kann sich ein Abgeordneter in dieser Abschlusswoche des parlamentarischen Jahres kaum leisten."OK, im Rest des Jahres kann man also gepflegt im Café Einstein rumhängen und darauf hoffen, von Hauptstadtjournalisten angeqautscht zu werden. Die Erfahrung, viele Termine zu haben, scheint für Mißfelder so besonders zu sein, dass er in der Mitteilung gleich drei Mal darauf hinweist. Und reden wird er im Ausschuß auch: Neben zahlreichen weiteren Terminen wird Philipp Mißfelder im Ausschuss für Kultur und Medien zu einem Gesetzentwurf zur Stärkung des gesellschaftlichen und bürgerlichen Engagements von Jugendlichen Stellung nehmen. Das ist ungefähr so beeindruckend, als ob die freundliche Dame an der Wursttheke meines Supermarktes darauf hinweist, dass sie vor Weihnachten einen Kringel Fleischwurst verkauft hat. Ihr Job ist es, Wurst zu verkaufen und Mißfelder hat nun einmal auf Sitzungen rum zu hängen und dann und wann einmal etwas zu sagen. Besonderen Dank und Bewunderung verdienen beide dafür nicht: Es ist ihr Job, und dafür werden sie bezahlt. Im Falle von Mißfelder gar nicht mal so schlecht – kaum ein Dauerstudent der Geschichte dürfte an sein Salär herankommen.

Lauf, Schüler, lauf…

Schützenbruder Foto: Florian Seiffert

Schützenbruder. Foto: Florian Seiffert

Der Rat der Stadt Marl ist etwas für Kenner… und er ist immer wieder für eine Überraschung gut. Jetzt können sich die Politiker nicht entscheiden, ob sie in einer Realschule einen Schießstand für einen Schützenverein erlauben sollen, oder nicht. Die Entscheidung darüber wurde erst einmal vertagt. Eine Mehrheit gegen die Schützenbrüder war wohl nicht zu finden. Wir erinnern uns: Es gibt zwei Arten von Schützen: Die einen sind froh, wenn sie bei Trinkgelagen mit dem Bierglas den eigenen Mund treffen und nicht den Ausschnitt der Gattin des Metzgermeisters. Die anderen machen sich mit schweren Waffen wichtig und erzählen was von meditativer Wirkung durch das Eins werden von Mann und Waffe, was wieder einmal belegt, dass Woody Allen Recht hatte, als er die Gegenthese zu Freud aufstellte, dass nicht nur Frauen vom Penisneid betroffen seien. Wer Marl kennt, ahnt, dass hier eher die trinkfreudigen Gesellen gemeint sind – aber auch die können nicht einfach in die Kneipe gehen und sich friedlich betrinken, sondern benötigen dafür einen geselligen Hintergrund. "Schatz, ich begebe mich heute mit meinen Freunden auf die Jagd nach meiner letzten Gehirnzelle" klingt nun einmal nicht so gut wie "Schatz, ich geh zum Vereinsvorstand, da sind Satzungsfragen zu diskutieren."

Aber auf die Idee, einem Haufen von Menschen – drücken wir uns vorsichtig aus, "mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit ein Alkoholproblem bekommen zu können" – mit ihren Waffen Zugang zu einer Schule zu verschaffen, muß man erst einmal kommen. Dann gibt es neben dem Jägerlatein vielleicht bald das Schützenlatein: "Ich hatte da letztes Jahr einen kapitalen Zehntklässler vor dem Rohr". Humor haben Sie jedenfalls, die Marler.

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Aachen vor…

Während im Ruhrgebiet noch der unbedeutendste Lokalpolitiker darüber wacht, dass niemand seinen Kirchturm anrührt, gibt es Regionen, die ein wenig pfiffiger sind. Die Aachener zum Beispiel. Die haben sich zu einer Städteregion zusammengeschlossen und werden bei der kommenden Kommunalwahl sogar einen gemeinsamen Repräsentanten wählen. Das Landkreis Aachen wird aufgelöst – es fallen also Stellen weg und sogar Geld wird gespart. Und warum macht das Aachener Umland das alles? weil sie wissen, dass sie mit Kleinstädterei nicht wahrgenommen werden – als Städteregion schon. Und auch der Repräsentant dieser Region wird künftig wahrgenommen werden – wird er doch von allen Bürgern gewählt. Eine ganz andere Liga als der Regionalverband Ruhr und sein Direktor Herr Klink. Es geht also, wenn man will. Blöd nur, dass andere schon wieder schneller sind.

Sieg der Provinz

Die Landesregierung hat sich von der Schaffung eines Ruhrbezirkes verabschiedet. In der Mitte der nächsten Legislaturperiode soll jetzt entschieden werden. Das heißt übersetzt: Niemals. Den eigenen Ruhrbezirk wird es nicht geben. Es ist der Sieg der Provinz über die Vernunft. Es ist ein Triumph weitgehend überflüssiger Bürokraten, profilloser Vorortpolitiker und Besitzstandswahrer.
Aus Sicht des Landes ist es nur folgerichtig, die Reform der Landesstrukturen, dessen großer Gewinner das Ruhrgebiet gewesen wäre, zu stoppen: Die Widerstände in der Provinz waren zu groß und aus dem Ruhrgebiet gab es keine nennenswerte Unterstützung für die Reformen. Nicht nur die Sozialdemokraten haben sich gegen die Strukturreform aufgestellt – parteitaktisch vernünftig, aber natürlich unverantwortlich, auch aus der CDU gab es nur Kritik.
Viele CDU Orts- und Kreisverbände haben sich gegen ihre eigene Landesregierung aufgestellt. Es waren die gleichen Vorortpolitiker, die das Wahlprogramm der Union, in der die Forderung nach einem einigen Ruhrgebiet stand, immer unterstützt haben. Soll man ihre Namen nennen? Überflüssig: Haben Sie schon mal den Namen Hovenjürgen gehört? Eben. Bei einer Partei, die so uneinig ist, die so schnell bereit ist, ihre eigene Programmatik zu verraten, stellt sich die Frage der Regierungsfähigkeit. Durchsetzungsstark ist anders.
Aber es fehlten auch die Stimmen, die von der Landesregierung laut forderten, sich an ihre Versprechen zu halten und das Ruhrgebiet zu stärken. Der Regionalverband Ruhr, die einzige Klammer des Ruhrgebiets, ist, seitdem Rot-Grün Heinz-Dieter Klink an die Spitze gewählt hat, in der Unbedeutung verschwunden. Seinen Auftrag, das Ruhrgebiet zu schwächen, hat Klink bestens erfüllt. Er konnte dabei das tun, was er am besten kann: Nichts.
Was werden die Konsequenzen sein? Das Ruhrgebiet hat sich endgültig davon verabschiedet, eine Metropole zu werden – und vor allem die kleinen Städte werden die Verlierer sein. Formal unabhängig, werden sie zu Vororten degenerieren. Essen wird seine Rolle als das natürliche Zentrum der Region in Zukunft konsequent ausspielen – gemeinsame Strukturen, die für das Erreichen gemeinsamer Ziele sorgen könnten, gibt es nicht. Auch die Regionalplanung würde einen starken Regionalverband benötigen – den es nicht gibt.
Vielleicht ist ja das freie Spiel der Kräfte tatsächlich die beste Lösung: Sie nimmt den Provinzpolitikern die Möglichkeiten zum Handeln. Essen wird künftig eine Leitfunktion für die Region einnehmen. Wer erfolgreich sein will, wird sich dieser Tatsache anpassen, wer sich nicht anpassen will, wird an Bedeutung noch mehr verlieren. Die Sieger von heute haben die Grundlage für ihre eigene grandiose Niederlage geschaffen. Sie sollen gefälligst nicht jammern, wenn sie es in ein paar Jahren bemerken.