Welt sieht Kreis auch weiterhin im RVR

Jochen Welt. Foto: Ruhrbarone

Jochen Welt, der Landrat des Kreises Recklinghausen, sieht den Kreis Recklinghausen nicht vor dem Austritt aus dem Regionalverband Ruhr. „Dafür gäbe es im Kreistag keine Zwei-Drittel-Mehrheit.“
Den Plänen anderer Oberbürgermeister und Landräte, alternativ zum RVR einen neuen Verband zu schaffen, steht Welt jedoch positiv gegenüber: „Den RVR-Vorstand mit den Oberbürgermeistern und Landräten des Ruhrgebiets abzuschaffen, war ein Fehler der Landesregierung. Dass wir uns jetzt neue Formen der Zusammenarbeit suchen, war doch klar und ist auch legitim.“ Ob das langfristig Auswirkungen auf die Zukunft des RVRs haben wird, könne heute niemand seriös vorhersagen. Welt sprach sich auch dagegen aus, dem RVR die Regionalplanung zu übertragen. „Ich bin gegen eine Vermischung staatlicher und kommunaler Aufgaben. Ich sehe bei mir im Kreis ja, dass das zu Schwierigkeiten führt.“
Welt bevorzugt für das Ruhrgebiet ein Modell, bei dem es eine zuständige staatliche Ebene für das Ruhrgebiet gibt und parallel dazu eine eigene Organisation der Städte – wenn auch anfangs ohne Parlament. „Wir müssen erst die stärkere Zusammenarbeit der Städte organisieren und dann auch für eine parlamentarische Kontrolle sorgen.“

Zöpel: „Städteverbund ist galoppierender, provinzieller Schwachsinn!“

Christoph Zöpel. Foto: Ruhrbarone

Christoph Zöpel (SPD), ehemaliger Landesminister und Staatsminister im Auswärtigen Amt, ist von der Idee seiner Parteifreunde, den RVR aufzulösen und stattdessen einen losen Städteverbund zu gründen, wenig angetan: "Diese Idee ist galoppierender, provinizieller Schwachsinn!" Nirgendwo auf der Welt gäbe es ein Beispiel für eine erfolgreiche Kooperation ohne rechtlich verbindliche Grundlage und ohne ein gewähltes Parlament. "Da wird das Ruhrgebiet keine Ausnahme sein", so Zöpel. Das Ruhrgebiet brauche einen rechtlichen Rahmen und ein direkt gewähltes Parlament. "Ideal wären zwei Kammern: Eine, in der die Städte vertreten sind und eine zweite, die von den Bürgern gewählt wird." Dies seien die einzigen Garanten dafür, dass die Interessen aller auch vertreten werden. Zöpel sprach sich auch für die Schaffung eines Ruhrbezirks aus, wie ihn die Landesregierung plant – allerdings mit stärkeren demokratischen Elementen.
 

CDU: Keine Alternative zum RVR – Skepsis bei der Bochumer SPD

 
Roland Mitschke (CDU)

Auch die Union reagiert geschockt auf die Pläne führender Sozialdemokraten und Oberbürgermeister, den RVR durch einen neuen Verband zu ersetzen, der kein Parlament mehr hat und von den angeblich so starken Oberbürgermeistern und Landräten des Reviers dominiert wird. Der Regionalverband Ruhr – so Roland Mitschke, Fraktionsvorsitzender im Ruhrparlament – arbeitet auf vom Landtag verabschiedeter gesetzlicher Grundlage mit gesetzlichen Pflichtaufgaben. Der RVR steht somit nicht in der Verfügung von Oberbürgermeistern und Landräten. Die kreisfreien Städte und die Kreise, so Mitschke weiter, hätten allerdings die Möglichkeit, in den Räten und Kreistagen in diesem Jahr Beschlüsse zum Austritt aus dem RVR, jedoch mit 2/3 Mehrheit, herbeizuführen. Mitschke hält das, mit Ausnnahme des Kreises Wesel, für aussichtslos. Die CDU kritisiert allerdings die RVR-Führung. Regionaldirektor Klink und seine drei Bereichsleiter liessen jegliche Führung und Initiative vermissen. Weder die Politik noch die Wirtschaft akzeptierten die RVR-Spitze als ernsthaften Gesprächspartner. Klink hatte, so die CDU, – nach eigener Aussage – nicht einmal eine Einladung zum Zukunftskongress des Initiativkreises erhalten.

Auch in der SPD haben die Austrittspläne einiger Genossen nicht nur Freunde. Der Vorsitzende der Bochumer SPD, Bernd Faulenbach, sieht zwar in der Abschaffung des von den Oberbürgermeistern und Landräten dominierten Vorstandes eine Schwächung des Regionalverbandes, ein Grund zum Austritt aus dem RVR ist das für ihn nicht. Vor wenigen Wochen auf die damals schon kursierende Gerüchte angesprochen, erklärte Faulenbach: "Die Bochumer SPD wird so etwas nicht unterstützen."

Auch die FDP stellt sich gegen die Pläne der SPD. Thomas Nückel, bei den Ruhrbaronen so etwas wie der fünfte Beatle und ein wenig schreibfaul, ist Fraktionsvorsitzender der FDP im RVR. Thomas Nückel in einer Erklärung: „Der nun vorgeschlagene Städtebund ist ein Konstrukt, das für „Kirchturmdenken und Behäbigkeit der OBs“ steht – und das ohne parlamentarische Kontrolle." Nückel unterstellt Langemeyer Gier auf die Unternehmen des RVR – die allerdings zumeist knapp an der Pleite vorbei agieren und hochsubventioniert sind. Wer bei Sinnen ist, wird sie nicht haben wollen. Thomas Nückel trotzdem: "Es besteht die große Gefahr, dass Langemeyer sich über diesen Umweg die Unternehmen des RVR (z.B. AGR) einverleiben will, um einerseits seinen langgehegten Traum vom einem Dortmunder Kommunalkonzern zu verwirklichen und so anderserseits auch seine großen Probleme vor Ort zu lösen – auf Kosten der Bürger der Metropole Ruhr."

Rot-Grün streitet um den RVR

Die Grünen sind sauer auf die SPD. Foto: Flickr/Helga_262

Unsere kleine Meldung über das drohende Ende des RVR hat rasch für Aufmerksamkeit gesorgt. Mittlerweile hat nicht nur die WAZ das Thema aufgegriffen, auch die Politik beschäftigt sich mit den Plänen der Sozialdemokraten, die einzige Ruhrgebietsorganisation zu zerschlagen, und durch einen Oberbürgermeisterverein zu ersetzen. Zugegeben, unter seinem jetzigen Chef Heinz-Dieter Klink ist der RVR wahrlich keine treibende Kraft im Revier, aber eines, hoffentlich nicht allzu fernen Tages, wird Klink zu Hause dem Müßiggang frönen und jemand auf seinem Sessel sitzen, für den Arbeit, Engagement und Herzblut keine Fremdworte sind und der sich seiner Verantwortung für über fünf Millionen Menschen im Ruhrgebiet bewusst ist. Als erstes sind die Grünen aufgewacht. Zwar haben sie als Koalitionspartner der SPD den kleinen Mann aus Gelsenkirchen zum RVR-Direktor gewählt, zum Erfüllungsgehilfen der Sozialdemokraten bei der Zerschlagung des Reviers wollen sie sich jedoch nicht machen. Auf Ablehnung stößt auch der Versuch, das Ruhrparlament zu schleifen. Die Grünen reagieren mit Unverständnis: Sabine von der Beck, Fraktionsvorsitzende der Grünen im RVR, weist darauf hin, dass der Regionalverband auf wichtigen Feldern wie etwa in der regionalen Wirtschaftsförderung, der Kulturhauptstadt RUHR.2010 und der gemeinsame Regionalplanung ab 2010 die richtigen Schritte hin zu einer zukunftsfähigen Metropole gerade erst nachhaltig eingeleitet hat: „Ich kann nicht glauben, dass die SPD-Parteibasis es nun einigen wenigen Oberbürgermeistern einiger weniger großer Städte durchgehen lässt, diese zentralen Errungenschaften auf dem Altar ihrer lokalen Sonderinteressen zu opfern.“
Auch Martin Tönnes, Fraktionsvorsitzender der Grünen im RVR, ist von den SPD-Plänen nicht begeistert: "Wir fordern mehr und nicht weniger regionale Demokratie! Anstatt die mittelbaren demokratischen Institutionen des Regionalverbands zu beseitigen, setzen wir uns für deren Stärkung ein. Wir wollen eine Direktwahl des Ruhrgebietsparlaments und des Regionaldirektors als oberstem Repräsentanten der Metropole Ruhr."

Hinter den Kulissen diskutieren einige Grüne schon, ob nicht der Zeitpunkt gekommen ist, die Koalition mit der SPD im RVR aufzukündigen. Schon einmal, 2005 bei der Wahl von Hanns-Ludwig Brauser zum Chef der Wirtschafsförderung, waren die Grünen zum Absprung bereit. Die CDU verpasste jedoch die Chance auf eine Schwarz-Grün-Gelbe Koalition im Revier und setzte auf die Zusammenarbeit mit der SPD. Die kam aber nicht zu Stande.

 

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RVR Ende naht

In Essen wird bald eine Immobilie frei: RVR-Gebäude. Foto: RVR

Das Aus für den Regionalverband Ruhr (RVR) kommt jetzt in grossen Schritten: Die Ruhrgebiets-SPD wird in wenigen Wochen ein Konzept für einen RVR-Nachfolger vorstellen. Die Genossen verübeln es der Landesregierung, dass sie den RVR-Vorstand, bestehend aus den Oberbürgermeistern und Landräten, aufgelöst hat und durch einen normalen Hauptausschuss ersetzt hat, wie ihn jeder Rat hat. Detail am Rande: Im "Ruhrparlament" hat die SPD keine Mehrheit, im alten Vorstand dagegen eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Ersetzt werden soll der RVR durch einen neuen, von den Städten dominierten, Verband ohne eigenes Parlament. Das Konzept soll auf einem SPD-Parteitag im Frühjahr vorgestellt und beschlossen werden. Bis zum Herbst könnten die Städte dann ihre Austrittsoption nutzen. Der neue Verband soll künftig Aufgaben wie Wirtschaftsförderung, Kultur und Tourismus organisieren, an welchen die Städte gemeinsam arbeiten wollen. Der Verband soll eine feste vertragliche Grundlage und auch eine solide Finanzierung bekommen. "Wenn wir uns auf weitere Aufgaben einigen, können wir auch die gemeinsam angehen", so erklärte es mir ein Ruhrgebietssozialdemokrat. Auch Kontakte zu CDU-Oberbürgermeistern bestehen bereits. Die wollen diesen Kurs – zum Teil zumindest – mitgehen. "Was keiner will", so mein Gesprächspartner, "ist, dass der RVR die Regionalplanung bekommt. Das traut denen niemand zu und das wird auch nicht passieren."
Würde eine kritische Masse an Städten und Kreisen aus dem RVR austreten und einen neuen Verband gründen, würde dieser eine Sogwirkung auf die verbliebenen Städte entwickeln, auch auszutreten, denn ein Rumpf-RVR würde endgültig jeden Sinn verlieren.

Legion der Unsichtbaren

Fotos: Städte Köln, Frankfurt, Düsseldorf, Berlin und RVR

Das Ruhrgebiet braucht keinen starken Repräsentanten, es hat viele starke Oberbürgermeister – den Satz habe ich mehr als einmal gehört. Doch die Repräsentanten der Revierstädte werden nicht wahrgenommen – niemand kennt sie, auch wenn Städte wie Essen oder Dortmund größer sind als Düsseldorf – ihre OBs, Wolfgang Reiniger und Gerhard Langemeyer, sind trotzdem Teil der Legion der Unsichtbaren. Ich habe fünf Tage lang die Namen der lokalen Spitzenpolitiker des Reviers in Google-News eingegeben, und sie mit ihre Kollegen aus Berlin, Frankfurt, Düsseldorf und Köln verglichen. Sondereffekte wie Nokia habe ich rausgenommen und einen Durchschnitt gebildet. Das Ergebnis, über das man natürlich diskutieren kann, zeigt: Das Ruhrgebiet braucht nicht nur ein Parlament, dass sich in regionale Aufgaben wie Nahverkehr, Wirtschaftsförderung und Kultur einmischt, sondern auch einen Repräsentanten, der dem Revier ein Gesicht und eine Stimme verleiht – natürlich von allen Bürgern gewählt. Damit auch eines klar ist: Ich will nicht sagen, dass die OBs einen schlechten Job machen, weil sie nicht bekannt sind. Sie haben in dieser Stadtlandschaft einfach  kaum eine Chance sich zu profilieren – schon weil die Nachbarn darauf aupassen.   Die Zahlen:

                     

Bottrop Peter Noetzel: 1
Bochum Ottilie Scholz  6
Dortmund Gerhard Langemeyer 7
Hagen Peter Demnitz    2
Hamm Thomas Hunsteger-Petermann 0
Mülheim Dagmar Mühlenfeld 3
Duisburg  Adolf Sauerland  30
Oberhausen Klaus Wehling 1
Gelsenkirchen Frank Baranowski 8
Herne Horst Schiereck 4
Kreis RE   Jochen Welt 24
Kreis EN  Arnim Brux 3
Kreis WES Ansgar Müller 14
Kreis UN Michael Makiolla 2
RVR Heinz Dieter Klink 0
Köln Fritz Schramma 180
Frankfurt Petra Roth 158
Düsseldorf Joachim Erwin 68
Berlin Klaus Wowereit 492
     

Traurig aber wahr: Die Bürgermeister und Landräte des Reviers repräsentieren noch nicht einmal die Bürger ihrer Städte jenseits der eigenen Stadtgrenzen. Vom Ruhrgebiet ganz zu schweigen.

Dokumentation: Ruhrgebietsumfrage 2001

2001 hat die WAZ die letzte große Umfrage zum Ruhrgebiet bestellt. Da geht es auch darum, wie sich Dortmunder und Duisburger fühlen: Immer noch mehr als Ruhrgebietler denn als Westfalen oder Rheinländer – das taten schon 2001 vor allem die Alten. In erster Linie sind alle  natürlich Deutsche etc.. Und viele sehen die Kirchturmpoltik als ein Problem an. Mein alter Kumpel Peter Kruck und sein Institut BIFAK  haben sie damals gemacht – und Peter hat sie den Ruhrbaronen zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür. Hier isse.

Unsichtbares Ruhrgebiet


Ruhrgebiet in den Medien: Bundesliga dominiert Foto: Privat

In die Medien kommt das Ruhrgebiet vor allem über Ereignisse, nicht über Personen. Und Ereignisse produziert vor allem der Fußball: Wirft man einen Blick in Google-News, scheint das Ruhrgebiet eine Gegend zu sein, die mal um zwei, mal drei oder vier Stadien herum liegt. Und dann gibt es noch Opel, Nokia und die Zechen. Die großen Jobkrisen sind spektakulär, viel spektakulärer als die vielen kleinen Erfolge, als die mittelständischen Unternehmen, die im Revier Jobs schaffen. Und so prägen auch die Krisen das Bild vom Ruhrgebiet. Nur ganz selten blitzen sternschnuppengleich Erfolge auf: Die ThyssenKrupp-Heimkehr war eine solche Meldung.

Das Bild des Ruhrgebiets ist also das einer strukturschwachen Region, in der junge Männer in kurzen Hosen gerne gegen Bälle treten.

Was dem Ruhrgebiet vor allem fehlt, ist ein Gesicht. Frankfurt hat Petra Roth, Berlin Klaus Wowereit und München Christian Uhde. Ihre Städte haben Gesichter, sind mit Personen verbunden, die sich immer wieder auch zu Themen jenseits ihrer Städte zu Wort melden, die in Talkshows eingeladen werden, die sich und ihre Region repräsentieren. Sie können auch die Geschichten der kleinen Erfolge erzählen, sind Imageträger.
Und in diesem Bereich der medialen Vermittlung, der durch den Hang der Medien zu Personalisierung von Nachrichten in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen hat, kann das Ruhrgebiet nicht mithalten. Gut, mit Beitz, Müller und Grossmann gibt es wieder drei veritable Ruhrbarone, aber kann es sich eine Region erlauben, von ein paar Managern repräsentiert zu werden? Was, wenn statt diesen dreien, die in der Tat eine starke mediale Präsenz haben, eines Tages graue Mäuse an ihre Stelle treten?
Die Ruhrbarone, sie reichen nicht aus – das Ruhrgebiet braucht einen Kopf, demokratisch legitimiert, mit einer Adresse, an die sich Journalisten und Unternehmer wenden. Einen solchen Kopf gibt es nicht – die Oberbürgermeister, jeder von ihnen medial schon auf Landesebene unterhalb jeder Wahrnehmungsschwelle, wollen nicht, dass jemand ihre vergleichsweise kleinen Lichter überstrahlt.

Somit ist das Ruhrgebiet, was die mediale Präsenz betrifft, schlecht aufgestellt.

Ein weiteres Problem ist, dass das Ruhrgebiet keine Talente anzieht und die, die aus ihm hervorgehen, exportiert. Berlin auf die Berliner reduziert ist vor allem eine Ansammlung langweiliger bis muffliger Transfer-Empfänger – aber die Stadt zieht interessante, kreative Menschen an und das nicht nur aus Deutschland: David Bowie und Iggy Pop lebten dort in den 70ern. Heute schwärmen Bratt Pitt und Angelina Jolie von der einstigen Mauerstadt. Und das Ruhrgebiet: Ob Herbert Grönemeyer, Ingo Naujoks, Claude-Oliver Rudolph, Philip Boa oder FM Einheit – wir exportieren sogar noch unsere Talente.
Der Fluch des Ruhrgebietes ist sein Mangel an Zentralität. Selbst so etwas Banales wie den Sitz eines Regierungspräsidiums gibt es in dieser Region nicht. Eine Region ohne zentrale Funktionen, im besten Falle solche, die kulturell, wirtschaftlich oder politisch über die Region hinaus Bedeutung besitzen, produziert keine Nachrichten, ist nicht Sitz von Medien mit überregionaler Strahlkraft und nicht in der Lage, ihr Bild in der Öffentlichkeit selbst zu bestimmen. Sie ist Objekt der Berichterstattung – und damit nicht Zentrum, schon gar nicht Metropole, sondern Provinz.

Auch wenn das Ruhrgebiet wirtschaftlich stark ist, der Sitz zahlreicher Konzerne und gar im Energiebereich durchaus eine bundesweit dominierende Rolle einnimmt – das ewige Gejammer um Unterstützung, das permanente Einfordern von Solidarität, das Betteln um Subventionen und Fördergelder – es schwächt das Bild des Ruhrgebiets. Die Region ist auch so stark auf Hilfe von außen angewiesen, weil sie die möglichen Synergieeffekte nicht nutzt. Wenn ich ein Steuerzahler in München wäre – meine Begeisterung, mit meinen Steuergeldern ein paar Dutzend vor sich hin wurschtelnde Nahverkehrsunternehmen, 56 Stadt- und Kreisverwaltungen und viele, viele andere überflüssige Parallel-Organisationen durchfüttern zu sollen, würde sich in engen Grenzen halten.

Die Alimentierung des Reviers verhindert nicht nur die Entwicklung effizienter Strukturen, sie raubt der Region ihren Stolz, und das spürt man auch medial.

Natürlich gibt es Ausnahmen. In Bereichen, in denen die Zentralität traditionell nicht allzu stark ausgebildet ist, in denen das Ruhrgebiet wettbewerbsfähig ist, ist das Ruhrgebiet gut vertreten: Wissenschaft und Fußball sind die beiden Themenfelder, in denen das Revier auch international wahrgenommen wird. Vor allem die Berichte über Schalke 04 und Borussia Dortmund gehen um die Welt.
Hier ist das Ruhrgebiet mit seinen im Augenblick vier Bundesligisten sehr gut dabei. Der fußballerische Erfolg führt aber auch zu einer Verzerrung in der Wahrnehmung: Weil die anderen Bereiche, weil Politik, Kultur, aber auch Nachtleben, Einkaufen oder andere Freizeitbereiche nicht vorkommen.
Jeder hat eine Ahnung von München oder Berlin, die so wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat wie die medial transportierten Bilder über das Ruhrgebiet. Die Images dieser Städte sind aber attraktiver, weil sie scheinbar umfassender sind, weil sie nicht auf so wenige Aspekte wie Fußball und Großindustrie reduziert werden – die Berichterstattung über den Wissenschaftsbereich spielt für die große Masse der Medienkonsumenten keine allzu wichtige Rolle.
Hinzu kommt, dass es seit Ende der 90er Jahre keine aktive Öffentlichkeitsarbeit des Ruhrgebietes gibt. War die Kampagne „Ein starkes Stück Deutschland“ noch ein Vorbild für zahlreiche spätere Stadt- und Regionalkampagnen, hat man diese Arbeit seit längerem aufgegeben. Stattdessen setzt der Regionalverband Ruhr, der Zusammenschluss der Städte des Ruhrgebiets, auf eine mediale Repräsentanz der Region durch Großereignisse wie die Kulturhauptstadt 2010. Ein riskantes Konzept, hat man doch auf die Qualität solcher Ereignisse und ihre Öffentlichkeitswirksamkeit nur einen beschränkten Einfluss. Dass dieses Konzept eher eine Verlegenheitslösung als eine Strategie ist, wird daran deutlich, dass es für die Zeit nach der Kulturhauptstadt überhaupt keine Pläne für vergleichbare Großereignisse gibt.

Das Problem des Ruhrgebiets bei seiner medialen Repräsentation ist das Problem des Ruhrgebiets in seinem Alltag: Es fehlt der Region an Bedeutung. Die muss sie einfordern, und das kann sie nur zusammen: Mit 5,5 Millionen Menschen kann man Ansprüche stellen, nicht ewig auf weitere Unterstützung – das ist würdelos – sondern auf seinen Teil vom Kuchen: Ein Regierungspräsidium, mehr Geld für die Hochschulen, Ansiedlung von Landes- und Bundesbehörden, von europäischen Institutionen. Warum ist das Landesarbeitsamt in Münster? Warum Westlotto? Warum werden nicht mehr Großforschungsanlagen im Ruhrgebiet errichtet? Warum haben wir nicht mehr Fraunhofer-Institute? Mehr Max-Plank-Institute? Wieso werden unsere Autobahnen so schleppend ausgebaut? Unsere Bahnhöfe? Wir stellen knapp sieben Prozent der Bundesbevölkerung – und haben mindestens in diesem Maße einen Anspruch auf zentrale Institutionen mit Außenwirkung. Da diese in erster Linie ohnehin nur in Großstädten angesiedelt sind, haben wir ein Recht auf einen noch deutlich größeren Teil. Diesen Anteil können wir zu Recht einfordern und sollten es mit Selbstbewusstsein tun.

Institutionen mit zentralen Funktionen und mit Strahlkraft würden die mediale Repräsentanz des Ruhrgebiets ändern, ja, die Bedeutung der Medien aus der Region für die Bundesrepublik stärken – und dann würde sich das Bild der Ruhrgebiets in den Medien verändern.

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Nokia: Endgültiges Aus


Foto: Görges

Keine Überraschung: Das Nokia-Management hat sich nicht auf die Vorschläge des Betreibrates zur Rettung des Standortes Bochum eingelassen. Nun wollen beide Seiten nach Lösungen für die Mitarbeiter suchen. Die gemeinsame Stellungnahme von Nokia und dem Betriebsrat der Nokia GmbH zu den heutigen Gesprächen in Helsinki klingt schon beinahe versöhnlich. Zur Zukunft der Nokianer hat Christoph Schurian indes einen eher sekptischen Arbeitsmarktexperten interviewt.

6000 demonstrierten für Nokia-Belegschaft

Foto: Ruhrbarone/Görges

Zwischen 5000 und 6000 Menschen demonstrierten am gestrigen Sonntag in Bochum-Riemke für den Erhalt des Nokia-Standortes. Höhepunkt des Familienprotesttages war ein Ring of Fire, eine Menschenkette rund um das Werk, bei der tausende von Fackeln ein weithin sichtbares Zeichen des Protestes zeigen sollten. Alles war von der Gewerkschaft hervorragend organisiert – im Abstand von wenigen Metern waren mit Wasser gefüllte blaue Mülltonnen aufgestellt, in denen man die Fackeln entsorgen konnte.

Ansonsten waren es eher Randaspekte. die meine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Zum Beispiel welche Grüppchen sich an den Protest des Betroffenen ranhängten, ihn instrumentalisieren, um ihr eigenes, politisches Süppchen zu kochen.  Da war zum einen die DKP. Mittlerweile sind deren Mitglieder so sehr in die Jahre gekommen, dass der Kampf gegen wackelnde künstliche Hüftgelenke den gegen den Klassenfeind abgelöst haben dürfte. Selbstbewusst forderte auch die DKP die Verstaatlichung Nokias. Zur DKP ist mir auch wieder eine kleine Anekdote eingefallen: Vor zehn Jahren interviewte ich den damaligen Verfassungsschutzchef von NRW und fragte ihn, ob denn die älteren Damen und Herren der DKP immer noch überwacht werden. Eine Gefahr würde von ihnen ja kaum noch ausgehen. Der Mann gab mir, was die Gefahr betraf, recht, zeiget jedoch soziale Verantwortung: „Nicht nur die DKP besteht aus vornehmlich älteren Menschen, auch unsere Quellen in der DKP sind schon etwas betagt. Man kann doch jetzt nach zum Teil 30 Jahren nicht hingehen und denen sagen „Danke, das war es, wir brauchen Euch nicht mehr“. Also lassen wir die DKP immer noch von unseren alten freien Mitarbeitern beobachten.“ Ach, war es nicht nett in NRW unter Johannes Rau?
Zu den klassischen Protesttrittbrettfahrern gehört auch die MLPD. Zielsicher haben die Schwaben einst das Ruhrgebiet als den Ort lokalisiert, an dem in Deutschland die Revolution ausbrechen wird – und sich in Gelsenkirchen Horst nieder gelassen. Dort haben sie ein kleines K-Gruppen Imperium aufgebaut. Auch ihre Forderung – 30 Stunden Woche bei vollem Lohnausgleich – wurde nur von wenigen Nokia-Mitarbeitern als ernsthafter Lösungsansatz ihrer Probleme gesehen. Im Fahnenschwenken sind die Jünger zwei Massenmörder – Stalin und Mao – jedoch recht eifrig.
Mehr als ein „hat sich bemüht“ kann man indes der KPD/ML nicht ausstellen. Ein kleines Häuflein stand in der Nähe des Nokia-Haupteingangs und intonierte mit brüchig gewordenen Stimmen den „Roten Wedding“ von Ernst Busch und ergaben sich in Revolutionsromantik.
Selbstbewusster traten da die Mitglieder der Linkspartei auf. Neidisch bemerkte manch Sozialdemokrat die große Menge der angereisten Lafontaine- und Gysi-Anhänger: Jung gebliebene 50plusser mit großem Selbstbewusstsein. Noch vor ein paar Jahren waren viele von Ihnen noch selbst Mitglieder kleinster marxistischer Religionsgemeinschaften – nun sonnen sie sich im späten Erfolg. Manch einer mag der autoritären Linken diesen Erfolg gönnen, mir erscheint er wie ein Nachhall der 50er Jahre. Wieso thematisiert niemand die hohen Lohnnebenkosten, die hohen Steuern und Abgaben, die in Deutschland der größte Job-Killer sind. Viele der Politiker, die sich tränenreich für Nokia engagieren haben in den vergangenen Jahren alles getan, dem Standort die Wettbewerbsfähigkeit zu rauben. Statt Traditionsparolen wäre das ein echter Ansatz der Kritik und der Diskussion.