Claudia Roth in Odessa, Klebstoff in Berlin: Wofür es sich zu kämpfen lohnt und wofür nicht

Odessa: Die Verklärungskathedrale nach dem russischen Bombenangriff Juli 2023 by National Police of Ukraine cc 4.0

125 Künstler ermordet, 100.000 Kulturorte zerstört, 1,7 Millionen Kulturgüter geraubt. Putin will die Ukraine auslöschen, selbst noch die Erinnerung an sie. Und die Förderkultur in Deutschland? Schnüffelt sich an die AfD heran.

„Was Demokratie für einen Glanz haben kann.“ Claudia Roth, Kulturstaatsministerin, lag oft daneben, hier trifft sie den Punkt: „Haben wir wirklich eine Vorstellung davon, wie wir uns verhalten würden, wären wir in so einer Situation wie die Ukraine?“ Wo sich Kultur „hinter Holzverschläge, Sandsäcke und Panzersperren“ retten muss, um spielen zu können? Im Sommer 2022, der Krieg war ein halbes Jahr alt, war Roth die erste in der noch amtierenden Regierung, die in die Ukraine gefahren ist, sie hat Odessa aufgesucht, die europäische Kulturmetropole. Jetzt war sie erneut in der Stadt, Tobias Rapp hat sie für den SPIEGEL begleitet, er beschreibt einen Anfahrtsweg „im schwer gepanzerten Jeep“, mit dem man es bis dicht an den Ticketschalter eines Konzertsaals schafft oder eines Museums oder Theaters, wo sich die Anzahl der Tickets daran bemisst, wie viele Plätze der Luftschutzkeller bietet.

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Memento Odesa. Eine Hommage

Memento Odesa: Sebastian Studnitzky und Odesa Symphonic Orchestra by (c) Alina Dichkova

„Odesa ist eine wahnsinnig schöne Stadt, die Sonne hat geschienen, man hat ständig vergessen, dass Krieg ist. Und abends gingen die Sirenen los.“ Das Odesa Philarmonic Orchestra spielt in der Christuskirche Bochum zusammen mit dem Pianisten Sebastian Studnitzky eine Hommage an die Stadt und ihre Bewohner, an die Ukraine und ihre Kultur. Und an die europäische Idee.

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„Ich kann nichts mehr ausschließen“. Eine Stadt 86 Jahre nach dem Pogrom

„Gegen das Vergessen“: 8. November auf dem Otto-Ruer-Platz Bochum by thw

86 Jahre liegt das Pogrom zurück, in Bochum erinnerten Schüler an einen, der seine Vernichtung überlebt hatte, Siegbert Vollmann. Er war zurückgekehrt in eine Stadtgesellschaft, die ihn ausgestoßen hatte. Hat er, der Vertriebene, ihr vertraut, nicht vertraut? Frage von Grigory Rabinovich, Stimme der jüdischen Bochumer heute: „Brüssel, Bochum, Amsterdam?“

Eine verunsicherte Gesellschaft, die sich am Vortag des 9. Novembers dort zusammenfand, wo einmal eine Synagoge gestanden hat in Bochum, beim Pogrom 1938 war sie niedergebrannt worden so wie rund 1400 Synagogen im Land. Im vergangenen Jahr,

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„Wir müssen neue Bündnisse finden gegen Antisemitismus und Menschenhass“

Armin Laschet by Roland W. Waniek

Der Bundestag hat heute die Resolution gegen Antisemitismus  –  bis zuletzt heftig verleumdet  –  nahezu einhellig beschlossen, das BSW scherte aus, sei’s drum. Für die CDU/CSU-Fraktion hielt Armin Laschet eine Rede, die man als groß bezeichnen kann, auch weil der die AfD wie Schuljungen antanzen ließ, um sie abzumeiern, so geht das.

Drucksache 20/13627, Titel: „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“. Monatelanges Gezerre um die Formulierungen, heftige  Anfeindungen bis zuletzt  –  Susan Neiman etwa, Berichten zufolge hat die Direktorin einer vom Land Brandenburg finanzierten Stiftung, Mitglied der Grundwerte-Kommission der SPD, noch einen Tag zuvor die Bundesrepublik der DDR gleichgestellt: „Dort gab es verordneten Antifaschismus, jetzt gibt es verordneten Philosemitismus“. Und dann ein Parlament, das sich von solcher Grundverwirrung nicht beirren ließ, auch die grüne Fraktion blieb in der Spur  –  oder sagen wir, machte eine ganz neue Spur auf, als die bayrische Grünen-MdB Marlene Schönberger behauptete, nach dem „unsäglichen Antisemitismus auf der Documenta“ werde jetzt endlich entschlossen gehandelt, Claudia Roth sei „die erste Kulturstaatsministerin, die das Problem ernsthaft angeht“. Große Heiterkeit im Plenum. Wir dokumentieren die Rede von Armin Laschet, sie ist, selten genug, ebenso profund wie unterhaltsam:

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„Wer sich dem antisemitischen Zeitgeist entgegenstellt, riskiert etwas“

Grigory Rabinovich, Volker Beck by (c) Emanuela Danielewicz

Am Mittwoch wurde Volker Beck in der Synagoge Bochum mit der Otto-Ruer-Medaille der Jüdischen Gemeinde geehrt, die Laudatio hielt Richard C. Schneider: „2024 brauchen Juden in Deutschland viele Volker Becks.“

Eine Stadtgesellschaft, die feiert in einer Zeit, „in der wir der antisemitischen Attacken in diesem Land nicht mehr Herr werden“? Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, stellte vor die Frage, die sich seit 10/7, den Massakern der Hamas, jeden Tag stellt: Wer ist Wir? 19 % der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen leugneten den Holocaust oder relativierten ihn, erinnerte Lehrer an die Ergebnisse der kürzlich vorgelegten Studie „Antisemitismus in der Gesamtgesellschaft NRW“, 12 % seien überzeugt, die jüdische Religion erlaube den rituellen Mord an Kindern. Und geben dies ungeniert zu Protokoll. Offenbar, so Lehrer in seinem Grußwort zur Verleihung der Dr.-Otto-Ruer-Medaille an Volker Beck, den Präsidenten der Deutsch-israelischen Gesellschaft (DiG), „haben wir etwas grundlegend falsch gemacht“.

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Popkultur gegen Israel? Ben Salomo und Alex Feuerherdt diskutieren in der Christuskirche Bochum

BDS auf der Pro-Hamas-Demo in Bochum 15. Mai 2021

Anfangs war es nicht für voll zu nehmen: dass Künstler Kunst boykottieren könnten, Popkünstler Pop, Demokraten die Demokratie? Es ist die BDS-Idee, inzwischen gibt sie sich selber als Kunst, als Pop, als demokratisch aus. Und hat Erfolg damit, weil es gegen jüdische Kunst geht, gegen israelische Kultur. Am Dienstag, 29. Oktober, 19 Uhr sprechen Ben Salomo, HipHop-Aktivist, und der Publizist Alex Feuerherdt über „Antisemitismus in der Kulturindustrie“, es moderiert Philipp Janzen (ua Die Sterne). Der Eintritt ist kostenfrei.

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„Initiative Weltoffenheit“ aufgelöst: Fördert Claudia Roth jetzt das „Bündnis internationaler Produktionshäuser“?

Claudia Roth auf der ColognePride 2021 by Raimond Spekking cc 4.0

Sinwar ist tot, das Hamas-Hirn abgeschaltet. Ebenfalls vom Strom: die Hamas-Promo in Deutschland. Initiative Weltoffenheit, das milliardenschwere Bündnis von Intendanten, das sich mit dem Kulturressort der Hamas vermählen wollte, mit BDS, hat sich verabschiedet aus seinem weltweiten Netz. Ein Erfolg? Ja. Aus Einsicht? Nein. Eine Lehre? Sie ist bitter ein Jahr nach 10/7.

„Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit“ fragte Adorno im Herbst vor 65 Jahren, als aufarbeiten ein anderes Wort war für wegwischen „selbst aus der Erinnerung“. Sich von der NS-Vergangenheit zu lösen, erfolge einerseits zu Recht, weil anders „des Schreckens kein Ende ist“, und geschehe zu Unrecht, „weil die Vergangenheit, der man entrinnen möchte, noch höchst lebendig ist.“ Wie ein Untoter lebe der Nationalsozialismus nach und mit ihm „die Bereitschaft zum Unsäglichen“. Was Adorno von dem Terror sagte, der sich 1000jährig dachte, drängt heute zu der Frage, ob es ähnlich gelte für eine Terrorphilie, die es vor 10/7 gab und nach 10/7 gibt: „Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie“, so Adornos Einschätzung. Und die Kumpanei mit dem Terror in der Demokratie? Die fortwährende Entschuldung von Terror als Widerstand, seine Verklärung als Opfergang, seine Ästhetisierung als Weltoffenheit, könnte dies heute bedrohlicher sein für die Demokratie  –  für Juden sowieso  –  als der tatsächliche Terror gegen sie?

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Laibach auf Opus Dei Tour in Bochum

Laibach 2016 in der Christuskirche in Bochum Foto: Markus Felix Lizenz: CC BY-SA 3.0

Das Album ist längst, was kaum eines wirklich schafft, es ist Kult: “Opus Dei” mit Songs wie “Life is Life”, 1987 auf dem Mute-Label veröffentlicht, wird nun nach 26 Jahren endlich remastered und auf Vinyl und CD  neu veröffentlicht. Und: Laibach, das slowenische Künstler-Kollektiv, gehen auf Opus Dei- Europa-Tour und kommen natürlich ins Ruhrgebiet und natürlich in die Christuskirche, es wird ihr fünfter Auftritt in dem kubisch bilderlosen Sakralraum werden. Auf dem Programm:

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Stephan Sulke: 80 live. Konzert am Vorabend

Stephan Sulke in den 70ern | Foto privat

Er singt über die Liebe wie keiner sonst. Durch die Geschichten, die Stephan Sulke erzählt, zieht sich ein feiner Riss, der ahnen lässt, was die Thora meint, wenn es heißt, Liebe sei stark wie der Tod. Jetzt singt und erzählt er am Sonntag in der Christuskirche Bochum  –  es ist der letzte Abend von Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest, zugleich der Vorabend von 10/7.  

„Immer wieder, immer wieder hab‘ ich dich bloß geliebt.“ Den Song von Stephan Sulke, dem heute 80Jährigen, hat Herbert Grönemeyer auf seinem 83er Album gecovert. Der Vergleich der beiden Versionen ist interessant, was sich bei dem einen mit Zartheit hört, fast so, als könne es durchs Zuhören zerbrechen, verhärtet der andere ins Bumsfidele hinein. Können muss Kunst beides, aber der Raum verändert sich, den sie dadurch erschließt, ihre assoziative Weite. Spätestens dann, wenn man Sulkes Lied am Vorabend zum 7. Oktober hört, lässt es mithören, was Terror denen antut, die  –  „immer wieder hab‘ ich dich bloß geliebt“ –  zur gleichen Zeit am anderen Ort um die Liebe ihres Lebens weinen.

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„Rückkehr des Terrors“: Warum die Resolution des Bundestages gegen Judenhass so wichtig ist

„Gespächskanäle offen halten“: Tunnel der Hamas August 2024, sechs Geiseln ermordet | IDF Spokesperson’s Unit cc 3.0

Terror breche in Wellen herein, schreibt Peter R. Neumann in Die Rückkehr des Terrors, mit dem 7. Oktober baue sich eine neue Welle auf, eine weltweite. Die auf Juden zurollt und auf den jüdischen Staat, als werde sie getunnelt. Über Israelhass als Weltdeutung schreibt Neumann nichts, was er verdeutlicht: dass alle die Wahl haben, die Welle zu brechen oder auf ihr zu reiten.  

Zürich, Selnaustraße 2. Am späten Abend des 2. März, einem Samstag, sticht der 15jährige Houij A. mit dem Ruf „Tod den Juden“ auf einen Passanten ein, der Mann, orthodox gekleidet, überlebt schwerstverletzt. Das Attentat findet nur wenig öffentliches Entsetzen: ein Jugendlicher, in der Schule gemobbt, von TikTok verwirrt. Für viele Juden jedoch war es „ein Schock“, schreibt Peter R. Neumann in seinem jüngst erschienen Die Rückkehr des Terrors, schlagartig habe der Anschlag bewusst gemacht, dass es für Juden keinen Ort geben soll auf der Welt, sich sicher zu fühlen, kein Israel  –  die Massaker der Hamas sind wie gestern geschehen  –  und kein beschauliches Zürich, seit mehr als 750 Jahren leben Juden in der Stadt. „‘Wenn selbst Zürich nicht mehr sicher ist, was dann‘?“

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