Ein Büchlein mit vier Texten plus einem Vorwort, gestern erschienen. Drei der vier Texte sowie Vorwort stehen ähnlich bereits im Internet, dennoch ist dieses 94-Seiten-Buch ein 94-Seiten-Gewinn, es bündelt. Und zwar „Anmerkungen zum neuen Streit über den Holocaust“. Die Autoren: Saul Friedländer, Norbert Frei, Sybille Steinbacher, Dan Diner. Ihr Ton: höflich, leicht genervt. Ihr Adressat: Die postkoloniale Forschung, die benutzt werde und sich benutzen lasse, „um zu attackieren“. Wen? Israel, die Juden. Eine Schnell-Lektüre.
Ende 1952 hielt Theodor Heuss, Präsident einer drei Jahre jungen Republik, eine Rede in Bergen-Belsen, dem Konzentrationslager, das als Drehscheibe gedient hat dafür, Menschen durch Arbeit zu vernichten. „Wir haben von den Dingen gewusst“, sagte Heuss, findet aber für das, was er beschreibt, keinen Begriff, es sei „etwas Neues geschehen.“ Für Norbert Frei ist diese Formulierung, „den ‚Zivilisationsbruch‘ erspürend“, ihrer Zeit voraus. Frei, Seniorprofessor für Neuere und Neueste Geschichte an der Uni Jena, schlägt in seinem Beitrag – ursprünglich in der SÜDDEUTSCHEN erschienen, jetzt deutlich erweitert – einen souveränen Bogen vom 23. Mai 1949 – das Grundgesetz wird parlamentarisch verabschiedet – zum 23. Mai 2021: Der postkoloniale Theoretiker Anthony Dirk Moses zieht erstens gegen die Erinnerungskultur vom Leder, zweitens gegen Juden und drittens gegen Israel.
Eine hochattraktive Mixtur „nicht nur für Verfechter linker Identitätspolitik“, so Frei über diesen postkolonialen Dreiklang, „sondern auch für die intellektuelle Rechte“.