Morgen jährt sich der Tag, an dem das Vernichtungslager Auschwitz befreit worden ist. Ein offizieller Gedenktag in Deutschland seit 1996, seit 2005 weltweit, Titel: „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ oder, dies die internationale Variante, „des Holocaust“. Beide Titel gehen hinweg über die, um die es gehen sollte – alle, die von den Nazis zum „Opfer“ designiert worden sind, die sich aber gewehrt habn gegen diese Bestimmung. Einige haben überlebt, unter ihnen Kinder. Boris Zabarko, ukrainischer Historiker, hat Zeugenberichte zusammengetragen, sie sind erschütternd.
Der Holocaust auf dem Gebiet der heutigen Ukraine begann Herbst 1939 mit dem deutschen Krieg gegen Polen und radikalisierte sich zwei Jahre später mit dem Angriff auf die Sowjetunion. Ende 1942 waren fast alle Juden in der Ukraine – 1,5 bis 1,6 Millionen Menschen – ermordet. Wie alle Historiker versucht Boris Zabarko, international hoch geachtet, das, was geschehen ist zu begreifen, indem er es beschreibt. Wie kein Historiker vor ihm, ausgenommen Saul Friedländer, beschreibt er dies mit der Erfahrung derer, die hätten ermordet werden sollen. Und die gesehen haben, wie gemordet wurde, es ist seine eigene Erfahrung: Als Kind hat Zabarko, der vor einem Jahr vor Putins Armee nach Stuttgart entkam, das Ghetto in Scharhorod überlebt. Und hat, als die Sowjetunion zerfiel und ihm dies überhaupt erst möglich wurde, nach weiteren Zeugen gesucht, die entkommen sind. Hat sie befragt, die damals Kinder waren oder Jugendliche und ihre Erinnerungen aufgeschrieben, 86 Zeugenberichte in Zabarkos ersten Werk, 216 in seinem zweiten.