Das Murren der Komissköppe und das Gezeter über den Schnellschuss-Minister

Verteidigungsminister Guttenbergs Entscheidung, Norbert Schatz als Kommandanten der Gorch Fock mit sofortiger Wirkung abzuberufen, ist von der liberalen Presse und der parlamentarischen Opposition heftig kritisiert worden. Er habe „den Kapitän der Gorch Fock gefeuert“, schreibt der Westen, „um sich selbst zu retten“. Die Süddeutsche Zeitung, Spiegel Online und viele andere verweisen darauf, dass Guttenberg noch am Freitag erklärt hatte, erst die Untersuchungsergebnisse abwarten zu müssen, heute dann aber eine „rasche Entscheidung“ (Spiegel) getroffen habe, die „kein Führungsstil“ (SZ) sei. Von einer „übereilten“, gar „hastigen“ Personalentscheidung spricht der Westen, die zeige, „wie sehr der Minister unter Druck steht“. Außerdem gingen die „gewiss erdrückenden Vorwürfe“ ausschließlich auf „Medienberichte“ zurück. Gemeint ist die Bildzeitung.

Auch SPD und Grüne attackierten Guttenbergs Vorgehen. Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour, der mit dem Führungsstil und den Medienberichten als Entscheidungsgrundlage den liberalen Medien offenbar die Stichworte geliefert hatte, fällte das vernichtende Urteil über Guttenberg: „Das ist beliebig“. Und SPD-Fraktionschef Steinmeier erwartet vom Minister, dass dieser nicht wieder (!) Sündenböcke suche, sondern „dass er dieses Mal Manns genug ist, seine eigenen Fehler dann auch als solche  einzugestehen.“
So können wir es im Spiegel-Online-Artikel lesen, der die Überschrift trägt: „Der Schnellschuss-Minister“. Selbstverständlich werden auch die ARD-Tagesthemen etwas zum Thema machen; angekündigt ist ein Beitrag mit dem Titel – dreimal dürfen Sie raten, richtig: „Der Schnellschuss-Minister“.

Es ist nicht abzustreiten: wenn der Verteidigungsminister gestern ankündigt, erst Untersuchungsergebnisse abwarten zu wollen und heute Herrn Schatz feuert, ist es die Pflicht der Opposition wie der Presse, hier kritisch nachzuhaken. Und wenn Herr Nouripour die ganze Sache ein wenig koordiniert, kann man nur sagen: gute Arbeit. Auch wenn Herr Steinmeier es für angemessen hält, seinen häufig bemühten „Anstand“, weil es hier um Komissköppe geht, ganz martialisch durch ein „Manns genug“ zu ersetzen, mag man es als seine Sache abtun, wie er gedenkt, sich als Kanzlerkandidat der SPD zu profilieren. Wenn er jedoch mit den Wörtchen „diesmal“ und „wieder“ ganz diskret einen Vergleich zieht zum vom Oberst Klein befohlenen Luftangriff am 4. September 2009, dann beweist dies, dass Steinmeier im Grunde das Massaker von Kundus bis heute nicht verstanden hat.

Der Tod der jungen Kadettin auf der Gorch Fock war vermutlich ein Unfall, vielleicht – wie die Mutter klagt – lag auch fahrlässige Tötung vor. Ein Vergleich mit dem Gemetzel von Kundus verbietet sich von vornherein. Herrn Guttenberg zu kritisieren, kann eigentlich nie verkehrt sein. Dass er jedoch dafür kritisiert wird, dass im Zuge der Kundus-Afffäre zwei deutsche Generale ihren Job verloren hatten, stimmt allein deshalb nachdenklich, weil dabei irgendwie unter den Tisch fällt, dass bei Kundus mehr als Hundert Zivilisten ihr Leben verloren hatten. Und doch: das, was über den Kapitän Schatz zu erfahren ist, und sei es auch „nur“ aus Medienberichten, sollte allemal ausreichen, Guttenberg nicht ausgerechnet dafür zu schelten, diesen Kerl suspendiert zu haben.

Na sicher hat Guttenberg so gehandelt, um sich selbst zu retten. Was ist das denn bloß für ein bescheuerter Vorwurf?! Zweifellos zeigt sein Herumeiern in einer der gegenwärtig drei aktuellen Affären, die den Verteidigungsminister beschäftigen, dass der Superstar der deutschen Politik gnadenlos überschätzt wird. Gut so. Man mag darüber schreiben. Dass aber liberale Medien und rot-grüne Politiker den Eindruck erwecken, diesem Kommandanten Schatz könne womöglich Unrecht widerfahren sein, stellt ein unerträgliches Anbiedern an den Corpsgeist der Bundeswehrführung dar. Schnellschuss-Minister … – Bei so einem Typen wie Schatz kann man gar nicht schnell genug schießen. Und wenn Guttenberg jetzt geschossen hat, wie auch immer und warum auch immer, dann kann man ruhig einmal schreiben: gut getroffen, Kleiner!

Keine Sorge! Man macht damit keine Reklame für diesen ach so beliebten, angeblich so sympathischen Nachwuchsstar. Im Gegenteil: wer Guttenberg dafür kritisiert, diesen Schatz degradiert zu haben, macht sich gemein mit Herren, mit denen sich weder ein unabhängiger Journalist noch ein roter oder grüner Politiker gemein machen darf.

Individuelle Fehler in lageabhängiger Rückzugsstrategie bei Einhaltung der Meldewege

illu: ruhrbarone

„Meine Tochter fällt da nicht einfach runter“, ist sich die Mutter der 25-jährigen Offiziersanwärterin sicher. Aber welche Umstände dazu geführt haben, dass die junge Soldatin im November von der Takelage der Gorch Fock in den Tod gestürzt ist, wolle ihr die Marine nicht mitteilen. Deshalb weiß die Mutter bis heute nicht genau, wie und warum ihre Tochter ums Leben gekommen ist. Der Bundestag weiß es nicht, die Mitglieder des Verteidigungsausschusses wissen es nicht, und wie viel der Bundesverteidigungsminister über diesen Vorfall weiß, was man im Ministerium wusste, ist ebenfalls einstweilen nicht aufgeklärt.

Klar scheint zu sein, dass Gorch-Fock-Kommandant Norbert Schatz kurz nach dem Tod der Kadettin einigen Soldaten den unsinnigen Befehl gegeben hatte, in die Takelage zu klettern, und als diese sich weigerten, den Vorwurf der Meuterei erhoben hatte. „Meuterei auf der Gorch Fock“ – nachdem zunächst diese Schlagzeile es sogar mit den aktuellen Meldungen aus dem RTL-Dschungelcamp aufnehmen konnte, hat nun der Wehrbeauftragte – und nicht nur er – festgestellt, dass diese so nicht stattgefunden hatte. Dafür ist jetzt von sexuellen Übergriffen auf dem Schulungsschiff die Rede und von „menschenunwürdigem Drill“. Minister Guttenberg sah sich veranlasst klarzustellen, dass dieser „nicht geduldet werden“ könne.

Es läuft nicht rund in diesen Tagen für den Shooting Star der deutschen Politik. Vertuschen dürfe nie die Vorgehensweise der Bundeswehr sein, „und das ist es auch nicht“, gibt der Minister zu Protokoll. Und niemand fragt, warum es dann überhaupt erwähnenswert ist. Weil es nämlich inzwischen in allen Medien gemeldet wurde, dass „es da Versäumnisse gegeben hat“. Und wenn das so ist, wenn „die Meldewege nicht eingehalten wurden“, wenn – ja, der Guttenberg! – „es da Versäumnisse gegeben hat“, dann, ja dann – was glauben Sie denn?! -, dann „wird auch das Folgen haben. Das muss alles aufgeklärt werden“. Ein Mann greift durch. „Klare Konsequenzen“; man wird sehen. „Ich bin da wenig geduldig.“ Schön.

Reden kann er ja, der Karl-Theodor zu Guttenberg. Jetzt muss er nur noch die klaren Konsequenzen ziehen, und schon ist wieder alles in Butter. Wenn etwas nicht ganz so rund läuft, klare Kiste, muss man freilich eine Vorstellung haben, woran dies denn wohl liegen könnte. Der junge Minister aus dem Adelsstand weiß Bescheid: „Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, so hätten wir es aller Wahrscheinlichkeit nach mit individuellem Fehlverhalten zu tun.“ Der Verdacht drängt sich auf. Individuelles Fehlverhalten – dieser Schatz auf der Gorch Fock scheint es in der Tat übertrieben zu haben mit dem Drill. Ob der auch allein verantwortlich ist für die angeblichen sexuellen Übergriffe? So ein Schatz. „Sie werden von mir keine Vorverurteilung hören.“ Ja, der Guttenberg; Recht hat er.

Individuelles Fehlverhalten dürfte – jedenfalls aller Wahrscheinlichkeit nach – auch im Fall des in Afghanistan erschossenen Soldaten eine nicht ganz unwesentliche Rolle gespielt haben. Das war ja ohnehin von vornherein klar. Denn ob sich nun bei diesen Waffenspielereien der Schuss aus der Pistole des Verstorbenen gelöst hat, wie wir ursprünglich annehmen mussten, oder aus der Waffe eines Kameraden: tot ist tot. Ein individueller Fehler, wie wir beim Fußball sagen, völlig unnötig. Wahrscheinlich hatte der Kamerad mit seiner Pistole vom Typ Heckler & Koch P8 „gespielt“. Menschlich vielleicht verständlich; aber es leidet natürlich die ganze Mannschaft (in diesem Fall: Truppe) darunter. Blöde Spielerei: ein absolut unnötiger Fehler.

Wahrscheinlich. Denn auch hier gilt Ähnliches wie auf der Gorch Fock: „Zu laufenden Verfahren, die die Ermittlung der tatsächlichen Vorgänge zum Inhalt haben, können wir uns auch mit Blick auf Betroffene nicht äußern“ (Guttenberg). Unschuldsvermutung, Fürsorgepflicht, Kameradschaft, Kameraderie und alles. Im Bundestag wird die Informationspolitik des Verteidigungsministers beklagt. Immer langsam, wie gesagt: zu dieser Sache kann sich Guttenberg auch mit Blick auf Betroffene gar nicht äußern. Falsch informiert, verschleppt, immer wieder Informationen verschwiegen, … – das übliche Gezeter der Opposition. Man scheint vergessen zu haben, dass der Minister erst kürzlich in einer Talkshow direkt aus dem Feldlager aufgetreten ist. Sogar mit Gattin. Informationen aus allererster Hand. Dieses Dschungelcamp dagegen sollte eigentlich verboten werden, sagte Guttenberg beim Wahlkampfauftakt der CDU in Hamburg. Müssen wir uns das antun, was da Menschen angetan wird?

Die Menschenwürde. Menschen werden öffentlich vorgeführt. Befehl und Gehorsam. Anzeichen von Verrohung. Das unbekannte Gelände. Ganz abgesehen vom Risiko, von den Gefahren für Leib und Leben. Der Lagerkoller. Keine Privatsphäre. Keine Intimsphäre. Und immer wieder dieses individuelle Fehlverhalten. Wie jetzt zum Beispiel auch beim illegalen Öffnen der Feldpost. Auch hier: gegenwärtig ist nicht bekannt, wer die Briefe gefleddert hat. Sie werden von mir keine Vorverurteilung hören. Auch hier: „Wenn die Untersuchungen ergeben, dass hier irgendwelche Dinge vorsätzlich geschehen sind, muss das selbstverständlich Konsequenzen haben“ (Guttenberg). Klare Konsequenzen, wie wir annehmen dürfen. Ganz klar: „Das Öffnen von Briefen von Soldaten ist ein unhaltbarer Zustand“ (auch hier: Guttenberg). Genau wie der menschenunwürdige Drill, wie die sexuellen Übergriffe, wie die Waffenspielereien – wie all diese individuellen Fehler.

Jetzt muss er klare Konsequenzen ziehen. Der beliebteste deutsche Politiker in der Stunde seiner Bewährung. Eine Affäre schärfer als die andere; eigentlich hätte er es gar nicht nötig, gegen das Dschungelcamp zu zürnen. Wenn er jetzt eine gute Figur abgibt, hat er seine Dschungelprüfung so gut wie bestanden. Dann sollte der Weg frei sein. Noch hapert es etwas; das heißt aber nichts: bringt Karl-Theodor genug Sterne zurück ins Lager, kann er König werden. König von Deutschland. Das ist aber auch eine geile Show! Dagegen ist das, was die Gattin mit den Kinderschändern macht, direkt langweilig. Sicher: auch Stephanie hat Menschen öffentlich vorgeführt, die Menschenwürde missachtet. Trotzdem: langweilig! Genauso langweilig wie der politische Alltag, mit dem sich ihr Freiherr auch noch herumschlagen muss.

Heute haben im Bundestag die Beratungen über die Verlängerung des Mandats für den ISAF-Einsatz in Afghanistan begonnen. Nächsten Freitag wird abgestimmt; die Mehrheit gilt als sicher – für den Krieg, wie Guttenberg den Auftrag der Truppe zutreffenderweise nennt. Und weil dieser Krieg, wie jeder weiß, nicht zu gewinnen ist, wird diesmal auch gleich ein Rückzugsplan mitbeschlossen. Ein Datum für den Beginn des Truppenabzugs und vielleicht auch noch eine Jahreszahl für das Ende des Abzugs. Wobei es, wie Guttenberg erklärt hat, „wurscht“ ist, welche Jahreszahl genannt wird. Und damit hat der Minister nicht zuletzt auch deshalb Recht, weil er es geschafft hat, den kleinen Nebensatz „soweit es die Lage zulässt“ in den Antrag der Bundesregierung mit reinzupacken. Angenommen, der Bundestag beschließt ein Jahressteuergesetz mit den von der FDP so ersehnten Steuersenkungen. Dann ist es doch völlig wurscht, welche Steuersätze da genau drinstehen, solange sie mit dem Zusatz versehen sind: „soweit es die Lage zulässt“. Zu überlegen wäre, ob der Bundestag nicht nur noch Gesetze beschließen sollte, die von der Regierung nur vollzogen werden dürfen, soweit es die Lage zulässt. Etwas auszuführen, was die Lage gar nicht zulässt, ist schließlich ziemlich unverantwortlich.

Es gab Zeiten, zu denen Sozialdemokraten einem Gesetz dieser Machart nicht zustimmen wollten. Früher. Damals.

Ein Computerwurm auf dem Weg zum Kommunismus

Said Dschalili

Es gibt viele Wege zum Kommunismus, „sehr viele unterschiedliche Wege“ sogar, ließ uns die Parteivorsitzende der Linken, Gesine Lötzsch wissen, und zwar in der Tageszeitung „Junge Welt„. Dies ist auch – marxistisch gesprochen – eine soziale Gesetzmäßigkeit, gewissermaßen eine historische Notwendigkeit. Die „Junge Welt“, das ehemalige „Zentralorgan der FDJ“, ist – so ihr Selbstverständnis – marxistisch orientiert, Frau Lötzsch ist gewiss auch irgendwie orientiert, und selbst wenn man rein bewusstseinsmäßig noch nicht das Level der allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit erreicht haben sollte, muss diese Tatsache auch jedem nicht ganz marxistisch Orientierten unmittelbar einleuchten: die vielen Wege zum Kommunismus können gar nicht alle gleich sein. Sie müssen verschieden sein.

Überlegen Sie doch nur einmal: wenn für alle das Ziel gleich ist, nämlich der Kommunismus, alle aber von einem anderen Ort aus starten, dann können die doch gar nicht alle den gleichen Weg nehmen. Es sei denn, man ginge himmelweite Umwege. Obwohl es, wie die Genossin Vorsitzende schon ganz richtig festgestellt hatte, sehr viele unterschiedliche Wege gibt, sollen hier zwei Beispiele genügen, um diese Tatsache zu verdeutlichen. Wenn Sie zum Beispiel von einer sozialistischen Einheitswohnung in einer Ostberliner Plattenbausiedlung aus starten, wie sie Gesine Lötzsch zu belegen beliebt (Beispiel Eins), verläuft der Weg zum Kommunismus freilich ganz anders, als wenn Sie sich in der Islamischen Republik Iran (Beispiel Zwei) auf den Weg machen.

Während Lötzschs Plattenbauwohnung so eine Art sozialistischer Insel inmitten einer imperialistischen Metropole darstellt, haben wir es beim Iran – wie der Name schon sagt – mit einer Islamischen Republik zu tun. Noch kein Kommunismus im engeren Sinne – aber da bekanntlich Islam nichts weiter ist als ein anderes Wort für Frieden, der u.a. auch deswegen der „Jungen Welt“ so sehr am Herzen liegt, weil er gleichsam eine Art Vorstufe zum Sozialismus ist, versteht es sich fast von selbst, dass der Weg zum Kommunismus von Teheran aus beschritten nicht nur anders, sondern auch ein ganzes Stück kürzer ist als von Berlin. Jedenfalls in der realen Welt. Etwas anders mag die ganze Sache aussehen in der virtuellen Welt.

„Am Sonnabend veröffentlichte die New York Times einen sehr ausführlichen Artikel, der sich mit dem »Computerwurm« Stuxnet beschäftigte.  Angeblich“, so formuliert es die marxistisch orientierte Tageszeitung „Junge Welt“. „Angeblich hatte dieser im vorigen Jahr einen großen Teil der Zentrifugen beschädigt oder zerstört, die in Natanz das Urangas anreichern.“ Natanz, oder auch: Natans, liegt, wie Sie sich denken können, in der Islamischen Republik Iran. „Das angebliche iranische Atomwaffenprogramm“, so zitiert die „Junge Welt“ die „NYT“ weiter, wobei sich das „angeblich“ freilich aus der marxistisch orientierten Sicht der Dinge ergibt, „sei dadurch stark verzögert worden“.

Bürgerliche Presse eben; merke: Bürgerblätter machen dumm. Hier zum Beispiel lag indessen die Sache offenbar ganz anders. Originalton des ehemaligen FDJ-Zentralorgans: „Indessen war der Schaden, der im Iran entstand, offenbar nur sehr gering. Es fiel lediglich für einige Tage die Arbeit aus. Daran gemessen müssen die hohen Entwicklungskosten für Stuxnet eine ganz schlechte Investition gewesen sein.“ Zum Brüllen komisch, wie hier die Imperialisten und Zionisten wieder haufenweise Geld versenkt haben! Da macht sich der Klassenfeind monatelang all die Arbeit, und dann fällt in Natans nur drei Tage lang die Arbeit aus.

Said Dschalali ist Vize-Außenminister des Iran für Europäische und Amerikanische Angelegenheiten. Der promovierte Politologe ist Chefunterhändler über das Teheraner Atomprogramm „gilt als unnachgiebig und überaus konsequent“, so die „Deutsche Welle“, derzufolge er „Ahmadinedschad sehr nah“ stehe. „Der Spiegel“ berichtet in seiner aktuellen Ausgabe (3 / 2011), Dschalili habe vier Jahre lang das Büro des religiösen Führers Ajatollah Ali Chamenei geleitet und gelte deshalb „als enger Vertrauter des mächtigsten Mannes im Gottesstaat“. Wie auch immer: zweifelsohne hat Dr. Dschalali innerhalb des Mullahregimes wirklich etwas zu sagen, und das macht er denn auch. Auch er legt Wert auf die Feststellung, dass „die Cyberattacke nicht so viel Schaden angerichtet (habe), wie die Medien berichtet hätten“ (Tagesspiegel). Dschalili erklärte in einem am Montag gesendeten Interview mit dem US-TV-Sender NBC, iranische Ermittlungen hätten Hinweise darauf ergeben, dass die USA für Stuxnet verantwortlich seien.

Auch dem „Spiegel“ hat Dschalili hierzu ein Interview gegeben. Es ist vorgestern, am Montag, den 17. Januar erschienen – also am gleichen Tag wie das NBC-Interview, am gleichen Tag wie der zitierte „Ätsch“-Kommentar in der „Jungen Welt“. Es steht (noch) nicht online; deshalb sei die entscheidende Passage hier zitiert:
Spiegel: „Der in iranische Anlagen eingeschleuste Computerschädling Stuxnet hat offensichtlich einen wesentlichen Teil der Zentrifugen in der Atomanlage Natans lahmgelegt. Wissen Sie, wer dahintersteckt?“
Dschalili: „Unseren verzweifelten, geschwächten Feinden …“
Spiegel: „… Sie meinen damit Israel und die USA …“
Dschalili: „… ist jedes Mittel recht … Aber unsere Experten haben diesen Angriff längst abgewehrt.“

„Längst abgewehrt“ – das schon. Andererseits: wer der Behauptung, die Attacke habe „einen wesentlichen Teil der Zentrifugen in der Atomanlage Natans lahmgelegt“, nicht widerspricht, bestätigt sie. Und wenn es sich dabei um Herrn Dschalili handelt … „Der Spiegel“ hakt nach.
Spiegel: Müssen Sie nicht ständig eine neue noch raffiniertere Stuxnet-Attacke fürchten, der Sie letztlich nichts entgegenzusetzen haben?“
Dschalili: „Richtig ist: Wir müssen vorbereitet sein, immer auf der Hut.“

Trotz der solidarischen Unterstützung durch die „Junge Welt“ scheint es einstweilen nichts zu werden mit der iranischen Nuklearwaffe. Der „angeblichen“. Unter diesen Umständen bleibt den Mullahs nichts Anderes, als sich auf ihre ureigenen Stärken zu besinnen.
Spiegel: „Werden Ihre Glaubensbrüder von der Hisbollah-Miliz im Libanon an Ihrer Seite stehen und Israel angreifen?“
Dschalili: „Das ist deren Sache. Wir bedanken uns bei jedem, der uns verteidigt.“

Neujahrsempfang – ein optimistischer Blick in Duisburgs Zukunft

 
SchauinslandReisenArena - Bild: duisburg.de

„Duisburg muss sich nach der Loveparade-Katastrophe nun wieder auf seine Stärken besinnen“, hat er gesagt. Was so viel bedeuten soll wie: okay, im Jahr 2010 hatte Duisburg Schwäche gezeigt. Aber jetzt, also im Jahr 2011, sind die Stärken dran. So etwas sagt man halt … auf einem Neujahrsempfang. Und gestern fand der statt, in der SchauinslandReisen-Arena – geb. MSV-Arena. Für Ortsunkundige: Abfahrt Wedau, dort dann zum Stadion, wo früher einmal das Wedau-Stadion stand. Das gibt es heute freilich nicht mehr, zumal dort jetzt die SchauinslandReisen-Arena steht. Wissen Sie Bescheid. Heute spielt hier der MSV; aber gestern – ich sagte es ja schon – fand hier der Neujahrsempfang statt. Der Neujahrsempfang der Stadt Duisburg. 

Bedauerlicherweise war ich gar nicht eingeladen. Schade. Denn nur „Gäste aus Politik, Wirtschaft und Organisationen waren geladen und die meisten waren auch gekommen“, hört man bei Radio Duisburg. „Es gehe schließlich darum, dass die Entscheidungsträger in der Stadt sich auch einmal in lockerer Atmosphäre träfen“ – logisch. Und obwohl ich nicht dabei war, „sind diesmal mehr Gäste gekommen als in den Jahren zuvor.“ Das ist ja ein Ding! Rund 450 Gäste sollen gestern da gewesen sein. Hätte man eigentlich dabei sein müssen. Aber was sollte man machen, wenn man keine Einladung bekommen hatte?! Gemein. 

Jetzt kann ich Ihnen nicht einmal berichten, ob es und, wenn ja, was gestern Leckeres zu essen gegeben hat. Drei Meldungen hat Radio Duisburg über dieses für die Stadtgesellschaft bedeutende Ereignis heute bereits rausgejagt, und aus keiner ging hervor, wie es gestern mit dem Catering aussah. Echt! So etwas wird einfach verschwiegen – um 9:36 Uhr, um 11:35 Uhr, um 12:33 Uhr: das ganz große Schweigen! Ich hätte freilich jemanden anrufen können, der dort war. Das ist mir aber zu blöd. Hinterher wird mir noch Futterneid unterstellt. Das möchte ich nicht; wobei: das Essen soll ja immer toll sein, in der MSV, sorry: in der SchauinslandReisen-Arena. Egal …

Wie gesagt: ich weiß es nicht. Ich glaube aber, dass es ziemlich gut gewesen sein muss. Denn hier, bei Radio Duisburg, steht wörtlich: „Zum traditionellen Neujahrsempfang der Stadt sind diesmal mehr Gäste gekommen als in den Jahren zuvor.“ Sicher, die erschienenen Esser aus Politik, Wirtschaft und Organisationen konnten das auch nicht alle wissen, was es Leckeres gab. Aber denken. Denn die Stadt hatte schließlich ganz schön Etwas im Salz liegen. Noch aus dem letzten Jahr. Sie wissen schon: diese blöde Loveparade-Katastrophe. 

„Nach den Geschehnissen in 2010 müsse 2011 ein Neubeginn werden“, hat er gesagt. Die Parole lautete: „Chancen für Duisburg nutzen und nicht zerreden“! Sehr gut. Diese Parole, oder sagen wir mal besser: „diese Marschroute hat Oberbürgermeister Adolf Sauerland für 2011 ausgegeben.“ Klasse! Oder nicht? Ich meine: das ist doch klasse, wenn man eine klare Marschroute hat. Optimismus, Neubeginn, Chancen nutzen …  Das fanden die wichtigen Leute aus Politik, Wirtschaft und Organisationen offenbar auch; deshalb „blickten die Gäste des Neujahrsempfangs optimistisch in die Duisburger Zukunft.“ 

Okay, der Rat hat „kaum noch Gestaltungsmöglichkeiten“, weil der städtische Haushalt „kaum Spielraum“ bietet – hat er gesagt, der Adolf Sauerland. Trotzdem „blickten die Gäste des Neujahrsempfangs optimistisch in die Duisburger Zukunft“. Ich hätte da doch dabei sein müssen. Lecker Essen hin, lecker Essen her. Denen ist doch etwas gesteckt worden. Da ist doch eine wichtige Info über den Tisch gegangen. Irgendwie muss da durchgesickert sein, dass Sauerlands Tage in Duisburg gezählt sind. Warum sonst sollten diese Gäste aus Politik, Wirtschaft und Organisationen optimistisch in die Duisburger Zukunft blicken? Es kann doch nicht sein, dass die alle total bestusst sind. Das kann doch eigentlich nicht … – oder?

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Ach Du Scheiße: Deutschland geht unter!

"Der Untergang", Film, Deutschland 2004, DVD-CoverEs musste ja so kommen. Oder haben Sie gedacht, das würde immer so weitergehen? Das könnte auf ewig immer gut gehen? – Nun ja, ich will nicht lästern. Die Lage ist ernst genug. Und über die Motive Ihrer Realitätsverleugnung maße ich mir kein Urteil an. Das ist doch auch scheiße, dieser Untergang Deutschlands. Das verstehe ich ja. Andererseits: seit heute Mittag ist es so weit; da haben wir es bald endlich hinter uns. 

Es ist Samstag, der 15.01.2011. Um 14:24 Uhr sieht bild.de „Deutschland untergehen“. Wie gesagt: die Lage ist ernst. Der gute, alte Adenauer pflegte hinzuzufügen: „aber nicht hoffnungslos“. Das ist aber schon etwas her. Heute ist die Lage ernst und hoffungslos, so dass die Frage berechtigt ist, wie es nur so weit kommen konnte. Wer ist nur Schuld daran, am Untergang Deutschlands? 

Für Adenauer war dies keine Frage. „Die SPD ist der Untergang Deutschlands“, trichterte er seinem Volk ein, das soeben am Untergang vorbeigeschrappt war. Allerdings nur für den Fall, dass sie in der Bundesregierung ist, die SPD, sagte Adenauer. Das ist sie aber heute bekanntlich gar nicht. Warum dann ausgerechnet jetzt dieser überflüssige Untergang? 

An all den doofen Ausländern kann es eigentlich auch nicht liegen; denn dann hätte sich Deutschland, wie uns Herr Sarrazin eindrucksvoll mit Tabellen und allem erklärt hatte, abgeschafft. Und: so etwas zieht sich ganz schön hin, so eine Selbstabschaffung. Vor allem: dieser Fall liegt gar nicht vor. Heute nicht. Wir haben es nämlich nicht mit einer Selbstabschaffung zu tun, sondern mit einem Untergang. Und bitteschön: wann, warum oder ganz genau gefragt: wo geht man unter? – Da hätten Sie aber auch wirklich selbst drauf kommen können. Wo: im Wasser. Warum: weil zuviel davon da ist. Und wann: wenn es zuviel regnet und / oder taut. 

„Tauwetter und Dauerregen lassen Deutschland untergehen“, lautet dann auch die bild.de-Meldung von 14:24 Uhr. In der Internet-Adresse heißt es treffend: „hochwasser-deutschland/tauwetter-regen-untergehen“. So arbeiten Profis. Schon etwas zuvor hauten sie die Meldung raus: „Deutschland säuft ab“. Reicht. Oder – von mir aus – in der Langfassung: „Tauwetter und Dauerregen Hochwasser! Deutschland säuft ab!“ Auch gut. 

In der URL steht: „wetter-deutschland-hochwasser-angst/dauerregen-tauwetter-pegel“. Haben Sie gesehen? „Angst“. Davon steht zwar nichts im Artikel; aber klar: die von der Bild sind absolute Profis. Ja Leute, das war´s dann wohl. Habt´s Euch wohl! Strafe muss sein. Wahrscheinlich hättet Ihr Euch nicht so an den Fernsehbildern aus Australien und Brasilien aufgeilen sollen. Außerdem: wenn es richtig kalt ist, zu viel und zu lange schneit, ist es auch der Klimawandel. Und wenn das Zeug dann wegtaut, tja, das seht Ihr ja jetzt. Jetzt habt Ihr den Salat: Deutschland geht unter, Deutschland säuft ab – das habt Ihr jetzt davon! 

Am Klimawandel sind wir nämlich alle schuld. Nun ja, das nützt jetzt auch nichts mehr. Zu spät. Bis es auch hier so weit ist, sehe ich mal zu, dass ich mir noch ein Ei in die Pfanne hauen oder irgendwoher eine Currywurst kriegen kann. Auf die Dioxine kommt es jetzt ja nicht mehr so sehr an. Also Leute, ich muss …. – vielleicht sieht man sich.

Der Sauerland, der Geierabend, der Pannekopp-Orden und der gute Ruf

Adolf Sauerland

Adolf Sauerland, Duisburgs Oberbürgermeister, hat nun doch mal wieder ein Interview gegeben. Der neue Chefredakteur der WAZ hatte – gleichsam zum Amtsantritt – mit den Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat über die Frage „Was nun, Duisburg?“ gesprochen, freilich mit jedem einzeln. Heute, in der auflagenstarken und gut gelesenen Samstagsausgabe, erscheint das Interview mit Sauerland mit dem Titel „Sauerland will Duisburg aus dem Imagedilemma befreien“ – na klar, wer sonst?!
Die WAZ leitet in fetten Lettern ein: „Duisburg. Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) will Duisburg imagemäßig aus der Krise führen und an die `erfolgreiche Zeit vor der Loveparade´ anknüpfen.“ Allerdings – er hatte es schon wiederholt dargelegt: „Zu der Katastrophe will er sich erst nach Ende der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen äußern.“
Originalton Adolf Sauerland: „Alle Fragen, die derzeit beantwortbar sind, sind von mir beantwortet worden.“ Einmal ganz abgesehen von der Frage, ob es das Adjektiv beantwortbar in der deutschen Sprache überhaupt gibt, und abgesehen davon, ob Sauerlands Aussage der Wahrheit entspricht, wovon jedoch schwer abzusehen ist, bleibt die – leider wenig neue – Erkenntnis festzuhalten: Sauerland schweigt zur Sache.

Was soll man auch noch sagen? Auch von mir ist zur Loveparade alles gesagt – damals noch bei xtranews. Wie leicht dieses „damals“ schon in die Tasten geht! Ob es das ist, worauf Sauerland spekuliert, worauf er kalkuliert? – Schwer zu sagen. Geistige Tätigkeiten wie Spekulieren und Kalkulieren setzen ein gewisses Maß an Rationalität voraus. Lässt sich dieses Maß bei Sauerland völlig umstandslos unterstellen? Führen wir uns seine Antwort auf die Frage der WAZ, ob der Ruf Duisburgs ruiniert sei und wie kommt man da wieder rauskommen könne, in aller Ruhe zu Gemüte:
„Ich will nicht sagen, dass der Ruf Duisburgs ruiniert ist. Aber wir müssen zeigen, dass wir als Stadt fähig sind, uns auch selbst imagemäßig aus dieser Krise zu befreien, und wir brauchen viele Mitstreiter, die bereit sind zu erklären, wie Duisburg ist, wie die Stadt tickt, in der es sich lohnt zu leben. Das wird nicht einfach sein. Aber wir haben in Duisburg und um uns herum Mitstreiter, die diesen Weg gehen wollen.“
Imagemäßig – dieses Adverb gibt es, um diese klar beantwortbare Frage vorwegzunehmen, in der deutschen Sprache ganz bestimmt. Denn imagemäßig ist wichtig, und imagemäßig haben wir ein Problem, bei dem uns – schon rein imagemäßig – jetzt nur Einer helfen kann: der imagemäßig am Freitag auf dem Geierabend für den Pannekopp-Orden via Internet-Nominierung auserkorene, einmalige und unnachahmliche … Pannekopp (?).
Sauerland wurde übrigens, wie wir im Pottblog erfahren, lange diskutiert, dann aber doch von der Preisverleihung ausgeschlossen. Hier erfahren wir die von Martin Kaysh erläuterte Begründung dafür, weshalb Sauerland der Pannekopp-Orden verwehrt worden ist. Nachzulesen ist sie aber auch in der WAZ, unter „Rhein-Ruhr“, also in der Gesamtausgabe:
Sauerland käme für die Ehrung „nur dann in Frage, wenn man ihm das gut 28 Kilo schwere Stück Stahl auf einer Brücke um den Hals hängen könne – am besten mit einem kräftigen Schlag auf die Schulter.“

Wie weit darf Satire gehen? Darf Satire Alles? Fragen über Fragen. Wie auch immer: der Geierabend hat eine gute Presse, viele Honoratioren waren anwesend. Also: rein imagemäßig betrachtet liegt der Geierabend ziemlich weit vorn. Wir Duisburger nicht so sehr. Unser Ruf ist zwar nicht völlig ruiniert, aber wir müssen zeigen, dass wir
Sagt jedenfalls unser Imageberater. The one and only imagemäßig ganz weit vorne liegende, bundesweit, ach was: international bekannte Befreier aus jeglichem Imagedilemma.
Und außerdem: Image – das kann doch wohl nicht alles sein. Es gelten ja schließlich auch noch andere Werte: Verantwortung, das christliche Menschenbild, Leben, und so weiter, und so fort …

Kommunismus à la Gesine Lötzsch als 2000-Euro-Frage bei „Wer wird Millionär?“

Neulich hatte ich bei Spiegel Online so einen IQ-Test mitgemacht. Zunächst waren einige Zahlenreihen logisch zu verlängern, dann waren Textaufgaben zu lösen, und schließlich – und das machen wir hier jetzt auch einmal – ging es darum, Begriffe adäquat zuzuordnen. Zum Beispiel: Hand verhält sich zu Arm wie Fuß zu … – na? Okay, ohne vorgegebene Antwortmöglichkeiten ist das zu schwer. Also machen wir es wie bei „Wer wird Millionär?“: Multiple Choice. Also Hand zu Arm wie Fuß zu: a) Bein, b) Knöchel, c) Rumpf, oder d) Nase?
Da diese Aufgabe tatsächlich aus dem angegebenen Spiegel-Test ist, verrate ich auch nicht die richtige Lösung. Wir wollen Sie schließlich nicht intelligenter machen, als Sie wirklich sind. Aber wir können ja noch ein wenig üben. Ich hätte da noch eine Aufgabe – allerdings nicht aus dem IQ-Test auf Spiegel Online. Aufgepasst: Gesine Lötzsch verhält sich zu Kommunismus wie eine Kuh zu: a) Milch, b) Rindfleisch, c) Wiese, oder d) Sonntag?

Schon klar: die Frage ist von einem anderen Kaliber als die mit Hand und Fuß. Sie können, weil Sie kein Risiko eingehen wollten, selbstverständlich noch Ihre Joker ziehen. Aber welchen könnten wir denn da nehmen. Ehrlich gesagt: das Publikum würde ich nicht fragen. Vermutlich dürften inzwischen einige die Frau Lötzsch kennen. Vielleicht sogar wissen, dass die irgendwie für den Kommunismus ist oder so. Aber das dürfte es dann wohl auch schon gewesen sein. Und überhaupt: „Kommunismus“ – echt, da würde ich die Leute nicht zu befragen. Das müssen Sie natürlich selbst wissen; ich will Ihnen da weiß Gott nicht reinreden.
Das ist ganz allein Ihre Entscheidung. Ihre freie Entscheidung. Hier ist ja kein Kommunismus. Also, wie sieht es aus? Gesine Lötzsch zu Kommunismus wie Kuh zu …? Milch, Rindfleisch, Wiese oder Sonntag? Sie haben auch noch den Fifty-Fifty-Joker. Nur: würde der Ihnen wirklich etwas bringen. Ich meine: wenn Sie nun überhaupt keine Ahnung haben, … – Halt! Ich will nicht zuviel verraten. Haben Sie nicht einen Freund, der sich mit sowas auskennt? Der müsste sich dann aber – ich sag´s ja nur – wirklich richtig damit auskennen!
Ach, der Vater des Freundes Ihrer Tochter. Und, was macht der so? – Mmhh, Lehrer für Politik und Gemeinschaftskunde. Meinetwegen, versuchen Sie´s! Besser wäre es, der hätte Ahnung von Philosophie oder so. Wegen des Kommunismus´, meine ich. Ach ja, die Gesine Lötzsch – da haben Sie natürlich auch wieder Recht. Sie können natürlich auch hingehen und sagen: „Danke! Das war´s. Ich stecke mir die 2000 Euro ein und gehe nach Hause.“

Ich meine: 2000 Euro – das ist ja auch Geld. Was würden Sie eigentlich machen, wenn Sie jetzt 2000 Euro mitnehmen könnten? – Aha, dasselbe wie immer. Das ist natürlich langweilig, klar. Andererseits: wenn Sie das jetzt versemmeln und Ihnen gar nichts übrig bleibt? Sie haben Recht: no risk, no fun. Sonst wäre es ja wie im Kommunismus. Huch, hoffentlich habe ich jetzt nicht schon wieder zuviel verraten.
Ob ich die richtige Antwort kenne? – Ja, das ist aber reiner Zufall. Ich habe nämlich gestern Abend bei den Kollegen im ZDF reingeschaut, und da war die Gesine Lötzsch bei der Illner. Sonst müsste ich – ehrlich gesagt – auch überlegen. So ist es natürlich einfach. So einfach wie diese Aufgabe mit Hand und Fuß. Das ist aber – wie gesagt – reiner Zufall.
Nun murmeln Sie sich da mal nichts in den Bart, lassen Sie uns doch bitte teilhaben an Ihren Gedanken! Ja, selbstverständlich sind die Gedanken frei; aber die Show muss weitergehen. Das müssen Sie doch auch einmal einsehen. Okay: wenn Milch richtig wäre, dann gibt die Kuh Milch, folglich müsste Frau Lötzsch den Kommunismus geben. Richtig. Nein, nicht unbedingt die Antwort. Ich meine nur Ihren Gedankengang. Ich sage nichts.
So ähnlich verhielte es sich auch beim Rindfleisch. Nur …, Sie sind ja lustig, hören Sie! Die Revolution frisst Ihre Kinder. Ja, das sagt man so. Die Kuh steht auf der Wiese, dann müsste Frau Lötzsch auf Kommunismus stehen. Oder eben auf Sonntag. Witzig. Nur: damit sind wir auch noch kein Stück weitergekommen.

Ja, es gibt viele Wege zum Kommunismus und den richtigen können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen. Und da klar ist, dass  es ein sehr langer und steiniger sein wird, machen wir jetzt erst einmal Werbung, schließlich muss der Sender auch ein bisschen Geld verdienen.
Wenn Sie zuhause wissen, wie sich Gesine Lötzsch zum Kommunismus verhielte, wenn sie eine Kuh wäre, dann rufen Sie uns an! Die Nummer finden Sie auf dem Bildschirm eingeblendet. Und mit ein wenig Glück können Sie 5000 Euro Ihr eigen nennen.
Damit sind Sie zwar noch nicht Millionär; es sind aber immerhin mehr als diese läppischen 2000 Euro, an denen sich unser Studiokandidat gerade abstrampelt. Sie können natürlich auch jederzeit, wenn Sie wollen, Millionär werden. Jetzt erscheint die Nummer, die Sie wählen müssen, wenn Sie Kandidat werden wollen bei „Wer wird Millionär?“
Und machen Sie sich keine Gedanken: das ist nichts Unanständiges, Millionär zu sein. Ich bin ja auch einer. Im Kommunismus gab es auch immer Millionäre. Was soll´s also?! – Bis gleich. Ja, dann mal ran ans Internet: Gesine Lötzsch verhält sich zu Kommunismus wie eine Kuh zu: a) Milch, b) Rindfleisch, c) Wiese, oder d) Sonntag?

Gift im Essen – Nein Danke!

„Hunger. Wenn ich das schon höre!“ Nun ja, so etwas passierte hin und wieder, wenn einer der Kerle miese Laune hatte. Dann brüllte er uns Jungs an: „Hunger. Ihr wisst doch gar nicht, was das ist: Hunger. Wir damals – wir hatten Hunger!“ Und wir wussten auch schon, wie die Platte weiterläuft. Egal. Offenbar war die Gattin gerade nicht da. Einkaufen oder so. Kein Problem: wir gingen einfach ein paar Häuser weiter. Wir hatten nämlich Kohldampf. Kein Wunder: wenn man ein paar Stunden auf dem Bolzplatz Fußball gespielt hatte, dann musste man auch mal etwas zwischen die Rippen bekommen. Genau genommen war das schon ziemlich praktisch. Unser Bolzplatz lag mitten in der Stahlarbeitersiedlung, in der wir alle wohnten. In diesen kleinen Häuschen mit diesen kleinen Vorgärten; und bei einigen war man, wenn man reinkam, direkt in der Küche. Oder die jeweilige Mutter war bei dem gutem Wetter, das wir zum Fußballspielen nutzten, ohnehin im Vorgarten oder Hof – Wäsche aufhängen oder so. Ziemlich praktisch insofern, als dass es galt, nicht allzu viel Zeit zu verlieren. Also riefen wir schon in einer Entfernung, ab der es die von uns auserlesene Mutter hätte hören können, was jetzt an hausfraulichen Pflichten anstand. Wir riefen – wegen der besagten knappen Zeit – einfach „Hunger“, und schon konnte es losgehen mit dem Stullenschmieren.

Mitunter hatte man halt Pech, und Neider hatte man sowieso. Wenn also statt der Stullenschmiererin einer dieser missgünstigen Biertrinker bei seinen nachmittäglichen Reflexionen gestört wurde, fing mit hoher Wahrscheinlichkeit die Dudelei dieser offenbar in allen Haushalten vorrätigen Schallplatte an: „Hunger – dass ich nicht lache! Soll ich Euch mal erzählen, was wirklich Hunger ist?! Aus Kartoffelschalen hatten die Weiber Suppe gekocht. So war das damals! Am schlimmsten war es ja gar nicht im Krieg, sondern nach dem Krieg. Winter 46 / 47. Ach, was rede ich?! Der Hungerwinter 47 / 48, der war schlimm, kann ich Euch sagen. Die Hühner hatten wir ja im Winter zuvor schon alle geschlachtet; da war dann natürlich Essig. Und heute kommt Ihr an und schreit Hunger. Ich will Euch mal was sagen: Euch allen geht es viel zu gut!“ Ja ja. Wie das so ist: auch die schärfste Schallplatte wird, wenn man sie zu oft gehört hat, irgendwann einmal langweilig. Und außerdem hatten wir meistens echt keine Zeit für diesen Scheiß. Wir hatten doch nur eine kurze Fußballpause.

Dennoch: wenn man etwas nur oft genug hört, bleibt eine Menge davon hängen. Unsere Kindheit war deshalb nicht nur ziemlich praktisch, sondern auch sehr lehrreich. Wir lernten, dass das Wort „Hunger“ offenbar zwei zwar irgendwie zusammenhängende, aber doch nicht ganz deckungsgleiche Phänomene beschreiben kann. Einmal das sich mehrmals täglich meldende Primärbedürfnis, etwas zu essen. Ein anderes Mal das vermutlich extrem unangenehme Gefühl, das sich einstellt, wenn man über einen längeren Zeitraum nicht oder nicht hinreichend in der Lage ist, Nahrungsmittel zu akquirieren. Die Ursache des Phänomens Nummer Eins ist ganz natürlich: rennst Du ein paar Stunden über den Bolzplatz, hast Du Hunger. Fertig. Mit der Ursache für das Phänomen Nummer Zwei scheint es sich offenbar wesentlich komplizierter zu verhalten. Klar war – das lernten wir auch aus ganz anderen Zusammenhängen: Krieg taugt nix. Man konnte zum Beispiel auch ziemlich satt sein. Wenn man es aber nicht rechtzeitig in den Bunker geschafft hatte, …

Sie müssen wissen, dass zufälligerweise direkt neben unserer Stahlarbeitersiedlung eine Stahlfabrik stand (und steht). Und weil die während des Krieges naheliegenderweise Rohre für die Panzer gebaut hatte, wurden wir damals ständig angegriffen. Logisch. Dass der Hunger, also der etwas dauerhaftere, kausal auch durchaus etwas mit dem Krieg zu tun haben könnte, leuchtete mir ebenfalls unmittelbar ein. Entweder Kanonen oder Butter, klar. Dass es aber nach dem Krieg mit dem Hunger schlimmer gewesen sein sollte als im Krieg, fand ich dagegen etwas befremdlich. Nur: so hatten es alle Kriegsberichterstatter in unserer Siedlung erzählt. Als ich das dann später auch noch in der Schule unterrichtet bekam, verflog mein Verdacht, dass es sich bei dieser Story einfach nur um dummes Zeug handeln würde. Bis ich mal dahinter kam, dass sich die Alternative Kanonen oder Butter gar nicht so drängend stellt, so lange man andere Leute für sich schuften lassen kann, hat es eine Weile gedauert. Da hatte ich wohl etwas auf der Leitung gestanden. Es hätte mir aber auch mal irgendjemand sagen können. Hatte aber keiner. Komisch eigentlich.

Bei Wikipedia ist unter dem Stichwort „Nachkriegszeit“ zu lesen: „Für später Geborene ist es kaum nachvollziehbar, worüber man alles nicht sprach, nicht einmal in den Familien. Statt dessen gab es – freilich nicht wenig – realen Stoff für Klagen (Kriegsgefallene und nicht heimkehrende Kriegsgefangene, Bombenterror, Flucht und dann Vertreibung, Hunger und Kälte), jedoch mit einem den Besatzungsmächten sofort auffallenden ausufernden Selbstmitleid und großem Unwillen, dasjenige Leid und Elend ins Auge zu fassen, das zuvor das nationalsozialistische Deutschland ringsum und in der eigenen Mitte anderen zugefügt hatte.“ Selbstmitleid hin oder her: das mit dem Hunger (Definition Zwei) war blöd. Außerdem traf die während meiner Kindheit übliche Formulierung „schlimmer als im Krieg“ den Nagel nicht so ganz auf den Kopf. Im Krieg hatten die alten Herrschaften nämlich überhaupt keinen Hunger.

Sie hatten auch eigentlich nie etwas Anderes behauptet; sie hatten bloß einen irreführenden Eindruck erweckt. Bestimmt, damit keiner von uns verwöhnten Fußballspielern einen Verdacht schöpft oder sich gar noch genauer erkundigt. Es durfte nämlich auf gar keinen Fall rauskommen, dass in all den Kriegsjahren Gift im Essen war. Im reichhaltigen Essen der Kriegsjahre steckte die Arbeit der von den Deutschen besetzten Völker, die für ihre nicht bestellte Beglückung horrende „Besatzungsgebühren“ zahlen mussten. Im Essen steckte die Maloche der unzähligen Zwangsarbeiter, die nicht für einen Appel und ein Ei, sondern hungernd für die deutschen Herrenmenschen schuften mussten. Im Essen steckte das Blut der Juden, die vor ihrer Vergasung noch der Vernichtungsarbeit ausgesetzt waren. Jeder hatte – jedenfalls nach dem Krieg – die Bilder dieser ausgemergelten Gerippe gesehen.

So mussten sich unsere Vorfahren schon vor siebzig Jahren mit Gift im Essen herumschlagen. Aber: es hatte damals nichts geschadet. Es scheint auch heute nicht wirklich zu schaden. Und Sie wissen ja: es hört nicht auf. Ständig dieses Gift im Essen. Dieses Jahr soll es besonders schlimm werden. Vermutlich werden diesmal so viele Menschen verhungern wie noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Die Nahrungsmittelpreise sind förmlich explodiert. 2009 hat – wegen der Weltfinanzkrise – die Zahl der Hungertoten auch schon kräftig zugelegt. Dieses Jahr scheint es dicker zu kommen, wenn man das so sagen darf. Es kommen so viele Faktoren zusammen, nicht nur Kriege. Und auch nicht nur die EU-Agrarpolitik – das muss auch mal gesagt werden! Zugegeben, die Nahrungsmittel sind bei uns so billig, weil sie in Afrika so teuer sind.

Na sicher: wenn die EU ihre Lebensmittelsubventionen einstellen würde, gäbe es hier einen Rabatz, dagegen wäre jetzt der Knatsch in Tunesien einfach nur Kindergarten. Aber in Tunesien verhungert kein Mensch; und was weiter südlich so läuft, wie gesagt: da kommen viele Faktoren zusammen. Außerdem: so billig sind die Nahrungsmittel bei uns nun auch wieder nicht. Wenn die jetzt auch noch teurer werden … Man weiß doch ohnehin schon nicht mehr, was man überhaupt noch essen soll. Essen kann, essen darf. Wenn ich an diese Dioxine denke, die können doch überall drin sein. Ständig dieses Gift im Essen, das hält doch auf die Dauer kein Mensch aus! Sie müssen bedenken, dass wir ja alle ständig älter werden. Da können sich diese Gifte im Körper ganz schön akkumulieren. So kann es jedenfalls nicht weitergehen. Es müsste mal einer kommen und mit diesen ganzen Ganoven ein für allemal aufräumen.

Einmal gab uns eine Mutter, als wir uns über ihren Alten wegen dieser Hunger-Litanei beschwert hatten, den brandheißen Tipp, wir sollten doch statt Hunger demnächst einfach Appetit sagen. Das sei ohnehin gepflegter. Spätestens da war mir der Appetit vergangen. Das brachte immerhin den Vorteil, dass ich alsbald diese Nachkriegshunger-Schallplatte nicht mehr aufgelegt bekam. Da in den 1960er Jahren jeder, der nicht mindestens 20 % Übergewicht auf die Waage brachte, als unterernährt galt, bekam ich fortan etwas ganz Anderes zu hören: „Du musst mehr essen, Junge! Du siehst ja aus, wie ein Biafra-Neger.“

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Anschlag von Tucson: der Kampf um die Deutungshoheit

 

  

Jared Loughner

 

Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie in Amerika so auch hier. Führe uns nicht in die Irre, sondern erlöse uns von den Bösen, sprich: von den politisch Andersdenkenden. Gib nicht ihnen die Deutungshoheit über Deine unergründlichen Wege, sondern uns! Und führe uns nicht in Versuchung, uns zu diesem Zweck einfach irgendetwas zusammenspinnen zu müssen, sondern liefere uns zwecks Preisung Deiner Herrlichkeit in Ewigkeit stichhaltige Belege, auf dass wir nicht so ratlos dastehen mögen, wenn wieder einmal etwas passiert, was Du doch auch nicht gewollt haben kannst.  

Aber Gott antwortete nicht. Denn es entsprang, auch wenn Fred Phelps von der  Westboro Baptist Church dies anders sehen mag, nicht seinem Willen, was sich am letzten Samstag auf dem Supermarkt-Parkplatz in Tucson / Arizona zugetragen hatte, sondern dem Willen eines gewissen Jared Loughner. Er streckte bekanntlich die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords mit einem Kopfschuss nieder und schoss danach noch wild um sich. Entgegen ursprünglicher Meldungen der Polizei handelt es sich bei ihm offenbar um einen Einzeltäter, der entgegen meiner ursprünglichen Annahme jegliche Aussage über seine Motive verweigert.  

Da selbst Gott den Leuten nur vor den Kopf gucken kann, jedoch nicht in ihn hinein, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt nur festzuhalten: unser Vater im Himmel weiß nicht, was das Motiv für Loughners Tat war. Und da es nicht einmal der Allmächtige weiß, wissen wir es schon gar nicht. Der einzige, der es wissen könnte, wäre der 22-jährige Jared Loughner. Aber der junge Mörder ist zweifellos – was recht früh klar war – verwirrt, allerdings auch – was erst bei seiner richterlichen Anhörung zweifelsfrei klar wurde – bei klarem Verstand. Wiederholt hatte Loughner in seinen – in aller Regel recht wirren – Internettexten auf das verfassungsmäßig garantierte Aussageverweigerungsrecht hingewiesen.  

Verwirrt, aber bei klarem Verstand – was auch immer unter diesen Umständen von seiner Motivlage zu halten ist, eines seiner vermutlich wirr miteinander verwobenen Tatmotive lebt Loughner in seiner gegenwärtig extrem unkomfortablen Situation konsequent aus: den größenwahnsinnigen Willen nach weltweiter Aufmerksamkeit. In den USA ist, wie es auf stern.de heißt, mittlerweile ein „Bürgerkrieg der Worte“ entbrannt, während hierzulande gerade eher linke und liberale Medien sich eifrig darum bemühen, nicht in den Verdacht zu geraten, das Blutbad von Tucson für ihre politische Agenda instrumentalisieren zu wollen. Hier auf den Ruhrbaronen legen konservative Kommentatoren Wert auf die Feststellung, dass es zwischen dem Attentat von Tucson und der Tea Party keineswegs eine geradlinige Verbindung gibt.  

Im Tagesspiegel warnt Malte Lehming vor „schnellen Urteilen“ über „die perfide Tat“, bei Telepolis weist Peter Mühlbauer darauf hin, dass „Literaturlisten nur bedingt etwas über Attentäter aussagen“, und Bernd Pickert regelt in der taz auch gleich noch den korrekten Sprachgebrauch: „Die Legende vom Attentat“, so der Titel seines Beitrags; Unterüberschrift: „Debatte nach Amoklauf in Arizona“. Also Amoklauf statt Attentat; denn, so Pickert, „was Loughner hingegen am Samstag angerichtet hat, erinnert mehr an die Schulmassaker der jüngsten Zeit seit Columbine als an das klassische politische Attentat“. Und deshalb sei es „ein billiger Reflex, jetzt eine direkte Linie von dieser Art aggressiver Rhetorik (der Tea Party, W.J.) zu Jared L. Loughners Massaker zu ziehen“.  

Es ist freilich nichts weiter als Rhetorik, wenn Pickert in der taz eine direkte Linie ausmacht, die wer auch immer zu ziehen gedenkt. Und es ist richtig, was auch immer die Motivforschung noch ergeben wird: von einem wie Loughner lassen sich in einer seriösen Argumentation keine direkten Linien ziehen. Alles andere ist falsch: was am Samstag in Arizona passiert ist, war nicht etwa ein Amoklauf statt eines Attentats, sondern ein Massaker und ein Attentat, oder: ein Massaker nach einem Attentat. Ich räume ein, dass es nicht ganz unüblich ist, ein geplantes Massaker als Amoklauf zu bezeichnen. Betrachten Sie diese feine Unterscheidung als Wortklauberei; wichtig ist aber, dass nicht nur das wahllose Abschlachten unbeteiligter Menschen geplant war, sondern auch der gezielte Anschlag auf Gabrielle Giffords.  

Warum wird versucht, dieses Attentat semantisch gleichsam ungeschehen zu machen? Oder dort, wo man nicht so weit zu gehen bereit ist wie in der taz, es als ein Attentat von der Art der Anschläge auf Oskar Lafontaine (1990) und Wolfgang Schäuble darzustellen? Pickerts Spekulation, Loughner habe von der Hetzkampagne der Tea Party gar nichts mitbekommen, ist hanebüchen; seine Schüsse auf Gabrielle Giffords waren nicht nur genauestens geplant, sondern auch politisch motiviert. Letzten Samstag ereignete sich in Tucson der erste politisch motivierte Mordanschlag auf einen US-Bundespolitiker seit 30 Jahren. Warum bringt die taz einen Artikel, der diese Tatsache mit semantischen Spielereien wegdrücken will?  

Warum wird in Sachen Motivforschung überhaupt so einseitig „ermittelt“? Warum werden die Hinweise des US-Heimatschutzministeriums nicht erwähnt, dass Jared Lee Loughner Verbindungen zu einer antisemitischen Gruppe hatte? Sie waren doch recht leicht zu finden – zum Beispiel auf Wikipedia. Warum wird nicht erwähnt, dass untersucht wird, ob Loughner Verbindungen zu rechtsextremistischen Gruppen hatte? Ist auch der britische Guardian nicht seriös genug, als dass sich lohnte, dies zu erwähnen? Dass Loughners Denken alle Ingredienzien eines Tea-Party-Mitglieds aufweist, wie News One for Black America schreibt? Hat etwa der Glaubenskrieg um die Deutungshoheit über das Attentat von Tucson aus dem atmosphärisch vergifteten Amerika bereits auf das behagliche konsensdemokratische Deutschland übergegriffen?  

Es ist zu früh, um auf diese Frage eine politisch befriedigende Antwort geben zu können. Dass es auch hierzulande Interessen gibt, einen aggressiven Rechtspopulismus à la Tea Party hoffähig zu machen, steht außer Frage. Bei den hier zitierten seriösen Medien ist davon auszugehen, dass schlicht der Grundkonsens darüber verteidigt werden soll, dass es unzulässig ist, ein Blutbad für die eigene politische Agenda zu instrumentalisieren. Das Infragestellen eines Zusammenhangs zwischen der aggressiven Tea-Party-Rhetorik und dem Anschlag vom 8. Januar bedeutet in aller Konsequenz jedoch auch, die politische Bewertung des Anschlags von Tucson dem Täter zu überlassen. Das aber ist absurd, ob Loughner nun ein unpolitischer oder ein rechtsradikaler Spinner ist.  

Das Attentat von Tucson, die Tea Party und die vielen verwirrten Einzeltäter

Screenshot YouTube-Video

Gabrielle Giffords hatte keine Angst, obwohl eine ganze Reihe von Vorfällen in den letzten beiden Jahren Anlass genug dazu gegeben hätten. Die demokratische Kongressabgeordnete pflegte gar einen ironischen Umgang mit der schießwütigen Atmosphäre in ihrem Wahlkreis: „Wenn man einen Distrikt repräsentiert, zu dem die Wildwest-Stadt Tombstone gehört, dann überrascht einen nichts mehr.“ Allerdings kritisierte Giffords die Tea-Party-Bewegung wegen ihrer „unglaublich aufgeheizten Rhetorik“. An deren Sprecherin Sarah Palin gerichtet sagte Giffords: „Wenn man so etwas tut, dann muss man auch wissen, dass es Konsequenzen haben kann.“ Palin hatte auf der Website ihres Political Action Committees auf einer US-Karte die Wahlbezirke der demokratischen Abgeordneten mit Fadenkreuzen markiert, die für die Gesundheitsreform gestimmt hatten. Palin beeilte sich, den Opfern und den Angehörigen der schwer verletzten Demokratin ihr Beileid auszusprechen.

Jared Lee Loughner ist der Name des “verwirrten Einzeltäters”, der gestern Morgen Gabrielle Giffords aus nächster Nähe in den Kopf geschossen hatte, danach noch mindestens sechs Menschen erschossen und mehr als zehn weitere Menschen – zum Teil schwer – verletzt hatte. Ein recht hübscher Bengel, der 22-jährige Schütze, der „im übrigen … nicht im rechten Lager zu finden (sei), da er beispielsweise das Kommunistische Manifest, neben anderen Büchern, als favorite Buch angibt“, worauf uns ein Kommentator namens Müller freundlicherweise hinweist. Nun gut, auch Hitlers Mein Kampf gehört zu den Favoriten des Mörders; aber zugegeben: ob Jared Lee Loughner nun dem „rechten Lager“ zuzurechnen ist oder nicht, wird bei solch einem komplizierten Typen letztlich nicht zweifelsfrei zu klären sein. „Natürlich haben“, schreibt Müller, „Palin und die Tea Party Bewegung die politische Rhetorik radikalisiert, zu einem Mord haben sie aber nie aufgerufen.“

Das ist natürlich – gemeint i.S.v. „selbstverständlich“ – richtig. Allerdings hat eine Radikalisierung der politischen Rhetorik, hält man sich die politische Atmosphäre in den USA vor Augen, nichts Natürliches an sich. Und die Art und Weise, wie Palin und die Tea Party die Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern verschärft haben, ist zwar – natürlich – noch nicht der Aufruf zum Mord; der Grad, der von offener Mordhetze noch getrennt hatte, war jedoch schon recht schmal. Und ja: dieser Jared Lee Loughner war und ist verwirrt. Dass er ein Einzeltäter war, darf schon jetzt als widerlegt gelten. Die Polizei sucht nach (mindestens) einem Komplizen. Freilich lässt sich, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass es sich um ein Mordkomplott von zwei, drei oder vier Männern gehandelt hat, immer noch von Einzeltätern sprechen.

Nur: dabei übersähe man die hetzerische politische Stimmung, die in Arizona und den Vereinigten Staaten insgesamt herrscht. Der in Tucson zuständige Sheriff Clarence Dupnik beschreibt sie folgendermaßen: „Der Zorn, der Hass, die Bigotterie, die in diesem Land herrschen, werden allmählich ungeheuerlich.“ Gewiss, die Westboro Baptist Church markiert auch eine in den USA als extremistisch geltende Position; und doch: letztlich treibt Fred Phelps, der Prediger dieser Sekte , die reaktionäre, antisemitische und homophobe Hetze der Tea-Party-Bewegung einfach nur auf die Spitze. Ja, Phelps´ Gemeinde ist klein; aber es gibt viele, allzu viele dieser schönen kleinen christlich fundamentalistischen „Kirchen“ des Hasses. Ein Video-Kommentar von Fred Phelps findet sich inzwischen auf YouTube. Titel: “Thanks God for the Shooting of Congresswoman Gabrielle Giffords”. Man muss nicht perfekt Englisch können, man muss nicht jeden Satz ganz genau verstehen, um ein Feeling dafür zu bekommen, dass im großen Land der Frommen die Uhren (noch?) ein wenig anders ticken als in good old Europe.

Phelps erklärt die “komplizierte Persönlichkeit” (Sheriff Dupnik) kurzerhand zum Soldaten Gottes, dem man ohnehin eigentlich immer nur danken kann, in diesem Fall für das Attentat auf diese gottlose Sünderin namens Gabrielle Giffords. Ohnehin ein Abkömmling aus dem Volk der Christusmörder kämpft diese Babymordpropagandistin (Giffords befürwortet embryonale Stammzellenforschung) für den Kommunismus (anderer Terminus für Obamas Gesundheitsreform). Im Land of the Free ist es erlaubt zu sagen, dass Giffords schon allein wegen einer einzigen Sünde aus diesem umfangreichen Sündenregister den Tod verdient hat. Und man dankt Gott dafür. Nochmal: Phelps´ Baptisten-Sekte ist klein, und es gibt viele Amerikaner, die entsetzt sind über das Massaker, die sich spontan zum Beten für die Opfer versammeln, die nichts mit diesen fundamentalistischen Mordhetzern zu tun haben. Aber es gibt auch die Tea Party. Deren Differenz bspw. zur Westboro Baptist Church ist graduell, nicht prinzipiell. Sie ist taktisch motiviert, nicht ethisch. Es ist kein Antiamerikanismus zu sagen, dass viele US-Amerikaner von ihren Abstiegsängsten in diesen Irrsinn getrieben werden.