Wieso denn die Radfahrer?

Also, das verstehe ich beim besten Willen nicht. Das Buch ist jetzt seit einem Jahr auf dem Markt; aber so ein blödsinniger Titel: „An allem sind die Juden und die Radfahrer schuld“. Das kriege ich einfach nicht in meinen Kopf. Wieso denn die Radfahrer?

Das ist doch Humbug. Nicht, dass ich Gott weiß was für Radfahrer übrig hätte. Nein, ganz im Gegenteil. Auch die können einem manchmal ganz schön auf die Nerven gehen. Machen alles, was Gott verboten hat – und dabei ständig dieses Opfergehabe. Sind ja die Schwächeren – im Vergleich zu Autofahrern. Aber was die sich alles Fußgängern gegenüber erlauben, da spricht kein Mensch drüber. Man darf ja nichts sagen. Radfahrer, auch so ein auserwähltes Volk Gottes. Von Grund auf gut usw. usf., diese Typen, die nicht nach links und nicht nach rechts gucken, rücksichtslos auf ihren Vorteil bedacht sind und mit dieser Gutmenschen-Opfer-Masche die ganze Politik in ihrer Hand haben. Auf lange Sicht kriegen die doch sowieso jeden Radfahrweg, den sie haben wollen. Egal. Ich sage nichts.

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Risiko 1. April

Atomkraftwerk Fukushima I - Daiichi (Zustand der Reaktorblöcke 1 bis 4 am 16. März 2011 nach mehreren Explosionen und Bränden); Bild: HJ Mitchell (Wikipedia)

Risiko! Heute musste man wirklich verdammt aufpassen beim Zeitunglesen, auch beim Lesen der Artikel im Internet. Risiko 1. April! Es ist nicht auszuschließen, dass manche es auch schaffen, ihren Aprilscherz zum richtigen Datum zu platzieren. Risiko! Außerdem: ein gebranntes Kind scheut das Feuer. Vor zwei Jahren bin ich auf einen Aprilscherz der Grünen hier in Duisburg-Rheinhausen übel reingefallen. Ein „Saunaclub“ – na, Sie wissen schon – habe das Rheinhauser Bahnhofsgebäude gekauft, ließen meine Nachbarn in der Lokalpresse vermelden. Und die Grünen hätten sich bereits gewappnet, die armen Kinder vor den Gefahren zu schützen usw.

Das ist der Stoff, aus dem meine Nervenzusammenbrüche sind. Temperatur und Druck in meinem Reaktor stiegen exponentiell an, ich griff unter Starkstrom in die Tasten, Triebdurchbruch in Gedanken an einen neuen Puff, schnell noch eine Terrorwarnung an meine grünen Freunde, und dann das! Diese Antwort: „Lieber Werner; welches Datum schreiben wir heute? Mmmh …, da war doch noch was!“ Blöd! Wenn man schon von den Grünen vergackeiert wird, wo gibt es dann überhaupt noch Sicherheit?! Und vor allem: wann? Am 1. April jedenfalls nicht; da ist Vorsicht die Mutter der Porzellankiste. Man soll ja sowieso nicht alles glauben, was in der Zeitung steht. Nicht am 1. April.

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Kabinett Merkel Drei

Allmählich dämmert es: die Merkeldämmerung fällt aus. Schade um das hübsche Wort, dessen Urheberrechte nicht zweifelsfrei nachweisbar sind. Es findet sich schon seit Wochen in allen möglichen Presseveröffentlichungen, nicht erst seit dem letzten Sonntag.

Die Wahllokale im Südwesten der Republik waren erst gerade geöffnet worden, da sprach man im ARD-Presseclub bereits über die „Merkeldämmerung – Der langsame Abschied von der Macht?“ Mit Fragezeichen. Die Frage ist beantwortet: Nein. Warum auch?
Nun, weil eigentlich Neuwahlen stattfinden sollten, findet jedenfalls die SPD. Doch, wie das so ist: „Schwarz-Gelb wird sich bis 2013 an die Macht klammern“, erklärt Thomas Oppermann, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, wie wir im Kölner Stadtanzeiger lesen. Wenn sie nämlich mutig wäre, die Angela Merkel, dann würde sie – wie einst ihr Amtsvorgänger – Neuwahlen veranlassen. Das wäre zwar verfassungsmäßig grenzwertig, nicht in ihrem Interesse, nicht im Interesse ihrer CDU, weder im Interesse von CSU und FDP … – aber „mutig“. Doch die „SPD traut Merkel nicht den Mut zu Neuwahlen zu“, steht auch im Stern.
Neuwahlen wären allein schon deshalb fällig, so die hinter dieser Idee steckende Überlegung, weil Schwarz-Gelb die von Merkel selbst zu einer Art kleinen Bundestagswahl aufgebauschten Wahlen im Südwesten verloren hatte. Allerdings hatte auch die SPD deutliche Stimmenverluste hinzunehmen, die Linken kamen erst gar nicht in die Landtage. Die Sache ist hinreichend analysiert: es handelte sich um eine Volksabstimmung gegen die Atomkraft, die Wahlbeteiligung stieg in beiden Ländern deutlich, die Grünen haben die Wahlen gewonnen, alle anderen Parteien haben verloren.

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Friedrich Dürrenmatt: „21 Punkte zu den Physikern“

Friedrich Dürrenmatt - Bild: Elke Wetzig (via Wikipedia)

 

Wie auch immer man die Ereignisse um die Atomreaktoren beurteilen mag, ein Drama sind sie allemal. Insofern ist es recht nützlich, sich die 21 Punkte vor Augen zu halten, die Friedrich Dürrenmatt am Ende des Dramas „Die Physiker“ zu bedenken gegeben hat.

Friedrich Dürrenmatt: „21 Punkte zu den Physikern“

  1. Ich gehe nicht von einer These, sondern von einer Geschichte aus.
  2. Geht man von einer Geschichte aus, muss sie zu Ende gedacht werden.
  3. Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmst mögliche Wendung genommen hat.
  4. Die schlimmst mögliche Wendung ist nicht voraussehbar. Sie tritt durch Zufall ein.
  5. Die Kunst des Dramatikers besteht darin, in einer Handlung den Zufall möglichst wirksam einzusetzen.
  6. Träger einer dramatischen Handlung sind Menschen.
  7. Der Zufall in einer dramatischen Handlung besteht darin, wann und wo wer zufällig wem begegnet.
  8. Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen.
  9. Planmäßig vorgehende Menschen wollen ein bestimmtes Ziel erreichen. Der Zufall trifft sie immer dann am schlimmsten, wenn sie durch ihn das Gegenteil ihres Ziels erreichen: Das, was sie befürchteten, was sie zu vermeiden suchten (z.B. Ödipus) .
  10. Eine solche Geschichte ist zwar grotesk, aber nicht absurd (sinnwidrig).
  11. Sie ist paradox.
  12. Ebenso wenig wie die Logiker können die Dramatiker das Paradoxe vermeiden.
  13. Ebenso wenig wie die Logiker können die Physiker das Paradoxe vermeiden.
  14. Ein Drama über die Physiker muss paradox sein.
  15. Es kann nicht den Inhalt der Physik zum Ziel haben, sondern nur ihre Auswirkungen.
  16. Der Inhalt der Physik geht die Physiker an, die Auswirkungen alle Menschen.
  17. Was alle angeht, können nur alle lösen.
  18. Jeder Versuch eines Einzelnen, für sich zu lösen ,was alle angeht, muss scheitern.
  19. Im paradoxen erscheint die Wirklichkeit.
  20. Wer dem Paradoxen gegenübersteht, setzt sich der Wirklichkeit aus.
  21. Die Dramatik kann den Zuschauer überlisten, sich der Wirklichkeit auszusetzen, aber nicht zwingen, ihr standzuhalten oder sie gar zu überwältigen.
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Super-GAU in der Endlosschleife

Bild: Greenpeace

Letztes Wochenende – immerhin lag das Erdbeben vor Japan da auch schon gut eine Woche hinter uns – konnten wir uns endlich anderen Dingen zuwenden: Bestimmte Dinge entwickelten sich gut, und die Libyen-Bombardements sorgten für ein wenig Abwechslung. Und für ein gutes Gewissen, wenn man nicht gerade ein Deutscher war. Was Japan betraf: Endlich Fortschritte, Hoffnung, sogar Strom, mitten im Atomkraftwerk. Jetzt meldet sich das Atomkraftwerk zurück. „Millionenfach erhöhte Strahlung gemessen“, rein landtagswahlmäßig nicht schlecht, doch wenn die ganze Sache jetzt in so eine Endlosschleife reinläuft, ist damit natürlich auch keinem Menschen gedient.

Die Gefahr sei „noch lange nicht gebannt“, sagt Yukiya Amano, der Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA); die Sache kann sich also noch hinziehen. Andererseits: Amano wäre nicht Amano, wenn er nicht zugleich auch „positive Signale“ sähe. Jawohl. Wie am letzten Wochenende: die Wiederherstellung von Stromleitungen in dem ein oder anderen Reaktorblock. Na sicher: „Es muss aber noch mehr getan werden, um die Situation zu einem Ende zu bringen.“ IAEA-Chef müsste man sein.

Ist es nun schon ein Super-GAU oder nicht? Ab wann kann, darf, soll man überhaupt von einem Super-GAU sprechen? Das ist freilich Auslegungssache, so ein Auslegungsstörfall. Man kann von einem Super-GAU in Fukushima sprechen, deshalb darf man es auch. Ob man es dagegen auch tun soll, ist schon allein deshalb ein wenig in Zweifel zu ziehen, weil der Begriff den Eindruck erwecken könnte, als sei´s das jetzt im Großen und Ganzen gewesen. Als könne es nicht mehr schlimmer werden. Da hat aber Herr Amano Recht: die ganze Sache wird sich noch eine Weile hinziehen. Entsetzen in der Endlosschleife.

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Rainer Brüderle: Endlich sagt mal einer die Wahrheit

Rainer Brüderle (FDP) - Bild: Mathias Schindler at de.wikipedia

Au Backe! Das gibt wieder Ärger. Richtig Ärger. Allein schon, was das für eine Presse geben wird! Ach, was heißt „wird“? Im Internet und im Radio geht es doch jetzt schon los. Aber klar: am wichtigsten sind die Abendnachrichten im Fernsehen und die großen Zeitungen morgen früh. Hoffentlich reißt sich die Bildzeitung ein wenig zusammen.

Das ist aber auch gemein. Zehn Tage ist das jetzt nämlich schon her. Montag vor acht Tagen, also am 14. März, traf sich der Wirtschaftsminister – Marke Aufschwung XXL – Brüderle mit den Spitzen der deutschen Wirtschaft, und jetzt – also drei Tage vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, kommt die Süddeutsche Zeitung mit dem Protokoll heraus. Die Einleitung sagt schon alles:

Deutsche Kernkraftwerke gehen aus taktischen Gründen vom Netz: Wirtschaftsminister Rainer Brüderle hat nach SZ-Informationen vor der Spitze der deutschen Industrie gesagt, dass die anstehenden Landtagswahlen der Grund für den plötzlichen Sinneswandel der Regierung in der Atompolitik sind. Entscheidungen seien da „nicht immer ganz rational“.

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Welcome to Duisburg!

Wappen der Stadt Duisburg

Sonntag, 20. März 2011, abends gegen 18:15 Uhr. Duisburg-Rheinhausen: Schießerei im linksrheinischen Stadtzentrum. „Die kurz darauf eintreffenden Streifenwagenbesatzungen sahen sich mehreren hundert Personen gegenüber“, heißt es in der Pressemitteilung der Polizei. Zwei Tatverdächtige wurden festgenommen, nach einem weiteren wird gefahndet. Die zahlreichen Patronenhülsen, die gefunden wurden, belegen, dass aus mindestens zwei Schusswaffen gefeuert worden ist. Offenbar fand die Schießerei zwischen einer Teestube und der gegenüberliegenden Moschee statt.

Einschusslöcher in einem Auto, das zwischen den Fronten abgestellt war. Zeugen berichten von einer Hundertschaft Polizei. Beamte mit schusssicheren Westen und Maschinenpistolen sollen sich auf dem nahe gelegenen Marktplatz bereit gehalten haben. Es ist nicht das erste Mal, dass der Konflikt zwischen den beiden organisierten türkischen Banden – Drogen, Glücksspiel, Autoschiebereien, Prostitution – außer Kontrolle geraten ist. Auch hier gilt, wie bei den – allerdings schwerpunktmäßig in der Duisburger City tätigen – Kollegen der Bandidos und der Hells Angels: man spricht nicht allzu viel. Schon gar nicht gegenüber der Polizei.

Montag, 21. März 2011, nachmittags gegen 16:00 Uhr. Duisburg-Marxloh. Überfall auf zwei türkische Jugendliche am Pollmann-Eck. Eine etwa zehnköpfige Gang von – nach Polizeiangaben – Libanesen – hatte die beiden verletzt. Richtig Ärger gab es, nachdem die Polizei zwei Freunden den Zutritt zum Rettungswagen, in dem die beiden behandelt wurden, verwehrt hatte. Wie das dann so geht: die Beamten werfen den beiden jungen Männern schwere Beleidigungen und Widerstandshandlungen vor und nehmen sie vorläufig fest. Schnell stehen Hunderte Menschen am Pollmann-Eck, die Kreuzung ist blockiert, nichts geht mehr. Mitten im Berufsverkehr machen die Autos und Straßenbahnen Pause. Die Polizei, die einschlägige Erfahrungen am Pollmann-Eck hat und deshalb von vornherein „mit zahlreichen Kräften ausgerückt war“, schafft es, Marxlohs zentrale Kreuzung nach einer dreiviertel Stunde wieder frei zu bekommen. Im übrigen: es fällt nicht ein Schuss.

Dienstag, 22. März 2011, vormittags gegen 11.24 Uhr. Duisburg-Walsum. Die Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG) meldet der Polizei Schüsse auf eine Straßenbahn. Sie „war auf eigenem Gleiskörper von Dinslaken in Richtung Innenstadt zwischen den Haltestellen Watereck und Vierlinden unterwegs, als Fahrgäste den Fahrer auf zwei beschädigte Seitenscheiben auf der linken Seite der Bahn hinwiesen.“ Dem Straßenbahnfahrer erschien dieser Hinweis auch insofern recht plausibel, als dass er soeben „zwei Jugendliche hinter Büschen im Bereich des dortigen VW-Händlers gesehen (hatte), die dann mit einer Sporttasche wegliefen“. Und tatsächlich entdeckten die eintreffenden Polizisten etwa zwei Millimeter große Löcher in den besagten Seitenscheiben. Nach den beiden jugendlichen Sportsfreunden wird gefahndet; insofern ist völlig unklar, ob die Schüsse konkret einer bestimmten Person gegolten haben.

Wenn nicht, wäre dies natürlich schlecht. Allerdings eine Ausnahme. Also, wenn einfach nur so auf Straßenbahnfenster geschossen worden wäre. Denn eins muss auch mal gesagt werden: was auch immer hier bei uns in Duisburg vorgekommen sein mag – Mafiamorde, Rockerkrieg, jetzt dieser Kleinkram – Unbeteiligte kommen eigentlich nicht zu Schaden. Welcome to Duisburg!

Bestimmte Dinge entwickeln sich gut

Keine Chance für Japan. Die Debatte über Libyen hat die Japaner von den Titelseiten der Zeitungen verdrängt. Hunderttausende Obdachlose, die in Auffanglagern vor sich hin vegetieren, haben keinen dauerhaften Anspruch auf die erste Reihe in den Schlagzeilen. Erfrieren in der Notunterkunft, gewiss: keine schöne Sache. Wie kann man aber auch Atomkraftwerke mitten ins Erdbebengebiet bauen?! „Ernst und Empathie“, schreibt Malte Lehming im Tagesspiegel, „sind als Haltungen flüchtig, weil die öffentliche Debatte auf Autopilot läuft. Immer weiter. Immer weiter. Wo kein Halten ist, ist kein Halt.“

Auf die Dauer hält das ja auch niemand aus, diese Schreckensnachrichten über hungernde und frierende Leute, die ihre Angehörigen vermissen. Und so etwas aus Japan; das ist doch nicht

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Ein Text über Sarkozy (mit und ohne Fußnoten)

Foto: Wikipedia (א)

Frankreichs Präsident Sarkozy sorgt für Riesen-Ärger in Berlin. Nicolas Sarkozy will sich als Macher in der Libyen-Krise inszenieren. Die auf Betreiben Frankreichs mit britischer Unterstützung gefasste UN-Resolution ist für Sarkozy ein Erfolg, der auch dazu geeignet ist, sein angeschlagenes innenpolitisches Ansehen aufzubessern. Es war ein großer Augenblick für Präsident Nicolas Sarkozy: die Konferenz der Chefs von 22 Regierungen und internationaler Organisationen. Nun kann Sarkozy sie alle im Elysée-Palast willkommen heißen, unter ihnen US-Außenministerin Hillary Clinton, der britische Premier David Cameron, Spaniens Regierungschef José Luisa Zapatero, der Generalsekretär der Arabischen Liga Amr Moussa und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Sarkozy liebt es, für Frankreich an der Spitze der Nationen zu stehen. Wahrscheinlich muss Nicolas Sarkozy gerade ein paar seiner Komplexe kompensieren.

Das Minderwertigkeitsgefühl etwa, bei den Revolutionen in Tunesien und Ägypten als Staatsmann mit Weltgeltung versagt zu haben. Anders sind die jüngsten Äußerungen des französischen Präsidenten nicht zu erklären: Luftangriffe auf das libysche Gaddafi-Regime zu fordern und die Rebellenregierung anzuerkennen hat mehr mit seinem Testosteronspiegel als mit logischem Denken zu tun. Es wird – in Ägypten z.B. – ganz genau registriert, wie sich Europa verhält. Man kann nicht Demokratie predigen, aber mit Diktaturen ins Bett gehen. Ben Ali etwa wurde in Frankreich jahrelang von Sarkozy hofiert und nachdem er gestürzt wurde, lässt er ihn – wie mutig – nicht nach Paris einreisen. Das ist zutiefst heuchlerisch.

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Samstag, 19.03.2011: Japan

Es ist Samstag, der 19.03.2011. Die taz bringt eine Nachtzusammen-fassung über die Katastrophe in Japan. Sie schreibt: „Die Lage am Unglücks-Atomkraftwerk Fukushima I bleibt dramatisch. Technikern ist es zwar gelungen, ein Stromkabel zu verlegen. Doch wahrscheinlich sind die Kühlanlagen defekt.“  

„Wenn die Nation zusammensteht, werden wir die Krise überwinden“, hatte Japans Ministerpräsident Naoto Kan schon vorgestern, also am Donnerstag, versichert. „Kan wird aller Wahrscheinlichkeit nach recht behalten“, bemerkte dazu Hartmut Wewetzer, der Leiter des Wissenschaftsressorts des Berliner Tagesspiegel. „Mehr noch: Die Japaner können am Ende gestärkt aus der Katastrophe hervorgehen.“ Diesen Kommentar publizierten sowohl der Tagesspiegel als auch Zeit Online. 

Noch immer ist zu wenig Wasser in den Kühlbecken der Reaktoren“, erfahren wir um 6:30 Uhr MEZ aus dem Liveticker des Hamburger Abendblatts. „Nach Angaben der japanischen Atomaufsichtsbehörde NISA ist der Stand im Reaktor 1 derart niedrig, dass er von den Messgeräten nicht mehr eindeutig erfasst werden kann.“ Also in allen Meilern, im Reaktor 1 sieht es ganz schlecht aus. Doch es gäbe Hoffnung, heißt es. Die Stromleitung zum Reaktor Nummer 2 stehe. 

Zeit Online und der Tagesspiegel hatten Wewetzers Beitrag mit unterschiedlichen Überschriften und Einleitungen versehen. „Psychologen prophezeien Japan ein `posttraumatisches Wachstum´“, titelt die Zeit. Hoffnung in Zeiten der posttraumatischen Belastungsstörungen. Eine Frage der Psychologie. Das Urvertrauen spielt hier bekanntlich eine herausragende Rolle. „Die Japaner haben trotz der schwierigen Lage ihr Urvertrauen nicht verloren“, heißt es in der Einleitung von Zeit Online. Da kann Hartmut Wewetzer wirklich nicht dafür. 

07:40 Uhr: „Leichenberge überfordern Gemeinden in Japan. Die Gemeinden in den japanischen Unglücksgebieten haben nach dem Erdbeben und Tsunami ein riesiges Problem mit den vielen Toten. Die Krematorien sind schlicht überfordert. In Japan sind Beerdigungen unüblich. Knapp 11.000 Menschen werden noch vermisst.“ „Seelisch“, leitet Zeit Online den Text von Hartmut Wewetzer ein, „ist der Mensch Krisen gewachsen und kann sie meistern.“ Seelisch. Körperlich steht die Sache freilich auf einem anderen Blatt. 

“Posttraumatisches Wachstum“ – warum eigentlich nicht?! Auch an anderer Stelle findet sich der Hinweis, freilich nicht ohne das distanzierende Attribut „zynisch“, dass die Katastrophe letztlich vermutlich positive Wachstumseffekte nach sich ziehen werde. Wer weiß? In jedem Fall: positives Denken. Andererseits: sicher ist sicher. „09:26 Uhr: Europäischer Automarkt kaum von Katastrophe betroffen“. 

11:20 Uhr: „Tokio wird von einem Nachbeben erschüttert, Gebäude wanken. Japanische Medien geben die Stärke zunächst mit 6,1 an. Ein Tsunami werde nicht befürchtet.“ Der Tagespiegel titelt „Wo aber Gefahr ist …“ und leitet Wewetzers Beitrag ein mit „… wächst das Rettende auch.“ 11:27 Uhr: „Japans Regierung hat eine Kernschmelze in drei Katastrophenreaktoren von Fukushima I `höchst wahrscheinlich´ genannt. Das berichtet die Nachrichtenagentur dapd ohne Angabe von Quellen.“ 

Premierminister Kan sagte am Freitag in seiner Fernsehansprache mit Tränen in den Augen: „Japan als Land wird die Katastrophe überwinden und sich erholen.“