FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher beklagte in der FAZ das Versagen der Babyboomer in der Politik. Stimmt schon, Lichtgestalten hat diese Generation in diesem Bereich nicht hervorgebracht. Aber wen von uns zog es schon in die Politik? Eine Replik.
Lang ist nach Frank Schirrmacher die Lister der Gescheiterten Babyboomer und bewegt haben sie, ausser der eigenen Absicherung, auch kaum etwas. Schirrmacher in der FAZ:
„Es geht aber um den Roman einer politischen Generation, deren vielleicht relevantester politischer Kampf am Ende der Kampf um die eigene Rente gewesen sein wird.“
„Roland Koch (*1958), Ole von Beust (*1955), Peter Müller (*1955), Stefan Mappus (*1966), Dieter Althaus (*1958), Friedrich Merz (*1955); als
gescheitert gilt vielen Guido Westerwelle (*1961), und von Frank-Walter Steinmeier (*1956) und Sigmar Gabriel (*1959)“
Zu den Babyboomern gehöre ich ja auch. 1964, mein Jahrgang, war der geburtenstärkste Nachkriegsjahrgang. Und ja, Schirrmacher hat Recht: Die Babyboomer haben in der Politik versagt. Das sagt allerdings weniger über meine Generation aus, sondern mehr über diejenigen von uns, die in die Politik gingen.
Die meisten die ich kenne, die aus meiner Generation in die Politik gingen, sahen darin einen Job. Sie hatten in anderen Bereichen schlechte Chancen, waren in eine Partei hineingerutscht, hatten sich dort festgesetzt. Das sie für irgendwelche Ziele brannten habe ich nur sehr selten beobachtet. Politik war eine Arbeit – und zu keinem Zeitpunkt eine, der besonders hoch angesehen war.
An weitreichende Veränderungen glaubte kaum jemand. Die Bundesrepublik der 80er und frühen 90er Jahre, in denen wir unsere Berufsentscheidungen fällten war ein Tanker, dessen Kurs man nur schwer verändern konnte. Die großen Schlachten waren geschlagen.
Politik war vor allem die Kunst des machbaren geworden. Mehr Verwaltung als das Umsetzen von Ideen. Und es waren dann auch eher die vernünftigen Verwalter, die es in diesen Bereich zog. Schirrmacher schreibt, dass die einzige Idee der Babyboomer in der Politik der Markt war. Wenn es mal so gewesen wäre. Die meisten hatten doch
überhaupt keine Idee.
Man darf nicht vergessen, dass es in vielen anderen Bereichen für meine Generation wesentlich spannendere Möglichkeiten gab, denen gegenüber die Politik als wein weites Feld der Ödnis erschien: Medien, IT, Management – nicht wenige von uns haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten viel spannendes erlebt. Ganze Branchen wurden
revolutioniert. Sicher, nicht alle von uns gehörten immer zu den Gewinnern, aber eins war unsere Berufsleben es nie: Langweilig.
Das war es aber in der Politik. Bis heute interessiere ich mich für Politik, finde es spannend darüber zu schreiben. Aber machen? Schaut Euch mal eine Rats- oder Landtagsdebatte an. Fragt mal einen Abgeordneten oder Dezernenten was ER bewegen kann? Ich hab das ein paar mal getan und kennen nun ganz viele neue Begriffe für das Wort „nichts“.
Nein, nicht die Babyboomer haben versagt und sind aus dem Spiel raus. Das geht überhaupt nicht. Die meisten von uns werden allein Aufgrund der schlechten Aussichten bei der Altersabsicherung noch sehr lange arbeiten und sich dabei immer wieder neu erfinden müssen. Ausgestiegen sind nur viele von denen, die in die Politik gingen. Und seien wir doch mal ehrlich: Über die haben wir doch schon auf dem Schulhof Witze gerissen.
Ich lasse nicht zu, dass die Leistungen meiner Generation von Frank Schirrmacher klein geschrieben werden.
Ich brauche nur mich zu nehmen: Zwei Ehrenurkunden bei den Bundesjugendspielen (unterschrieben von Walter Scheel), Frei- und Fahrtenschwimmer, Vize-Kreismeister im 800m-Lauf, bestandener Tanzkurs 1987, bestandenes Abitur, 1/2 Jahr Kurssprecher des Englisch-LKs, in nur 20 Semestern fertig studiert und fast acht Jahre in einem Job gearbeitet. Diese Lebensleistung lasse ich mir nicht madig machen.
Acht Jahre am Stück?
[…] Stimmen: Prof. Adorjan Kovács, Manfred Messmer, Detlef Guertler, J.S. Piveckova, Die Ruhrbarone und Nachdenkseiten. Teilen Sie dies […]
Die Babyboomergeneration, wenn man sie denn auf die Geburtsjahrgänge ab Mitte der 1950er bis Mitte der 1960er verengen will, hat doch eine Menge an Steinen in den Weg gelegt bekommen: sie sind zu viele, sie stehen sich ständig gegenseitig auf den Füßen; als sie in die Berufsfindungsphase kamen, herrschte überall Schwemme: Lehrlings-, Ärzte-, Lehrerschwemme. Überall dort, wo sie hin wollten, standen andere schon Schlange.
Sie hatten kein vorher von ihnen selbst zerstörtes Land aufzubauen. Das hat ihre Elterngeneration schon erledigt. Dafür wuchsen sie im Wohlstand auf und im Bewußtsein, dass dieser ihnen zusteht und dass er ewig währt. Sie musste nicht mehr den Muff aus den Talaren auskehren, dass ist dummer Weise schon ein paar Jahre vorher von wenig Älteren erledigt worden. Dafür sind sie zu einer Zeit an die Uni gekommen, in der die Hörsäle überfüllt waren und es für den einzelnen faktisch unmöglich wurde, persönlich von einem Professor wahrgenommen zu werden. Wenn einer von ihnen den Weg durch die Institution Universität geschafft hat, war er fast schon im Rentenalter.
Sie haben zwar die Parteienlandschaft erneuert, konnten sich aber kaum gegen die 68er durchsetzen, bis heute nicht. Die Akteure der Politik erweisen sich als dermaßen sitzfleischig, dass sogar der 1961 geborene Westerwelle fast noch als jugendlich durchgeht. Dafür finden die meisten es ganz selbstverständlich, dass sich der 93 jährige Schmidt noch durch die Kommentare zum Zeitgeschehen hustet. Leider sehen die Vertreter der Rentnergeneration Fischer (trotz Verfettung) und Cohn-Bendit immer noch aus wie zu besten Straßenkämpferzeiten, die wollen nicht alt werden, die Babyboomer altern schneller.
Und jetzt drängeln sie sich ins Rentenalter, wollen in ein paar Jahre die Seniorenheime überrennen und sich um die nicht mehr vorhandene Rente prügeln. Das sind die Babyboomer. Mehr versagt als versagend. Und ich bin einer von ihnen.
Und was die IT angeht: als die Babyboomer jung waren, hieß das noch EDV, man stanzte Löcher in Lochkarten und stand sich die Beine in den Bauch, um darauf zu warten, dass saalgroße Transistorgeräte eins und eins zusammenzählten. Der Monochrommonitor war ein Quantensprung, ebenso wie die 3 1/3-Zoll-Diskette gegenüber der 5 1/4-Zoll-Diskette. Wer sich kritisch gab, rümpfte noch zur Jahrtausendwende die Nase über die Nutzung von Mobiltelefonen. Sie halten heute noch E-Mails als wichtiges Nachrichtenübermittlungssystem und haben immer noch nicht verstanden, was das BCC-Feld im Mailfenster bedeutet. Als sie endlich online waren, hatten die Jüngeren sie schon in der Schlacht um den Dotcomtod überholt.
Tut gut, dass einer mal andeutet, dass sich die 68er und Ältere nicht verabschieden, nicht den Weg für uns – bin JG 61 – freimachen wollen. Hier findet ein Kampf statt zwischen den Satten, Verwöhnten, Abgesicherten und leider auch zu häufig Selbstgefälligen und denjenigen, die dies alles nun mal nicht mehr sind, den es so sicher noch nie gegeben hat. Die Leistung der Vorgeneration bleibt sicher unbenommen, aber diese konnte eben nur „vorwärts“ gehen. Und wo ist denn jetzt die Loyalität und das Verständnis? Die satten Jahre sind vorbei; die Welt befindet sich nicht nur im Umbruch, sondern in nie dagewesenen Krisen; wir wissen das längst. Aber wer hat denn jetzt Rezepte, Ideen? Etwa die Älteren oder die Jüngeren? Da fallen mir doch auf Anhieb Namen zu „unserer“ Generation ein, die komischerweise in den 40er oder in den 70er Jahren des letzten Jahrjunderts geboren worden sind.
Derzeit befinden sich doch alle mehr oder weniger im „try-and error-Feld“.
Ich habe außerdem den Eindruck, dass jetzt, da erstmals in nenneswerter Zahl auch Frauen an vorderster Front mitreden, bei vielen Männern ein kleiner-Junge-Trotz hochkommt, was es nochmals erschwert, Lösungen zu finden.
Und ja, auch ich habe ich mal ganz bewusst von der aktiven Politik verabschiedet, weil es spannendere Angebote gab – das politische Volk war mir, in meinen 20ern, zu engstirnig, zu einseitig. Aber wer hat denn ein Klima geschaffen, in dem sich viele gut ausgebildete Interessierte nicht wohl fühlten? Wir?
Das war ein sehr einseitiger, heiß gestrickter Artikel von Herrn Schirrmacher, der die vielen Korrekturen und Kommentare mehr als nur rechtfertigt. Ich warte gespannt auf einen Artikel, der der sehr interessanten Frage nach dem Scheitern in der Politik – wenn es denn wirklich ein Scheitern ist – einmal vom Grunde auf nachgeht.