Balanceakt auf der schiefen Welt 

Nika Mišković, Linda Elsner Foto: Duerkopp


Das Ensemble des Schauspiels Dortmund und Jugendclub begeistern Publikum mit einer post-wütigen Tour de force im Studio. Ein Durstlöscher für Dortmund. Von unserer Gastautorin Tanja Hellwig.

Seit dem Beginn der Schauspielintendanz von Julia Wissert sind einige neue Konzepte im Spielplan auszumachen. Eines davon ist die Ensembleproduktion: Für eine Premiere im Spielplan übernimmt eine Spieler oder Spielerin  die Regie. Eine eigene Stückidee wird mit den Kollegen und Kolleginnen realisert. In der laufenden Spielzeit entwarf und inszenierte die Schauspielerin Lola Fuchs gemeinsam mit dem Ensemble und dem Jugendclub. Die so entstandene Produktion „Die Not steht ihr gut“ ist erfrischend und hatte am 26. Januar 2023 im Studio Premiere.

Es ist eine Uraufführung, wie Dortmund sie lange nicht gesehen hat.  Sie unterhält in Abwesenheit jeglicher sonniger Perspektive. Auf der Studiobühne nimmt eine bissige  Gesellschaftsdystopie ihren Lauf. Ein rasantes Stück Trash mit Tiefgang. Wir werden vor Vergnügen quietschen, vor Entsetzen erstarren, lachen und zugleich nachdenklich innehalten im Verlauf dieses Abends. Auch gewisse lokale Assoziationen zu einer möglichen  Dortmunder Realität kommen auf.

Erzählt wird die Geschichte von Sharon (Linda Elsner )  und Dana (Nika Mišković), zwei Underdogs, die zu Bossinen wurden und  Kapitalismus  und Patriarchat meistern. Nie mehr in schlechtbezahlten Dienstleistungsjobs versauern, nie mehr bei Penny einkaufen. Das ist das Ziel.

Die Not steht ihr gut: Foto: Duerkopp

Der Auftakt1

Wir sitzen vor ihrem Spiel wie die Kaninchen vor den Schlangen. Es gibt kein Entkommen im rappelvollen Studio des Schauspiels Dortmund. Auch für ihren Diener Dominic (Linus Ebner ) nicht, der gleichzeitig der Erzähler der Geschichte ist.

Dominic ist der ewige Praktikant, gescheiterter Geisteswissenschaftler und ein Linker, der sich arrangiert hat. Mit Sharon und Dana und eben mit deren Firma, die ihn ausbeutet und ihm zugleich einen Nischenplatz erhält, an dem er noch er selbst sein kann.

Seine Bühne ist ein karger Ort. Eine Art  Showroom, durch weiße Plisséestellagen begrenzt. Auftrittsmöglichkeit für die Protagonisten: Eine pinkfarbene Showtreppe, deren oberste Stufe in einen Kellerschacht führt. Dominik  im Portiersoutfit, ein Typ wie der Diener in Sartres geschlossener Gesellschaft. Stilsicher und wortgewandt kündigt er eine Wahnsinnsstory an. 

Linus Ebner Foto: Duerkopp

 

Seine Ladies: haben money, power, glory und herrschen, anstatt beherrscht zu werden. Politisches Engagement, Arbeiterklasse, reuniten und den Feministinnen  wohlmöglich ihre miese Fashion klarmachen, alles uninteressant für sie. Nach dem Motto „Fake it till you make it“ fälschten die beiden underdogs ihre Lebensläufe und gründeten dann eine Coaching-Agentur für Looserfrauen um diese fit, flexibel und belastbar fürs Arbeitsleben zu machen. From zero to hero! Und er selbst mitten drin, distanziert, ironisch, arm aber gebildet. Dominic kündigt die Ladies also an, doch die  große Showgeste bröselt, unser Erzähler strauchelt und gesteht, das ihm das alles nicht liege.  Diese Arbeit nicht, seine schrecklichen Bossinen nicht. Lautstark bahnen sich  diese nun ihrerseits  ihren Weg durch die Kellerluke und wir wissen umgehend was er meint.

Nika Mišković, Linda Elsner :Foto: Duerkopp

 

Dana:             […] Also dachten wir, wir machen nen bisschen charity. Wir haben den hier  […]                       dann    auf der Straße aufgelesen, der stand da nackt vor so nem Apple Store und be-             kleckerte sich mit Ketchup- 

Dominic:         Kunstblut, es war Kunstblut

Dana:             und brüllte irgendwelche linksradikalen Parolen

Dominic:         Prosa, es war Prosa

Dana:             Und sah einfach komplett bescheuert also total süß eigentlich..

Dominic:         Nein, nicht süß, sondern existentiell, das war Verzweiflung

                        (…)

Dana:             es interssiert niemanden, Schatz

Dominic:         (Traurig in die Ferne) Ich weiß.

(…)

Sharon:           So, back to buisness, Sie sind genau im richtigen Moment gekommen, […] heute ist unser 5 jähriges Jubiläum. Und das wollen wir natürlich feiern. Hast du eine Teilnemerin ausgewählt für das Live- Seminar?

Das Coaching

Viel Geld bezahlen die Mädels der Stadt um dabei sein zu können, beim Coaching von Dana und Sharon. Wer erfolgreich ist bei dieser Prozedur, erlangt Ruhm und Ehre nach dem Vorbild der Bossinen. Wer es nicht schafft, die letzte Gelegenheit vor dem sozialen Abstieg zu meistern, wird ins Dickicht verstoßen. Dieses liegt hinter den weißen Bühnenstellagen, tut sich direkt hinter dem Büro der Bossinen auf; was mag das Dickicht sein?  Ein morastiger Slum, der Abstieg der Abstiege, ein höllischer Vorort. Unserere Zuschauerphantasie blüht..

Doch zum Casting der Coachingwilligen: Aufgereiht stehen nun all die Mädels im Büro der Bossinnen, die auf keinen Fall ins Dickicht wollen, sondern in das Licht der Welt ihrer Heldinnen.

Danas und Sharons Show:  bissl Heidi Klum, tiktok Generation, der Jugendclub spielt inspiriert, körperlich, aufeinander abgestimmt, ein Trupp Mädchenangst, ein Trupp  Mädchenbegeisterung, hysterisch, bangend, präzise, dass es eine Freude ist. Wer von ihnen wohl eine Chance auf ein Coaching durch die Bossinnen erhalten wird?

Sharon (Linda Eisner) dominiert die Show, lässt kein Klischee aus, zeigt Facette um  Facette. Es liegt die Trauer einer gebrochenen Black Diva ebenso über ihrem Spiel wie die Gebeugtheit einer großen Politikerin, die weitermachen muss, damit etwas besser wird. Elnser kann das alles,  die  „mütterliche“ Chefin, Geschäfstfrau, Coach, ein Vamp,  zeigt immer wieder mutig die kalte Berechnung der Figur. Dana (Nika Mišković) ist weicher, anteilnehmend, naiv in ihrem mädchenhaften Sexappeal, blond, blonder  und ebenso abgebrüht.  Sie ist die perfekte Ergänzung zur Figur der Sharon: Das Zusammenspiel der Schauspielerinnen  beeindruckt. Wir erahnen es: diese beiden Figuren hatten nie den Hauch einer Chance anders zu werden, denn in dieser Welt, gibt es nicht viele Möglichkeiten. Sind sie vielleicht tatsächlich die bestmögliche Version ihrer selbst? Ihr Praktikant, Mitte 30 und vermutlich im gleichen Alter, ebenso. Ein Relikt aus fernen, linken Zeiten ist er, kann nicht vor noch zurück. Als unwichtiger Handlanger der Bossinnen konnte er sich zumindest seine Ideale bewahren. Anscheinend. Bis jetzt jedenfalls. In dieser Show aber sehen wir ihn, wie er kräftig und brutal  mit anpacken muss und vermuten: Er muss sich  täglich selbst verraten..

Das  Mädchen für das Coaching ist inzwischen auserwählt, die anderen Mädchen jubeln: Gisela (gespielt vonLola Fuchs, die gleichzeitig Regie führt und das Stück verfasste) ist die Auserwählte. Sie löst sich aus der Gruppe der  Schaupielerinnen des Jugendclubs, ein ausgezehrter Körper aus Angst  und Pein. Sie soll die Prüfung nicht bestehen.

Dominic ist nun der Mann fürs Grobe und muss sie mit Gewalt ins Dickicht verstoßen. Denn für eine wie Gisela gibt es kein Coaching: Ihre  letzte Chance ist vertan. Sie benutzt nämlich wie schon beim letzten Mal kein Deo!  Sharon und Dana befinden sie für unbelehrbar, niemals vermittelbar. Sie stinkt. Was der Praktikant höchstpersönlich unterhalb der unparfümierten Giselaachsel auf Geheiß der grausamen Bossinen festzustellen hat.

Ab ins Dickicht. Wir sind geschockt über die Erniedrigung des bemitleidenswerten Mädchens, das sich Erneuerung bei den falschen Leuten sucht. Uns ist mulmig nach all den Lachern zuvor. Und während wir uns noch fragen, was genau denn jetzt  das geheimnisvolle Dickicht ist, in welches  die schreiende Gisela befördert wird, folgt schon Teil 2 der Story.

From hero to zero

Der Unternehmer Charly (Christopher Heisler ) mit den künstlichsten weißen Zähnen, einer blonden Schmalzlocke, ein junger Haifisch, alle Karikaturen übertreffend.

Christopher Heisler Foto: Duerkopp

Wir  dürfen lachen über diesen Mr. Bling Bling, schon ahnend, dass es uns  bald wieder im Halse stecken bleiben könnte.  Er ist es also, an dem die beiden sich  hochgerankt haben, ihr männlicher Investor, vor dem sie ganz im Gegensatz zum Praktikanten auch mal kriechen. Sharon scheint ihm ohnehin verfallen, tatsächlich  nahezu läufig zu werden, in seiner Gegenwart. Doch vielleicht ist auch das inszeniert, was weiß man schon, die Ladies haben alles im Griff. Bislang.

Heute wendet sich das Blatt; er ist nicht gekommen, um mit den beiden ihr Jubiläum zu feiern, wie sie annahmen, sondern um sie zurück in die Gosse zu befördern, aus der er sie einst geholt hat.  Hero to zero.  Denn es gibt eine bislang von ihm ignorierte Instanz: die Social Media Gemeinde. Jedes Coaching wird übertragen. Und oha. Es ging den Zuschauern diesmal zu weit, was mit Gisela geschah. Ein Shitstorm, angezettelt durch Giselas Familie im Netz, schlechte Quoten, das kann Mr Bling Bling nicht dulden. Das Format ist durch und Dana und Sharon sind raus. Mit einem Mal sehen wir zwei Unterschichtmädels ohne einen Cent in der Tasche, ohne Schutz, ohne die geringste Projektidee. Die Underdogs  haben Angst. Sie kommen uns dadurch näher und wir fragen uns: wird ihnen eine Lösung einfallen?

Dana:             Heißt das wir müssen jetzt wieder bei Penny einkaufen?

Sharon:           Oh mein Gott, alles, alles aber bloß nicht Penny

Was ist zu tun? Die beiden beschließen aufs Ganze zu gehen. Gemeinsam mit ihrem Gehilfen Dominic und einem Kameramann, der einen Livestream für die Community übernimmt, treten sie den gefährlichen Weg ins Dickicht an. Entschlossen, ihr Scheitern erfolgreich zu vermarkten. Von nun an wird ihr Dasein komplett übertragen. Auf den Stellagen des früheren Büros folgen wir ihrem Abenteuer.

Im Dickicht 

Der zweite Teil des Abenteuers ist digital, hinterlässt uns mit einer leeren Vorderbühne ohne Schauspieler. Aus dem Dickicht, zuvor unsichtbar, wird nun übertragen. Surreale Bilder erreichen uns, die Ladies kämpfen sich durch Glibber und Dreck. Wir erleben wie sich die Wege der Exbossinen und ihres Praktikanten im Dickicht scheiden. Wir sehen Gisela wieder.

Lola Fuchs, Nika Mišković Foto: Duerkopp

Hat diese sich inzwischen in einen Baum verwandelt hat oder ist sie eine Baumhexe? Ein Hippie, der man ihrer Sprache beraubt hat? Denn eines wird schnell klar; landet man im Dickicht, verliert man die Sprache, man wird allmählich unverständlich. Vor allem wenn man beim dortigen „Amt“ vorspricht: Der Mann hinter dem Tresen, sieht verdächtig nach dem großen Unternehmer Charly, Mr. Bling Bling aus (Doppelbesetzung) und er ist im Vollbesitz seiner sprachlichen Ausdrucksmöglichkeit. Im Gegensatz zu den Klienten, die im Kontakt mit  ihm unverständlich werden.

Während Sharon am Kiosk abhängt verabreicht Gisela Dana einen blutigen Trank und diese schläft ein.  Hat Gisela sich gerächt? Hat sie Dana getötet? Nein, diese erwacht wieder, verändert, als, man höre und staune, Revolutionärin.  Ohne jegliche Gefolgschaft. Auch Sharon ist inzwischen verwandelt; eine gefügige Arbeitskraft im totalitären Getriebe. Für immer bei Penny.

Mr Bling Bling hat die Show gedreht.  Das Dickicht heißt jetzt Jungle und befindet sich komplett unter der Kontrolle der ihm ergeben folgenden Brüderhorde. Gleichschaltung. Das Spiel ist aus. Ausnahmslos alle arbeiten für ihn. Und wie ergeht es Dominic? Auch er wird verwandelt, irrt durch sein eigenes Innenleben im Dickicht, wird eingenordet  und bleibt schließlich einfach hocken. Neben Gisela, dem Baumwesen.

„Die Not steht ihr gut“ ist ein rasantes Fest für Dortmund und der anarchischen Schauspielkunst. Ein Ruf erklingt: We love to entertain you!

Großartig gelungen. Ein Stück auf das man ein bisschen gewartet hat.

 

DIE NOT STEHT IHR GUT von Lola Fuchs
Sharon LINDA ELSNER
Dana NIKA MIŠKOVIĆ
Dominic LINUS EBNER
Charlie / Felix Ottmann / Dominics Daddy CHRISTOPHER HEISLER
Gisela LOLA FUCHS
Brüderhorde ANNA BOLTEN, CHARLOTTA WAGNER, YAGMUR CHAN, JENNIFER SCHMIDT, INES KLAPPERS, MARIE LEHNERT

Regie: Lola Fuchs, Ausstattung: Anita Ackva, Sounddesign: Oskar Mayböck, Live-Kamera: Tobias Hoeft / Ismail Khudida, Dramaturgie: Marie Senf, Theatervermittlung: Sarah Jasinszczak, Licht: Markus Fuchs, Ton: Robin Lockhart, Regieassistenz: Ruven Birks, Ausstattungsassistenz: Constanze Kriester, Soufflage Ludwig Robert Juhrich / Klara Brandl, Inspizienz: Christoph Öhl, Regiehospitanz: Ida Makeda Pfefferle

Weitere Aufführungstermine: 4.03., 26.03., 18.04., 19.04.

Spätere Aufführungstermine, Infos und Karten unter: www.theaterdo.de

 

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