„Bangemachen gilt nicht“

Erfolgreiche Angstunternehmerinnen: Sahra Wagenknecht und Alice Weidel Foto Wagenknecht: Sandro Halank, Lizenz; CC BY-SA 3.0 Foto Weidel: Olaf Kosinsky Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE


„Bangemachen gilt nicht“ – dieses Motto gilt nicht für die Politik. Denn wer Angst macht, kann sich als Retter präsentieren. Ein altes Rezept, das momentan vier der fünf großen Parteien anwenden. Nicht alle mit Erfolg. Die Bevölkerung erweist sich als erstaunlich resilient. Von unserem Gastautor Michael Miersch.

„Bangemachen gilt nicht“ war angeblich Adornos Lieblingssprichwort, das es sogar in die „Minima Moralia“ schaffte. Eine Aufforderung frei und unabhängig zu denken und sich nicht „von der eigenen Ohnmacht dumm machen zu lassen.“ Denn wer sich im Abwehrmodus gegen den Untergang wähnt, sei es durch „Umvolkung“, den drohenden Faschismus, die „Coronadiktatur“ oder die „Klimaapokalypse“, ist leicht zu manipulieren. “Politische Macht hat derjenige, der die Angstagenda kontrolliert,“ sagte Eva iIlouz kürzlich in einem Interview der Neuen Zürcher Zeitung. Sie fuhr fort: „Wenn Sie es schaffen, die anderen zu überzeugen, dass ein Thema beängstigend ist und Sie die Lösung für diese Angst sind, dann haben Sie die Kontrolle. Dies ist eine Erkenntnis, die schon Thomas Hobbes verstand: Die Menschen werden immer ihre Sicherheit bevorzugen…Durch Angst entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis zur Führungskraft.“

Dass Personen und Parteien mit Angstmache Stimme gewinnen wollen, ist ein alter Hut. Ohne die Angst vor dem Kommunismus hätte die CDU/CSU nicht von 1949 bis 1967 so komfortable Mehrheiten gewonnen. Derzeit sind die Unionsparteien bei Angstmachen relativ zurückhaltend. Dafür versuchen die anderen vier Großen (SPD, Grüne, AfD und BSW) um so mehr den Wählern das Fürchten zu lehren.

Lange Zeit waren die Grünen die erfolgreichste Angstpartei. Waldsterben, Atomtod, Gift im Essen, Klimakatastrophe: Die Populisten der Apokalypse segelten auf Erfolgskurs und trieben die anderen Parteien vor sich her. Lustigerweise waren sie die Ersten, die voller Empörung „Angstpolitik!“ riefen, als am rechten Rand die „Umvolkung“ und der Untergang des Abendlandes an die Wand gemalt wurde. Mittlerweile wirken nationalistische Untergangsszenarien stärker als die jahrzehntelang erfolgreichen ökologischen. Die letzte Generation der Grünwähler kommt in die Jahre. Ihre heilige Jungfrau der Apokalypse hat das Thema gewechselt und findet nun, dass Juden noch viel schlimmer sind als CO2.

Die SPD indes glaubte lange, sich als moderate Klimapartei präsentieren zu müssen, mit der die grüne Transformation nicht ganz so brutal durchgezogen würde. Vermutlich glaubt die Parteispitze es immer noch, sonst hätte sie nicht ihren grünsten Klimapolitiker zum Generalsekretär gekürt, gegen den Kevin Kühnert wie ein klassischer Sozialdemokrat wirkte. Als immer deutlicher wurde, dass das Programm „Wir nennen uns zwar SPD sind aber auch Grüne“ nicht wirklich erfolgreich war, verfiel man auch im Willy-Brandt-Haus auf die Angstpolitik. Motto: Wir sind das Bollwerk der Anständigen gegen die drohende faschistische Machtergreifung. Die jüngsten Wahldesaster zeigten, dass auch dies nicht wirklich funktioniert.

Erfolgreiche Angstpolitik macht Sahra Wagenknecht. Nicht nur in Sachen nationaler Sozialismus eifert sie ihrem georgischen Idol nach, sondern auch im Personenkult. Dies in Kombination mit einer perfiden Bewirtschaftung der Kriegsangst bescherte ihr den siegreichsten Start, der je einer neuen Partei in der Bundesrepublik gelang. Platz Eins für erfolgreiches Bangemachen gebührt jedoch selbstverständlich der AfD. Doch die ist gedopt von den Regierungsparteien. Selbst Menschen, die sich Adornos Motto zu Herzen genommen haben, müssen angesichts irrwitziger Migrations-, Energie- und Wirtschaftspolitik nicht mehr bange gemacht werden. Sie sind es bereits.

Kommen wir zur guten Nachricht. Die Bevölkerung lässt sich von den Angstmachern weniger beeindrucken, als diese es gern hätten. Dies legt jedenfalls die gestern veröffentlichte repräsentative Studie „Die Ängste der Deutschen 2024“ nahe, die alljährlich von der R&V Versicherung durchgeführt wird. Was die Menschen fürchten, ist offenbar weniger von den ideologischen Horrorszenarien der Parteien geprägt, als von ihren Alltagserfahrung. Ganz oben auf der Angstskala steht die Sorge, dass die Lebenshaltungskosten weiter steigen. Als Nummer zwei rangiert die Befürchtung, der Staat sei überfordert durch die hohe Zahl der Geflüchteten. Auch dies eine Alltagserfahrung, die jeder macht, der in betroffenen Stadtvierteln oder Dörfern wohnt. Nummer drei sind die hohen Mieten.

Tagtäglich und auf allen Kanälen warnen die großen der Publikumsmedien vor einer globale Klimakatastrophe. Jedes Wetterereignis wird als Menetekel dargestellt. Unwetter in fernen Ländern, die es früher nur in die Nachrichten schafften, wenn Hunderte Menschen dabei starben, werden heute selbst dann ausführlich dargestellt, wenn sie glimpflich ablaufen. Die Experten, die öffentlich zu Wort kommen, gehören durchweg zur Gilde der Mahner und Warner. Dies hat einige Jahre der grünen Angstpolitik genützt, wirkt aber immer weniger. Der Klimawandel landete auf Platz 15 der Angst-Charts. 42 Prozent der Befragten kreuzten dieses Thema an (Minus fünf Prozent zum Vorjahr). Wobei vermutlich auch Menschen dort ihr Kreuzchen machten, denen Umwelt- und Naturschutz wichtig ist. Denn der Fragebogen bot die Optionen „Umweltverschmutzung“ und „Naturzerstörung“ nicht an, sondern lediglich „Klimawandel“.

Das Angstszenario von BSW und AfD „Krieg mit deutscher Beteiligung“ landete sogar hinter dem Klimawandel auf Platz 16. Mehr Menschen, 46 Prozent, machen sich Sorgen um das Erstarken dieser Parteien. Die Angst vor dem politischen Extremismus landete auf Platz 10. Platz neun belegt die Sorge vor der wachsenden Macht autoritärer Herrscher. Was die Putinfreunde in den beiden rechts- und links-nationalistischen Parteien nicht erfreuen wird.

Lassen sich die Menschen also weniger bange machen, als den politischen Angstspekulanten lieb ist? Die Umfrage zeigt, dass die Sorgen der Bevölkerung durchaus von politischen Debatten und der medialen Themenauswahl beeinflusst werden. Doch die konkreten Alltagserfahrungen sind stärker. Es schwindet der Glaube, das politische Personal könne an den ökonomischen und gesellschaftlichen Krisen etwas ändern. 49 Prozent (Platz sechs) gaben an, ihnen mache Angst, dass Politikerinnen und Politiker überfordert sind.

Der Text erschien bereits auf dem Blog von Michael Miersch

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