„Barbaren“ am Theater Oberhausen

Foto: Birgit Hupfeld
Foto: Birgit Hupfeld

Am 8.4. hatte „Barbaren“ von Maxim Gorki am Theater Oberhausen Premiere. Intendant Peter Carp übernahm selbst die Regie bei diesem selten gespielten, frühen Stück. Man kann es durchaus – zumindest im deutschsprachigen Raum – als Ausgrabung betrachten, was wohl auch daran liegt, dass der Text von 1905 so wenig unsere Erwartungen an den strammen Revolutionsdichter Gorki erfüllt. Und Peter Carp macht es sich, uns und den Darstellenden auch erstmal nicht leicht, mit dem Stück warm zu werden. Etwas verloren und ungenutzt steht Kaspar Zwimpfers atmosphärisch schönes Bühnenbild im Hintergrund auf der Drehbühne herum. Carp lässt zunächst eine rasche Folge von kurzen Dialogen mit ständig wechselndem Personal an der Rampe abspulen. 

Der Zuschauer muss sich im durchaus umfangreichen Personal des Dorfes in der russischen Provinz zurecht finden, die Darsteller sind damit beschäftigt, das Timing von Auf- und Abtritten hinzubekommen – und dann ist es selbst für gestandene Darsteller immer eine besondere Herausforderung im Stehen auf leerer Bühne und weitestgehend ohne Requisiten und echte Aktion mehr als nur Text zu transportieren.

Diese spröde Exposition macht aber durchaus Sinn, wie sich später zeigt. Es herrscht ungewohnte Aufregung in der provinziellen Langeweile: Die Ankunft der Ingenieure wird erwartet, die eine Eisenbahn in das Dorf bauen wollen. Jeder im Dorf hat dazu etwas zu sagen. Die einen wittern das dicke Geschäft, andere fürchten die Ankunft von einer Flut von Fremden und den Zusammenbruch der dörflichen Ordnung, den Ingenieuren ist sowieso nicht zu trauen, weil sie für eine neue Zeit stehen, die nur sehr wenige als Chance auf ein besseres und mondänes Leben begreifen. Dann sind die Ingenieure auch schon da und entpuppen sich erst einmal als genau so arrogant und schnöselig, wie befürchtet. Das Spiel um den titelgebenden Begriff der Barbaren nimmt seinen Lauf. Denn so wie die einen die Dorfbevölkerung für ungebildet und minderbemittelt halten, halten die anderen die Ankommenden für gefährlich und traditionsvergessen.

Letztlich kommt aber alles anders, als es erwartbar wäre, denn die Ingenieure lassen sich allzusehr von den sozialen Abläufen des Dorfes mitreißen, verstricken sich in Techtelmechtel, die nur sehr unzureichend von der drückende Langeweile des Lebens ablenken. Schnell ist das hochtrabende Zukunftsprojekt Eisenbahn einfach vergessen. Alkohol, unglückliche Liebeleien, Kartenspiel und das Zelebrieren von Kleinkriegen sind so übermächtig, dass für echte Taten keine Zeit mehr bleibt.

Mehr und mehr wird nun auch durch weitere Bühnenbildelemente die Vorderbühne mit dem Drehbühnenbild verzahnt und mit jedem Tisch, mit jedem Stuhl wird die Atmosphäre dichter. Der Zuschauer gerät förmlich mit hinein in diese Kleinstadthölle. Eine Provinzatmosphäre die bis hin zum Personal auch von Anton Tschechow erdacht sein könnte. Und wie bei dem Meister der Tragikomödie ist auch in „Barbaren“ immer alles lächerlich, was eigentlich auch zum Weinen ist und umgekehrt. Wie jeder hier seinem Leben einen Sinn zu verleihen sucht, sich dabei immer für unbedingt herausgehoben aus der Gemeinschaft ansieht und beim sich selbst Wichtignehmen völlig die eigenen tatsächliche Bedeutung aus dem Auge verliert, hat einen schön bitteren Witz.

Und Peter Carp spendiert dann zum Schluss der Inszenierung noch einmal einen Tempowechsel. Wenn Gorki in seinem Text alle Geschichten zu ihrem eigenen Ende führt, verschärft die Inszenierung die Schlagzahl, rückt den Humor weiter nach vorne und lässt die dramaturgische Maschine noch einmal auf Hochtouren rattern. Es wäre unredlich im 15köpfigen Ensemble einzelne hervorzuheben. Gespielt wird durchweg auf hohem Niveau, das sich gewiss in den nächsten Aufführungen noch einmal verstärken wird, wenn das Timing selbstverständlich geworden ist und die Spiellust in die Details fließen kann. Insgesamt ist „Barbaren“ damit weit mehr als nur die Wiederentdeckung eines selten gespielten Textes, sondern ein durchaus auch unterhaltsamer Abend, der mit vielen Fragestellungen gut in unsere Zeit passt, ohne jemals den Aktualitätshammer zu schwingen.

Weitere Termine: 20., 30.4., 13., 22.5.

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