„BDS greift das Existenzrecht Israels an und damit auch ein zentrales Symbol des zeitgenössischen Judentums“

Alex Feuerherdt Foto: Reclus Lizenz: CC0 1.0

Viele die sich bei der „„Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ dafür engagiert haben, Anhängern des BDS wieder  öffentlich finanzierten Raum zur Verfügung stellen wollen, verharmlosen zurzeit in den Medien die antisemitische Boykottbkampagne. Im Interview erklärt Alex Feuerherdt die BDS-Kampagne.

Ruhrbarone: Herr Feuerherdt, gemeinsam mit Florian Markl haben Sie vor wenigen Wochen ein Buch über die BDS-Kampagne veröffentlicht. Im Rahmen der Diskussion um die „Initiative Weltoffenheit“ ist nun zu lesen, das BDS nicht mehr als eine Kritik an der israelischen Regierung wäre und nicht antisemitisch. Im Gegenteil: BDS sei eine bunte Kampagne mit sehr unterschiedlichen Akteuren. Wie sehen Sie das?

Alex Feuerherdt: BDS richtet sich nicht nur gegen eine bestimmte israelische Regierung oder eine bestimmte israelische Politik, sondern gegen Israel als Ganzes. Es ist eine Kampagne, die den jüdischen Staat grundlegend dämonisiert und delegitimiert und an ihn völlig andere Maßstäbe anlegt als an alle anderen Länder dieser Welt. Sie erfüllt damit problemlos die Kriterien, die die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) für israelbezogenen Antisemitismus genannt hat. Aber das ist nicht alles. BDS greift das Existenzrecht Israels an und damit auch ein zentrales Symbol des zeitgenössischen Judentums. Heute leben 85 Prozent der Juden in den USA und Israel. Vier Fünftel von ihnen fühlen sich Israel eng oder sehr eng verbunden. Das bedeutet nicht, dass sie automatisch die Politik der jeweiligen israelischen Regierung unterstützen. Aber viele von ihnen sehen es als einen Angriff auf das Judentum, wenn die Israel-Boykotteure in ihrer Propaganda den einzigen jüdischen Staat der Welt ständig in den Dreck ziehen. Wenn die BDS-Bewegung behauptet, sie richte sich nicht gegen Juden, dann geht sie dabei über die große Mehrheit der heute lebenden Juden hinweg, in deren Selbstverständnis Israel eine große Bedeutung zukommt. Und weil die Israel-Boykotteure Zionismus grundsätzlich für verbrecherisch halten, richtet sich ihr Hass zwangsläufig auch gegen den überwältigenden Großteil der Juden außerhalb Israels, sofern diese nicht bereit sind, sich von ihrem Verständnis des Judentums zu verabschieden. Für einen derartigen Angriff auf ein wichtiges Symbol des Judentums und auf eine wesentliche Komponente jüdischer Identität gibt es einen Begriff: So etwas nennt man Antisemitismus.

Sie haben in ihrem Buch beschrieben, dass es Boykotte gegen Juden und später Israel seit den 30er Jahren im arabischen Raum gibt. Zurzeit gibt es einen gegenteiligen Trend: Immer mehr arabische Staaten nähern sich Israel an, nehmen diplomatische Beziehungen auf und werden auch den Handel mit intensivieren. BDS scheint aus der Zeit gefallen. Warum unterstützen ihrer Ansicht nach deutsche Kulturfunktionäre und Intellektuelle jetzt so massiv den BDS und seine Anhänger?

In diesen sich progressiv dünkenden Kreisen hält man „Israelkritik“ noch in ihrer rabiatesten Form für ein Menschenrecht und fühlt sich als Opfer staatlicher Gängelei, wenn mal etwas genauer hingesehen und nicht mehr jedes Projekt finanziert wird, in dem Israel als Ausgeburt von Rassismus, Kolonialismus und Apartheid dämonisiert wird. Dabei hindert diese Leute überhaupt niemand an der Einladung von Leuten, die den jüdischen Staat verachten. Nur haben sie dabei auf eigene Rechnung zu wirtschaften und sollen nicht auch noch staatliche Gelder beanspruchen. Die Initiative der Kulturfunktionäre und Intellektuellen ist der Versuch, die Diskurshoheit vollständig zurückzuerobern, von der durch den Bundestagsbeschluss zu BDS ein Stück verloren gegangen ist.

Dabei geht es allerdings gar nicht um „marginalisierte und ausgeblendete Stimmen“, nicht um „kritischen Dialog“ und nicht um „kulturelle Vielfalt“. Es geht auch nicht um Israelis und Palästinenser. Das „Plädoyer“ ist vielmehr selbstreferentiell und spiegelt in erster Linie die Befindlichkeiten seiner Urheber und Unterstützer wider. Antisemitismus in seiner israelbezogenen Variante ist für sie ein Teil ihres Selbstverständnisses. Deshalb reagieren sie so aggressiv.

Wie schätzen Sie die Auswirkungen der Debatte auf Juden in Deutschland ein? Ein großer Teil der der wichtigsten Kulturinstitutionen trommelt dafür, Menschen und Gruppen mit  antisemitischen Vernichtungsphantasien Raum zu geben? 

Etwa vier Fünftel aller Juden, die außerhalb Israels leben, fühlen sich dem jüdischen Staat nach eigenen Angaben eng oder sehr eng verbunden. Israel ist ein Teil ihrer jüdischen Identität und die Lebensversicherung für sie, das Refugium in einer antisemitischen Welt. Nur dort gibt es jüdische Souveränität. Israel ist damit auch das wohl wichtigste Symbol der zeitgenössischen Judentums. Wer es angreift, wie BDS es tut, greift damit auch das Judentum an. Und wer Leuten unbedingt staatlich finanzierten Raum geben will, um für die antisemitischen Ziele von BDS zu werben, trägt zum Erstarken des Antisemitismus bei, nicht nur in dessen israelbezogener Form. Alle wichtigen Kulturinstitutionen würden gewiss betonen, sich für jüdisches Leben in Deutschland einzusetzen und dem Antisemitismus entgegenzutreten. Mit ihrer Initiative tun sie jedoch genau das Gegenteil.

Und wie wird das in Israel gesehen? Nimmt dort jemand so etwas überhaupt wahr?  

In Israel haben viele den Bundestagsbeschluss zur BDS-Bewegung begrüßt und als Zeichen gewertet, dass man in Deutschland dem Hass gegen Israel entgegentritt. Dass nun die führenden deutschen Kultureinrichtungen auf Gegenkurs gehen, wird man dort deshalb mit Missmut und Sorge sehen. Andererseits wissen die Israelis, dass sie sich im Zweifelsfall nur auf sich selbst verlassen können – und auf Deutschland sicherlich nicht.

Was wäre angesichts dieser Petitionen und Plädoyers jetzt das richtige Signal?

Zum einen muss man sehr deutlich machen, dass der BDS-Beschluss des Bundestages ein richtiger und wichtiger Beitrag im Kampf gegen den Antisemitismus in allen seinen Formen ist. Und dass er keineswegs die Freiheit von Wissenschaft und Kunst einschränkt, sondern bloß die antisemitischen Vernichtungsfantasien von „Israelkritikern“ nicht staatlich alimentieren will. Man muss deutlich machen, dass das Plädoyer geschrieben wurde, damit die betreffenden Kultureinrichtungen auch in Zukunft Steuergelder für die Unterstützung von Organisationen und Projekten ausgeben dürfen, die sich antisemitisch äußern oder das Existenzrecht Israels bestreiten.

Zum anderen sollte dringend die Antisemitismusdefinition der IHRA bekräftigt und gestärkt werden. Denn die Initiative ist auch der Versuch, sie in Frage zu stellen. Die Dämonisierung und Delegitimierung Israels soll kein Antisemitismus mehr sein, sondern ein wertvoller, ja, unabdingbarer Beitrag zu „streitbaren und kontroversen Debatten“ sowie zur „kulturellen Vielfalt“ – einer Vielfalt, in der ein jüdischer Staat nur leider keinen Platz hat. Und wer daran festhält, dass die Dämonisierung und Delegitimierung Israels antisemitisch ist, dem wird eine „missbräuchliche Verwendung des Antisemitismusvorwurfs“ unterstellt. Das ist das Problem dieser Initiative: Sie findet den „Antisemitismusvorwurf“ schlimmer als den Antisemitismus selbst, den sie in der „Israelkritik“ natürlich partout nicht erkennen will.

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Flunker Zwink
Flunker Zwink
3 Jahre zuvor

Und auch in diesem "Interkulturellen" Dialog, finden -so meine Meinung, die Interessen der Satanisten einfach zu wenig Berücksichtigung.

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
3 Jahre zuvor

"Im Gegenteil: BDS sei eine bunte Kampagne mit sehr unterschiedlichen Akteuren."
Das ist sogar zutreffend.
Hilft aber nicht, um zu zeigen, BDS wäre nicht antisemitisch.
Bislang gilt in der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus, daß auch der zur Szene gerechnet werden muß, der zu offen antisemitischen Gruppen nicht auf Distanz geht. Bei BDS soll dieser Standard aufgegeben werden. Warum? Weil der BDS-Antisemitismus linke Narrative mitbedient. Das ist alles und nicht genug, für eine Klientel die bislang diesen Standard scharf verteidigt hat.
Die Freunde des BDS verlangen einmal mehr für sich Exklusivrechte, und wer draußen bleibt entscheidet allein die Ingroup nach dem Motto, "wer auf meiner Bühne Antisemit ist, entscheide ich".

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