Die Mutter einer Gefangenen erzählt: Wie ihre Tochter vor den Augen eines JVA-Beamten ihr Kind gebären musste. Und unmittelbar nach der Niederkunft stramm ans Krankenhausbett gefesselt wurde. Und wieder hat Justizministerin Müller-Piepenkötter (CDU) nicht auf die verzweifelten Hilferufe aus der Anstalt reagiert.
Als Brigitte Walch ihre Tochter kurz nach der Entbindung besuchte war sie in Tränen aufgelöst. Im Kreißsaal war nach ihrer Aussage unmittelbar ein Beamter der JVA Willich anwesend, in der die Tochter auch heute noch einsitzt. „Sie hat sich so geschämt“, sagt Mutter Walch. Die 27-jährige Gefangene hatte wenige Stunden nach der Geburt am 5. August 2009 noch Schmerzen und schwere Nachblutungen und ihre rechte Hand war stramm an den Bettpfosten gekettet. Ihren neugeborenen Sohn hatten ihr die JVA-Beamten für wenige Minuten in den angebundenen Arm gelegt, bevor er ihr endgültig weg genommen wurde. „Sie wollte ihn umarmen und konnte nicht.“ Es sei ein Alptraum gewesen.
Diese unwürdige Behandlung von schwangeren Gefangenen in nordrhein-westfälischen Gefängnissen waren offenbar im Düsseldorfer und Berliner Justizministerium seit langem bekannt. Nach Informationen der Ruhrbarone hat sich Walch schon im September 2009 in einem Einschreiben hilfesuchend an das damals noch SPD-regierte Berliner Ministerium gewandt. Sie beschwerte sich darüber, dass ein männlicher Beamte bei der Entbindung ihrer Tochter anwesend war. „Es ist erschütternd was meine Tochter Katharina im Kreißsaal durchmachen musste“, so Walch. Eine Antwort hat sie nie erhalten. Auch ein Brief ihrer Tochter an das NRW-Justizministerium vom 1. November 2009 blieb ohne Reaktion.
Katharinas Schicksal betrifft viele Gefangene. In dieser Woche wurde öffentlich, dass Gefangene von nordrhein-westfälischen Haftanstalten auch bei und kurz nach der Geburt im Kreißsaal ans Bett gefesselt werden. Die hat der Sozialdienst katholischer Frauen berichtet. Den meisten wird kurz nach der Entbindung das Neugeborene entzogen. Mediziner und Politiker verurteilten diese bislang unbekannte unwürdige Behandlung als skandalös und menschenverachtend.
Auch Walchs 27-jährige Tochter Katharina A. verließ den Kreißsaal wenige Stunden nach der Geburt in Handschellen. Sie sitzt seit mehr als einem Jahr im Gefängnis Willich II ein. Sie hat Diebstähle begangen und ist mehrfach schwarz gefahren und wird noch zwei Jahre sitzen. Im vergangenen August hat sie in einer Krefelder Klinik ihr siebtes Kind geboren. Es war der heißeste Tag des Jahres, die meiste Zeit über sei sie ans Bett gefesselt gewesen. Der anwesende Beamte habe die gesamte Geburt sehen und hören können. Persönlich habe er der Mutter am nächsten Morgen zu ihrem Enkel gratuliert und gescherzt, er sei ja quasi Geburtshelfer gewesen.
Brigitte Walch widerspricht entschieden der Darstellung der JVA Willich. Der Vize-Anstaltsleiter Dieter Paulus hatte behauptet, der Beamte habe hinter einem Vorhang gestanden und „nichts sehen, nur hören“ können. „Es gibt keinen Vorhang in dem Raum, der Beamte stand direkt neben meiner Tochter“, so Walch. Dabei ist es den männlichen Beamten laut schriftlicher Angabe des NRW-Justizministeriums nicht erlaubt, „bei einer körperlichen Untersuchung einer weiblichen Gefangenen anwesend zu sein.“ Reagiert hat das Ministerium der umstrittenen Christdemokratin Roswitha Müller-Piepenkötter allerdings nicht. Es gab den Hilferuf von Katharina A. an die JVA zurück.
„Die Würde von Gefangenen wird mit Füßen getreten“, sagt Susanne Kramm (Name geändert) im Gespräch mit den Ruhrbaronen. Die 51-Jährige hat im vergangenen Jahr ihre Zelle über Monate mit Katharina A. geteilt, seit Februar ist sie wieder frei und in Arbeit. „Wir lebten zu viert auf 14 Quadratmetern, die Toilette war unabgeschirmt in einer Ecke des Raumes“, so die Ex-Gefangene. „Manchmal platzten auch männliche Beamte in den Raum, wenn eine von uns auf der Toilette saß“, erinnert sich die gelernte medizinisch-technische Assistentin. „Wir schämten uns.“
Doch die Beschwerden der Gefangenen laufen ins Leere. „Die meisten trauen sich nicht aufzumucken“, so Kramm. Sie fürchten um Hafterleichterungen, um längere Besuchszeiten. Bei kritischen Gefangene hätten die Beamten dann plötzlich keine Zeit mehr, sie zu dem wöchentlichen Telefonaten zu begleiten oder es gibt keine Stelle in den knasteigenen Werkshallen. „Dann sitzt Du 23 Stunden auf der Zelle, das ist die Hölle.“ Auch Kramm saß ein wegen Diebstahls. Sie hatte kurz hintereinander viele Familienmitglieder verloren und verfiel in einen Klau-Rausch. „Und dann kommst du ins Gefängnis, das ist wie ein schwarzes Loch. Die Leute sind nicht unschuldig und man wird bestraft, das ist ja auch ok. Aber wir werden behandelt, als sei man nicht den Schmutz unter dem Fingernagel wert.“
Ganz starker Bericht, Annika. Richtig so, diese menschen-/frauenverachtenden Praktiken müssen immer wieder in die Öffentlichkeit gebracht werden, so lange, bis eine ignorante Justizminsterin merkt, dass sich dieses Problem nicht aussitzen lässt und Justizvollzugsbeamte so unter Druck geraten, dass sie weibliche Gefangene nicht länger ungestraft demütigen können.
Leider herrscht in der breiten Öffentlichkeit immer noch das Bild vor, Gefangene hätten grundsätzlich kuschelige 1-Zimmer-Apartments mit Kabelfernsehen, Kost und Logie frei und könnten LebenspartnerInnen ständig in schnuckeligen „Sex-Zellen“ (BILD) treffen. Gut, sie können zwar nicht raus aber alle werden ja sowieso wegen guter Führung nach 2/3 ihrer abgesessen Haftzeit entlassen. Dieses schöne Leben finanziert dann der Steuerzahler, wenn er nicht gerade Sozialschmarotzer oder Asylanten durchfüttert.
Und die Politik und die meisten Medien haben kein Interesse daran, etwas an diesem Bild zu ändern. Vielleicht konnte sich Skandalnudel MüPi auch so lange deshalb halten, weil Gefangene in den Knästen nunmal keine Lobby haben und es eigentlich keinen interessiert.
Danke für diesen guten und notwendigen Artikel, Annika!!!
Da soll noch mal jemand mit Fingern auf die Haftbedingungen in den USA, Türkei, Iran… zeigen. Es ist beschämend, das soetwas in Deutschland möglich ist. Aber wie sagte mein ehemaliger Rechtswissenschafts-Prof noch: Es geht in Deutschland nicht um Strafe sondern um Bestrafen und vorallem Rache!
Schlimm auch, das die Mainstreammedien das Thema nicht aufgreifen. Noch schlimmer, das den Frauen die Kinder weggenommen werden. Das ist einfach unmenschlich und barbarisch, das einer Mutter das Neugeborene weggenommen wird. Hat mal ein Psychologe die Verantwortlichen aufgeklärt, was das für das Kind bedeutet? Eine frühkindliche Störung hervorgerufen durch so einen Schock ist fast nie bzw. nur mit sehr viel aufwand wieder zu beheben. Kein Wunder, wenn da krimineller Nachwuchs heranwächst! Und unfassbar ist, das das alles passiert, weil die Mutter schwarz gefahren ist bzw. gestohlen hat 🙁 Nein, es kommt jetzt auch nicht der Nachsatz, das das natürlich nicht geht und kriminell ist…
Es steht auch in der Frankfurter Rundschau.
[…] Der Staat presst mit: JVA-Beamte observieren Geburt … ruhrbarone […]
Die psychologische Nachhilfe für Justizvollzugsbeamte gebe ich gern (als Psychologin und Bindungsforscherin): Körperkontakt nach dem Geburtsvorgang scheint für die Mutter-Kind-Bindung sehr wichtig zu sein, denn es hat sich gezeigt, dass Frauen, denen man man das Kind nach der Geburt in die Arme legt, später ein besseres Verhältnis zu ihm haben als Frauen, denen man es direkt nach der Geburt wegnahm. Im beschriebenen Fall war die Frau gefesselt, so dass sie ihr Kind nicht in den Arm nehmen konnte – damit hat man diesen wichtigen Prozess unterbunden. Die Qualität der Mutter-Kind-Bindung ist erstmals messbar, wenn das Kind ungefähr ein Jahr alt ist. Viele Studien belegen, dass sich die Bindungsqualität in den weitaus meisten Fällen danach nicht mehr ändert. Verpassen Mutter und Kind also diese ersten, entscheidenden Monate, haben sie kaum mehr die Chance, dies nachzuholen.
Bestrafung durch Haft bedeutet, dass die Freiheit entzogen wird. Es bedeutet nicht, dass weibliche Gefangene ihrer Menschenwürde und ihrer körperlichen Integrität beraubt werden dürfen. Und erst recht bedeutet es nicht, dass vollkommen Unschuldige, Schutzbedürftige mitbestraft werden.
Mir ist es nur recht, dass der Staat ein Auge auf Verbrecher wirft.
@Eva(6),
Richtig, das Kind ist völlig unschuldig, und zwar immer, und sogar selbst dann, wenn die Mutter wer weiß was angestellt hätte.
Es besteht nach Ihren Angaben, eine stärkere wissenschaftliche Vermutung, daß das Kind einen bleibenden Schaden erleidet, wenn es von der Mutter nach der Geburt schnell getrennt wird. Wenn das bereits erwiesen wäre, würde eine solche Trennung sogar als Form von Kindesmißhandlung gelten, vorausgesetzt, daß es Gesetze oder Verordnungen dafür gäbe. Vielleicht ist aber alles bereits in Form von Vorschriften geregelt.
Falls es für Geburten in der Haftanstalt schon Verordnungen für das Vollzugspersonal gibt, ist die Justizministerin verantwortlich dafür, daß diese
eingehalten werden.
Falls es noch keine derartige Verordnungen gibt, ist erst recht die Ministerin dafür zuständig, daß solche Verordnungen erlassen werden.
Wenn diese Frau, es ist ja sogar noch eine Frau, nicht reagiert, und sich nicht bewegt, muß die Gesellschaft über Maßnahmen nachdenken, wie das geändert werden könnte.
Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter ist CDU-Mitglied und steht in einer Woche zur Wahl an.
„Die psychologische Nachhilfe für Justizvollzugsbeamte gebe ich gern (als Psychologin und Bindungsforscherin): Körperkontakt nach dem Geburtsvorgang scheint für die Mutter-Kind-Bindung sehr wichtig zu sein, denn es hat sich gezeigt, dass Frauen, denen man man das Kind nach der Geburt in die Arme legt, später ein besseres Verhältnis zu ihm haben als Frauen, denen man es direkt nach der Geburt wegnahm.“
In der Höllenwelt der Roswitha Müller-Piepenkötter ist menschliches nicht erwünscht, erst recht keine menschlichen Bindungen.
[…] […]
Eine zusätzliche Frage drängt sich auf:
Welche Hebamme, welcher Arzt läßt einen Vollzugsbeamten in den Kreißsaal?
„Eine zusätzliche Frage drängt sich auf:
Welche Hebamme, welcher Arzt läßt einen Vollzugsbeamten in den Kreißsaal?“
Nicht wenige Ärzte waren und sind noch zu ganz anderen Sachen bereit, im 3. Reich gehörten Ärzte und das Medizinpersonal zu den schlimmsten, und auch die heutige Psychiatrie ist sehr übel.