Die Pandemie ist nur der Anfang eines komplexen Prozesses, an dessen Ende es die EU möglicherweise nicht mehr geben wird. Volkswirtschaftliche Perspektiven nach der Pandemie.
In zahlreichen Medien ist jüngst zu lesen, was den Verbraucherinnen und Verbrauchern seit Wochen auffällt: Aktuell ist eine deutliche Inflation zu beobachten. Die Preise steigen, das Geld verliert an (Gegen-)Wert. Eine normale Marktreaktion in einem Boom, also einer Phase wirtschaftlich extrem guter Entwicklung. Die Menschen arbeiten, es ist viel Geld im Markt, die Arbeitslosigkeit ist gering, die Nachfrage groß und die Preise steigen. Eine Zentralbank sollte nun den Zins anheben, um die Geldmenge im Markt zu reduzieren und eine Überhitzung der Wirtschaft zu verhindern.
Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Die Wirtschaft liegt völlig am Boden, die Arbeitslosigkeit ist auf Rekordhoch und die Güternachfrage ist deutlich gesenkt. Und am schlimmsten: Weltweit. Normalerweise sind Ausgleichseffekte zwischen Regionen zu beobachten, Asien und Europa, Europa und Amerika, zwischen Boom und Rezession besteht eigentlich eine Art von weltweitem Gleichgewicht. Aktuell aber eben nicht, ähnlich, wie es Ende der 1920iger der Fall war. Die Preissteigerung ist keiner natürlichen Inflation geschuldet, sondern Ergebnis eines externen Schocks – dies scheinen aktuell sehr viele Wirtschaftsredaktionen zu übersehen. Auch die Annahme, es käme nach Corona zu einer Marktbeflügelung und einem regelrechten Kaufrausch, geht an der Realität vollkommen vorbei. Nie seit dem zweiten Weltkrieg standen in Europa und vor allem auch in Deutschland derartig viele Existenzen vor dem Nichts, waren so massive Teile der Wirtschaft ganz real von einer Insolvenz bedroht. Woher genau in dieser Phase die Investitions- und Ausgabenflut kommen soll, ist völlig unverständlich.
Volkswirtschaftlich logisch wäre die gegenteilige Entwicklung: Sinkende Preise, die Investitionen und somit Wachstum fördern. Sinkende Preise und Investitionschancen schaffen Märkte und Arbeitsplätze.
Die aktuellen Preistreiber sind Masken, Hygieneaufwand, Unsicherheit und zerbrochene Lieferketten. Die Krise trifft die Weltwirtschaft und insbesondere Europa in einer Phase, in der eine Marktbereinigung eigentlich längst überfällig wäre. Marktbereinigung geschieht, wenn ein Unternehmen so unrentabel geworden ist, dass es keinerlei neue Kredite mehr bekommt oder aber die Verbindlichkeiten aus Krediten nicht mehr bedienen kann – es schließt oder geht in die Insolvenz und verschwindet vom Markt. Dank der lockeren Geldpolitik der EU konnten sich Unternehmen in den vergangenen Jahren nahezu unbegrenzt Geld leihen und so den eigenen Insolvenztod hinauszögern – es entstanden Zombieunternehmen. Falls Sie jetzt grinsen, die heißen auch in der Literatur wirklich so. Anfang der 90iger Jahre lang die Quote an Zombieunternehmen in Europa und den USA bei, je nach Schätzung, 1-3%. Mittlerweile schätzen Banerjee und Hofmann die Quote an Zombie-Unternehmen auf bis zu 18%. 18% aller Unternehmen am Markt, Zombies.
Um das noch einmal zu erwähnen, der aktuelle Zustand wäre, rein nach gängigen Modellen, für das Ende einer extremen Inflationsphase mit guter Konjunktur zu prognostizieren – nicht für den Anfang einer wirtschaftlich schlechten Phase.
Und das ist übel, historisch übel. Nun gibt es zwei Modelle:
1) Lockere Geldpolitik
Geld wird weiter in den Markt gepumpt, die Verschuldung steigt und Unternehmen werden künstlich am Leben gehalten. Wir bekommen eine noch größere Zombiewirtschaft. Das Überangebot von Geld sorgt für weitere Inflation – wir sind in einer Spirale, die mit dem Verlust an Wohlstand einhergeht. Insbesondere, da die Güter- und Immobilienpreise bereits auf einem historischen Hoch sind, droht hier eine extreme Preisspirale. In der aktuellen Situation ließen sich so aber ein noch stärkerer Anstieg der Arbeitslosigkeit sowie eine Zunahme an Armut verhindern. Es ist daher, so glaube ich, die einzige Option, die EU zu erhalten.
2) Restriktive Geldpolitik
Das wäre meines Erachtens nach der sichere Tod der EU. Erhöht die Zentralbank nun den Zins, sinkt die Nachfrage, da die Menschen real weniger Geld haben. Die Kosten für Finanzverbindlichkeiten steigen, Investitionen bleiben aus, es kommt zu Entlassungen, die Arbeitslosigkeit steigt, das Überangebot an Arbeit senkt das Lohnniveau massiv, das gesunkene Lohnniveau reduziert die Ausgaben der Haushalte weiter – wir sind in der Armutsspirale.
Deutschland könnte das Großteils abfedern. Klar, auch hier käme es zu einer Zunahme an Insolvenzen, einer Zunahme der Arbeitslosigkeit, es käme ganz sicher zu einer Armutsghettoisierung und der sowieso brüchige soziale Frieden wird zum Konfliktfeld. Aber: wir sind noch reich.
Spanien, Frankreich, Italien usw. können aktuell kaum ihre Verbindlichkeiten bedienen. Steigt der Zins, sind die Staaten per sofort zahlungsunfähig, von den noch deutlich extremer verschuldeten Unternehmen ganz zu schweigen. Die Folge wäre ein Zusammenbruch wie in Griechenland – nur eben in der halben EU.
Die Schuld hierfür der EU in die Schuhe zu schieben, wäre denkbar einfach und ein gefundenes Fressen für Populisten auf dem ganzen Kontinent. Was Europa jetzt benötigt, ist eine echte Zukunftsperspektive, eine Art wirtschaftlicher Marshallplan, ein New Deal. Europa wird sich wirtschaftlich neu erfinden müssen, andernfalls ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Kostenbelastung und insbesondere die sozialen Zerwürfnisse innerhalb Europas, das ohnehin fragile Gerüst zerreißen.
In 5 Jahren wissen wir, wie gut das Nach-Corona-Management wirklich war. Ein simpler, aber zutreffender Indikator wird hierfür sein, ob es die EU überhaupt noch gibt – und falls ja, in welcher Form.
"…die Güternachfrage ist deutlich gesenkt…"
gesunken
Die Bundesregierung hat (zeitweise) die MWST gesenkt.
Ich verstehe es einfach nicht. Ihre Beschreibung der Situation ist doch korrekt:
"Lockere Geldpolitik: Geld wird weiter in den Markt gepumpt, die Verschuldung steigt und Unternehmen werden künstlich am Leben gehalten. Wir bekommen eine noch größere Zombiewirtschaft. Das Überangebot von Geld sorgt für weitere Inflation – wir sind in einer Spirale, die mit dem Verlust an Wohlstand einhergeht."
Was macht die "EU" seit Jahzehnten? "Lockere Geldpolitik".
Und dann ein paar Absätze später: "Die Schuld hierfür der EU in die Schuhe zu schieben, wäre denkbar einfach und ein gefundenes Fressen für Populisten auf dem ganzen Kontinent."
Ja, ja, die "pösen Populisten"! Schon mal auf die Idee gekommen, dass die "populistische Kritik" an der "Geldpolitik" der "EU" berechtigt sein könnte?
Warum ist es eigentlich so schwer, sich eine Welt ohne "EU" vorzustellen? Gut, ich bin ein alter weißer Mann über 50 und kann mich noch gut an die Zet vor dem "Maastrichter Vertrag" von 1992 erinnern, Damals haben wir auch gelebt; und zwar ziemlich gut. Ich möchte sagen: Viel besser als heute!
"In 5 Jahren wissen wir, wie gut das Nach-Corona-Management wirklich war. Ein simpler, aber zutreffender Indikator wird hierfür sein, ob es die EU überhaupt noch gibt – und falls ja, in welcher Form."
Ich hoffe doch sehr, dass es in 5 Jahren keine "EU" mehr geben wird. Möglicherweise muss ich dann vor dem Urlaub bei der Bank wieder Geld in fremde Währungen umtauschen und an der Grenze oder am Flughafen meinen Personalausweis vorzeigen. Das haben wir früher auch gemacht. Hat eigentlich immer ganz gut funktioniert!
@2: "…und an der Grenze oder am Flughafen meinen Personalausweis vorzeigen. "
Vielleicht schaffen wir es dann sogar, daß ohne entsprechende Dokumente auch niemand mehr einreisen darf. Wäre in meinen Augen ja auch ein Gewinn.
@Autor: "Das wäre meines Erachtens nach der sichere Tod der EU. Erhöht die Zentralbank nun den Zins, sinkt die Nachfrage, da die Menschen real weniger Geld haben. "
Dies ist zu kurz gedacht: Zunächst einmal hat nur ein geringer Teil der Menschen tatsächlich weniger Geld, da a) der komplette staatsfinanzierte Sektor ( BW,ÖD, der politisch-ÖRmediale-Komplex, Teile des Gesundheitswesens, Rentner) weiterhin üppigst verdient und b) auch in der Privatwirtschaft große Teile weiterhin gute bis sehr gute Umsätze fahren. Und c) ist die Sparquote i.A. enorm hoch, da viel Ausgabentreiber z.Zt. schlicht wegfallen: Tourismus, Freizeit und Events, Shopping, Gastronomie u.A. D.h., daß nach der Pandemie (oder auch schon beim "Ausklingen") ein riesiger Nachholbedarf durchaus finanziert werden kann und m.M nach auch wird, wenn auch nicht von jedem. Die Gastronomie wird sich bestimmt verändern, aber es wird eine riesige Nachfrage geben, die Mini- und Teilzeitjobs werden wieder entstehen, diese Löhne werden i.d.R. auch kaum gespart, und eher unmittelbar zum Lebensunterhalt in den Geldkreislauf zurückgepumpt.
Zum anderen werden durch die höheren Zinsen die Zombies endlich verschwinden. Die Effekte auf den Arbeitsmarkt werden eher gering sein, da dann die vernünftig wirtschaftenden Unternehmen die Arbeitnehmer benötigen werden, um die anfallende Mehrarbeit zu erledigen.
Die "Gefahr" für die EU sehe ich eher bei den "normalen" Bürgern, die z.B. feststellen, daß die Brexitbriten doch nicht verhungern und impfen, was die Spritze hergibt… Und daß "Solidarität" in der EU bedeutet: Deutschland zahlt und darf sich dann von den anderen noch beschimpfen lassen.
Und daß deutsche Bürger demnächst für ausländische Schulden haften, mit denen der Süden z.B. sein üppiges Rentensystem finanziert. Und daß mehr als die Hälfte der deutschen "Hilfen zum Lebensunterhalt" nicht an deutsche Bürger gezahlt werden. Mit anderen Worten: Würden die von der AfD sich nicht so blöd anstellen, könnten sie bei der nächsten oder übernächsten Wahl eine Sperrminorität erlangen als einzige EU-kritisch bis – feindliche Partei.
Das gleiche gilt natürlich auch für die Franzosen und Italiener; m.W. die einzig verbliebenen Nettozahler der EU. Der Zusammenbruch der EU als politischer Einheit kann m.M. nach beginnen, falls Le Pen die Wahl gewinnt, aktiv gegen die EU agitiert und der Süden nicht die gewünschte Schuldenunion zulasten des Nordens erhält. Dann könnte z.B. die vereinigte extrem Linke und Rechte in Italien den Euro-Austritt betreiben, und das war es dann mit der EU.
Das ist ja das schöne an der Zukunft. Niemand kennt sie.
Die EU läuft sehenden Auges seit der Finanzkrise in die Gefahr eines allgemeinen Desasters.
Aus dem Mangel an Problemen schloss man, man hätte keine oder keine existentiellen Probleme. Darin liegt eine gravierende Unterschätzung der Langfristwirkungen die eine Kumulation zur folge haben, die nur auf ein Ereignis wie Corona warten um schlagartig das Kartenhaus zusammenfallen zu lassen.
Unsere Wirtschaft ist eine Fakewirtschaft, die mit immer mehr künstlich erzeugten Bedürfnissen und Nachfragen arbeitet und nun auch mit künstlich am Leben erhaltenen Unternehmen.
wie gravierend diese Umstände sind weis im Grunde genommen niemand.
Es ist bereits erstaunlich lange gut gegangen, so das man die Vermutung hegen könnte, das es auch weiterhin gut gehen wird.
Ausschließen will ich das nicht, aber es fehlt jede vernünftige Grundlage dafür.
Ich persönlich habe schon vor Jahren mit einer Art Zusammenbruch gerechnet und musste mit erstaunen feststellen, das dem nicht so war.
Daher ging und gehe ich davon aus, das der Kulminationpunkt kommen wird, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen.
Allerdings stelle ich auch fest das ernsthafte Krisen sich anfangen zu häufen und vor allem deren Bewältigung immer ineffizienter gestaltet wird.
Es macht den Eindruck als ob das System mittlerweile so überfrachtet und verbogen ist, das eine ernste Krise nicht mehr mit zentraler Steuerung bewältigt werden kann, weil die rechtlichen und bürokratischen Disfunktionalitäten epische Ausmaße angenommen haben und vor allem jenseits jeder Routine nicht mehr aufgefangen werden können. Und zu dem nicht mehr von Kompetenz im Gefüge geglättet werden können.
Ich muss mich wundern.Erhöhte Ausgaben für Hygieneartikel sind also EU Zerstörer?Ich erwarte von jedem Menschen dass Er reinlich ist Punkt.Die Zukunft der EU wird sonnenhell.Wenn erstens der Wachstumswahnsinn endlich aufhört und Zweitens die Menschen wieder real miteinander leben wollen.Der New Deal wird ein Green Deal und gleichzeitig ein Human Deal oder wir alle fahren gegen die Wand.