Die öffentlich geäußerte Behauptung spanischer Regierungsmitglieder, Israel begehe einen Genozid in Gaza, könnte für Spanien sehr unliebsame Konsequenzen haben. Von unserem Gastautor Thomas von der Osten-Sacken.
Der Vorwurf, Israel beginge in Gaza einen Völkermord, geht dieser Tage vielen Menschen sehr leicht und sehr schnell über die Lippen. Schließlich kostet solch ein Sager ja nichts, bleibt weitgehend folgenlos und klingt doch so, als stehe man auf der Seite der Guten.
Unter den europäischen Regierungen tat sich in den vergangenen Monaten ganz besonders die spanische hervor. Nicht nur preschte sie mit der Anerkennung eines Staates Palästina vor, sondern auch sonst äußerten sich Regierungsmitglieder laut und häufig zum Thema. Yolanda Diaz, die Vize-Premierministerin, hoffte etwa öffentlich, Palästina möge bald »vom Meer bis zum Fluss« frei sein, ein Spruch, der die Vernichtung Israels impliziert, während ihre Amtskollegin, Verteidigungsministerin Margarita Robles, erklärte: »Was in Gaza passiert, ist ein echter Völkermord.«
Das war dann vielleicht doch nicht so klug, denn, so stellten schnell einige andere Regierungsmitglieder fest, die Anschuldigung könnte für Spanien sehr unliebsame Konsequenzen haben. Denn, wie die Zeitung OK Diario zusammenfasst, »wenn Spanien offiziell der Ansicht ist, dass die systematische Vernichtung einer Gruppe von Menschen aus Gründen der Rasse, Religion oder Nationalität in Gaza stattfindet, dann kann per Definition jeder, der in Gaza lebt oder es geschafft hat, von dort zu fliehen, sich bei der spanischen Botschaft oder dem spanischen Konsulat in Israel, Ägypten, Jordanien, Libanon oder einem anderen Land vorstellen und dringend Asyl beantragen«.
Wie die Zeitung weiter ausführt, sehen nämlich im Jahr 2009 am spanischen Asylrecht vorgenommene Ergänzungen vor, dass Menschen, die vor Verbrechen fliehen, die Spanien als »Genozid« klassifiziert, Anrecht auf Asyl und Schutz haben. Somit öffnet die Äußerung der Verteidigungsministerin »den Palästinensern, die in Gaza leben – und es gibt etwa zwei Millionen im gesamten Gazastreifen –, die Tür, sich bei einer spanischen Botschaft oder einem spanischen Konsulat zu melden, um Asyl zu beantragen. Und ein Urteil des Obersten Gerichtshofs verpflichtet das Außenministerium in diesen Fällen, die Schutzsuchenden in ein Flugzeug nach Spanien zu setzen«, wie OK Diario schreibt.
So auch wieder nicht gemeint
In Zeiten, in denen Europa so ziemlich alles unternimmt, um weitere Flüchtlinge von seinen Grenzen fernzuhalten, stieß diese Vorstellung in Madrid natürlich nicht gerade auf Begeisterung. Es ist eines, Israel vollmundig einen Völkermord vorzuwerfen, etwas ganz anderes jedoch, daraus selbst irgendwelche Konsequenzen ziehen zu müssen.
Was also tun? Ganz schnell erfolgte die Erklärung, die Verteidigungsministern habe nicht die Position der spanischen Regierung vertreten, sondern nur ihre ganz persönliche Meinung kundgetan. Dumm für die Regierung ist nur, dass längst Menschen- und Flüchtlingsorganisationen, die sich in Spanien traditionell propalästinensisch positionieren, von der Sache Wind bekommen haben und wohl schon entsprechende Schritte einleiten, was in Kürze »zu einer Flut von Asylanträgen führen« könnte.
Fast möchte man ihnen dabei viel Erfolg wünschen, nicht nur als eine Art Strafe für die Äußerungen aus der spanischen Regierung, sondern, weil so endlich auch eine Teillösung der Frage in Aussicht stünde, welche Zukunft Menschen im weitgehend zerstörten und übervölkerten Gazastreifen eigentlich haben.
Bekanntermaßen leidet Spanien sowohl an Überalterung wie massiver Landflucht. Viele Palästinenser würden wohl, vor die Wahl gestellt, in der spanischen Provinz als anerkannte Asylbewerber oder im Gazastreifen zu leben, Ersteres wählen. Bekanntermaßen sind siebzig Prozent von ihnen unter dreißig Jahre alt, was Spanien zusätzlich viele junge Neubürger bringen würde. Wie positiv sich das auf entvölkerte Regionen auswirken würde, demonstriert Süditalien, wo einige Dörfer dank der Aufnahme von Flüchtlingen quasi wiederbelebt wurden.
Nun gilt die 2015 gegründete Digitalzeitung OK Diaro in Spanien nur als semiseriöse Quelle; sollten sich also einige der Informationen aus dem Artikel als nicht ganz richtig erweisen, verdeutlicht er doch, was es eigentlich heißen müsste, wenn man von einem Völkermord in Gaza spricht, dann bedürfte es keines nationalen Gesetzes, um in Folge Menschen von dort Schutz zu gewähren. Laut Genfer Flüchtlingskonvention und Europäischer Menschenrechtserklärung stellt »Genozid« nämlich ganz eindeutig einen Anerkennungsgrund für Asylsuchende dar und das sollte auch so bleiben.
Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch