„Bei Wasserstoff gibt es viele Fragezeichen bei Erzeugung, Transport und Verwendung“

Garrelt Duin Foto: RVR


Seit April Garrelt Duin (SPD) ist Garrelt Duin der Chef des Regionalverbandes Ruhr, der einzigen Klammer der Städte im Ruhrgebiet. Er will das Ruhrgebiet sichtbar machen, schneidet alte Zöpfe ab und ist wirtschaftspolitisch pragmatisch.

Herr Duin, Sie waren Bundestagsabgeordneter, Vorsitzender der SPD in Niedersachsen, NRW-Wirtschaftsminister und Hauptgeschäftsführer der Kölner Handwerkskammer. Was hat Sie daran gereizt, Regionaldirektor des Regionalverbandes Ruhr zu werden?

Garrelt Duin: Ich wollte wieder mehr politisch gestalten. Als Jurist ist mir die Verwaltung zwar nicht fremd, aber hier im RVR kann ich Ideen umsetzen. Wenn ich Vertreter der Landesregierung treffe, geht es nicht um Resolutionen, sondern darum, etwas Konkretes für das Ruhrgebiet auf den Weg zu bringen. Ich kann dabei auf gewachsene Beziehungen aus meinen vorherigen Ämtern zurückgreifen.

Hätten Sie da vielleicht ein Beispiel?

Garrelt Duin: Ja, mit der heutigen Schulministerin Dorothee Feller habe ich als Wirtschaftsminister bei der Frage der Entwicklung des nördlichen Ruhrgebiets zusammengearbeitet, als sie stellvertretende Regierungspräsidentin in Münster war. Nach der Flutkatastrophe vor drei Jahren hatte ich als Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Köln viel mit der Kommunalministerin Ina Scharrenbach zu tun. Durch die Zusammenarbeit ist ein Vertrauensverhältnis unabhängig von der Parteizugehörigkeit entstanden, an das ich nun anknüpfen kann. Ich habe bereits viel Kontakt mit Kulturministerin Ina Brandes, weil der RVR auch in diesem Bereich sehr aktiv ist. Generell freue ich mich über eine große Offenheit bei der Landesregierung, wenn es um das Ruhrgebiet geht.

Seit kurzem sind Sie auch noch Chef des Aufsichtsrates der Business Metropole Ruhr (BMR), der Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Ruhrgebiets, die dem RVR gehört. Das Ruhrgebiet hat wirtschaftliche Probleme, immer wieder gibt es auch Diskussionen über einen Mangel an Gewerbe- und vor allem Industrieflächen. Wie soll sich die BMR künftig entwickeln?

Duin: Mein erster Eindruck ist, dass die BMR in den letzten Jahren immer mehr zu einem Bauchladen geworden ist – im Handel würde man sagen, ein Vollsortimenter mit einem umfangreichen Angebot. Ich möchte erreichen, dass sich die BMR künftig auf wenige ausgewählte Bereiche konzentriert. Die Gesundheitswirtschaft ist heute schon die Branche mit den meisten Beschäftigten im Ruhrgebiet. Hier sehe ich noch Wachstumspotenzial. Außerdem sind wir das wichtigste Zentrum für IT-Sicherheit in Europa – ein Thema, das in den kommenden Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. Wir haben im Ruhrgebiet die passenden Hochschulen, Forschungseinrichtungen und zahlreiche erfolgreiche Unternehmen. Alles beste Voraussetzungen, um hier weiter wachsen zu können. Kreislaufwirtschaft ist ein weiteres Feld, das ich spannend finde. Hier haben wir ebenfalls große Unternehmen in der Region mit viel Erfahrung und Know how. Zum einen aus Umweltgründen, zum anderen aber auch, um die Abhängigkeit von Rohstoffimporten zu verringern und Ressourcen zu schonen wird das Thema an Bedeutung gewinnen. Im Ruhrgebiet müssen wir uns auf die Themen konzentrieren, in denen wir herausragen. Wasserstoff ist ebenfalls ein wahnsinnig spannendes Thema, aber mit vielen Fragezeichen bei Erzeugung, Transport und Verwendung. Und weil es so spannend ist, gibt es in Deutschland und in NRW derzeit sehr viele Modellversuche und Wasserstoffprojekte…

Es gibt mehr Wasserstoffprojekte als Wasserstoff…

Duin: Mag sein. Am Ende brauchen wir aber mehr Klarheit, wie wir als Region eine Spitzenstellung in Deutschland und Europa erreichen können und welches Alleinstellungsmerkmal wir haben. Die hundertste Netzwerk-Konferenz auszurichten, reicht mir nicht.

Wachstum ist wichtig, aber es braucht Flächen.

Duin: Und da komme ich zu einem zentralen Punkt: Das Ruhrgebiet hat noch viele altindustrielle Brachen. Hier haben wir ein enormes Flächenpotenzial. Wie groß es ist, kann man sich in Bochum anschauen. Dort haben der heutige Oberbürgermeister Thomas Eiskirch und ich in meiner Zeit als Wirtschaftsminister dafür gesorgt, dass die Opel-Fläche saniert wurde. Heute finden Sie dort ein modernes Gewerbegebiet vor, in dem Ingenieure und Wissenschaftler arbeiten, es aber auch Jobs in der Logistik gibt. Im Moment fördert die Europäische Union die Sanierung solcher Flächen nicht. Das wollen wir ändern und sind im Gespräch mit Kommissionsmitarbeitern der höheren Ebene. Flächensanierung ist eines der großen Zukunftsthemen, nicht nur im Ruhrgebiet, sondern auch in anderen Regionen Europas.

Aber auch bei Altflächen gibt es, wie fast immer, wenn etwas Neues entstehen soll, Proteste. Aktuell wollen Bürgerinitiativen in Oberhausen-Sterkrade verhindern, dass auf einem alten Zechengelände ein neues Wohn- und Gewerbegebiet entsteht.

Duin: Ich kenne nach 100 Tagen im Amt noch nicht jeden Flächenkonflikt in den einzelnen Städten. Aber was immer zu beachten ist: eine alte Industriefläche ist nicht Teil eines Grüngürtels, es ist ein Gewerbegebiet. Allerdings sollte man mit der Vermarktung auch nicht so lange warten, bis auf so einer Fläche ein neues Biotop entstanden ist. Zur Ehrlichkeit gehört zu sagen: Menschen haben ein Haus in der Nähe eines Gewerbegebiets gekauft. Da können sie sich nicht beschweren, wenn Standorte in der Nachbarschaft weiterhin gewerblich genutzt werden. Ich hatte schon oft mit solchen Initiativen und Konflikten zu tun. Wichtig ist herauszufinden, was den Menschen wirklich Sorgen bereitet: Ist es der seltene Vogel, ein Frosch oder eine Fledermaus, die angeblich vertrieben werden? Oder vielleicht doch die Angst, die eigenen Häuser könnten an Wert verlieren? Wenn es um den Wert der Häuser geht, sind die Menschen natürlich unzufrieden, wenn Artenschutz gegen die Ansiedlung von Arbeitsplätzen ausgespielt wird. Ich bin in solchen Fällen ein Freund von offenen Gesprächen, dann kann man auch Lösungen finden.

Streit gibt es auch um eine große Gewerbefläche am Nordrand des Ruhrgebiets: Den/das Projekt New Park

Duin: Das Thema hat mich schon am ersten Tag im Amt des Wirtschaftsministers beschäftigt. Ich war damals wie heute dafür, das Gelände zu entwickeln, dort zu bauen. Allerdings glaube ich nicht daran, dass dort Großansiedlungen wie die von Elon Musk in der Grünheide bei Berlin Tausende Jobs auf einen Schlag schaffen werden. Wir brauchen die Flächen vor allem für viele mittelständische Industrieunternehmen und nicht den einen Giganten, der wie ein Raumschiff auf der Fläche landen wird. Im Gegenteil: Hidden-Champions aus dem Sauerland haben oft keinen Platz, um zu wachsen und Schwierigkeiten, qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen. Wir im Ruhrgebiet haben beides, gut ausgebildete Arbeitskräfte und Platz für Unternehmen. Gleichzeitig verlassen viele Studierende nach dem Abschluss das Ruhrgebiet. Wenn wir die Mittelständler und die Fachkräfte zusammenbringen könnten, wäre das ein Gewinn für alle. Aber es geht bei den Ansiedlungen nicht nur um Fachkräfte und Flächen.

Um was denn noch?

Duin: Energie. Kein Industriebetrieb siedelt sich heute mehr an einem Ort an, an dem er keinen ausreichenden Zugriff auf erneuerbare Energie hat. Deswegen müssen auch im Ruhrgebiet mehr Windkraft- und Solaranlagen gebaut werden. Wir im Ruhrgebiet haben uns zum Ziel gesetzt, grünste Industrieregion der Welt zu werden. Dafür wird der Regionalverband Ruhr auf seinen eigenen Flächen Standorte für regenerative Energien bereitstellen.

Die Industrie hat lange das Bild des Ruhrgebiets geprägt – nach außen wie nach innen – sie war identitätsstiftend. Gibt es noch eine Ruhrgebietsidentität?

Duin: Ja, auf jeden Fall. Wenn ein Dortmunder und ein Duisburger im Urlaub auf Menschen aus anderen Regionen treffen, sind sie Ruhrgebietler. Es gibt noch immer ein Zusammengehörigkeitsgefühl im Ruhrgebiet. Man sieht es auch am Erfolg von neuen, hier entstandenen Modelabels wie den „Grubenhelden.“ Und es geht darüber hinaus: Das Ruhrgebiet ist eine Marke. Zusammenschlüsse wie die Region Braunschweig, Wolfsburg, Salzgitter haben ein Markenproblem. Da hat das Ruhrgebiet deutlich mehr Kraft und einen echten Markenkern.

Offiziell nennt sich das Ruhrgebiet auch in den Texten des RVRs Metropole Ruhr…

Duin: Stimmt, aber das lassen wir auslaufen. Wir werden den Begriff nach und nach schlicht durch „Ruhrgebiet“ ersetzen. Da bin ich mir auch mit den Oberbürgermeistern einig. Wir laufen aber nicht los, um gleich alle Schilder an Wanderwegen und Halden zu ersetzen. Das würde schnell Hunderttausende Euro kosten. Mit dem Geld kann man Besseres anfangen.

Sie sagten einmal, das Ruhrgebiet solle sich Bayern zum Vorbild nehmen.

Duin: Laptop und Lederhose – ich finde, das kann man auch sehr gut auf das Ruhrgebiet beziehen: Man bekennt sich zu seinen Traditionen, ist stolz auf sie, aber verharrt nicht in der Vergangenheit, sondern geht die Zukunft aktiv an. Wenn es uns geling, dass in einem griffigen Slogan auf den Punkt zu bringen – perfekt.

Sie möchten der Repräsentant des Ruhrgebiets sein. Ohne Zweifel hat die Region so jemanden nötig und es gibt genug, auch bundesweit wichtige Themen, wie Migration, drohende Deindustrialisierung oder Clan-Kriminalität, bei denen eine Stimme aus dem Ruhrgebiet gehört werden sollte. Aber wie wollen Sie das schaffen?

Duin: Auch dabei hilft mir mein Netzwerk. Ein aktuelles Beispiel: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck organisiert zum zweiten Mal eine Konferenz zum Thema Transformation und die findet im September im Ruhrgebiet statt. Das Ministerium hat bei mir angerufen und gefragt, ob wir uns als RVR beteiligen wollen. Wollen wir, selbstverständlich. Im Juni habe ich wenige Wochen nach meinem Amtsantritt mit dem Kanzleramtsminister gesprochen. Der Bundeskanzler will im Spätsommer ebenfalls ins Ruhrgebiet kommen. Wenn der RVR und ich als Person bei solchen politisch und wirtschaftlich bedeutenden Veranstaltungen eine Rolle spielen, werden wir nach und nach ein zentraler Ansprechpartner. In der Folge wird das Ruhrgebiet öffentlich deutlich stärker wahrgenommen.

Sie haben angekündigt, das Ruhrgebiet zu einer unkomplizierten Region machen zu wollen.

Duin: Ich habe diesen Begriff deswegen gewählt, weil er zu den Menschen im Ruhrgebiet passt. In der Realität sind wir natürlich eine Region aus elf Großstädten und vier Landkreisen, die sich manchmal auch selbst im Weg steht. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass der Kommunalrat, in dem die Oberbürgermeister und Landräte des Ruhrgebiets zusammenarbeiten, meine Ansicht teilt, dass nicht immer alles einstimmig entschieden werden muss. Bei einzelnen Themen sind „Koalitionen der Willigen“ gewünscht und willkommen. Ich will zum Beispiel erreichen, dass der Bau eines Windrads schneller genehmigt, die Ansiedlung von Unternehmen vereinfacht und Bürokratie abgebaut wird. Zu solchen Themen treffe ich mich mit einer Reihe von Experten von außen, um zu erfahren, was an anderer Stelle anders gemacht wird.

Über den eigenen Tellerrand zu schauen, war im Ruhrgebiet lange verpönt.

Duin: Mag sein, ist aber Geschichte. Ich schaue mir alles an, was andere machen, und wenn wir davon lernen können, sollten wir es übernehmen und an unsere Bedürfnisse im Ruhrgebiet anpassen.

Warum sind Sie 2012, als Sie von Niedersachsen nach Nordrhein-Westfalen gezogen, um hier das Wirtschaftsministerium zu übernehmen, nach Essen gezogen? Wäre Düsseldorf nicht naheliegender gewesen?

Duin: Meiner Frau und mir war damals sofort klar, dass wir nach Essen ziehen. Meine Frau kommt von hier, ich kannte Essen gut, die Stadt hat mir immer gefallen. Und was für Eltern immer wichtig ist: In Essen war die Oma. Wir sind als Familie von der Oma in Ostfriesland zur Oma im Ruhrgebiet gezogen.

Hat der Regionaldirektor des Ruhrgebiets einen Lieblingsort in der Region?

Duin: Ja, den habe ich und er liegt in Duisburg: Auf der linksrheinischen Seite, fast in Rheinhausen, gibt es eine Rheinaue nahe der Brücke der Solidarität. Da bin ich schon ganz oft hingefahren und für eine Stunde spazieren gegangen. Es ist fantastisch dort.

Das Interview erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag

 

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