Beim Berliner Derby: Das Durcheinander rund um den VAR auf die Spitze getrieben

Foto: Michael Kamps

Die Unklarheiten und das Durcheinander rund um den Videoschiedsrichter (VAR) in der Fußball-Bundesliga sind ja nicht gerade neu. Und doch gab es am Samstagabend, ausgerechnet beim vielbeachteten Top-Spiel zwischen Union Berlin und Hertha BSC einen neuen Beleg dafür, wie groß die Verwirrung rund um das Thema inzwischen offenkundig ist.

Erinnert sich noch jemand an die Zeiten, als der Videoassistent im Fußball eingeführt werden sollte? Damals betonte Sky-Experte Dr. Markus Merk, der ehemalige Schiedsrichter, dass eines dabei ganz klar sei: Der Videobeweis solle zukünftig überhaupt nur zu Rate gezogen werden, wenn es sich um eine ‚KLARE FEHLENTSCHEIDUNG‘ des Schiedsrichters auf dem Platz handeln würde.

Das war seinerzeit sozusagen die erste Regel in Sachen VAR. Auch damals schon wurde spekuliert, ob und wie das Konzept konkret greifen würde, welche Unklarheiten blieben, welche Fälle damit abgedeckt werden würden und welche nicht.

Nachdem wir den VAR in der Bundesliga gerade einmal gute zwei Jahre in Gebrauch haben, scheint von der ursprünglichen Ausgangslage nicht mehr viel übrig geblieben zu sein.

So auch gestern.

Da gab es, drei Minuten vor Spielende einen umstrittenen Foulelfmeter für Union. Das Spiel stand noch 0:0, dem Elfer kam also eine große Bedeutung zu. Viele Hertha-Spieler protestierten. Das ist in solchen Fällen üblich.

Was jedoch nicht üblich sein dürfte, das war die Reaktion des Schiris auf die Szene. Da es sich nicht um eine klare Fehlentscheidung handelte, hätte Deniz Aytekin eigentlich keine Veranlassung gehabt mit dem Keller in Köln, wo der VAR platziert ist, Kontakt aufzunehmen.

Wie man an der Gestik und Mimik erkennen konnte, war dies jedoch der Fall. Der Schiedsrichter schloss sich, auf wessen Veranlassung auch immer, mit den Kollegen kurz und entschied sich dann den Fall am Monitor im Stadion selber noch einmal zu überprüfen.

In Anbetracht der Ausgangslage vor Einführung der Technik eigentlich ein Unding. Nur KLARE FEHLENTSCHEIDUNGEN sollten ja überprüft werden. Dieses war offenkundig keine, hätte also auch nicht im Stadion überprüft gehört.

Trotzdem feierten bei Sky Kommentator Frank Buschmann und Experte Lothar Matthäus diese Vorgehensweise von Aytekin als ‚genau richtig‘, lobten den Schiedsrichter und dessen Assistenten ausdrücklich für diese Entscheidung.

Dabei widersprach das Gesehen allem, was bei Einführung dieser technischen Hilfsmittel einmal gesagt wurde.

Um aus dem Fußball keine hochtechnische Angelegenheit zu machen, unnötige Spielverzögerungen zu vermeiden, sollte sich ‚Köln‘ ja überhaupt nur dann beim Schiri auf dem Feld melden, wenn dort klare Fehler den Spielausgang zu beeinflussen drohen.

Von einer eigenen Inaugenscheinnahme durch den Hauptschiedsrichter war da erst recht keine Rede.

Das war hier am Samstag einmal mehr alles anders als ursprünglich angedacht. Das belegt ja auch die Tatsache, dass der Elfer am Ende nach vielen Sekunden des Zögerns dann doch gegeben wurde und Union durch diesen das Spiel mit 1:0 gewann.

Mag der konkrete Fall auch in Kürze wieder in Vergessenheit geraten, er zeigt doch sehr plastisch, warum die Fans in diesem Lande auf die Einführung des Videoassistenten so schlecht zu sprechen sind. Niemand weiß offenkundig aktuell mehr so richtig, was da eigentlich wie genau geregelt ist. Jeder macht ein Stück weit, was er gerade für angemessen hält.

Und das Berliner Derby zeigte zudem allen Fußballfans in diesem Lande, wie weit die Debatten rund um den VAR inzwischen von dem entfernt sind, was vor Jahren diesbezüglich einmal vereinbart worden war.

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Thommy
Thommy
5 Jahre zuvor

Ist doch schön.

Ich finde nicht, dass der Elfer klar war, der Ball war schon längst unterwegs gen Siegessäule, die Chance vorbei, als der Herthanwmer angerauscht kam und den Unionspieler umsenste.

. Das sah auch Michael Preetz im Sportstudio so.

Sei es drum-die große Sorge, dass das Spiel durch den VAR steril und auch montags nicht mehr auf der Arbeit diskutiert würde, hat sich als unbegründet erwiesen. Es geht sogar schon sonntags los…

Psychologe
Psychologe
5 Jahre zuvor

Mal eine Verständnisfrage: Wie soll ein Schiedsrichter denn selber zu der Auffassung kommen, gerade eine klare Fehlentscheidung getroffen zu haben? Ist das nicht in sich widersprüchlich? Oder sollte das zunächst eine neutrale dritte Person entscheiden? Und anhand welcher Kriterien sollte diese dann wiederum eine klare Fehlentscheidung diagnostizieren? Wir haben hier also letztlich ein erkenntnistheoretisches Problem. Und wie wir es Drehen und Wenden: Wenn die klare Fehlentscheidung das Einsatzkriterium ist, brauchen wir die Technik gar nicht, denn dann ist – Nomen est Omen – die Entscheidung ja schon klar, eben nur mit umgekehrten Vorzeichen.
Ich finde es gar nicht falsch, bei Unklarheiten eine solche Technik zu bemühen, das ist in meinen Augen das einzig sinnvolle Szenario.
Vielmehr sollten sich Fußballfans irgendwann mal entscheiden, was sie eigentlich wollen: Über "blinde Schiris" und "geschenkte Siege" maulen oder darüber jammern, dass mit dem Videobeweis dieses und jenes Problem einhergehe. Wir haben hier einen klaren Zielkonflikt.
Wem dieser zu viel des Guten ist, sollte lieber Tennis schauen, da ist praktisch alles im Spiel anhand der Frage geklärt, ob der Ball auf der Linie war oder nicht. Fehlentscheidungen sind daher die krasse Ausnahme.

thomas weigle
thomas weigle
5 Jahre zuvor

Wenn es,Robin, klare Fehlentscheidungen gibt, muss es ja auch unklare Fehlentscheidungen geben. Nur: wer legt den Unterschied fest? Und wie sind diese zu bewerten?
@Thommy Auch früher wurden Fehlentscheidungen schon am Sonntag diskutiert. Ich meine mich sogar dunkel daran zu erinnern, dass solche Entscheidungen früher sogar schon, zunächst im kleinen Kreis, ab 18.30Uhr diskutiert wurden. Da war nämlich die Sportschau zu ende. Und im größeren Kreis natürlich schon in den entsprechenden Stadien.
Ich war gestern hochzufrieden mit dem VAR, denn ob ein Elfer der SGE mehr geholfen hätte als der Platzverweis für J.Boateng wurde von SGE-Seite deutlich in Frage gestellt.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
5 Jahre zuvor

So wie es die "Berliner Zeitung" beschreibt und zitiert, hat Aytekin den Elfer sofort gepfiffen, aber vom VAR den Hinweis aufs Ohr bekommen, sich die Szene doch nochmal am Monitor anzuschauen – was er dann auch tat, um danach bei seiner Entscheidung zu bleiben. Besser so, als seine eigenen Entscheidungen niemals hinterfragen zu lassen, das ist auch im Regelwerk zur Rolle des Schiedsrichters beim VAR so definiert.

Und übrigens sollte man gerade Aytekin und seine sehr überlegte, ruhige Art der Spielführung nach den Pyro-Angriffen – und das auf Menschengruppen gezielte Abschießen von Pyro ist mindestens versuchte Körperverletzung – und den drohenden Ausschreitungen durch maskierte Vollidioten, die den Platz stürmen wollten, als vorbildlich herausstellen und extra loben, anstatt sich mit dem bei den Kunden sowieso nicht akzeptierten VAR rumzuärgern!!

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
5 Jahre zuvor

Robin, das heißt doch nur, dass der VAR eine "klare Fehlentscheidung" von Aytekin vermutet hat (und es gibt bislang im Fußball nur wenige Tatbestände, die innerhalb von Sekunden aus einer Vermutung ein objektives Urteil machen) und ihn deshalb auf die Bilder verwies, da nur Aytekin die Entscheidung fällt. Aytekin hat anhand der Bilder völlig regelkonform entschieden: "Nö, ich habe richtig entschieden". Punkt, aus die Maus.

Ich fände es viel schlimmer, wenn Schiris aufgrund dieser VAR-Intervention nach Anschauen der Bilder ihre eigentlich richtige Entscheidung korrigieren würden. Hier wird aber fast jeden Spieltag aufs Neue bewiesen, dass Niemand zu 100% "klare Fehlentscheidungen" erkennen kann, also ist das ursprüngliche Grundprinzip des VAR für die Tonne.

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