Beim Fußball verkompliziert sich alles mit dem Gegner

Einen Tag nach dem 6:1 gegen den 1. FC Köln besuchte BVB-Trainer Edin Terzic die Dortmunder Nordstadtliga | Foto: Peter Hesse

Am kommenden Samstag trifft Deutschland auf Peru, am darauffolgenden Dienstag auf Belgien. So lange ruht die Bundesliga. Thommy Junga und Peter Hesse wollen noch einmal über den vergangenen Spieltag reden: warum der VfB Stuttgart ein potenzieller Absteiger ist und Hertha BSC nie ein „Big City Club“ wird. Außerdem:  Warum Eintracht Frankfurt seine Hausaufgaben nicht richtig macht und wie Borussia Dortmund als Tabellenführer agiert.

Peter Hesse: Borussia Dortmund führt nach diesem 25. Spieltag die Liga an. Nachdem der BVB den 1. FC Köln in Grund und Boden hämmerte, sah man BVB-Trainer Terzic am Folgetag beim Showtraining der Dortmunder Nordstadtliga. Das ist eine Mischung aus Fußball – mit dem Anstrich eines Sozialarbeiter-Projekts, wo Kids die Liebe zum runden Leder mit sehr professionellen Strukturen beigebracht wird. Und nach der Länderspielpause kommt es dann zum hitzigen Duell zwischen den Bayern und dem BVB. Das klingt fast, als hätte sich Alfred Hitchcock in den laufenden Liga-Betrieb eingegriffen – wie der unsichtbare Dritte…

Thommy Junga: Das ist für alle Fußballfans schön, dass diese Partie endlich mal wieder von echter sportlicher Relevanz ist. Ich hätte den Dortmundern dieses Duell fast noch etwas später gewünscht. Die Länderspielpause hat schon so manchen Lauf zum Stolpern gebracht und die Schlussphase der Saison setzt ja mit Sichtweite der Ziele zumeist nochmal Kräfte frei. Ein Effekt, den die Bayern zuletzt nur aus der Erinnerung kannten. Es wäre gut gewesen, die Borussia hätte noch ein paar Spieltage die Bayern auf Distanz halten können. Jetzt fährt man in zwei Wochen als Tabellenführer in den Süden der Republik, es fühlt sich aber immer noch nach Bayernjagd an. Ungeachtet dessen ist natürlich alles angerichtet für den sportlichen Höhepunkt der Saison, denn nach der Pleite in Leverkusen wird Bayern ordentlich Wut im Bauch haben.

Plakate der Eintracht Frankfurt-Ultras | Foto: wikipedia / Sven Mandel / CC BY-SA 4.0

Peter Hesse: Kommen wir zu Eintracht Frankfurt bei Union Berlin – das war streckenweise ein richtig rassiges Spiel. Frankfurt musste viel investieren und die Räume öffnen, dadurch boten sich automatisch Räume für Konter. Die Frankfurter waren lange Zeit die bessere Mannschaft – und überzeugten mit kombinationsstarkem und facettenreichem Fußball. Am Ende gewinnt aber Union Berlin. Der Fußballgott kann schon ein sehr ungerechter Flegel sein, oder?

Thommy Junga: Genau deshalb sind die Frankfurter keine Spitzenmannschaft. Trainer Glasner bemängelt gefühlt alle vier Spieltage einen zeitweise etwas naiven Auftritt seiner Elf. Das Halali im Offensivspiel ist zumeist einem Championsleagueanwärter würdig, aber in diesem Frankfurter Kader fehlt manchmal die ordnende Hand. Nicht ganz zufällig wird die Eintracht mit Houssem Aouar in Verbindung gebracht, dem hoch veranlagten Spielgestalter von Lyon. Die Frankfurter haben mit Hasebe auf dem Papier ja einen Spieler im Kader, der solche Aufgaben übernehmen könnte, aber der spielt auch wegen der unübersehbaren Tempodefizite mittlerweile in der Abwehrzentrale oder gar nicht, wie jetzt auch gegen Union. Aber, wie Jean-Paul Satre schon sagte: Beim Fußball verkompliziert sich alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft. Ein Rückstand auswärts bei Union Berlin ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Das haben diese Saison auch schon andere Teams erfahren müssen.

Ich sehe was, was du nicht siehst – Entscheidungen um den Videoschiedsrichter VAR wirken zu oft falsch | Foto: Werner100359 / wikipedia / CC BY-SA 4.0

Peter Hesse: Christian Streich und die Schiedsrichter – das kennen wir. Nach dem Spiel der Freiburger gegen Juventus Turin polterte er besonders laut – und sagte: „Bei einem Foul sollte keiner den Ball berühren dürfen. Wer es tut, kriegt die Gelbe Karte. Es wird alles sanktioniert, das aber nicht – international und in der Bundesliga auch. Das ist mir vollständig rätselhaft.“ Streich brachte einen Vorschlag aus dem Handball ein, um das Problem zu lösen – und sagte: „Warum wird das nicht gemacht, wie im Handball? Wenn ein Spieler der anderen Mannschaft den Ball nach einem Foul in die Hand nimmt, soll er Gelb kriegen. Das geht dann drei Wochen, danach macht das niemand mehr.“ Hat er recht, sollte man das so einführen?

Thommy Junga: Ich will das so beantworten: eigentlich besteht die Regel, dass schon der Versuch eines Fouls strafbar ist, zumindest im Sinne des gefährlichen Spiels theoretisch mit einem indirekten Freistoß zu ahnden ist. Dieser Regel liegt ja eigentlich auch eine gute Idee zu Grunde, jedoch ist sie quasi überhaupt nicht umsetzbar, weil wir wieder über Intention, natürliche und unnatürliche Bewegungen und den ganzen anderen unbewertbaren Kram reden müssen. In der Realität fernab der Regelgremien benötigen wir Woche für Woche 23 Zeitlupen, um uns dann doch nicht einig zu sein, ob denn da nun doch ein Handspiel vorlag. Ich brauche ehrlich nicht noch mehr Zeitlupen von angeschossenen Unterarmen und ausdiskutierten Fangreflexen. Ich bin mir im Übrigen sehr sicher, dass wir in 175 Jahren Streich bei Freiburg auch schon mal erlebt haben, wie einer seiner Spieler den Ball trabenderweise nach einem Pfiff mitgenommen hat, damit die eigene Mannschaft sich wieder in gewünschter Ordnung staffeln kann.

Peter Hesse: Treffpunkt Schwabenland. Hier fehlen dem VfB Stuttgart Leidenschaft, Gier und Torgefahr bei der Heimniederlage gegen Wolfsburg. Trainer Labbadia setzt beim Tabellenletzten weiter auf gute Miene zum schlechten Spiel. Neben der mangelnden Torgefährlichkeit in der Offensive gesellt sich die angeschlagene Psyche seines Kaders. Bringt er Profis von Anfang an, die sich in der Partie davor als Einwechselspieler hervorgetan hatten und sogar ein Tor erzielten, spielen sie plötzlich genauso schlecht wie der Rest der Truppe. Für mich sind sie derzeit ein glasklarer Abstiegskandidat, für dich auch?

Thommy Junga: Absolut. Stuttgart ist der klassische Fall, dem viele – und vor allem sie sich selbst – in der Winterpause eine für den Abstieg viel zu große Qualität attestiert haben und dessen Historie es eigentlich verbietet, ihn in den Dunstkreis des Begriffes Absteiger zu befördern. Im März hast du dann immer noch keine Punkte und wunderst dich über den plötzlich Druckanstieg. Frag nach in Hamburg. Das wirkt derzeit alles recht kopflos, ich frage mich auch, was Trainer Bruno Labbadia denen jetzt noch erzählen will. Diese Stuttgarter Mannschaft wurde von Ex-Kaderplaner Mislinat gezielt mit Aussicht auf finanzielles Entwicklungspotenzial aufgebaut, für die meisten Spieler ist der VfB maximal als Durchgangsstation in der Karriere eingeplant – da besteht null Bezug zur Region oder zum Klub. Ähnlich traurig ergeht es derzeit aber auch den Leidensgenossen Hertha und Hoffenheim, vielleicht sogar noch Köln. Gut möglich, dass dieses Jahr zwei bis drei richtig große Etats den Abflug machen.

Hertha BSC bleibt die ewige Baustelle der Liga | Foto: wikipedia / Bjoertvedt / CC BY-SA 4.0

Peter Hesse: Ganze 375 Millionen Euro nahm Investor Lars Windhorst in die Hand, um die alte Dame Hertha zu einer flotten Biene aufzudonnern. Jetzt, nur dreieinhalb Jahre nach seinem Einstieg bei Hertha BSC und reichlich Skandalen, ist das blau-weiße Kapitel für den Sturzflug-Investor endgültig beendet. Was bleibt, ist neben ganz vielen Fragenzeichen vor allem ein Mega-Verlust. Wo geht die Reise hin für den „Big City Club“ nachdem die Investment Plattform 777 Partners die Windhorst-Anteile für fast „lächerliche“ 120 Millionen Euro übernehmen will?

Thommy Junga: Da sind von Anfang an eklatante Fehler gemacht worden. So ein Invest muss langfristig und infrastrukturell ausgelegt werden. Stattdessen drückte man dem damaligen Manager Michael Preetz sechs Geldkoffer unter die Arme und schickte ihn auf die Reise. Auf Transfers in derartigen Sphären war der Klub gar nicht vorbereitet. Als mahnendes Beispiel trägt Mittelfeldmitläufer Lucas Tousart die Rückenummer 29 – und damit quasi seine Ablösesumme und das Jahresgehalt auf seinem Rücken. Nach dem ganzen Hick-Hack mit die Preetzes, Klinsmanns, Bobics, Windhorsts und Bernsteins sehe ich für die Hertha nicht nur auf der Trainerbank Schwarz. Wenn es sie nicht diese Saison erwischt, dann vermutlich in der Nächsten, denn die strukturellen Probleme sind unübersehbar, der Größenwahn immer noch Credo. Der neue Anteilseigner 777 Part ners scheint strategisch erfahrener und klüger zu agieren, ist weltweit bereits an einem halben Dutzend Vereinen beteiligt und sieht sein Invest als langfristige Partnerschaft. Der neue Partner ändert jedoch weiterhin nichts an dem Grundprinzip, dass Geld allein keinen Erfolg bedeutet.

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