Beim Streit um die letzten drei Reaktoren diskutierte Deutschland über seine Zukunft

Experimentelle Visualisierung der Feldlinie auf einer magnetischen Oberfläche in Wendelstein 7-X Foto: T. Sunn Pedersen, M. Otte, S. Lazerson, P. Helander, S. Bozhenkov, C. Biedermann, T. Klinger, RC Wolf, H. -S. Bosch & das Wendelstein 7-X Team Lizenz: CC-BY 4.0


Bei der Diskussion um die Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke ging es nicht nur um die Reaktoren, sondern darum, in was für einer Gesellschaft wir künftig leben wollen.

Seit den 80er-Jahren ging in Deutschland kein neues Kernkraftwerk mehr ans Netz. Die beiden einstigen Kernforschungszentren in Jülich in Karlsruhe haben das „Kern“ schon lange aus ihrem Namen gestrichen und kümmern sich längst vor allem um andere Themen. Die Reaktorsimulatoren in Essen, an denen die Besatzungen der deutschen Krenkraftwerke übten, sind abgeschaltet. Lehrstühle für Reaktorbau gibt es nicht mehr. Wenn heute die drei letzten Reaktoren abgeschaltet werden, endet nur eine Entwicklung, die vor 40 Jahren begann. Grüne und andere Atomkraftgegner waren mit ihrer Angstpolitik und mal friedlichen, mal gewalttätigen Demonstrationen erfolgreich. Sie schafften es, eine ganze Technologie ins gesellschaftliche Abseits zu stellen. Parallel sorgte man dafür, dass sich der Betrieb der Reaktoren nicht mehr lohnte, wie Jürgen Trittin (Grüne) im Interview mit der Welt uns wissen ließ: „Uns war klar, dass wir Atomkraft nicht nur über Protest auf der Straße verhindern können. Daraufhin haben wir in den Regierungen in Niedersachsen und später in Hessen versucht, Atomkraftwerke unrentabel zu machen, indem man die Sicherheitsanforderungen hochschraubt.“

Im Jahr 2000 beschloss die rot-grüne Bundesregierung einen ersten Atomausstieg. Mit ihm begann die Abhängigkeit vom russischen Gas immer größer zu werden, die Gerhard Schröder (SPD) nach Ende seiner Kanzlerschaft eine einträgliche Karriere am Hofe Wladimir Wladimirowitsch Putins ermöglichte. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) änderte dann die Energiepolitik und verlängerte 2010 gemeinsam mit der FDP die Laufzeiten der noch verbliebenen Kernkraftwerke. Ein Beschluss, der nicht lange Bestand hatte. Aus purem Opportunismus und aus Angst, die Grünen könnten in Baden-Württemberg nach der dort anstehenden Landtagswahl den Ministerpräsidenten stellen, was dann trotzdem geschah, war Merkel nach dem durch einen Tsunami verursachten Reaktorunfall im japanischen Fukushima plötzlich für den Atomausstieg. Die FDP schloss sich ihr an und gemeinsam mit den Stimmen von SPD und Grünen wurde der endgültige Ausstieg beschlossen. Heute wird er umgesetzt.

Nur die CDU, die sich selbst noch lange für diese Entscheidung feierte, sollte später die Kraft haben, ihren Irrtum einzusehen. Schon im Bundestagswahlkampf 2021 sagte der damalige Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet (CDU), dass man das Aus für die Kernenergie noch einmal überdenken müsse. Bis zuletzt kämpften dann CDU und CSU angesichts der veränderten Lage im Energiebereich nach Beginn des Ukrainekriegs für eine erneute Verlängerung der Laufzeiten. Vergeblich.

Alle sicherheitsrelevanten Komponenten waren in deutschen Kernkraftwerken dreifach vorhanden. Die Reaktoren, die heute abgeschaltet werden, sind die besten der Welt. Nun werden sie durch Braunkohlekraftwerke ersetzt. Das hat auch sein Gutes: Die Mitarbeiter in diesen Anlagen und den Tagebauen verdienen Tariflöhne und oft sogar mehr. Sie arbeiten in Unternehmen mit starken Betriebsräten und einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad. Ihre Jobs sind nun für viele Jahre sicher. Das billige russische Gas, das Kohle und Kernkraft ersetzen konnten, gibt es nicht mehr. Die neuen Gaskraftwerke, in denen nun importiertes LNG-Gas verfeuert werden soll, weil Deutschland sich zu fein ist, seine eigenen Gasreserven zu fördern, sind zumeist nicht einmal in Planung. Und ohne planbar verfügbare Leistung geht das Licht aus, wenn der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint. Letzteres ist im Jahresdurchschnitt in Deutschland wie überall auf der Welt 12 Stunden am Tag der Fall: Im Sommer scheint die Sonne länger, im Winter ist sie selten zu sehen.

Die Energiewende ist kein Erfolg: Deutschland hat nach Polen pro erzeugter Kilowattstunde Strom den zweithöchsten CO2-Ausstoß aller Länder in Europa und dazu die höchsten Strompreise. Und das liegt nicht an der Legende, nach der in Deutschland der Ausbau der Erneuerbaren blockiert wurde. Daniel Bleich hat hier im Blog im vergangenen Jahr mit diesem Mythos aufgeräumt:  Pro 100.000 km² Landesfläche übertrifft die installierte Leistung von Wind- und Solaranlagen in Deutschland die in China, den USA, Indien und Japan um ein Vielfaches.

Das in den letzten Tagen der Kerntechnik-Ära in Deutschland so verbittert gestritten wurde, hat nicht nur etwas mit den drei Reaktoren zu tun, die heute Abend heruntergefahren werden. Sie hätten ohnehin nur noch kurze Zeit weiter betrieben werden können. Die Bundesrepublik ist politisch gewollt technisch nicht mehr in der Lage, Kernkraftwerke dauerhaft zu betreiben.

Es war eine symbolische Auseinandersetzung, in der es um den Umgang mit Technologien ging. Viele Menschen beginnen zu ahnen, dass eine Politik die Technik verteufelt auf die Dauer ihren Wohlstand gefährdet. Und so ging es in allen Artikeln zu dem Thema, auch in diesem Blog, nie nur um die drei Kraftwerke, sondern immer auch um den Umgang mit Gentechnik, Künstlicher Intelligenz oder Kernfusion.

In Greifwald steht der Fusionsreaktor Wendelstein 7-X. Zu Beginn des Jahres gelang es der Anlage Wasserstoff zu einem Plasma aufzuheizen und es acht Minuten lang durch den Reaktorkern zirkulieren zu lassen. Ziel der Wissenschaftler ist es, dieses Plasma 30 Minuten lang zirkulieren zu lassen. Wenn das gelingen sollte, wäre das ein Meilenstein auf dem Weg zur Nutzung der Kernfusion. Der Versuchsreaktor Wendelstein hätte dann seinen Zweck erfüllt. In der nächsten Phase müsste dann Demo gebaut werden, ein erster Fusionsreaktor, der mehr Strom erzeugt als er verbraucht. Er wird sich entweder auf Wendelstein oder Iter in Frankreich aufbauen. Demo wird Geld kosten. Viel Geld. Wendelstein 7-X wird zu 80 Prozent aus Bundesmitteln finanziert. 20 Prozent steuert die Europäische Union bei. Es geht um eine Technologie, die sämtliche Energieprobleme der Menschheit lösen könnte. Doch wird der Bund sich unter einer Ampel-Koalition an der Finanzierung beteiligen? Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist skeptisch. Zwar sagte er 2019 bei einem Besuch der Anlage über seine Partei: „Heute beschreiben wir die Atomfusion unideologischer.“ Aber ein Bericht der Süddeutschen über seine Visite sollte einen skeptisch machen: „Habeck sagte, die Grundlagenforschung sei faszinierend und sollte vorangetrieben werden. „Es ist grundsätzlich richtig, Alternativen in der Energieversorgung zu erforschen.“ Allerdings müsse man überlegen, wo man die knappen finanziellen Ressourcen einsetze. Die Förderung dürfe keinesfalls zu Lasten der erneuerbaren Energien gehen. Diese würden gebraucht, um Kohlekraftwerke jetzt abschalten zu können, bevor Kernfusionskraftwerke vielleicht um 2050 den Durchbruch schaffen.“ Wie sowas aussieht kann man heute schon sehen: Habeck hat nun die Kernkraft aus der Energieforschung gestrichen. Der grünen Vernichtungswille kennt keine Grenze.

Wer in den vergangenen Wochen um die letzten drei Reaktoren stritt, stritt auch um Wendelstein und die Frage, ob Deutschland, ob Europa bei der Kernfusion, die Habeck schon vor vier Jahren im besten grünen Agitprop-Sprech als Atomfusion bezeichnete, künftig noch eine Rolle spielen wird oder ob wir künftig von technologischen Durchbrüchen zum Beispiel in den USA, wo längst private Investoren aktiv sind, nur noch aus der Ferne hören werden wie es mittlerweile bei der Raumfahrt der Fall ist.

Die Grünen und die ihnen verbundenen Rackets, zu denen der BUND, die Mercator-Stiftung mit ihren Töchtern Agora-Energiewende und Agora-Verkehrswende, der NABU, Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe gehören, sind zum Teil seit Jahrzehnten dabei, neue Technologie zu verhindern.  Das trifft auf die von ihnen dämonisierte Gentechnik ebenso zu wie auf die Informationstechnologie. Während in den 70er-Jahren amerikanische Linke von den ersten Computern und ihren Möglichkeiten fasziniert waren und aus dem Whole Earth Catalog, einer Art alternativem Otto-Katalog, das Computernetzwerk The Whole Earth ‚Lectronic Link hervorging, malte die hiesige alternative Szene ganz der romantisch-reaktionären deutschen Tradition folgend digitale Schreckgespenster an die Wand. Dass Deutschland heute die Datenschutzgrundverordnung und die USA Apple, Alphabet und Microsoft hat, geht auf die damalige Zeit zurück.

In den Debatten über die letzten Reaktoren stritten wir also über die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Wir stritten darüber, ob dieses Land weiterhin ein wohlhabender Technologiestandort mit einer starken Wirtschaft bleiben soll oder ob wir uns auf den Weg in ein autoritäres, grünes Traumland begeben, in dem die Menschen in ökologisch vorbildlicher Armut leben werden. Die immer höheren Energiekosten und die durch die Wärmewände massiv steigenden Mieten sind nur ein Vorgeschmack auf das, was da auf uns zukommen wird. Es geht um die Frage, ob wir einen Systemwechsel wollen und uns aus der demokratischen Marktwirtschaft verabschieden. Fridays for Future fordert „System Change, Not Climate Change“ und auch viele Grüne und Linke sind von der Idee begeistert, den verhassten Kapitalismus zu zerstören. Die Arbeiterklasse war und ist zu klug, um diese Forderung umzusetzen. Nun sollen es die Kinder aus wohlhabenden, bürgerlichen Verhältnissen über die Klima- und Umweltideologie richten. Jürgen Trittin, der nicht, wie er im eingangs erwähnten Welt-Interview behauptet, in seiner Jugend  nur Teil der undogmatischen Linken, sondern zeitweise auch Anhänger des Arbeitslager-Kommunisten und Massenmörders Mao Tse-tung war, wird diese Vorstellung gefallen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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