Wie schon letzte Woche dokumentiert, einige neue, anonymisierte Berichte aus der Islamischen Republik, die iranische Bekannte mir haben zukommen lassen. Von unserem Gastautor Thomas von der Osten-Sacken.
Dienstag, 29. November
»Wir haben so gut wie kein Internet im Moment, aber es geht mir soweit gut, außer, dass ich unter schweren psychischen Belastungen leide. Das tun wir alle, alle Menschen im Iran haben posttraumatische Belastungsstörungen und bräuchten eine Therapie.«
Mittwoch, 30. November
»Heute möchte ich über die kurdische Stadt Javanrud schreiben, die leider kaum jemand im Ausland kennt. Sie ist zu einem Symbol des Kampfes gegen das korrupte Mullah-Regime geworden. Bei den Protesten im Jahr 2019 und in den Jahrzehnten davor wurden in dieser Stadt im Verhältnis zur Einwohnerzahl die meisten Menschen getötet. Aber die tapferen Leute von Javanrud setzten ihren Kampf gegen das korrupte Regime fort.
Ihre Tapferkeit hat beim Regime Angst und Panik ausgelöst, weshalb alle Ein- und Ausgänge kontrolliert und die Stadt belagert wird. Die Menschen protestieren jedoch weiter. Verhaftungen, Tötungen und Verwundungen haben ihnen nicht nur keine Angst gemacht, sondern auch ihren Willen, gegen das Regime zu kämpfen, gestärkt.
Javanrud ist zu einem Vorbild für andere Städte geworden, vor allem, als die Menschen trotz des Maschinengewehrfeuers weiter Parolen gegen das Regime skandierten und die Söldner des Regimes zurückdrängten. Javanrud oder Javanru bedeutet eine Stadt, in der mutige junge Menschen leben und in der im Laufe der Geschichte viele junge Menschen getötet wurden, um endlich die ersehnte Freiheit zu erlangen.
Wir haben gute Tage nach der Niederlage der Fußballmannschaft der Islamischen Republik Iran gegen Amerika. Die Menschen im ganzen Iran waren glücklich und tanzten und sangen bis zum Mittwochmorgen auf den Straßen und zeigten ihre Geschlossenheit gegen das Regime. Das zeigt, in welcher Lage wir sind: Iraner lieben Fußball und würden gerne ihrer Mannschaft die Daumen drücken, aber wir hofften auf eine Niederlage gerade gegen die USA. Denn das demütigt das Regime doppelt.«
Donnerstag, 1. Dezember
»Die Einigkeit nimmt zu, die Menschen stehen zusammen. Es ist anders als früher, überall finden Proteste statt, egal, ob Perser, Kurden, Balutschen, Araber, Luren oder Aseris und egal, ob Schiiten oder Sunniten. Ja, wir Sunniten in Belutschistan und Kurdistan gelten jetzt als besonders mutig, früher wurde auf uns herabgeblickt. Der oberste sunnitische Mullah in Belutschistan ist eine wichtige Stimme und sehr mutig.
Nächste Woche werden neue Aktionen stattfinden, wir hoffen noch intensivere. Auch wenn viele Menschen verhaftet wurden und wir wissen, dass viele zum Tod verurteilt werden. Das macht die Wut nur größer. Heute streiken die Lkw-Fahrer, aber es ist kein großer Streik.«
Sonntag, 4. Dezember
»Wir hören, sie wollen die verhasste Religionspolizei auflösen. Das ist reines Theater, wenn es denn stimmt. Sie glauben, damit könnten sie die Revolution abwürgen. Niemand glaubt ihnen mehr, und solche Reden zeigen nur, wie viel Angst sie vor uns haben und jetzt schon nicht mehr wissen, was sie tun sollen. Sie zeigen Schwäche, und jeder sieht das.
In meiner Stadt haben sie viele Kinder und Jugendliche verhaftet, die sie verurteilen wollen, vielleicht sogar zum Tod. So ist dieses Regime. Wir brauchen internationale Stimmen, um sie zu retten. Andere werden von Ärzten für psychisch krank erklärt, damit sie in Psychiatrien überwiesen werden können. Dann wird das Regime sagen, sie hätten nicht aus politischen Gründen demonstriert, sondern wegen psychischer Probleme.
Aber wir kämpfen hoffnungsvoller und stärker als zuvor. Alle Menschen wissen, dass es keinen Weg zurück gibt und sie gewinnen müssen, sonst übt das Regime furchtbare Rache an uns allen. Aber wir glauben fest daran, dass nun endlich der Zeitpunkt gekommen ist, an dem das Regime auf dem Müllhaufen der Geschichte landen wird.«
Montag, 5. Dezember
»Heute ist ein großartiger Tag für uns: Achtzig Prozent aller Regionen im Iran sind dem Streikaufruf gefolgt. Der Druck des Regimes hat keine Wirkung gezeigt, in Kurdistan und anderswo befinden sich die Städte im Generalstreik, und für diese Woche sind überall neue Proteste angekündigt. Unsere Hoffnung wächst, dass wir siegen werden.«
Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch