Berlin-Ruhrgebiet: Fünf Tage im August (5 & Schluss)

Sony Center

Fünfter Tag, 27.8.
So, der Himmel über Berlin ist nicht mehr blau heute, zurück geht’s gegen Mittag ins Ruhrgebiet, wo die Kommunen auf die Solidaritätszuschläge von morgen hoffen. Zuvor aber ab 9 Uhr noch ein Frühstück mit Minoru. Minoru hat als Japaner einst in Duisburg studiert, heute ist er Doktor am einem Tokyoter Institut. Sie versuchen dort das menschliche Auge nicht mechanisch, sondern als Projekt der Bionik nachzubauen, in einem Cell Function Design Team. B. hat sich chic gemacht und trägt zu Ehren des asiatischen Gastes so eine Art Kimono-Jacke im Pyjama-Style über dem obligaten linnenen Hemdchen. Doktor Minoru kommt adrett in Polohemd und Jeans.

Lotus-Sieg im Rosenkrieg für B.s Ex
B.s Ex von nebenan hatte es gewagt, zwei Abende zuvor mit Minoru zur Eröffnung der Hokusai-Retrospektive zu gehen. Und sich dafür recht ansehnlich aufgehübscht. Da macht sich so ein handsamer netter Japaner als Accessoire natürlich nicht schlecht. Bundespräsident Wulff hat gesprochen, „Japan ist unser Wertepartner in Asien“, und dann haben sich 600 Gäste durch die Ausstellung gequält. Gut, dass wir erst gestern drin waren.
Gegen 23 Uhr des Hokusai-Abends hat B.s Ex dann noch kurz bei uns angeschellt, um, äääh … mich endlich auch zu begrüßen. Ich lag aber bereits erschöpft von der Fahrradtour des Tages (siehe Folge 3) im Bett und las noch etwas in Zaimoglus neuem „Ruß“-Roman mit seiner surrealen Duisburg-Oberhausen-Bochum-Warschau-Kulisse. Immerhin hat sich so aber B. noch mit gebräuntem Oberkörper zeigen können und seine Ex präsentierte ihr schmuckes Thai-Seidenblusen-Outfit. Dann jedoch wurden brav die Türen der beiden nebeneinanderliegenden Wohnungen geschlossen, ein jedes da, wo es hingehörte.

B. hatte vorgestern an seiner Ex geärgert, dass sie ihm jetzt schon seine alten Freunde für schöne Abende ausspannte (B. und seine Ex waren schließlich nur gut 15 Jahre zusammen, da muss man die Freunde des einen und der anderen aber bitte doch auseinanderhalten können!), Crossover läuft da nicht. „Eifersucht ist ein Hundegebell, das die Diebe anlockt“ meinte einst Karl Kraus, aber B. ist ja nicht eifersüchtig, nein, auf keinen Fall, schon wegen der neuen Freundin auf Usedom nicht. Es geht halt ums Prinzip.

Heitere Gelassenheit
Jedenfalls, heute hat also B. selbst den freundlichen Minoru als Besuch gebucht. Minoru hat in Deutschland einen Gastvortrag gehalten und wird am Mittwoch über Helsinki nach Tokyo zurückfliegen, 16 Stunden und mehr. Als kleiner Japaner lässt es sich in der Economy-Class aber noch halbwegs aushalten, scherzt er. Wir unterhalten uns über Gott und die Welt, irgendwann kommen wir auf Fukushima und Tokyo zu sprechen. Minoru spricht gut Deutsch, manchmal aber kommt der etwas abgehackte japanische Hardcore-Sound drastisch durch. Als er über die Atomindustrie spricht, fällt oft das Wort „Iddi-otten!“ und Minoru wirkt dabei wie ein klassischer Samurai.
Tokyo verstrahlt? Nein, bloß an Stellen, wo Wind oder Niederschläge Radioaktivität gebunden haben. Ob er einen Geigerzähler habe. Nein, aber er wolle sich hier in Berlin einen kaufen. Wir googeln für ihn Electronic Conrad auf der Kleiststraße. Da gibt es solide Geigerzähler so zwischen 150 und 400 Euro. In Tokyo kosten sie jetzt mindestens das Doppelte, meint Minoru. Angebot und Nachfrage halt, bei Regen gehen ja auch Schirme weg wie warme Semmeln. Wir überlegen, ob wir nicht besser gleich drei Geigerzähler kaufen sollten, wegen Rabatt und man kann ja nie wissen: drei Männer im Schnee (der aus Atom-Wolken fällt).

Tepco ist der beste Freund des Menschen
Minoru ist nicht nur ein gediegenes Schlitzauge, sondern auch ein echtes Schlitzohr. Er erzählt uns todernst, dass der Atomkraftwerkebetreiber Tepco jetzt auch in die Geigerzähler-Produktion eingestiegen sei. Wir malen uns aus, dass deren Zähler dann wohl nie an bedrohliche Grenzwerte stoßen, stattdessen mit cooler Geisha-Stimme immer nur „No danger“ säuseln. Super-Idee: Erst am Atomstrom verdienen, nach dem völlig überraschenden Super-Gau halb Japan verstrahlen, sich vom Staat (also den Bürgern) aus der Patsche helfen lassen und schließlich in der Geigerzählerproduktion die verängstigt Verstrahlten abkassieren. Ein Rundum-Sorglos-Paket.
Ein bisschen mulmig ist uns schon, als wir uns von Minoru verabschieden. Der muss und will nach Tokyo zurück. Und wir würden ihn gerne besuchen, so in 25.000 Jahren.

Adam & Monika

Die jungen Wilden
Nach allerhand Abschiedsritualen verlasse ich Charlottenburg, Richtung GE-Buer. An der Raststätte „Tank und Rast“-Grunewald fahre ich noch einmal kurz raus, um den Tank aufzufüllen und bin für die mir noch bleibenden, strahlend schönen Jahre so dankbar, dass ich ein polnisches Tramper-Pärchen mitnehme. Adam und Monika, wie sich später herausstellt. Sie sind vor gut 24 Stunden aus Gdansk aufgebrochen und noch nicht weiter als bis nach Berlin gekommen. Ob ich sie bis Hannover mitnehmen könnte? Von da aus wollen sie weiter nach Brüssel. Ja, sage ich, in die Richtung fahre ich sowieso, ich könnte sie an einer Raststätte an der A2 in Gelsenkirchen raus lassen, dann wären sie schon einmal 500 Kilometer weiter. Nix wie rein in meinen Peugeot-Partner. Die beiden Abiturienten wollen bald in Warschau und Danzig studieren, so viel kriege ich gerade noch raus, für den Rest der Tour schlafen sie hinten im Wagen immer wieder ein. Ich chauffiere sie – mit einem Zwischenstopp – möglichst sanft bis zur Raststätte GE-Resser Mark, es lebe die deutsch-polnische Freundschaft. Ihr Ziel, kommt heraus, ist letztlich ein Ort bei Valencia. Viel Glück.

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Mir
Mir
13 Jahre zuvor

Gerd Herholz
Darf man auf eine Literaturkritik von ihnen zu Zaimoglus Roman „Ruß“ hier im Blog hoffen?

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