„Besser kommen sie nicht weg“

M 2013-07-12 um 12.57.43enschen aus aller Welt kommen als Flüchtlinge nach Deutschland. Sie kommen in der Hoffnung auf ein sicheres und menschenwürdiges Leben, doch nicht alle dürfen bleiben. Wem kein Asyl gewährt wird, droht die Abschiebung.

Es ist der Morgen des 24. Aprils. Ein sonniger und wolkenloser Morgen, an dem die zwei weißen Reisebusse auf die Zufahrt zum Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden einbiegen. Auf den Kennzeichen steht OH – Ost-Holstein. Begleitet werden die Busse von Mannschaftswagen der Polizei. Am Flughafen wird der Konvoi schon erwartet, von noch mehr Polizisten und einer Handvoll Demonstranten. In den Bussen sitzen 127 Menschen, die der Volksgruppe der Roma angehören. Sie kamen als Flüchtlinge nach Deutschland, nun steht ihnen die Abschiebung nach Serbien und Mazedonien bevor.

Die Busse parken auf einem umzäunten Areal des Flughafens. Auf dem Zaun ist Stacheldraht gespannt, eine blaue Plane schirmt vor Blicken von der Straße ab. Die Roma warten in den Bussen, sorgenvolle Gesichter sind hinter den Scheiben zu erkennen. Männer, Frauen und Kinder. Polizisten wuseln um die Busse herum. Vor dem Zaun stehen Demonstranten, die gegen die bevorstehende Abschiebung protestieren. Durch ein Loch in der Plane spähen ein paar von ihnen auf die andere Seite des Zauns. Andere halten Schilder und Transparente in die Höhe, auf denen Slogans stehen wie: „WIR WOLLEN, DASS IHR BLEIBT!“

Dass Roma in der deutschen Gesellschaft nicht jedem willkommen sind, weiß Brigitte Kienle zu berichten. Die 32-Jährige ist Geschäftsführerin des Bremer Sinti Vereins, einer Mitgliederorganisation im Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. „Die Vorurteile sind immer die gleichen, es wird total kriminalisiert: Das sind Zigeuner und die klauen, die sind dreckig, die sind arbeitsscheu“, erzählt sie. Wenn Kienle, die weder einen Sinti noch einen Roma Hintergrund hat, von ihrer Arbeit erzählt, wird sie immer wieder mit Unwissenheit und Vorurteilen konfrontiert, so wie: „Klauen die dir nicht die Tasche weg?!“

Am Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden werden die ausgewiesenen Roma nacheinander aus den Bussen geführt. Namen werden aufgerufen. Sie stehen auf Listen, die in Klemmbrettern stecken. Ganze Familien kommen aus den Bussen. Ein Mann, der eine Lidl-Tüte trägt. Neben ihm eine Frau, sie hält ein Kind an der Hand. Das Mädchen hat einen rosa Schulranzen auf dem Rücken. Begleitet wird die Szenerie von den Protestrufen der Demonstranten.

Einer von ihnen ist Andreas Linder, der beim Flüchtlingsrat Baden-Württemberg arbeitet. „Hier werden über hundert Flüchtlinge abgeschoben, Familien mit Kindern“, erklärt er, „Roma haben in Serbien und Mazedonien mit massiver Diskriminierung und einem Leben in Armut zu rechnen.“

Auch Roberto Larze vom Bremerhavener Sinti-Verein bestätigt in einer Pressemitteilung: „Über 80 Prozent der Roma in Ost- und Südosteuropa leben weit unter der Armutsgrenze.“ Viele von ihnen könnten nur überleben, wenn sie sich ihre Nahrung von Müllhalden holen würden, erklärt Larze. „Dies ist sicher nicht ihr freiwilliger Lebensstil, beziehungsweise ihre Kultur.“ Perspektivlosigkeit und gewaltbereiter Rassismus würden die Menschen zur Flucht zwingen. Doch Roberto Larze weiß auch: „Die Zustände in den Heimatländern der Roma werden in Deutschland kaum gesehen, damit man sie möglichst schnell wieder abschieben kann.“

Während die Abschiebung in vollem Gang ist, checken nebenan im Terminal, Reisende für den Ryan-Air Flug nach London-Stansted ein. Kaum einer nimmt Notiz von dem, was nur wenige hundert Meter entfernt vor sich geht. Ein Mann und eine Frau, die Rollkoffer hinter sich herziehen, eilen am Stacheldrahtzaun vorbei, vor dem die Protestler „Abschiebung ist Folter, Abschiebung ist Mord!“ skandieren. Ein Roma Mädchen, um die zehn Jahre, winkt den Demonstranten zu, die auf das Dach eines VW-Busses geklettert sind, um über den Zaun gucken zu können. Sie wirft ihnen Kusshände zu, formt mit den Händen ein Herz. Sie lächelt.

Mittlerweile sind die weißen Reisebusse leer. Vier voll bepackte Gepäckwagen stehen davor. In ihnen liegen Koffer, Taschen, Rucksäcke, Schulranzen und Kinderwagen. Die Flüchtlinge stehen am Stacheldrahtzaun und warten. Einigen der Demonstranten gelingt es, am Zaun Kontakt zu ihnen aufzunehmen und sich zum Teil „mit Händen und Füßen“ zu verständigen. „Die Leute am Zaun haben gesagt, sie kommen aus einem Heim in Neumünster“, berichtet Simon, der in Freiburg studiert und seinen Nachnamen nicht verraten möchte. „Den Menschen wurde ein Wisch vorgelegt, den sie unterschreiben sollten“, erzählt er weiter, „ansonsten würde es noch mehr Ärger geben. Daraufhin haben die Familien dann unterschrieben.“ Simon der Student mutmaßt, dieses würde geschehen, um die Abschiebung als freiwillige Ausreise deklarieren zu können.

Versteckt hinter einer Baumgruppe wird ein Flugzeug für den Abflug vorbereitet. Es ist eine Maschine von Bulgaria Air, Typ Airbus A 320. Gleichzeitig quetschen sich die abgewiesenen Asylbewerber in den flughafeneigenen Gelenkbus, auf dem das Motto des Flughafens in großen Buchstaben gedruckt ist: „Besser kommen Sie nicht weg!“ Als der Bus zum Flugzeug fährt, winken sich Roma und Demonstranten zu. Um 9.30 Uhr hebt die Maschine ab und verschwindet am wolkenlosen Himmel. Mit ihr fliegen 127 Menschen in eine ungewisse Zukunft.

von Nils M. Harders & Daniel Hawiger

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Stefan Lauda
Stefan Lauda
11 Jahre zuvor

„Dies ist sicher nicht ihr freiwilliger Lebensstil, beziehungsweise ihre Kultur.“

Wie ist denn eigentlich der selbstgewählte Lebensstil, wenn nicht so, und es auch im Fluchtland immer wieder zu Problemen rund um die Unterbringungsstätten kommt, gerade auch aufgrund vorher genannter Probleme? Leider habe ich persönlich von einer gelebten Kultur, die auf etwas anderes schliessen lässt, wie beispielsweise bei Mitbürgern mit türk. Migrationshintergrund, noch nicht allzu viel erfahren.

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