„Propaganda ist eine Kunst wie die Malerei.“
Wie dreht man einen Film über jenen Täter, der wie kein anderer die ästhetischen Mittel zur Massenmanipulation und -mobilisierung für Hitlers totalen Krieg einsetzte, ohne zu viel Nähe zur Person zu wecken? Wie geht man eine Filmbesprechung über den heimtückischsten Zwerg mit Gehbehinderung und Klumpfuß der Geschichte an, der im lächerlichen Widerspruch zum arischen Ideal eigentlich als Witzfigur in die Geschichte hätte eingehen müssen, ohne seinen entscheidenden Anteil an der Ausrottungsmaschinerie jüdischen Lebens als Lehre über Hetzer der Gegenwart zu relativieren? Menschen haben es getan, sagt Margot Friedländer. Beim Abspann herrscht betroffene Stille im Kinosaal. Man hätte ein Nasenhaar auf den Boden fallen hören.
Der Film „Führer Verführer“ ist, worauf Roland Keitsch in BILD am 8.7.2024 hinwies, unerklärlicherweise nicht als Unterrichtsmaterial empfohlen worden. Das Gremium „Vision Kino“ steht unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten und wählt Filme für Lehrkräfte aus, die jährlich in allen 16 Bundesländern bei den Schulkinowochen gezeigt werden. Dabei schafft es die filmische Umsetzung, gleich zu Beginn das Publikum zum Mitdenken aufzufordern. Dem Regisseur Joachim A. Lang ist mit prägenden historiografischen Markern aus dem steilen Karriereweg Goebbels ein besonderes Täterprofil gelungen, indem das Drehbuch von Sandra Maria Dujmovic auf unterschiedliche Quellen wie Filmtafeln, Zeitzeugenberichte und historischem Filmmaterial als Filmelemente zurückgreift, um gleichsam würdige Zäsuren zum Innehalten den Opfern des Holocaust gegenüber zu spiegeln.
Was charakterisiert jenen Mann an Hitlers Seite, detailgetreu verkörpert von Robert Stadlober, deren Beziehung zueinander seltsam siamesisch anmutet? In „Führer Verführer“, ein Wortstamm und ein Präfix in semantischem Einklang, ist es vielleicht die besondere Note an dranghafter Triebbefriedigung, höchst planvollem Performanzvermögen und erotischem Mantra zwischen Hitler und Goebbels, die sich symbiotisch-komplementär zu ergänzen verstehen. Ihre Motivation, aber auch die des deutschen Volkes, zum Zwei-Fronten-Krieg wird in dessen Steigerungslogik annähernd fassbar für Außenstehende. Wie will man sonst das unfassbare Grauen des Nationalsozialismus in nur einer Filmlänge erklären wollen?
Der Film fackelt nicht lang und zeigt Goebbels schwarze Augen in Nahaufnahme. Zu einfach wäre es, in Goebbels als Minime-Replik Hitlers allein eine Mischung aus Wahnsinn, Selbstüberschätzung, Perversion, Sadismus, Narzissmus, Geltungssucht und so einiges Sozialpsychologisches mehr vereint zu sehen. Nochmal: So traurig, so wahr, eigentlich ist er nur ein ganz gewöhnlicher Mensch, mit allen kognitiven Dissonanzen, die ein Mensch damals und heute hergibt. Nicht nur, dass Dr. Goebbels bei einem jüdischen Professor promoviert hat, er ist damals schon ein von seinem Eros strotzendes Prachtexemplar der heutigen Metoo-Bewegung. Zur Schande des deutschen Reinheitsgebots weist Heinrich Himmler, der sich bedächtig verkniffen seinen antisemitischen Sublimierungen widmet, Hitler im Film darauf hin, wie Goebbels seine Machtposition den Mitarbeiterinnen gegenüber ausnutzt und deshalb den Fokus auf die genozidale Judenvernichtung verliere. Dabei bemüht sich der Knirps redlich mit seiner Frau Magda, Hitlers arischer Vorzeigebrutmaschine, das gesunde deutsche Familienideal für den Führer zu repräsentieren, der wiederum kinderlos blieb. Beinah möchte man kurz mitfühlen mit dem selbstgefälligen hinkenden Knilch in den gutsitzenden Anzügen, die seine Beinorthese verdecken, der einen Sinn für alles „Schöne“ in der Kunst hat. Behaarlich irrational war er knapp davor, sich ganz und gar seinem verlorenen Herzen an die tschechische Sängerin Lída Baarová mit ernster Heiratsabsicht hinzugeben, bis der Führer ihn auf die rechte Spur zurückbringt.
Goebbels volitional getränkte Fähigkeit zur Massenverblendung kennt nur ein Ziel: Bilder kreieren, die bleiben werden. In „Führer Verführer“ kommt es daher immer wieder zu dokumentarischen Überblendungen während des Filmplots. Längst vor der Erfindung der Vollversion von Adobe Photoshop war für Goebbels klar: Nachrichtenpolitik ist das wichtigste Mittel der Kriegsführung. Worte, wie Goebbels Rede im Berliner Sportpalast, sind die eine Sache. Bilder kreieren jedoch die andere Sache, wie es der Historiker Gerhard Pauls als Visual History beschreibt, mit der Goebbels in die Geschichte eingehen will und wird. Um die Strukturen von Propaganda zu demontieren und auf heutige mediale Möglichkeiten wie auf Tiktok zu übertragen, braucht es Wissen und Metawissen. Es ist bedauerlich, dass „Führer Verführer“ nicht für den Einsatz im Schulunterricht empfohlen wird. Denn was das kollektive Gedächtnis betrifft, muss man gegenwärtigen Schwurbeleien einstiger Wissenschaftsgrößen wie von Aleida Assmann widersprechen können, Holocaust und Nakba bitte genau nicht gleichzusetzen, wie Alan Posener in der WELT fundiert entgegnete.
Besonders erwähnenswert ist das präzise Filmsetting, um Erinnerungskultur als Film im Film zu thematisieren. Immer wieder sitzen wir als Zuschauer Goebbels und Hitler in ihrem privaten Kinoraum gegenüber, bevor die hochmanipulativen Filmproduktionen in die Deutsche Wochenschau in alle Kinos auch an der Front gingen. „Geschichte schreiben heißt, Jahreszahlen ihre Physiognomie zu geben“, verdeutlichte schon der Philosoph und Kulturkritiker Walter Benjamin, der sich als Jude 1940 auf der Flucht vor den Nazis an der spanisch-französischen Grenze das Leben nimmt. Historisch beraten wurde das Filmteam von Prof. Thomas Weber. Im Film ist es nicht nur die Vorderbühne der Akteure, sondern auch die Staffage bietet genug Befähigung an. So könnten Kunsthistoriker ihre Wissensfreude anwenden, Raubkunst an den Wänden der Privathäuser von Goebbels und Hitler in verschiedenen Szenen zu entdecken und das Bild-in-Bild-Prinzip filmkompositorisch zu erörtern.
Wer sich entlang der Täterperspektive am Ende des Films prüft und fragt, was hätte ich getan, hätte ich wirklich widerstehen können, hätte ich den Mumm zu Zivilcourage gehabt, aber nach einer hoffnungsfrohen Biografie alternativ zur schwarzen Seele Goebbels sucht, dem sei wärmstens der Film über den „britischen Schindler“ empfohlen. Es ist der Menschenfreund jüdischer Abstammung Nicholas Winton, gespielt im Film „One Life“ vom greisen Anthony Hopkins – niemals besser als in dem Alter – der Hunderte von jüdischen Kindern vor den Nazis rettete, indem er mutig Kindertransporte in Zügen von Prag nach Großbritannien kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges organisierte. Für seine Verdienste um die Menschlichkeit wurde der britische Börsenmakler Winton 2002 von Königin Elisabeth II. zum Ritter geschlagen.
Anmerkung: Ruhrbarone hat am 12.07.2024 eine Anfrage an FILM+SCHULE NRW gestellt, das eine Initiative des Ministeriums für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen und des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe ist und sich für eine Steigerung der Medien- und Filmkompetenz an Schulen in NRW einsetzt, ob sie eine Empfehlung des Films „Führer Verführer“ als Unterrichtsmaterial beabsichtigen. Die Rückmeldung des Geschäftsführers Uwe Leonhardt erreichte Ruhrbarone am 16.7.2024 und lautet wie folgt:
„[V]on unserer Seite gibt es noch nichts dazu, da der Film noch ganz neu in den Kinos ist. Aber es gibt bereits Unterrichtsmaterial der Bundeszentrale für politische Bildung dazu, vielleicht hilft Ihnen das ja schon weiter: https://www.kinofenster.de/themen-dossiers/alle-themendossiers/dossier-ns-taeter-im-spielfilm/dossier-ns-taeter-im-spielfilm-fuehrer-und-verfuehrer-ab/ “
https://www.filmundschule.nrw.de/de/ausgezeichnet/
Website „Führer Verführer“ auf Wildbunch Germany Verleih GmbH:
https://www.wildbunch-germany.de/movie/fuehrer-und-verfuehrer