Auf der Anti-Sauerland-Welle zu surfen, erscheint vielen in Zeiten des ungenierten Wulff-Bashings sehr attraktiv. Und er ist ja auch untragbar geworden. Also, der Sauerland jetzt. Gut, der Wulff ist seinerseits ebenfalls zum wandelnden Fettnäpfchen mutiert, die Loverparade-Toten hat er aber nicht mit zu verantworten. Zurück also zum Oberbürgermeister a.D., der am Sonntag bei einem Volksentscheid von seinen Untertanen hinweggefegt wurde. Die eigentlichen Stars der zeitweise zur Farce geronnenen politischen Tragikomödie im Zuge des Loveparade-Katastrophe, finden sich in der unabhängigen Bürgerinitiative „Neuanfang für Duisburg“. Sie haben mit Beharrlichkeit ihr Ziel, die Abwahl des amtierenden OB Sauerland, erreicht. Dennoch: Jetzt will jeder dabei gewesen sein, von Anfang an heroisch auf den Barrikaden gestanden haben. Man wittert Beute.
Und siehe da: Alte Bekannte kehren zurück aus den Tiefen der journalistischen Nichtbeachtung. Und damit ist nicht die langsam aufdringlich werdende Band „Die Bandbreite“ gemeint, welche mit einem publikumswirksamen Anti-Sauerland-Schlager die Proteste unterwanderte. „Entrismus“ schimpft sich das übrigens im Wörterbuch. Nein, hier geht es um einen alten Rivalen Sauerlands um das Amt des Oberbürgermeisters.
Die linksnationale Zeitung „Junge Welt“ aus Berlin holte zum Thema „Sauerland“ Hermann Dierkes, Linken-Fraktionsvorsitzender im Duisburger Stadtrat, aus der Versenkung zurück. Jenen Mann also, der als antijüdischer Hardliner vom Simon Wiesenthal Center unter die Top Ten der weltweiten Antisemiten gewählt wurde. Was allerdings gut passt, schließlich kommen in der Jungen Welt nicht nur regelmäßig „Linke“-Israel-Hasser wie Norman Paech und Dieter Dehm zu Wort, auch Spitzenpolitiker der antisemitischen Terrortruppe Hamas werden ausführlich interviewt.
Dierkes am Dienstag zu Jungen Welt:
„Alle zusammen haben wir bei Eiseskälte Flugblätter verteilt, Gespräche geführt, Infostände betreut und Plakate aufgehängt.(…) Der OB wurde nicht nur abgewählt – er wurde vom Sockel gehauen!“
Reife Leistung, Hermann! Wie geht‘s weiter in Duisburg?
„Unter dem Eindruck dieser Abstimmungsergebnisse wird sich auch das Kräfteverhältnis der örtlichen Parteien ändern. (…) Der Flügel der Grünen, der mit Sauerland zusammenarbeiten wollte, wird sich neu sortieren müssen. Und auf uns, die Linke also, wird eine noch viel größere Verantwortung als bisher zukommen.“
Aus dem Munde eines Hermann Dierkes klingt das fast wie eine Drohung.
„Es wird nicht leicht sein, jemanden zu finden. (…) Ein (…) Aspekt ist, daß der Kandidat oder die Kandidatin im engen Schulterschluss mit der Bürgerbewegung gefunden werden muß.“
Hat sich also doch gelohnt, das Flugblätter verteilen, Gespräche führen, Infostände betreuen und Plakate aufhängen. Ob er sich noch einmal offiziell bewirbt? Den Duisburgern, die politisch bisher am meisten durchmachen mussten, wäre es nicht zu wünschen. Bliebe die Frage, wie „die Bewegung“ auf eine erneute Kandidatur Dierkes reagieren würde.
„Wir werden noch in dieser Woche Gespräche mit den Parteien und den Aktivisten aufnehmen, die im Bündnis zusammengearbeitet haben. Die Wahl des neuen OB könnte dann im Juni stattfinden.“
Wieder ein Fall von klassischem Entrismus. Der Begriff wird überhaupt viel zu selten benutzt. Sauerland selbst schien eine böse Vorahnung gehabt zu haben: „Gott schütze Duisburg.“ Aber bitte vor Dierkes.
„In traurigen Zeiten blüht der Witz!“ (jüdisches Sprichwort)
Herr Dierkes muss Pluspunkte sammeln; im Ernst!
Er hat sich durch seine positive Haltung zum Outlet-Center in Hamborn eine Menge Unmut, bei den eigenen Sympathisanten – rund um den Zinkhüttenplatz in Hamborn – und der eigenen Parteibasis, eingefangen.
Der Kreisverband stellte sich gegen ihn und es kam bei einer Mitgliederversammlung der Linken zum Eklat. Verständlich, da die Partei die.Linke ja nicht sonderlich als Fans von kapitalistischen, luxuriösen Konsumtempeln bekannt sind. Auch die BI-Zinkhüttenplatz stellt Ihn auf der Seite des Sprechers Horst Niewrzol auf eine Art Steckbrief-Liste aller bösen Politiker, die die Mieter „deportieren“ wollen.
Zudem traurig: Der Hamborner Ratskeller – Starkoch Tom Waschat – hat neuerdings geschlossen; und Hamborn braucht etwas esprit, und sei es eine neue high-class-shoppingmall. Da braucht der Mensch ein Erfolgserlebnis, wie z.B. die OB-Abwahl.
„Gott schütze Duisburg vor Dierkes“? Das wäre doch mal, auf andere Art, ein Gottesbeweis.
Eine kleine nationalbolschewistische Zeitung interviewt einen ihrer Buddies. Welch Wunder.
Die Gefahr, dass Dierkes zum neuen Oberbürgermeister gewählt wird, gibt es wohl nicht. Mag ja sein, dass der Zweck die Mittel heiligt, aber dafür gleich Sauerlands absurde Abschiedsinszenierung rhetorisch ein rationales Substrat zusprechen? Das geht dann doch wirklich zu weit, finde ich.
Warum ist es so verwunderlich das Dierkes auf der Anti-Sauerland Welle mitschwimmt auf der auch die Bandbreite intensiv dabei war?
Wieso ist es verwunderlich wenn Ideologen, die bei jeder Gelegenheit ihre Solidarität mit islamistischen Rackets bekunden, den Mob auch in Deutschland bei jeder Hexenjagd unterstützen?
Dierkes ist, was diese Stadt verdient.
@Thomas Wessel,
der Hermann Dierkes arbeitetete immer, ohne zu zögern, auch mit evangelischen Pfarrern, z.B. in seiner damaligen BI zusammen, z.B. Tereick, der sogar mittlerweile Karriere gemacht haben muß. Das aber halte ich auf keinen Fall für einen Gottesbeweis.
Auch vereinzelte Interviews in einer mulimische Kirchenzeitung sieht er sicher selber nicht als solchen.
https://www.muslim-markt.de/interview/2009/dierkes.htm
Ich kenne den Hermann Dierkes seit 1994 gut, hat er doch, als ich noch Politik in Duisburg gemacht habe, das gleiche Publikum angesprochen, wie ich selber. Für mich war teils Konkurrent, war Umweltschützer wie ich, manchmal dabei sogar Partner, Er war so etwas ähnliches wie Sozialist, und übrigens sogar strenger Gegner aller Antisemiten!
Sein Vorgänger als Duisburger Vorsitzender der PDS und dessen Frau Hanna Ackermann wurden genau wegen ihres offenen antisemitischen Kurses aus der PDS heraus geekelt. Dabei beziehe ich mich allerdings auf fremde Quellen.
https://www.kommunisten-online.de/austritthanna.htm
Der Name Dierkes taucht allerdings in dieser Auseinandersetzung nicht offen auf, obwohl damals alle Fäden in seiner Hand gelegen hatten.
Im Zusammenhang mit den Aktivitäten, die letztlich zur Abwahl Sauerlands geführt haben, hat er allerdings eine wichtige Schlüsselrolle gespielt.
Ich teile seine Position zu Israel absolut nicht, und habe ihm auch hier, bei den Ruhrbaronen eine offene Diskusion mit mir über seine Position, die Stefan Laurin damals auch ausdrücklich genehmigt hatte, angeboten.
Hermann Dierkes hat mir aber telefonisch gesagt, dass er zwar mit mir, allerdings nicht bei den Ruhrbaronen diskutieren würde. Meinem Angebot hat er sich verweigert, hat aber dann doch in einem offenen Brief, den Laurin veröffentlicht hat, seine Position eher schlecht als recht, dargestellt.
Trotzdem, heute ist es so, dass jemand, der in Duisburg politisch aktiv werden will, an Ihm nicht vorbeikommen kann, weil es selbst bei einem neuen OB den gleichen Stadtrat geben wird. Und da gibt es eine Mehrheit bei SPD, Grünen und Linkspartei. So sehr hier, bei den Ruhrbaronen, Dierkes derzeitiger Antisemitismus im Fokus steht, sosehr steht für mich als Duisburger sein politisches Gewicht in diesem Parteienbündnis im Zentrum. Naturgemäß ist er selber an der Aufrechterhaltung diese Bündnisses auch stark interessiert.
Welche Probleme daraus allerdings für ihn im eigenen Kreisverband entstehen,
können Sie beim Kommentator (2) , den ich bisher noch nicht kenne, nachlesen.
Nach meiner eigenen Beobachtung kommt er sehr gut mit hiesigen Sozialdemokraten zurecht. Eine eigene Kandidatur für den OB-Posten empfiehlt sich da wohl nicht. Anders sehe es wohl für eine Unterstützung eines SPD-Kandidaten aus.
@Junge
„Im Zusammenhang mit den Aktivitäten, die letztlich zur Abwahl Sauerlands geführt haben, hat er allerdings eine wichtige Schlüsselrolle gespielt.“
Wo ? Welche „Schlüsselrolle“ ?
Würden Sie hier bitte genauer werden, statt nur eine Behauptung in den luftleeren Raum zu stellen?
Ich weiß von keiner Rolle, geschweige denn einer „Schlüsselrolle“, die er gespielt hätte.
@Müller
Ich habe nicht die Absicht, mich von Ihnen in eine Diskussion verstricken zu lassen, in der ich Sie von irgend etwas überzeugen müßte.
Das gilt um so mehr in diesem Fall.
Trotzdem verwundert mich Ihre Frage, weil ich früher mal dachte, dass jemand, der mal für den Posten des Oberbürgermeisters kandidiert hat, etwas weiß über das Zustandekommen des Gesetzes, dass die Abwahl rechtlich möglich machte, sowie die politische Bedeutung, die ein solches Parteienbündnis, dass die Mehrheit gegen den OB und seine Unterstützer im Rat hat, einschätzen können sollte.
Von den vielen Infoständen, die dazu dienten, die Bürger und Bürgerinnen überhaupt an die Wahlurnen zu erinnern, will ich Ihnen als Publizistin, die das alles vom Schreibtisch aus erledigt, ja gar nicht erst kommen.
Aber ich kann Ihnen auch mit Freude und vielleicht sogar mit Stolz auf die Bürger und Bürgerinnen meiner Stadt versichern, dass vielen Personen in dem Abwahlprozeß eine Schlüsselrolle zugesprochen werden muß.
Frau Müller, mehr als ich jetzt geschrieben habe, werde ich dazu nicht mehr schreiben. Das muß die Linke und Dierkes schon selbst tun.
Und Sie können auch gerne zu einer anderen Einschätzung kommen, als ich.
#7 (Mimi Müller): Naja Mimi, immerhin ist überliefert, daß der linke Duisburger Ratsfraktionsvorsitzende Dierkes nach seiner Abstimmungsniederlage, die sich gegen die Forcierung der Vertreibung alteingesessener Mieter zugunsten eines städtischerseits geplanten Parkplatzes im Duisburger Norden wandte,
wutschnaubend aus der Versammlung abzogen ist,
grummelnd, er müsse jetzt noch Plakate gegen Sauerland kleben.
Vielleicht meint Helmut ja dieses Engagement. (:
https://www.jungewelt.de/2012/01-13/024.php
Meiser, Du kommst zu spät.
@Guido (2) hat, vermutlich aus erster Hand, als erster darüber berichtet, ich (6) habe auf Guidos Kommentar hingewiesen, und vermutet, dass aus dem zwanghaften Festhalten am Parteienbündnis für Diekes im eigenen Lager Probleme erwachsen, und jetzt kommst Du, mit Deinem Link zu dieser merkwürdigen Zeitung.
Neu daran ist allenfalls, dass solche Geschichten auch in dieser Zeitung stehen.
Ich hatte es in der WAZ gelesen.
https://www.derwesten.de/staedte/duisburg/outlet-plaene-spalten-die-linke-in-duisburg-id6303317.html
@ 6 Helmut Junge | Danke für die Infos einschl. Muslim-Markt. Ich bin empfänglich für Ambivalenz, nur nicht für das, was dieser Mann hat, ein hoffnungslos gutes Gewissen.
@11 Thomas Wessel,
„ein hoffnungslos gutes Gewissen“ zu haben, als Vorwurf formuliert, wirkte auf mich so merkwürdig, dass ich stundenlang, immer wieder daran denken mußte.
Tatsächlich, ich habe mich an solche Leute bereits gewöhnt, weil es so viele (geworden?) sind. Vor allem in der Politik sind sie massenhaft vertreten.
Das liegt daran, dass Politiker, die oft gegen ihre innere Überzeugung im „Schulterschluß“ abstimmen müssen, so besser mit sich klar kommen.
Ihre Anhänger rechnen, bei solchen Diskussionen, die Gewissen auch gerne gegeneinander auf. In den anderen Parteien sind doch auch solche Leute.
So einfach ist das in der Politik.
In der Öffentlichkeit, vor allem dort, wo es um die Werte geht, um die sich Menschen streiten, hat das „Gewissen“ nur noch einen geringen Wert.
Aber es ist wahr, das Gewissen ist eine wichtige Erfindung der Natur, ohne die menschliches Zusammenleben kaum denkbar wäre.
Man sollte Kandidaten danach befragen, ob ihnen zurückliegende Entscheidungen im Nachhinein weh getan haben. Nur solche wären für mich dann wählbar.
Heute habe ich einen Präsidenten abdanken sehen und hören können, der von sich meinte, eigentlich alles richtig gemacht zu haben.
@ 12 | Die Natur einmal dahin gestellt: Dass das Gewissen eine „Erfindung“ sei, wie Sie es formulieren, setzt voraus, dass jemand sucht. Früher – vor Internet Buchdruck Öffentlichkeit – war es eher so, wenn sich Gewissen gefunden hat, dann deshalb, weil jemand sich selber befragt. Heute bildet sich ein politisches Gewissen wohl eher, indem man befragt wird. Das ist das Frappierende am Internet, es gibt nichts verloren. „Gewissen“, sagt mein Wörterbuch, sei der Versuch, das lat. „conscientia“ wiederzugeben, wörtlich „Mitwissen“.
Mitwisser braucht einer wie Dierkes nicht, der weiß schon alles. Irgendwann habe ich mir mal das Video angetan, in dem dieser Mann das Existenzrecht Israels „läppisch“ nennt. Es ist – denkbar, dass es nicht so gemeint ist wie gesagt – es ist gar nicht der Sinngehalt des Satzes, der abstößt, sondern dieser furchtbar feldherrliche Gestus. Der Mann räumt auf, er weiß, was gut ist und wer böse. Und was so ein linker Lokalpolitiker ist, der bescheidet sich dann eben nicht, der erteilt Bescheide wie einst. Ich glaube, das Gegenteil von Gewissen ist dieses Bescheidwissen.
[In Bochum kenne ich, um das klar zu stellen, kenne und schätze ich Linke, die ganz erheblich anders sind und in derselben seltsamen Partei.]
@13,
sie sind ein interessanter Gesprächspartner, und es reitzt mich das Thema „Erfindungen der Natur“ noch einmal zu erläutern. Aber ich habe mir vorgenommen, nicht mehr auf die Anrede @.., zu antworten. Es sei denn,
da käme etwas wirklich außergewohnliches.
@ Helmut Junge #14 | Da haben Sie recht, Entschuldigung. Wozu sind Klarnamen auch da, bitte erfinden Sie weiter. [Zumal es die Tage der Froh-„Naturen“ sind.]
@Thomas Wessel 15,
jetzt, wo die Diskussion weiter geht, habe ich das Problem, zu ermitteln, was von der Natur kommt, und was der Mensch selber macht. Da ich vermute, dass sie kein Kreationsist sind, denke ich, dass die Wirksamkeit der Evolution zwischen uns beiden unstrittig sein dürfte.
Nun habe ich aber behauptet, dass die Natur das Gewissen erfunden habe.
Wegen dieses Satzes komme ich aber nun in einen Erklärungsnotstand, weil wir vielleicht gar nicht einer Meinung sind, um was es sich handelt, wenn wir vom Gewissen sprechen.
Ich muss davon ausgehen, dass wir möglicherweise unterschiedliche Definitionen vom Begriff Gewissen haben. Deshalb kann ich eigentlich nur meine persönliche Definition zu Grunde legen, wenn ich vom Gewissen rede.
Sprachlich wird es jetzt allerdings etwas holprig, weil ich bisher noch nicht länger über dieses Problem habe nachdenken müssen.
Aber ich versuche es einmal.
Es gibt Spezies, dazu gehört der Mensch, bei denen Individuen ein Schuldgefühl bekommen, wenn sie, ihnen anerzogene, gesellschaftliche Normen verletzen.
Diese gesellschaftlichen Normen sind aber wandelbar, können sich also geographisch und auch zeitlich verändern.
Da diese gesellschaftlichen Normen vom Menschen gemacht wurden, Erziehung und Prägung auf diese gerade gültigen Normen entsprechend auch, bleibt nur die Frage, warum ein Schuldgefühl entsteht.
Auf der Basis dieses Schuldgefühls ist ja Erziehung aufgebaut.
Wenn wir dieses Schuldgefühl mit dem Namen „Gewissen“ bezeichnen, dann wäre das die Definition, die ich verwende.
Und dazu sage ich, dass es die Natur war, die das erfunden hat.
Und meine Beobachtung ist, dass es einigen Menschen gelingt, diese natürlichen Vorgaben zu ignorieren. Ob sie diese natürliche Veranlagung gar nicht erst haben, oder ob ihnen eine, für sie besonders wichtige Idee dabei hilft, dieses Gewissen zu ignorieren, wäre im Einzelfall zu untersuchen.
@ Helmut Junge | Verspätete Antwort, das hat verschiedene Gründe, aber auch damit zu tun, dass ich sie nicht aus dem Ärmel schütteln kann. Unstrittig ist, dass Gewissen nicht vom Himmel fällt, dass es von keiner höheren Macht zugeteilt wird oder vorenthalten oder in Portionen rationiert, sondern dass es sich bildet. Dieses Bilden ist, Sigmund Freud usw., ein Gebildetwerden, also ein gesellschaftlicher Prozess, und es ist ein Sichbilden, ein reflexiver Prozess. Es entsteht ein „Schuldgefühl“ [wie gut, dass Sie es sind, der den Begriff hier einführt], Juristen würden vom Unrechtsbewusstsein sprechen, Paulus wohl eher von der „Sünde“ und Luther davon, dass Menschen im Zustand des Gewissens immer beides sind, schuldlos und schuldig, „gerecht und sündig zugleich“.
Vor wenigen Jahren gab es nun aber einige Hirnforscher, die behaupteten, der Mensch habe keinen freien Willen. Zwar spiele sich im Hirn das ein, was man gewöhnlich Gewissen nenne: ein neuronales Programm, an dem diverse Hirnregionen beteiligt seien. Aber was allem Gewissen vorausgesetzt ist – die reflexive Fähigkeit, die es erlaubt, es zu entwickeln – just das gäbe es nicht. Stattdessen seien da wiederum neuronale Prozesse, die gingen jeder Willensbildung voraus und derart raffiniert vor, dass man zwar nichts entschieden habe, wohl aber das Gefühl, man hätte es. Woraus die Forscher schlossen, man müsse das Strafrecht ändern.
Man könnte auch das Urheberrecht ändern [sie kassieren Tantiemen für Bücher, in denen steht, dass ES sie geschrieben habe]. Man könnte ebenso gut daraus schließen, es sei dieses ES, was manche davon abhält, ihre Gewissensbildung zu reflektieren. Dann nämlich, wenn sich ein neuronales Programm eingespielt hat – Unterdrückung ist böse, die Unterdrückten sind es nicht, solche Muster – und das immer dann anspringt, wenn ein Reiz es auslöst. Einmal richtig, immer richtig.
Aber natürlich ist nicht richtig, was diese Neuro-Forscher erzählen. Ich habe mich nur gefragt, was die Naturbasis sein könnte, von der Sie sagten, sie „erfinde“ das Gewissen, sei ihm also vorausgesetzt. Oder welche „wichtige Idee“ es sei, die dabei helfen könne, das eigene Gewissen zu ignorieren. Die Idee, es gäbe ein Programm aus Neuronen, das einem vorgaukelt, man folge seinem freien Willen, erinnert – ja, ans Politbüro, das nun doch – an die Idee, es gäbe historische Gesetze, die Geschichte machten „mit Naturnotwendigkeit“.
„Um es kurz zu machen: Ich sehe keine Möglichkeit, konkrete Konfliktbeurteilungen mit abstrakten Vorentscheidungen auf irgendeine rational akzeptable Weise verträglich zu gestalten.“ Wort des Vorsitzenden von Dierkes Partei, nämlich aus Gysis Rede zu „60 Jahre Israel“ [steht z.B. hier: https://www.hagalil.com/archiv/2008/04/gysi.htm%5D