Blick nach innen und in die Welt


Mutet es in der gegenwärtigen Situation nicht an wie ein Appell an uns, was Novalis vor nicht weniger als 222 Jahren formulierte? „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es“, notiert der Dichter in „Fragmente und Studien“. Als gelehrige Schülerin werfe ich einen Stein ins Wasser und überlasse mich der Bewegung der Wellen . . .

Augenblicklich schießt mir „CDF“ durch den Kopf, als ich in Virginia Woolfs Roman „Die Wellen“ auf diesen Satz stoße:  „Leben  ist ein leuchtender Schein, eine schwach durchlässige Hülle, die uns umgibt vom Augenblick des Bewusstwerdens bis zum Ende“. Caspar David Friedrich und seine „Licht-Bilder“! Der berühmteste deutsche Maler des 18. Jahrhunderts pinselte 1824 sein „Felsenriff am Meeresstrand“, auf dessen Kräuselwellen dieser Tage das Licht  der algerischen Wüste tanzt, das von Heinz Macks Silberfahne (1976) reflektiert wird, seit die beiden Künstler ins Düsseldorfer Museum Kunstpalast eingezogen sind. Das Kontinuum einer romantisierten Welt scheint auf, die Novalis so beschreibt: „Verstand und Phantasie werden durch Zeit und Raum auf das sonderbarste vereinigt, und man kann sagen, dass jeder Gedanke, jede Erscheinung unsers Gemüts das individuellste Glied eines durchaus eigentümlichen Ganzen ist.“. Der im Klassizismus  ankernde Friedrich und der Zero-Mitbegründer Mack als Brüder im Geist.

Insgesamt bietet die wiedereröffnete Ausstellung 120 Werke, darunter 30 Gemälde und 20 Zeichnungen von CDF und seinen rund zwanzig Jahre jüngeren Dresdener Kollegen Carl Gustav Carus  und Ernst Ferdinand Oehme sowie Ludwig Richters, der 1803 geboren, schon ein Kind des 19. Jahrhunderts ist.

In der Zusammenschau offenbart die dialogisch präsentierte Ausstellung einen schrittweisen Geschmackswandel von den vielfach noch klassischen Idealen verbundenen Werken der Sachsen und denen der Düsseldorfer Romantiker Carl Friedrich Lessing, Johann Wilhelm Schirmer sowie Andreas und Oswald Achenbach, deren dramatisch aufgeladene Sujets auch in Farbwahl und Malweise oftmals auf Effekte zu zielen scheinen.

Dagegen stehen die tiefe Innerlichkeit der Friedrichschen Malerei und seiner bis zur Auflösung zarten Naturzeichnungen. Wehmut über die Vergänglichkeit des Menschen im immerwährenden Kreislauf von Werden und Vergehen und der Schönheit Trost im Geiste edler Einfalt und stiller Größe. Der Künstler installiert die Rückenfigur als seinen und des Betrachtenden Stellvertreter im Bildmotiv, als Wesen, das seine Innenwelt aus Gefühlen und Gedanken in den  Naturraum projiziert und dessen Spiegelungen als unendliche Licht-Landschaften in sich aufnimmt Die Erhabenheit der heimatlichen Landschaften sucht CDF in hingebungsvoller Arbeit zu erfassen und bestmöglich wiederzugeben, und sieht sich dabei ganz im Dienst höherer Mächte. Das Dargestellte ist ihm sinnbildliches Vehikel: Steht die „Frau am Fenster“ für eine unbestimmte, unermessliche Sehnsucht, so bilden Schiffe, die ins Abendrot segeln, den symbolischen Kommentar zu einer Gruppe von Menschen unterschiedlichen Alters in seinem Gemälde „Lebensstufen“.

CDF integriert die protestantische Kritik an der Sinnlichkeit des Bildes, indem er zum Nachdenken über Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen des Bildes an sich anregt.

Die zahlreichen kleinen CDF-Formate  der Ausstellung bezeugen des Künstlers Demut und offenbaren eine Haltung, die wenig gemein hat mit dem Zeitgeist, in dem die Düsseldorfer Romantiker ihre  Gemälde immer raumgreifender malen. Stille dort, hier laute Stimmen. CDFs gelassener, lichtvoller, unendlicher Schöpfung stehen bis in Farbgebung und Malweise wirkende Dramen ­einer als unberechenbar empfundenen Welt gegenüber. Seien es unheimlich beleuchtete Wolkenhaufen und bedrohlich hohe Schneegipfel samt reißendem Wildbach und Mondsichel bei J. W. Schirmer oder die dunklen Männergestalten, die in einem Nachen in die Abenddämmerung rudern bei K.F. Schinkel. Auf E. F. Oehmes „Bergkapelle im Winter“ erreichen Wanderer im letzten Abendlicht das Gotteshaus auf dem Gipfel und C.F. Lessing inszeniert  im Hell-Dunkel-Kontrast „Die Belagerung“ als eine Schar schutzsuchender Dorfbewohner, die sich auf einem Kirchhof versammeln.

Kontroversen bestimmten die Beziehung zwischen CDF und seinen rheinischen Malerkollegen, in deren zunehmender Popularität sein eigener Stern allmählich sank. Im letzten Lebensdrittel musste er erleben, dass seine Themen und sein Malstil immer weniger Liebhaber fanden, und so ließ der Einzelgänger sich seit 1826 auf gemeinsame Ausstellungen mit Wilhelm Schadow und anderen Düsseldorfer Künstlerkollegen ein.

Der Kulturphilosoph Egon Friedell begreift die Frühromantik als „die letzte, überreife und schon etwas wurmstichige Frucht der Aufklärung“, als „anders gefärbte Varietät des antikischen Zeitgefühls“, und bezeichnet die Spätromantik als eigentliche Romantik, deren Vertreter „auf die erzwungene Lebensverarmung“ durch Technisierung und Industrialisierung der Welt reagierten. Als ihr Herzstück macht er das Irrationale aus. Wo CDF dem Leben als ruhiger genauer Beobachter gegenübersteht,  zeigen sich die Bilder der Düsseldorfer Romantiker geradezu aufgeladen von der Unberechenbarkeit menschlicher Existenz.  Alles Geistige wandele sich ins Geisterhafte, so Walter Benjamin bezogen auf Jean Paul, und zeigt, dass der schöne Schein unheilvolle Täuschung wird, die Spiegelfigur zur „Gerätschaft des Verhängnisses“.

Bild oben: Caspar David Friedrich, „Frau vor der auf- oder untergehenden Sonne“ (um 1818)

Bild unten: Andreas Achenbach, Ein Seesturm an der norwegischen Küste (1837)

(Öffnungszeiten: Di. bis So., 10 bis 19 Uhr; Do., 10 bis 21 Uhr)

www.kunstpalast.de

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