Bochum bietet einen Ausblick auf die Zukunft vieler Innenstädte – im Guten wie im Schlechten

Woolworth, Hauptstraße Berlin Foto (Ausschnitt): IgorCalzone1 Lizenz: CC BY-SA 4.0


In Bochums neuem Innenstadt-Einkaufscenter Husemann-Karree wird Woolworth der Ankermieter sein. In der Stadt hält sich die Begeisterung über den Discounter in Grenzen.

Von den vier Großstädten im Zentrum des Ruhrgebiets ist Bochum die kleinste. Eingequetscht zwischen den Einzelhandelszentren Dortmund und Essen hat seine Innenstadt seit vielen Jahren zu kämpfen. Zahlreiche Entwicklungen unter denen andere Städte erst später zu leiden hatten, setzten hier früher ein: In der Mitte Bochums gibt es seit Jahrzehnten kein klassisches Kaufhaus mehr. Die haben sich in den 60er Jahren gebauten Ruhrpark, einem der größten Einkaufszentren auf der grünen Wiese in Deutschland, zurückgezogen. Das Modehaus Baltz, geführt und immer weiterentwickelt von der in Bochum ansässigen Betreiberfamilie, ist der einzig größere Qualitätshändler, der geblieben ist. Unternehmen wie Goertz oder Sinn haben die Innenstadt schon lange verlassen. Das Bild der Fußgängerzone bestimmen seit Jahren die Billigheimer.

Schon vor weit über zehn Jahren kam die Idee auf, diese Entwicklung mit einem neuen innerstädtischen Einkaufszentrum zu stoppen. Mit 25.000 Quadratmeter Verkaufsfläche sollte es vor allem Modemarken in die Bochumer Innenstadt locken und so helfen, die Kaufkraft in der Stadt zu halten. Deutschlands größter Einkaufszentrenbauer, das zur Otto-Gruppe gehörende Immobilienunternehmen ECE, präsentierte sich damals als Retter der bedrängten Bochumer Innenstadt. Doch 2014 verlor ECE das Interesse an dem Projekt. Die Zeit der großen Zentren in den Innenstädten war vorbei. ECE zog sich nicht nur aus Bochum zurück, sondern auch aus anderen Städten. Projekte in Velbert und Minden hatte das Unternehmen da schon aufgegeben. Ein Warnsignal, das bei den Planern und der Politik in Bochum nicht ankam. Man suchte und fand mit der Hanseatische Betreuungs- und Beteiligungsgesellschaft (HBB) einen neuen Investor und nach langer Planungs- und einer durch Verzögerungen geprägten Bauzeit soll nun in wenigen Wochen das Husemann-Karree auf der Fläche des ehemaligen Landgerichts am Husemann-Platz eröffnen. Nachdem der eigentlich vorgesehene Ankermieter, der Sportartikelhändler Decathlon, abgesprungen war, präsentierte nun HBB den Discounter Woolworth als Hauptmieter. Die Enttäuschung in der Politik ist groß. Die Ansiedlung von Woolworth in dem einstigen RenommeeProjekt wird fast als Demütigung empfunden. Von dem ursprünglichen Ziel, die Innenstadt durch neue, hippe Modegeschäfte aufzuwerten, ist nicht viel übriggeblieben. Das Woolworth mit seinen Filialen auch an Top-Standorten wie der Zeil in Frankfurt, der Breite Straße in Köln und der Leopoldstraße in München-Schwabing präsent ist, wirkt da wenig tröstlich. Denn in Frankfurt, Köln und München ist Woolworth ein günstiger Anbieter und vielen hochklassigen Einzelhändlern. In Bochum prägt das Unternehmen künftig das Bild der Innenstadt entscheidend mit.

Die Woolworth-Ansiedlung ist dabei nicht mehr als der Wecker, der die Bochumer Planer und Politiker aus ihren Träumen holt. Als Einzelhandelsstandort hat die Innenstadt gegen Dortmund, Essen und den Ruhrpark keine Chance. Sie ist, wie viele andere, zu groß und müsste zurückgebaut werden. Das Wachstum der innerstädtischen Verkaufsflächen, ein Phänomen der Boom-Jahrzehnte nach dem zweiten Weltkrieg, ist vorbei. Seit dem Beginn der Planungen für das heutige Husemann-Karree hat sich die Welt verändert: Amazon steigerte allein in Deutschland seinen Umsatz von 5,2 Milliarden Euro im Jahr 2011 auf 31,9 Milliarden Euro im Jahr 2022. Der Online-Modehändler Zalando machte 2011 einen Umsatz von 500 Millionen Euro. 2021 waren es schon mehr als zehn Milliarden Euro. Das Geld fehlt in den Innenstädten. Die klassischen Händler können mit der Vielfalt des Angebots ihrer Online-Konkurrenten nicht mithalten.

Woolworth behauptet sich auf dem Markt vor allem mit günstigen Eigenmarken und schaffte in den vergangenen Jahren nach mehreren Insolvenzen ein beeindruckendes Wachstum: Die Zahl der Filialen stieg seit 2010 von 158 auf über 600. Jenseits der Top-Innenstädte sind Händler wie Woolworth künftig das Rückgrat des Einzelhandels. Planer und Politiker tun gut daran, das zu akzeptieren. Die Fußgängerzonen werden schrumpfen, das Wohnen wird auch in den Zentren wieder an Bedeutung gewinnen und mehr Gastronomie kann auch nicht schaden. Hier ist Bochum mit dem Kneipenquartier Bermudadreieck allerdings schon sehr gut aufgestellt. Bochum bietet einen Ausblick auf die Zukunft vieler Innenstädte – im Guten wie im Schlechten.

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