Wie plant man eigentlich Stadtgestaltung? In den meisten Fällen auf Grundlage einer systematischen Fehlkalkulation. Die Kosten für die Projekte werden absichtlich zu niedrig angesetzt. Von unserem Gastautor Hanno Jentzsch.
Dass öffentliche Bauvorhaben in der Regel teurer werden als angekündigt, ist weniger mangelnden Rechenkünsten geschuldet, als der Tatsache, dass die Anreize für alle Beteiligten groß sind, die Kosten öffentlich niedrig darzustellen. Ein aktuelles Beispiel gibt es in Bochum: Dort werden bis zum Jahr 2013 elf Millionen Euro in das Projekt Stadtteilumbau West gesteckt. Jetzt hat die Stadtverwaltung mitgeteilt: Zehn Einzelprojekte werden deutlich teurer als ursprünglich geplant. Die Projekte kosten teilweise mehr als sieben Mal so viel wie ursprünglich angegeben. Für diverse Vorhaben bedeutet dies das Aus, denn weder das Gesamtbudget noch der Zeitrahmen dürfen überschritten werden.
Kostensteigerungen um 700 Prozent – das klingt drastisch. Aber: Sowohl die Stadtverwaltung als auch das zuständige Planungsbüro nehmen die Kostenexplosion gelassen hin. Diese Entwicklung sei „nicht absolut gewöhnlich, aber auch nicht spektakulär,“ sagt Jens Hendrix vom Bochumer Stadtplanungsamt auf Nachfrage zu den Entwicklungen im Stadtumbau. West. Auch wenn alle Ansätze nicht eingehalten werden können? Auch dann. Kostenverschiebungen seien bei einem solchen Projekt „völlig normal“ Das verwundert nur auf den ersten Blick. Für Professor Dr. Lars Holtkamp, Verwaltungswissenschaftler aus Hagen, ist das nichts Neues.
„Bei Stadtumbauprojekten wird systematisch zu niedrig kalkuliert. Überrascht ist davon keiner der Beteiligten. Alle haben kräftige Anreize, die Kosten geringer darzustellen, als sie eigentlich sind.“ Die Kommune braucht die Fördergelder. „Dafür bedarf es einer gewissen Antragsprosa“, so Holtkamp. Bürgerbeteiligung, Stadtteiltreff, den Strukturwandel sozial gestalten, so oder so ähnlich klingen die Schlüsselwörter für einen förderungswürdigen Antrag. Die Planungsbüros machen da gerne mit: Sie werden schließlich dafür bezahlt. Wenn am Ende nicht das umgesetzt wird, was sie geplant haben, hat das keinerlei Konsequenzen. Jens Hendrix kommentiert die Rolle des Planungsbüros Pesch und Partner vielsagend so: „Das würde keiner anders machen.“ Stimmt wohl. Dass die „Erfahrungswerte“, mit denen bei Pesch und Partner kalkuliert wird, nicht wasserfest sind, ist allerdings kein Geheimnis. „Bauunternehmen bieten generell Preise an, die nicht zu realisieren sind, um öffentliche Aufträge an Land ziehen zu können“, so Lars Holtkamp.
Die Fördergeber – zum Beispiel das Land NRW – müssen ihre Mittelvergabe politisch rechtfertigen. Auch das funktioniert mit Wortklingelei, am besten in Kombination mit großen Plänen für wenig Geld. An dieser Stelle gibt es also ebenfalls den Anreiz für systematische Fehlkalkulation. „Heraus kommen dabei Konzepte, bei denen von vorne herein klar ist, dass sie nicht für die Mittel zu haben sind, die zur Verfügung stehen. Diese Antragspraxis hat sich informell fest eingeschliffen. Für Sanktionen gibt es keine Rechtsgrundlage“, so Holtkamp. Egal wie fehlerhaft die Planungen sind, sie bleiben für die Beteiligten folgenlos.
Unter diesen Verhältnissen leidet nicht nur die Qualität der Projekte, sondern auch die kommunale Demokratie. Denn die Entscheidung darüber, welche Teile des Entwicklungskonzepts angesichts der Kostensteigerungen letztlich umsetzbar sind, trifft die Stadtverwaltung, nicht die Kommunalpolitik. Die Entscheidungsgewalt der Verwaltung werde somit gerade in Kommunen mit schiefer Finanzlage informell aufgewertet, so Verwaltungswissenschaftler Lars Holtkamp.
Tatsächlich haben die gewählten Kommunalvertretungen in Bochum im derzeitigen Stand des Projektes kaum noch einen Einfluss darauf, welche Projekte angesichts der großen Fehlkalkulationen nun realisiert werden und welche nicht. Denn die Verwaltung teilt lediglich mit. Zum Beispiel dies: „Generationenpark – Es waren nur 41.000 EUR kalkuliert. Verausgabt wurden jedoch 300.000 EUR.“ Ups! Da habe man sich wohl etwas unklar ausgedrückt, so Jens Hendrix. Ursprünglich sei nur eine Grünfläche geplant gewesen. Jetzt gibt es aber – angeblich auf Bürgerwunsch – den „Generationenpark“, eine Art Rentnerparkour mit Trimm-Dich-Geräten, Bänken und Boule-Bahn. „Ein ganz anderes inhaltliches Konzept.“ Daher die Mehrkosten von mehr als 700 Prozent, die Aufregung über den teuren Park sei „relativ“, so Hendrix, auf dessen Büroschild übrigens tatsächlich J. Hendrix steht. Man müsse nun „nachbessern“, um die Gründe für die Kostensteigerung plausibler darzustellen.
Für die Sanierung des gesamten Springerplatzes, an dem der „Generationenpark“ liegt, waren im Entwicklungskonzept 600.000 Euro vorgesehen. Kosten wird er nun eine ganze Million Euro mehr. „Unerwartete Probleme bei der Umsetzung“, so Hendrix. An der Baarestraße sollten für 86.000 Euro Grünflächen aufgewertet werden. Vorher mussten diese Flächen erst von der Deutschen Annington, einer großen Wohnungsgesellschaft, erworben werden. Das stand jedoch nicht im Konzept. „Außerdem mussten auch die umliegenden Straßen übernommen werden“, heißt es in der Mitteilung der Verwaltung. Aus 86.000 Euro wurden 565.000 Euro.
Die Liste ist noch lang. Sie endet mit einem ernüchternden Fazit: „Insgesamt bleibt festzuhalten, dass sämtliche im Entwicklungskonzept vorgesehenen Ansätze, die vor fünf Jahren ermittelt wurden, bei ihrer Umsetzung nicht eingehalten werden können.“ Nun hat die Stadtverwaltung das „Entwicklungskonzept auf die wichtigsten und machbaren Maßnahmen zusammengestrichen.“ Eine Feststellung, die Professor Holtkamps Kritik zu belegen scheint.
„Das kann ich Ihnen leider nicht erklären“ Pesch und Partner
Erstellt hat das Entwicklungskonzept im Jahr 2006 das Architekturbüro Pesch und Partner aus Herdecke, in Zusammenarbeit mit dem Bochumer Institut InWis. „Beide sind sehr erfahren in Stadtumbauprojekten“, sagt Hendrix. Dann kann mir Andreas Bachmann von Pesch und Partner ja sicher erklären, wie es zu den Fehlkalkulationen kommen konnte. „Das kann ich Ihnen leider nicht erklären,“ sagt Bachmann aber. Versichern könne er jedoch, dass bei Pesch und Partner „keine Null verrutscht“ sei.
Geplant werde für öffentliche Projekte mit Erfahrungswerten: Wie viel hat ein Quadratmeter sanierter Platz hier gekostet, wieviel dort, wie entwickeln sich die Materialpreise. „Heraus kommt eine Kostenschätzung, die in den meisten Fällen wirklich realistisch ist“, so Bachmann.
Und warum dann trotzdem diese enormen Mehrkosten beim Bochumer Projekt? „Mit der Umsetzung haben wir nichts zu tun“ so Bachmann. Na, ein Glück. Es sei aber durchaus so, dass vergleichbare Konzepte von Pesch und Partner in anderen Städten so umgesetzt werden können, wie das Architekturbüro es vorher kalkuliert hat. „Wenn man jedoch inhaltliche Veränderungen am Konzept vornimmt, wie das in Bochum beim Generationenpark geschehen ist, dann kann die Kalkulation nicht mehr stimmen,“ so Bachmann. „Wir hätten es unbedingt begrüßt, wenn unser Konzept so umgesetzt worden wäre, wie wir es geplant haben.“ Eine Schuldzuweisung in Richtung Stadtverwaltung sei dies aber ausdrücklich nicht, denn: „Jedes Projekt hat so seine Tücken.“ Stadt und Planungsbüro sind sich also einig: Die Kostensteigerungen seien lediglich das Ergebnis ungünstiger Verquickungen, die im Einzelfall nicht vorhersehbar gewesen seien.
„Wenn die Politik einen Beschluss will, schreiben wir ihr eben einen Beschluss.“ Jens Hendrix
Unglücklicher Einzelfall oder konzeptuelles Luftschloss? Fest steht jedenfalls: Ist die Fehlplanung einmal genehmigt, muss nachgebessert werden. So wie in Bochum: „Bei der Streichung oder Kürzung einer Maßnahme wurden sehr hohe Maßstäbe angesetzt“, so die Verwaltung. Machbarkeit und Kosten seien hinterfragt worden. Ändern könne man das nicht mehr: „Die Verschiebungen und Kürzungen im Entwicklungskonzept sind bereits mit der Bezirksregierung und dem Ministerium abgesprochen worden“, heißt es in der Mitteilung. Vollendete Tatsachen, also.
Mit den kommunalen gewählten Gremien gab es keine Absprache. Entsprechend sauer und aufgebracht zeigen sich einige der lokalen MandatsträgerInnen: Die rot-grüne Mehrheit der Bezirksvertretung Mitte hat die Mitteilung der Verwaltung postwendend zurückgewiesen und fordert jetzt, über eine revidierte Vorlage auch selbst abstimmen zu können. „An der Tatsache, dass die Kalkulationen falsch waren und einige Projekte wegfallen werden, wird auch das allerdings wenig ändern“, räumt ein Mitglied der Bezirksvertretung ein. Das weiß auch Jens Hendrix: „Wenn die Politik einen Beschluss will, schreiben wir ihr eben einen Beschluss.“ Die systematische Fehlkalkulation von Förderprojekten wird so zum demokratietheoretischen Problem. „Letztlich entscheidet die Stadtverwaltung, was beim Stadtumbau tatsächlich herauskommt“, so Professor Holtkamp. Das gilt gerade in klammen Kommunen wie Bochum: „Die vertikale Verflechtung mit Organen wie der Haushaltsaufsicht wertet die Verwaltung als Entscheidungsgewalt auf.“ Der Umsetzungsprozess des Stadtumbaus bleibt im Dunkeln. Denn was wirklich zu den Kostensteigerungen und den daraus resultierenden Konzeptänderungen geführt hat, ist für die Öffentlichkeit nicht mehr nachzuvollziehen.
Ich verstehe das mit den ‚Mehrkosten‘ nicht ganz. Man setzt doch einfach die ungefaehren tatsaechlichen Kosten viel zu niedrig an. Kostet etwas 100.000 Euro sagt man im Antrag 40.000 Euro und wundert sich am Ende ueber 110.000. Aus Angst, am Ende gar nichts zu bekommen wird einfach zu niedrig angesetzt-oft wider besseren Wissens. Es kommt ja bei der Vergabe nur auf den Preis an, weil wir das ja schon immer so gemacht haben seit dem preussischen Kommunalgesetz von 1894 oder so.
Man sollte hierbei vielleicht noch erwähnen, dass das Konzept der Öffentlichen Ausschreibung so vollkommen ad absurdum geführt wird. Bei Planungsänderungen ist die Baufirma wohl fein raus, weil dann die Schuld für höhere Kosten immer beim Bauherren liegen. Weiss sie im Voraus, dass die Planung unrealistisch oder unvollständig ist, dann kann sie gefahrlos mit Phantasiepreisen die Konkurrenz unterbieten. Es ist also zu erwarten, dass Mehrkosten nicht nur dadurch entstehen, dass mehr als ursprünglich geplant gebaut wird, was ja noch teilweise in Ordnung wäre, sondern, dass auch überteuert gebaut wird, weil kein ordentliches Ausschreibungsverfahren stattgefunden hat.
@teekay: du musst ein Bauprojekt aber auch politisch rechtfertigen. In Hamburg sollte die Elbphilharmonie ursprünglich die Stadt 70 Mio. kosten. Inzwischen kostet sie die Stadt ein Vielfaches davon. Zu dem Preis hätte sie aber kein Hamburger haben wollen und sie wäre dann auch wohl nicht gebaut worden. Aber nachdem man damit begonnen hatte, gab es kein zurück mehr, vor allem, nachdem noch ein kompletter Konzertsaal dazu kam, war klar, dass die Schuld hier sehr eindeutig bei der Stadt liegt und das so wohl auch beabsichtigt war. Andere in der Stadt müssen das nun ausbaden, Einrichtungen, die wegen ein paar zehntausend Euro nun ganz aufgeben oder sehr viel weniger machen können.
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[…] Das würde heute zum Beispiel für eine Tageszeitung im Ruhrgebiet schlecht ausgehen, die sich von uns hat “inspieren” lassen und noch nicht einmal die Quelle genannt hat, aber an so etwas […]