Die Süddeutsche Zeitung hat über das Konzerthaus Bochum einen euphorischen Artikel geschrieben und dabei ein paar Fakten übersehen.
Sicher, das ist alles schwierig. Da lebst Du in Bayern in einer besseren Kreisstadt auf dem Land und dann kommst Du aus München ins Ruhrgebiet: Fünf Millionen Menschen, Dutzende von Stadtteilen, die so tun, als ob sie Städte wären, Autobahnen, Lärm – das verwirrt. Johan Schloemann, einen Redakteur der Süddeutschen Zeitung, hat das so verwirrt, dass er in seinem Artikel über das Konzerthaus, das zur Zeit Musikzentrum heißt, ein paar Fakten übersehen hat. Dummerweise genau die, die nicht in sein Loblied über das Konzerthaus passten:
Dabei fängt der Artikel halbwegs stimmig, wenn auch nicht gerade originell an:
Ein Alltagsmorgen, Nieselregen, in der Innenstadt vonBochum im Ruhrgebiet. Der VfL ist schon länger in der zweiten Liga, und das Opel-Werk macht zu. Sieht alles erst mal ziemlich trostlos aus.
Das Opel-Werk hat schon zu gemacht, aber für sein sonniges Wetter ist Bochum tatsächlich nicht bekannt. Und der VfL spielt in der 2. Liga? Wieder was gelernt, ich dachte schon, er wäre in Liga drei.
Dann aber geht es los. Schloemann berichtet über das Konzerthaus:
Die Bochumer Symphoniker bekommen tatsächlich endlich einen Konzertsaal. Nach hundert Jahren Heimatlosigkeit.
Erst seit den 60er Jahren gibt es die Bochumer Symphoniker. Vorher waren es das Orchester des Schauspielhauses. Das war dann auch ihr Arbeitsplatz – oder wie der Bayer sagt ihre „Heimat“.
Und: Nicht nur, dass dieses Großprojekt, wenn alles weiter nach Plan geht, zum Ende dieses Jahres fertig sein wird, also nach zwei Jahren.
Schade nur, dass es erst 2016 eröffnet wird. Aber offenbar lieben die Bochumer die Vorfreude mehr als die Musik. Ist ja wie mit dem Arbeitsplätzen: Von ihnen zu träumen, ist schöner als um sechs Uhr aufzustehen.
Ebenso erstaunlich ist, dass von dieser Summe 14,6 Millionen Euro von privaten Spendern bezahlt werden.
Ja, und noch erstaunlicher ist, dass zwei Millionen von privaten Spendern kamen, die gar keine waren: Von der Sparkasse Bochum und den Stadtwerke Bochum. Weiterer Sponsor ist die die Müllabfuhr, die hier lyrisch USB heißt.
Das ist ein gewaltiges Bürgerengagement in einer Stadt, in der es keine Millionärsdichte wie in München oder Wiesbaden gibt, keinen Riesenkonzern, kein Dax-Unternehmen, nur Mittelstand.
Das beliebteste mittelständische Unternehmen in Bochum heißt ARAL – da sitzt Mutter Aral Abends im Keller und raffiniert das Benzin noch selbst. Sohn Willi bringt es dann am nächsten Morgen in Flaschen zu den Kunden. Und bei Annington verwalten sie liebevoll und in Handarbeit den größten Immobilienbestand Deutschland.
Als das Vorhaben einmal politisch durchgesetzt war, auch bei der SPD-Mehrheit im Stadtrat – was alles andere als einfach war -, fingen alle an, es zu ihrer Sache zu machen.
Bochum hat seit den 90er Jahren keine SPD Mehrheit mehr.
In München sagen jetzt einige: Aber wir sind doch nicht in Bochum! Das ist wohl wahr.
Nicht alle Fakten in dem Artikel sind falsch. München ist in der Tat nicht Bochum. Gut erkannt!
Wann hat eine bundesweite Zeitung in den letzten 10 Jahren so über Bochum getitelt, Stefan?
http://www.sueddeutsche.de/kultur/konzertsaalstreit-was-bochum-besser-macht-als-muenchen-1.2353583
Sehr geehrter Herr Laurin, vielen Dank für Ihre Resonanz. Es ist sicher richtig, dass einige Details für ein überregionales Publikum in so einem Artikel nur verkürzt dargestellt werden können. Deswegen hier kurz zu den Punkten, die Sie monieren:
1. Das Städtische Orchester hat eine schrittweise Entwicklung genommen, war aber auch in den ersten Jahrzehnten keineswegs nur „das Orchester des Schauspielhauses“. Mit dem Aufschwung in der Sechzigern erfolgte eine Erweiterung und die offizielle Umbenennung in „Bochumer Symphoniker“. Schon lange zuvor war der Wunsch nach einer eigenen Spielstätte laut geworden.
2. Den Zeitraum von der Baugrube Anfang 2014 bis (wenn es gut geht, wie ich schreibe) Anfang 2016, das müsste man grob als Zeitraum von zwei Jahren gelten lassen.
3. Sie haben recht, in den 14,6 Millionen Spenden sind Sparkasse und Stadtwerke mit drin. Das sind natürlich letztlich auch öffentliche Gelder, aber da beide sich als eigenständige Unternehmen begreifen, ist meine Angabe nicht wirklich anstößig; aber bei einer detaillierteren Darstellung müsste man das sicher erwähnen.
4. Das mit den von Ihnen genannten größeren Unternehmen in Bochum ist geschenkt; gemeint ist natürlich, dass diese Stadt bei den Spenden für das Musikzentrum keine Kultursponsoring-Riesen wie E.on, Evonik usw. im Rücken hat, und dass tatsächlich ein Großteil des Geldes durch mittelständische Spenden zusammenkam.
5. „SPD-Mehrheit“ im Stadtrat: Natürlich hieße es ausführlicher ganz korrekt: „bei der SPD, der größten Fraktion im Stadtrat, die mit den Grünen eine Koalition bildet“.
6. Zu Ihren einleitenden Bemerkungen: Ich bin in Bochum geboren und dort aufgewachsen und, ja, auch oft dort ins Konzert gegangen.
7. Womit ich beim abschließenden Punkt wäre: Haben Sie, ganz abgesehen von Ihrer Beschäftigung mit den vermeintlich falschen Fakten, eigentlich auch grundsätzlich etwas gegen diesen Kulturbau? Oder lockt mich der schnippische Ton Ihres Beitrags da auf die falsche Fährte?
Mit herzlichen Grüßen eines Zugezogenen aus der der bayerischen Provinz,
Johan Schloemann (Süddeutsche Zeitung, Feuilleton)
@Johan Schloemann: Sparkasse und Stadtwerke handelten auf politisches Geheiß hin – auch beim VfL mussten die Stadtwerke ran, ohne es zu wollen. Wie sich die Unternehmen sehen ist egal, es kommt auf die Besitzverhältnisse an. Ich glaube, dass es in einem Ballungsgebiet wie dem Ruhrgebiet, dessen Städte jetzt schon klamm sind und die allein durch die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Stadtwerke und der damit verbundenen Risiken wahrscheinlich in Haushaltsnotlagen geraten werden, Sinn macht, auch die Kulturpolitik miteinander abzustimmen. Hier wurden in den vergangenen 15 Jahren in Dortmund, Essen und Duisburg neue Konzerthäuser gebaut. Die Städte haben in „Hardware“ investiert, haben aber immer größere Probleme, die Gebäude sinnvoll zu bespielen. Es muss hier nicht jede Stadt alles haben. Wer ein Konzert sehen will, kann auch mal 15 Minuten mit dem Auto oder 20 mit dem Zug fahren. Anders ist das bei Angeboten für alle, die nicht so mobil sind: Hochwertiges Kinder- und Jugendtheater wünsche ich mir in mehr Städten als wir es heute haben. Ich halten im Gegensatz zu vielen Kritikern das Konzerthaus allerdings auch nicht für eine Katastrophe und würde nie von einer „Fidelbude“ reden, wie das viele von denen getan haben. Als Katastrophe wird sich der kreditfinanzierte Kauf der Steag erweisen, nicht das Konzerthaus. Aber leisten kann sich Bochum das trotzdem nicht. Leider, aber im Gegensatz zu München ist das nun einmal so.
Und dann ist da noch die Sache mit der Übernahme der Jahrhunderthalle:
http://www.derwesten.de/staedte/bochum/bochumer-jahrhunderthalle-als-teure-mitgift-id4110548.html
Sehr geehrter Herr Laurin,
Ihre Antwort macht deutlich, dass es Ihnen eigentlich um eine (kultur)politische Bewertung des Vorhabens geht, nicht um das Korrigieren angeblich falscher Fakten in meinem Artikel. Ich hätte es angemessener gefunden, wenn Sie das gleich deutlich gemacht hätten, anstatt blöde Witze über einen ahnungslosen Bayern zu machen, der ich nicht bin. Aber sei’s drum. Nun zu Ihrer politischen Bewertung: Aus meiner Sicht – zugegeben bin ich nicht mit sämtlichen Einzelheiten der Kommunalpolitik vertraut – stellt sich die Sache etwas anders da: Eine Stadt wie Bochum ist wirtschaftlich in einer äußerst schwierigen, um nicht zu sagen dilemmatischen Lage: Zum einen sind diverse soziale und wirtschaftliche Belange zu berücksichtigen, zum anderen aber muss man auch in Dinge investieren, die die Attraktivität der Stadt nicht noch weiter herabsetzen. Und welche Dinge das sind, was man sich also in schwieriger Haushaltslage noch „leisten“ kann, darüber wird es gewiss immer verschiedene politische Auffassungen geben. Es ist sicher blauäugig, in der Kultur die Rettung des Ruhrgebietes zu sehen; aber ohne attraktive Kultur geht eine Großstadt erst recht den Bach runter. Nach meinen Erfahrungen bin ich auch nicht sicher, in welchem Umfang im Ruhrgebiet wirklich von einem „metropolitanen“ Kulturpublikum ausgegangen werden kann; der Zuspruch zu den Kultureinrichtungen bewegt sich doch meist im Rahmen der Stadtgrenzen. Das heißt nun nicht, dass alle Städte im Ruhrgebiet „alles haben“ müssen; erstens gibt es sicher Möglichkeiten der Kooperation; und zweitens hat Bochum ja schon nicht alles, nämlich kein Ballett und keine Oper. Die Prognose, dass sich die Investition des Musikzentrums für die Stadt lohnen könnte, erscheint mir da nicht ganz abwegig, und das Signal, das davon ausgeht, finde ich eher ermutigend.
@Johan Schloemann: Erst einmal: Nein, Herr Schloemann, das sehen Sie falsch. Die politischen Bewertung habe ich bereits in zahlreichen Artikeln abgegeben. Die SZ gehört zu den Medien, denen faktentreue unterstellt wird – dass was Sie schreiben,kann die Sicht anderer Kollegen beeinflussen. Umso ärgerlicher, wenn die Fakten nicht stimmen. Und vor allem, wenn viele Fakten nicht stimmen. Dazu kam, dass er hier vor Ort von Verantwortlichen schon kurz nach Erscheinen wie ein Ritterschlag auf Facebook herumgereicht wurde. Ich mag es nicht, Kollegen zu kritisieren, aber in dem Artikel war einfach zu vieles falsch. Der Witz zum Einstieg – geschenkt.
Nun zu den Inhalten: Ich halten alle Investitionen in die Bereiche Kinder und Jugend für sehr lohnend: Egal ob in den Bereichen Kultur oder Bildung. Hier hätte Bochum noch genug zu tun. Genug zu tun hat die Stadt auch damit, dass Schauspielhaus attraktiv zu halten, die freie Szene zu erhalten oder auch die kleinen Sportvereine. All das ist in den kommenden Jahren gefährdet. Ein wichtiger Grund dafür wird der Niedergang der Stadtwerke sein, die hier eine wichtige Einnahmequelle sind. Mehr als die Standards halten zu können ist schlicht nicht realistisch. Und das was man noch an freien Mitteln hat, sollte für Kinder und Jugendliche ausgegeben werden – eine gute Kinderbetreuung, gute Schulen – auch das sind Argumente in eine Stadt zu ziehen. Und sie haben einen direkten Nutzen – im Gegensatz zu einem Konzerthaus, das man zu den Einrichtungen zählen kann, denen man einen „Optionsnutzen“ unterstellt. Angesichts der finanziellen Situation sollte die Stadt einfach vorsichtiger sein – das ist sie aber nicht. Das ist sie im Kulturbereich nicht und das ist sie auch in den Bereichen ihres wirtschaftlichen Handelns nicht – Stichwort Steag.
Herr Schonemann, keiner der Musikzentrumskitiker hat je „Mittagessen statt Musik!“ gefordert. Im Gegegenteil. Es ging darum, dass in einem Bürgerentscheid die Bürger entschieden sollten, ob gebaut werden soll oder nicht. Die Entscheidung über den Bürgerentscheid liegt heute noch heute vor Gericht in 1. Instanz. Auch von dem Bürgerbegehren kein Wort in Ihrem Artikel.
Die Gegner haben insbsondere kritisiert, dass das Konzerthaus Folgekosten von jährlich ca. 3 Mio. Euro nach sich ziehen wird und nicht 650.000, wie von Verwaltung und Politik behauptet. Weiterer Ktritikpunkt, dass sich die Stadt verpflichtet hat, um die Fördermittel für das Konzerthaus zu bekommen, die Jahrhunderthalle zu übernehmen. Ein 90 Mio.-Bauwerk mit den entsprechenden Folgekosten, die ab 2022 vollständig auf die Stadt zufallen könnten, wenn sich das Land zurückzieht.
Wenn solche Kritik für Sie sich auf „Mittagessen statt Musik!“ reduzieren lässt, dann lässt sich erkennen welche Ahnung sie von ökonomischen Zusammenhängen haben und welchen Wert für sie unabhängige Berichterstattung hat.
Durch das „Musikzentrum“ findet in Bochum kein einziges Konzert mehr oder weniger statt. Die BoSy geben 90 Konzerte im Jahr nur demnächst in einem anderen Haus. Auch deswegen ist der Spruch „Mittagessen statt Musik!“ dumm und konnte sich auch nur ein Journalist ausdenken, der offenbar nicht halbwegs Willens war sich mit den Fakten hier in Bochum zu beschäftigen.
Der ganze Beitrag ist Meinungsmache im Konzertsaalstreit in München. Im Beitrag wurde die Sachlage in Bochum so offensichtlich passend gemacht und einseitig dargestellt, dass sie im Münchner Streit ihrer Position damit sicher keinen Gefallen getan haben.
„Herr Schloemann,“ die falsche Anrede bitte ich zu entschuldigen.
[…] gerade durch die Sparvorgaben (Süddeutsche.de) – Siehe auch den Ruhrbarone-Artikel Wenn die Süddeutsche vor lauter Begeisterung über das Konzerthaus die Fakten vergisst, zu dem der Autor des SZ-Artikels schreibt, dass es dabei "eigentlich um eine […]
@Stefan Laurin: Ihre Meinung muss man nicht teilen, aber respektieren, das ist eine Selbstverständlichkeit im demokratischen Diskurs. Es sind auch offenbar Argumente wie die Ihren, mit denen nicht zuletzt die Grünen im Stadtrat eine strenge Deckelung der Baukosten durchgesetzt haben, und dagegen ist ja auch nichts zu sagen. Was ich allerdings rätselhaft finde, das ist Ihre Art, Argumente auszutauschen: Wieso wiederholen Sie denn in Ihrem letzten Diskussionsbeitrag Ihre Behauptung, in meinem Artikel sei „vieles falsch“ gewesen, wenn ich doch auf die einzelnen Punkte Ihrer sachlichen Kritik bereits eingegangen bin? Und zwar derart, dass der Vorwurf von Ahnungslosigkeit und Inkorrektheit in den meisten Punkten zurückzunehmen wäre? Und hätten Sie nicht mindestens mal anerkennen können, dass ich auf Ihren Beitrag, der ja an Beleidigung grenzt, überhaupt sachlich eingegangen bin? Also, wenn das auch sonst der Ton ist, in dem solche Auseinandersetzungen bei Ihnen geführt werden, dann gute Nacht, Bochum.
„Gute Nacht, Bochum“ ist ein schöner Abschluss für diesen Thread! Denn genau darum geht es in der Kritik der Bochumer Bürger bzgl des „Musikzentrums“. Ein Konzerthaus wird uns leider nicht weiterbringen in Bochum, das Gegenteil wird passieren, selbst wenn wir Kulturliebhaber sind. Und wir durften nicht einmal selbst entscheiden! Warum eigentlich nicht??
Also dann, gute Nacht! Bochum.