Leichenberge werden nach Abzug der russischen Truppen rund um Kiew geborgen, Böhmermann berichtet von der Umstrukturierung Ungarns durch Viktor Orban in einen autokratischen Staat und die EU glänzt im Zeichen absoluter Passivität. Die Reaktionen auf die momentanen Weltgeschehen stehen im Zeichen ihrer eigenen Unzulänglichkeit. Von unserem Gastautor Ioannis Dimopulos.
Nachdem Bilder ekelhaftester Barbarei durch die deutsche Medienlandschaft spukten, ist das Bedürfnis sich zu echauffieren groß. Unmenschlich sei das alles, man müsse jetzt solidarisch sein und sich – gerade in Deutschland – aktiv an der Verbesserung der Lage beteiligen. Damit dass diese Hilfen sich jedoch auf Kundgebungen, Lieferungen und Flüchtlingsaufnahme beschränken, scheint niemand ein Problem zu haben. Man habe ja getan, was man konnte, irgendwann kommen bestimmt auch einmal die 5000 Helme der Bundeswehr in der Ukraine an, die zwar gegen Kopfschüsse helfen dürften, damit aber das Ende des leidenden Soldaten nur auf die lange Bank schieben werden. Die Helme selbst sind hier als Symbole zu verstehen für die deutsche Passivität, die noch ein wenig ekelhafter ist als die ständige Berufung auf die Institution Europa. Kein Widerstand, keine Verteidigung der Freiheit erfolgt durch den Helm, man verlängert damit nur die Zeit, in der man Solidaritätsbekundungen ins Nichts exklamiert.
So dürfte auch die letzte Böhmermann-Folge einzuordnen sein. Darf man die Vermittlungsfunktion des öffentlich-rechtlichen Formats durchaus loben, ist das, was dort vermittelt wird, ein Teil des Problems, an dem Deutschland in besonderer Weise partizipiert. Nach der Folge zur Ukraine, welche durch ihren unsicheren Gestus das aussprechen konnte, was vor dem Einfall Russlands in die Ukraine in den Köpfen des Westens umher sich trieb, ohne noch auf den Begriff gebracht werden zu können, ist die Folge zur Ukraine exemplarisch für die deutsche Ideologie, für die Art und Weise in welcher Deutschland sich durch seine vermeintliche Unverantwortlichkeit zur Passivität der Gemeinnützigkeit verdammt. Die Hilfslieferungen, Solidaritätsbekundungen und die Aufnahme von Flüchtlingen werden dadurch nicht falsch; jede Hilfe ist richtig. Sie wird aber zur Apologie eines politisch passiven Staates, der sich mit Berufung auf die freiwilligen Helfer zurücklehnen kann.
Sich über die Transformation Ungarns zum autokratischen Regime zu echauffieren, ist ein legitimer Vorwand. Nicht aber ist er dies, insofern der Putin-Scherge Orban zum Grund erklärt wird, wieso die Unterstützung der Ukraine durch die EU scheitert. Der klassischen psychoanalytischen Funktion der Projektion folgend, wurde hier versucht die eigene Passivität dadurch zu erklären, dass die Verantwortlichkeit, die jedem europäischen Staat inhärent sein müsste, durch die Unverantwortlichkeit eines anderen verunmöglicht wird. Dies ist ein einfaches Spiel, weil es den Subjekten die Verantwortung vor einer so katastrophalen Situation abnimmt und sie dadurch ebenfalls zu Opferns Netzwerks um Putin macht. Gleichzeitig schätzt sie die freiwillige Arbeit der Zivilbevölkerung gering, da sie zum Ersatz einer validen Außenpolitik wird.
Die zentrale Kategorie ist hier diejenige des Mitleids. Genauer noch müsste von Katharsis gesprochen werden. Das Konzept der Katharsis, welches sich an prominenter Stelle in Aristoteles Poetik findet, beschreibt eigentlich eine rezeptionsästhetische Haltung des Theaterbesucher zum aufgeführten Schauspiel. Katharsis ist als Reinigung des Zuschauers von seinen Affekten durch die Erfahrung von Jammer/Rührung (gr. eleos) und Schrecken/Schauder (gr. phobos) auf der Bühne zu verstehen. Dieses recht antike Konzept verliert nichts an Aktualität. Denn, so lässt sich dies in der Entwicklung des Begriffs etwa bei Gotthold Ephraim Lessing und vor allem bei Brecht vernehmen, enthält Katharsis einerseits eine pädagogisch-bildende Funktion, insofern der Mensch durch die Reinigung weniger affektiert reagiert, andererseits aber dadurch eine Passivität, die sich darin zeigt, dass das Herauslassen der Affekte und Emotionen im Mitleid die falschen Zustände, die leidende Subjekte eben hervorruft – also die Auslöser des Mitleids – unverändert lässt. Selbiges lässt sich im Format Böhmermanns verfolgen, als auch in der Hypostasierung der gemeinnützigen, freiwilligen Hilfe zur ultima causa.
Die Prominenz des Mitleids lässt sich mit jedem neuen Artikel, jedem neuen Grund der Wut auf deutsche Politik bestätigen. Mit der Weigerung Deutschlands den Panzer Typ „Marder“, der von der Bundeswehr nicht einmal mehr benutzt wird, in die Ukraine zu schicken und sich dabei entweder auf die lange Ausbildungszeit oder aber auf ihre Untauglichkeit herauszureden, ahmt den Gestus des wissenden Vaters gegenüber seines Kindes nach. Es wäre wenigstens ein Zeichen gewesen, dass die Bundesregierung gewillt ist, die Verteidigung Europas mit mehr als nur belanglosen Worten zu betreiben. Parallel dazu wird zwar von Kriegsverbrechen durch Russland in Butscha gesprochen. Die Außenministerin ruft verzweifelt nach neuen, bedeutungslosen Sanktionen, die schon jetzt im vollen Gange sind und das Leiden nicht beenden werden. Deutschland bei der Verteidigung Europas zuzusehen, erinnert nicht nur an die Passivität der Blauhelme in Srebrenica, sie ist noch ekelhafter, weil sie Pseudoaktivität ist.
Entgegenzusetzen wäre, auch gegen den Willen der EU, eine aktive Beteiligung der Nato in dem Maße, dass die Verteidigung der demokratischen Ukraine gegen die Autokratie Russland gewährleistet werden könnte. Dies funktioniert auch unabhängig von den Statuten der Nato, also ohne Eintreten des Bündnisfalls. Die momentane Politik der Europäischen Union, ist sie nun auch endlich mal einheitlich hinter einem Ziel vereint, ist ein Schlag ins Gesicht der freien Welt. Sollte diese Politik weiter fortgeführt werden, dürfte sich Russland über die typische Appeasement-Politik Europas freuen, die Putin völkerrechtskonform die Krim, Luhanks und den Donbass zusprechen wird, während gleichzeitig wie ein Hund darum gebettelt wird, dass es bitte damit auch genug Expansion Russlands gewesen sei. Die Idee der Restitution des Zarenreichs hört jedoch nicht in der Ukraine auf. In diesem Fall dürfte sich die Passivität des Mitleids, die Verantwortung zur Unverantwortlichkeit bereits in kurzer Zeit auf den nächsten Angriffskrieg Russlands mit allen dadurch nötigen Solidaritätsbekundungen freuen, zu denen sich neben 5000 Helmen eine ganz bestimmt besser aufgestellte Bundeswehr als Transportgesellschaft für Hilfsgüter anbieten wird. Die Bundesregierung wäre dies den Opfern des Krieges und jedem Zivilisten schuldig, der in Deutschland und Europa mehr für die Verteidigung Europas tut, als die rot-gelb-grünen Duckmäuser und ihre erbärmlich harmlosen Sanktionen.
In einer früheren Version schrieben der Autor, Böhmermann berichte von der Umstrukturierung der Ukraine durch Viktor Orban. Das war falsch. Er berichtete von der Umstrukturierung Ungarns.
"irgendwann kommen bestimmt auch einmal die 5000 Helme der Bundeswehr in der Ukraine an, die zwar gegen Kopfschüsse helfen dürften"
Mit Sicherheit nicht. Solche Helme dienen nur dem Schutz gegen Granatsplitter, ein Kopfschuß schlägt da glatt durch.